Die »klassische« Moderne war für Frauen Chance und Herausforderung zugleich. Das Leben von Sibyl Moholy-Nagy zeigt dies in eindrücklicher Weise. Geboren 1903 bei Dresden musste sie als junge Frau ihre Sehnsucht nach Freiheit und Emanzipation mit traditionellen Erwartungen ihres Umfeldes vermitteln. Während ihrer Arbeit in der Berliner Filmindustrie lernte sie 1930 den ehemaligen Bauhausmeister László Moholy-Nagy kennen. Als seine Ehefrau und Mitarbeiterin und als Mutter seiner Kinder folgte sie ihm nach London und Chicago. Nach Moholys frühem Tod veröffentlichte sie dessen Biografie, Bücher über Architektur und Zeitschriftenartikel. Sie wurde eine einflussreiche und angesehene Wissenschaftlerin und Architekturkritikerin und eine der frühen Stimmen, die Zweifel am Weg der modernen Architektur äußerten. So hinterfragte sie die heroische, maskuline Version von Modernität, indem sie – mit weiblicher Rationalität und scharfem Blick – deren problematische Kontexte und blinde Flecken aufdeckte.