Leseprobe

17 Das bildhauerische Werk Paul Heermanns Mario Titze Paul Heermann war neben Balthasar Permoser der bedeutendste Bildhauer, der im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts in Dresden tätig war. Sein Ruhm wurde bereits von der frühen kunsthistorischen Forschung verkündet, wie eine Äußerung des Kunstgelehrten und ersten Generaldirektors der Dresdner Akademie und sächsischen Kunstinstitute, Christian Ludwig von Hagedorn (1712–1780), aus dem Jahr 1771 beweist, in der es über Heermann heißt: »[…] jeglicher Akademie würde dieser vortreffliche Mann Ehre gemacht haben. In der Zartheit weiblicher Statuen hatte er Vorzüge vor Balthasarn, der […] insgemein, wie wohl irrig, für seinen Lehrer gehalten wird.«1 Dieses Urteil über einen barocken Bildhauer ist besonders bemerkenswert, denn im Allgemeinen erfreute sich die Kunst des frühen 18. Jahrhunderts, unter dem Einfluss der Schriften Johann Joachim Winckelmanns (1717–1768), zu jener Zeit keiner großen Wertschätzung. Die positive Bewertung gründete sich nicht zuletzt auf Heermanns Stil, der sich vom dynamischen Pathos des Hochbarock unterscheidet und in seinem Spätwerk geradezu protoklassizistische Züge annimmt, weshalb er den frühen Theoretikern des Klassizismus wohl so gefiel. Noch Carl Justi wiederholte in seinem Essay über das augusteische Dresden 1866 mit der Einschätzung, dass Heermann Permoser »in Zartheit weiblicher Statuen noch übertraf«,2 formelhaft Hagedorns Diktum. Die erste wissenschaftliche Bearbeitung von Heermanns Œuvre leistete 1961 verdienstvoll Sigfried Asche, die von ihm in weiteren Studien, die 1966, 1970 und 1971 folgten, vertieft wurden.3 Asche verstärkte die Betonung der »klassizistischen« Seite in Heermanns Formensprache, ja, er verabsolutierte sie geradezu und stempelte ihn zum Antikenrestaurator am Dresdner Hof.4 Dieses Bild beherrschte Asches Wahrnehmung so sehr, dass er Heermann zwei Antikenkopien im Dresdner Großen Garten, Herakles und Seleinos,5 zuschrieb, die Gerald Heres später als Arbeiten des in Rom tätigen französischen Bildhauers Pierre L’Estache (ca. 1688–1774) identifizieren konnte, die dieser um 1725 im Auftrag Augusts des Starken fertigte und nach Dresden lieferte.6 1984 machte Christian Theuerkauff Heermann als bedeutenden Elfenbeinschnitzer namhaft,7 und 2005 beschrieb Eike Schmidt »neue Aspekte« in Heermanns Schaffen.8 Weitere Neuentdeckungen und -zuschreibungen der letzten Jahre9 lassen es nötig erscheinen, das Bild von Paul Heermann einer Revision zu unterziehen.10 Paul Heermann wurde am 23. Januar 1673 inWeigmannsdorf bei Freiberg getauft.11 Man kann davon ausgehen, dass er am Tag zuvor geboren wurde. Pauls Vater Zacharias war Müller. In die Lehre ging Paul höchstwahrscheinlich, wiewohl urkundlich nicht belegbar, bei seinem ebenfalls aus Weigmannsdorf stammenden Onkel George Heermann (um 1645 – um 1700).12 Wo George seine Ausbildung erfuhr, ist unbekannt, für die Beantwortung der Frage nach den ersten künstlerischen Einflüssen auf das Schaffen Pauls wäre es jedoch wichtig, etwas darüber zu erfahren. Es liegt nahe, eine Lehre bei einem Freiberger Bildhauer, etwa bei Johann Sebastian Kirmser d. Ä. (1659– 1698 nwb.) anzunehmen.13 Die Gesellenwanderung führte George um 1666 sehr wahrscheinlich nach Dresden, das sein späterer Lebensmittelpunkt werden sollte, und wo Meister wie Abraham Conrad Buchau (um 1623– 1701) und Christoph Abraham Walther (um 1625–1680) tätig waren. Bedeutsam war sein anschließender Aufenthalt in Italien, der etwa in die Zeit von 1669 bis 1679 fällt. Im Januar 1683 teilte George Heermann dem Dresdner Rat in einem Schreiben mit, dass er sich »an die 10. Jahre […] in Italien zu Rom, Venedig und anderer Orthen mehr, aufgehalten« hatte.14 Zwischen Frühling 1673 und Frühling 1678 konnte Schmidt ihn in Rom, »nur wenige Straßen von Bernini entfernt« wohnend, nachweisen.15 Ab 1679/80 arbeitete er in Dresden an Skulpturen für die Fassaden des Palais im  Abb. 3 Paul Heermann, Epitaph Wolfgang Christoph Schubarth, Detail, um 1710, Kreuzgang des Doms, Freiberg

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