Leseprobe

18 Großen Garten. Seit Weihnachten 1681 bildete er in seiner eigenen Werkstatt in Altendresden (heute Dresden-Neustadt) seinen Neffen Zacharias (1670–?), den älteren Bruder Pauls, als Bildhauerlehrling aus.16 Zwischen 1681 und 1685 schuf George verschiedene Werke in Elfenbein.17 1683, spätestens 1684, nach Fertigstellung der Arbeiten für das Palais im Großen Garten,18 beauftragte Fürst Wenzel Adalbert von Sternberg (1643–1708) George Heermann mit Arbeiten für sein Landschloss in Hinter-Ovenetz (Zadní Ovenec) bei Prag (heute Prag-Troja), dessen Rohbau 1678 begonnen worden war.19 1685 datierte George einen der beiden kolossalen Atlanten der theatralischen Gartentreppe von Schloss Troja (Abb. S. 14–15), deren umfangreicher Skulpturenzyklus den Sturz der Giganten durch die olympischen Götter darstellt. Etwa gleichzeitig modellierte er überlebensgroße Stuckfiguren im Hauptsaal des Schlosses Rothenhaus (Červený Hrádek) und schnitzte den 1691 verbrannten Orgelprospekt der alten Görlitzer Peterskirche.20 In dieser von umfangreichen und künstlerisch außerordentlich anspruchsvollen Aufgaben erfüllten Zeit begann 1685 die Lehrzeit des damals zwölfjährigen Paul Heermann in der Werkstatt des Onkels, in der es auch weiterhin viel zu tun gab. 1689 müssen sechs Skulpturen der Treppe von Schloss Troja vollendet gewesen sein, da sie farbig gefasst wurden.21 Am 25. Dezember desselben Jahres unterschrieb George Heermann in Dresden als »Hoffebildthauer« den Lehrbrief für seinen Neffen Zacharias.22 Zwischen 1692 und 1695 schuf er den Altar für die erneuerte Pfarrkirche St. Peter und Paul in Görlitz.23 Das Portal im piano nobile des Schlosses Troja, durch das man aus dem Hauptsaal auf die Gartentreppe tritt, trägt die Jahreszahl 1695. Bereits in seiner frühesten nachweisbaren Arbeit, der Figurengruppe Urteil des Paris für das Palais im Großen Garten in Dresden, zeigte sich George Heermann von römischen Vorbildern, vor allem von Domenico Guidi (1625–1701), Ercole Ferrata (1610–1686) und Gian Lorenzo Bernini (1598–1680) beeinflusst, was in steigender Intensität auch bei seinen darauf folgenden Werken festzustellen ist.24 Neben den allgemeinen handwerklichen Fähigkeiten, wie dem Bearbeiten von Holz, Stein, Elfenbein und Stuck, erlernte Paul Heermann von seinem Onkel somit vor allem die stilistische Sprache des römischen Hochbarock in seiner modernsten Form, die zur Grundlage für sein eigenes künstlerisches Schaffen wurde. Beginn und Dauer der Lehrzeit Paul Heermanns sind nicht dokumentiert, lassen sich aber aus Analogien errechnen: Wenn er, wie sein älterer Bruder Zacharias, seine Lehre amWeihnachtstag in seinem zwölften Lebensjahr begonnen hat, müsste dies 1684 erfolgt sein. Richtet man sich nach einer achtjährigen Lehrzeit – so lange dauerte diese üblicherweise bei George Heermann –, war das Ende wohl am 25. Dezember 1692 erreicht.25 Diese Lehrjahre wurden von Anfang an von den Arbeiten für Schloss Troja beherrscht, Paul war aber sicher auch am Görlitzer Orgelprospekt sowie am zwischen 1689 und 1692 entstandenen Altarrahmen für die Prager Wenzelskirche26 beteiligt. Seine Gesellenwanderung absolvierte er von 1693 bis Ende 1695 oder – nach den Dresdner Innungsregeln – bis Ende 1694. Als Geselle war Paul weiterhin an den Skulpturen für die Gartentreppe des Schlosses Troja beteiligt und er wirkte wohl auch am Grabmonument für Johanna Margarete Luise († 1698) und Hans Adam von Schöning († 1696) in deren Gutskirche in Tamsel bei Küstrin in der Neumarkt (heute Polen) mit. Im Jahr 1700 war Paul Heermann in Rom, wo er die heute im GRASSI Museum in Leipzig verwahrte Buchsbaumstatuette eines Herkules (Abb. 4) signierte.27 Es erscheint eher unwahrscheinlich, dass dieser Romaufenthalt noch Teil seiner Gesellenwanderung war, wie Asche annahm. Eine Reise nach Italien war für einen nicht eben begüterten Bildhauergesellen, den Sohn eines Müllers, der bereits während Pauls Lehrzeit verstorben war,28 ohne finanzielle Unterstützung nicht realisierbar. Darüber hinaus benötigte er dafür einen kurfürstlichen Reisepass und eine Empfehlung, die ihm einen solchen überhaupt verschaffen konnte. Das war erst nach dem Abschluss der Gesamtlehrzeit denkbar und erforderte wohl auch eigene Werke, die den Kurfürsten beziehungsweise den Chef des Oberbauamts davon zu überzeugen vermochten, dass eine Investition in die Fortbildung des jungen Künstlers lohnend wäre. Generell setzte ein derartiges Reisestipendium die Aufnahme in kurfürstliche Dienste, das heißt eine Anstellung im Oberbauamt, voraus, wie sie bei Johann Georg Starcke (ca. 1630– 1695),29 Marcus Conrad Dietze (1656–1704),30 Benjamin Thomae (1682–1751), Johann Christoph Ludwig Lücke (1705–1780) oder Matthäus Daniel Pöppelmann (1662–1736)31 nachgewiesen und für Johann Heinrich Böhm d. J. (1663–1701) anzunehmen ist.32 Eine solche Situation könnte sich Ende der 1690er Jahre ergeben haben, als nach dem Herrschaftsantritt Kurfürst Friedrich Augusts I. 1694 und seiner Krönung zum polnischen König 1697 ein größerer Bedarf an Bildhauern mit italienischer – das heißt moderner internationaler – Erfahrung bestand. Neben Abraham Conrad Buchau (ca. 1623–1701), einem

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