Leseprobe

135 Viele Dias und Negative hatte Ingo schon chronologisch in Ordnern abgeheftet und auf Karteikärtchen vermerkt. Es wird gesichtet, Arbeitskategorien werden gemeinsam definiert, man versucht, Zusammenhänge herzustellen. Und immer, wenn eine Kategorie aufgelistet ist, taucht in irgendeiner Ecke noch etwas auf: beispielsweise Ingos Steuerunterlagen hinter Winterreifen in der Garage seiner verstorbenen Mutter. Sie belegen die kommerziellen Aufträge. Oder Playboy-Hefte mit einem Titelbild von Ingo – einer witzigen Fotomontage – und ein Plakat – auch eine Collage – für eine Aufführung von Die Blume von Hawaii … Durch all das weiß sie auch inzwischen, dass er beispielsweise einer der ersten Fotografen war, der mit dem späteren TopModel (und heutigen Fotografin) Ellen von Unwerth arbeitete. Die erinnert sich heute noch gut und gerne an eine gemeinsame Reise nach Sri Lanka. Die alte Freundin hat auch erfahren, dass Ingo für seinen Lehrabschluss 1967 beim Fotografen Franz Lazi gleich drei Preise bekommen hat: Als Höhepunkt empfing ihn der Bundespräsident als »Bundessieger Deutschland«. Und sie weiß jetzt auch, dass ihn im November 1969 das Arbeitsamt (als wohl Arbeitslosen) zum Arbeiten nach Murr an der Murr beorderte, wo sie sich kennenlernten.  Irgendwann, exakt gesagt Ende August 2016, geht ihr Exposé über Ingos Werk an die Stiftung F. C. Gundlach in Hamburg. Der berühmte Fotograf hat sich zum Ziel gesetzt, Fotografennachlässe zu erhalten und sichtbar zu machen. Von dort kommt die Nachricht, dass man in zwei Monaten wieder eine Besprechung mit der Deutschen Fotothek in Dresden habe, da würde man gerne über Ingos Nachlass diskutieren. Dann kommt die Nachricht: Ja – sehr gerne! Der Leiter der Fotothek kommt später persönlich bei Ingos Schwester vorbei, um die stattliche Ladung mit einem großen Wagen abzuholen. Und ganz schnell steht Ingos Lebenslauf bei der Deutschen Fotothek online, inklusive der circa 60 Fotos, die schon vorher digitalisiert waren. Es wären noch ein paar Korrekturen in der Vita schön, schreibt die Freundin dann nach Dresden… Und zwei Tage später sind sie auf der Website ausgeführt! Auf ihren Dank hin schreibt der Institutionsleiter, dass er das schnell selbst gemacht habe – es habe ihm Freude gemacht.  2020, 35 Jahre nach Ingos frühem Tod, gibt es nochmals Freude bei Freunden und Familie: Bald wird in der Fotothek an einem opulenten Buch über Ingo gearbeitet, mit etwa 200 Abbildungen. Sein Werk überzeugte die Fachleute offenbar. Ist er vielleicht schon ein bisschen berühmt?? Wer weiß, wie es weitergeht… Sie hofft es und sie glaubt auch, dass Ingos Werk noch mehr Aufmerksamkeit bekommen wird. Jedenfalls wird er dann berühmter sein als in den letzten 35 Jahren! Er hat es gewusst – oder erahnt – oder ersehnt … 3 Werbeanzeige von Ingolf Thiel in Instant, Heft Nr. 9 (1984), o. Pag.

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