Leseprobe

6 Bildender Künstler mit der dazugehörigen Galerie »Kunst der Zeit«, die sich zu einer wichtigen Ausstellungs- und Verkaufsplattform entwickelte. Charakteristisch für das experimentelle Agieren von Johannes Kühl ist das bewusste Eingreifen: Durch feine Linien und Punkte oder kräftig-breite Pinselschwünge, mitunter auch durch ungewöhnliche Arbeitsmittel wie Schallplatten, entstehen flächig angelegte Bewegungen, die spannungsgeladen den Bildraum durchqueren. Detailreiche Formen und Strukturen in kostbarem Farbklang, z.T. auch monochrom, im feinnervigen Gespinst eingebunden, sind nie verlorene Dinge; alles steht miteinander im Zusammenhang wie Ursache und Wirkung. In Themen wie Theater und Zirkus variiert der Balanceakt des Lebens. Titel wie »Reifendes Leben«, »Versuch neuer Ordnung«, »Erstarrtes Gefangenes lebt«, »Schwebend im Unbekannten«, »Brücke über Treibendes«, »Strahlenkranz der Pflanzen« verweisen auf die seelische Verarbeitung der Kriegserlebnisse und auf die Hoffnung auf eine besseren Zukunft. Nachdem er 32-jährig die Mutter verloren hatte, erlitt acht Jahre später der Vater Heinrich einen schweren Schlaganfall. Der ursprüngliche Plan, dieWeiterführung der Galerie durch den Sohn Christoph, den gelernten Buch- und Kunsthändler, oder durch die von ihm ausgebildete Tochter Maria zu sichern, war angesichts der Teilung Deutschlands undMarias Gesundheitszustands nicht umsetzbar. Bereits seit 1962 unterstützte Johannes Kühl seinen Vater, nach drei Jahren gemeinsamer Zeit und seinem Versprechen, auf die eigene künstlerische Laufbahn zu verzichten, führte er nach dessen Tod das Unternehmen allein weiter. Gleichwohl hat ihn die Hoffnung, sich eines fernen Tages nachWeitergabe der Verantwortung wieder seiner ersten Intention zu widmen, nie verlassen. Offenbar sollte im ländlichen Raum ein Rückzugsort entstehen. In Sohland/Lausitz bezog er gegen Ende der 80er Jahre ein altes ruinöses Gebäude als Wochenenddomizil. Unter demDach, zwischen Holzbalken und auf einer Staffelei standen seine Ölbilder scheinbar zufällig arrangiert. Sicher sollten sie zur Fortsetzung seiner Arbeit ermutigen, doch es kam nicht mehr dazu, sein Leben endete am 21. September 1994. Im Juni 2022 jährt sich der Geburtstag von Johannes Kühl zum 100. Mal. Grund genug, den Künstler mit einer Auswahl seiner Arbeiten zu würdigen. Seine eigenständige Handschrift in der Tradition der Dresdner Malschule kann als bereichernder Beitrag zur Kunstgeschichte gesehen werden. Als seine Tochter und Nachfolgerin der KUNSTAUSSTELLUNG KÜHL bin ich froh und dankbar, den Freunden unserer Galerie einen vielschichtigen Einblick in das wenig bekannte Œuvre meines Vaters Johannes Kühl ermöglichen zu können. 3 Ausstellungseröffnung »Johannes Kühl zum 70. Geburtstag« im Dresdner Kupferstich-Kabinett, Redner Prof. Wolfgang Holler, Johannes Kühl sitzend 1. Reihe li., 1992

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