Leseprobe

4 Der Maler Johannes Kühl Erinnerung an meinen Vater aus Anlass seines 100. Geburtstags Sophia-Therese Schmidt-Kühl Galeristin der KUNSTAUSSTELLUNG KÜHL In den Augen eines Kindes ist der Beruf der Eltern untrennbar mit deren Persönlichkeit verbunden und stellt einen mehr oder minder wichtigen Teil der geliebten Person dar. Die vielfältigen Anforderungen meines Vaters als Galerist durchzogen und prägten zugleich das familiäre Miteinander. Selbst im Sommer- undWinterurlaub an der Ostsee erlebten wir neben ursprünglicher Natur reichlich bildende Kunst und Konzerte. Nachgesandte Geschäftspost von Kunden und Künstlern beantwortete er am Strand handschriftlich auf besonderen Postkarten. So manches Mal durften wir Kinder an seiner Seite auch die Rostocker Kunsthalle durch den Diensteingang betreten, wo uns Direktor Dr. Horst Zimmermann durch das Museum begleitete. Noch in den 1950er Jahren vor einer unbebauten Wiese stehend, hatte er vorausschauend Johannes Kühl um Unterstützung einer guten Sammlung gebeten. Durch direkte Vermittlung realisierte er dies uneigennützig über etliche Jahre. Dass die Berufung zum Maler die erste Lebenshälfte bestimmte, trat erst schrittweise in mein Bewusstsein. Dafür sorgte auch seine Neigung, um persönliche Dinge und Geschehnisse ein Geheimnis auszubreiten, welches er nur in seltenen Augenblicken offenbarte. Eine leise Ahnung bekam ich mit vier Jahren, als ich in einem winzigen Eckhaus in der Dresdner Dammstraße 8, direkt am Blauen Wunder gelegen, die Stufen einer hölzernen Treppe erklommund plötzlich vor Malpaletten voller Farbe stand. Ich befand mich in seinem Atelier – er hatte es in den Jahren von 1947 bis etwa 1965 gemietet. Viele Jahre später schenkte mir mein Vater zum 20. Geburtstag ein kleines Ölbild mit dem Interieur seines Ateliers aus der Vorkriegszeit. Es war mir Freude und Ansporn zugleich, hatte er doch meine damalig begonnene Ausbildung an der Abendschule der Kunsthochschule wohlwollend begleitet. Während ich meine Mutter Anneliese Kühl, die auch an der Kunsthochschule studiert hatte, zeichnend und malend, applizierend und Schmuck fertigend erlebte, konzentrierte sich Johannes Kühl nach Übernahme der väterlichen Galerie im Jahr 1965 ausschließlich auf die Unternehmungsführung. Für die ursprüngliche Passion war keine Zeit mehr. Die Fülle seines Schaffens blieb über Jahrzehnte im Verborgenen. Selbst an den Wänden der elterlichen Wohnung befanden sich nur wenige Arbeiten. Ein Bild muss ihm jedoch besonders am Herzen gelegen haben, es war im Büro der Galerie zu sehen und zeigte die von ihm hochverehrte Mutter Johanna Margarethe, lesend auf dem Canapé. Gut denkbar, dass die stille feine Dame auf der Leinwand dem Sohn Kraftquelle seiner Existenz war. Einer umfassenden Präsentation des öffentlich weitgehend unbekannten Schaffens stimmte Johannes Kühl erst 1992, im Jahr seines 70. Geburtstags zu. Das Dresdner Kupferstich-Kabinett ehrte den Jubilar mit einer Personalausstellung. Im selben Jahr richtete der Bruder Christoph Kühl, ebenfalls Galerist, eine opulente Schau mit über 60 Gemälden und Arbeiten auf Papier in Hannover aus. Beide Ausstellungen gaben mir erstmals die Gelegenheit, einen wirklichen Einblick in das künstlerische Werk meines Vaters zu erhalten. Fasziniert stand ich vor den lichtdurchfluteten Dresdner Motiven wie dem Liebespaar an der Elbe, Müttern mit ihren Kindern im Großen Garten und auf der Brühlschen Terrasse, Frauen beim Wäschetrocknen auf den Elbwiesen, belebten Straßen, Dresdner Schlössern und vielen anderen städtischen Szenerien, die das Leben der Vorkriegsjahre zwischen 1940 und 1943 schilderten. Doch diese Gemälde waren fast vollständig verkauft. Christoph Kühl strahlte: Die Werkvorstellung des

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