Leseprobe

7 Die Balance als Berufung Der Dresdner Maler Johannes Kühl zwischen Spätimpressionismus und Informel Paul Kaiser Direktor des Dresdner Instituts für Kulturstudien Eine Biografie kann man in Phasen teilen – die Facetten einer außergewöhnlichen Persönlichkeit lassen sich hingegen nur im Ganzen fassen. Aus diesem Dilemma hat die Galeristin Sophia-Therese SchmidtKühl (*1961) – Tochter desMalers, Galeristen und Kunstvermittlers Johannes Kühl (1922–1994) und seit 1994 seine Nachfolgerin als Inhaberin der KUNSTAUSSTELLUNG KÜHL – eine Tugend gemacht, indem sie das künstlerische Werk ihres Vaters chronologisch in zwei Ausstellungen sowie im vorliegenden Katalog vor Augen führt. Passend zur Vielfalt der Biografie von Johannes Kühl stellt sie in der ersten Exposition, welche die Schaffensjahre des Künstlers bis 1945 umfasst, imSchauraum der Galerie Arbeiten von denjenigen Akteuren vor, mit denen er nach Aufgabe seiner künstlerischen Tätigkeit und der durch den Tod seines Vaters Heinrich Kühl (1886–1965) notwendig gewordenen Übernahme der Galerieleitung eine besondere Bindung eingegangen war. Die Liste der in der Folge dort von ihm vertretenen Namen liest sich wie ein Who’s who prominenter Positionen und sie vereint gleichermaßenMaler, Grafiker und Bildhauer, welche die enorme Bedeutung der Dresdner Kunst der Nachkriegsjahrzehnte verkörpern. Unter denWeggefährten von Johannes Kühl, die im Freundeskreis um die Galerie verkehrten und die dort ihre lange von der SED-Kulturpolitik inkriminierten Positionen in Ausstellungen teils erstmals öffentlich machen konnten, befinden sich unter anderen Carl Lohse (1885–1965), Hermann Glöckner (1889–1987), Bernhard Kretzschmar (1889–1972), Johannes Beutner (1890–1960), AlbertWigand (1890–1978), Pol Cassel (1892–1945), Hans Jüchser (1894–1977), Erna Lincke (1899–1986), Hans Kinder (1900–1986), die Gebrüder Max (1900–1972) undWilhelmLachnit (1899–1962), Hans Christoph (1901 –1992), Ernst Hassebrauk (1905–1974), Dottore (Wolfgang G. Lehmann, 1935–2009), Max Uhlig (*1937), Gerda Lepke (*1939) und Klaus Dennhardt (*1941). Jene feine Auswahl verdeutlicht, dass es sich bei Johannes Kühl und demvon ihmprotegierten Künstlermilieu keineswegs um sogenannte DDR-Künstler handelt, sondern um deutsche Künstler mit sächsischer Prägung und nationaler Geltung. Also Künstler, die trotz der harten Brüche des 20. Jahrhunderts souveräneWege zur Entfaltung ihrer höchst unterschiedlichenŒuvres fanden. Die in der zweigeteilten Ausstellung vollzogene konzeptionelle Korrespondenz zwischen denWerken von Johannes Kühl und den Arbeiten seiner teils in langer Freundschaft verbundenen Kollegen stellt sein Werk in den Kontext der Dresdner Kunst. Aus gutem Grund, denn er war als Maler deren Hauptlinien selbst verpflichtet – angefangen vom retardierenden Spätimpressionismus sächsischer Prägung bis hin zu seinem immer noch weithin unbekannten Beitrag zum deutschen Informel in den 1950er und 1960er Jahren. Im Zwei-Diktaturen-Land Wer war aber Johannes Kühl als Künstler? Diese Frage stellte in einer Zeit des geglückten Erinnerns fast eine unbotmäßige Formulierung dar, muss aber angesichts der nach 1990 einsetzendenMarginalisierung ostdeutscher Kunst imwiedervereinten Deutschland gestellt werden. Kühls Tochter, die nunmehr bereits fast drei Jahrzehnte die Galerie mitunter durch ungeheure Turbulenzen und Wagnisse steuerte, hat der Darstellung der künstlerischen Entwicklungsgeschichte ihres Vaters in pointierter Weise Platz eingeräumt. Sie tat dies, indem sie die frühe Chronik des Schaffens mit der langen und durchaus mit Brüchen

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