Leseprobe

78 Doch genau davon kann bei unserer Gruppe keine Rede sein. Alles an der Haltung und im Ausdruck des alten Mannes deutet auf Verehrung hin, seine Berührungen sind behutsam und zärtlich. Auch wirkt sie keinesfalls wie ein Opfer, sondern eher wie eine triumphierende Königin voller Anmut und Gelassenheit – von Gewalt also keine Spur. Wer sind diese beiden, die so viel Vertrauen und Harmonie ausstrahlen? Bei der Gestalt eines geflügelten Alten denkt man zunächst wahrscheinlich an Chronos, die Personifikation der Zeit. Für seine Darstellung gab es in der Antike noch keine feste Ikonografie, seit der Renaissance bürgerte sich jedoch eine Wiedergabe als geflügelter Greis mit Stundenglas und Sichel ein.1 Vor allem im Barock wurde Chronos gern in Begleitung einer attraktiven Frau gezeigt, um auf allegorische Weise die Vergänglichkeit von Jugend und Schönheit zu thematisieren, wie dies etwa Pietro Balestra (vor 1672–nach 1729) in seiner 1722 von August dem Starken erworbenen Gruppe Die Zeit entführt die Schönheit (Abb. 53) tat, oder darauf hinzuweisen, dass die Zeit früher oder später die Wahrheit ans Tageslicht bringt, wie dies in der etwa gleichzeitig ebenfalls für Dresden angekauften Gruppe Die Zeit enthüllt die Wahrheit (Abb. 54) von Antonio Corradini (1688–1752) vorgeführt wird. Abb. 53 Pietro Balestra, Die Zeit entführt die Schönheit, um 1720, Großer Garten, Dresden

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