Leseprobe

115 Es ist eine Frage des Lichts. Der Bühnenraum ist dunkel. Wenn ein Stück beginnt, ist oft während einiger Sekunden nichts zu sehen. Der Zuschauer starrt in ein Dunkel, das sich erst nach und nach erhellt und sein Geheimnis preisgibt. Es fällt Licht, künstliches Licht, Scheinwerferlicht auf die Bühne. Schemen sind zu erkennen, Formen, dann einzelne Gegenstände, schließlich ein ganzer Raum, vielleicht auch ein Mensch, der sich darin verirrt hat. Es ist eine Frage des Lichts. An dem Punkt ist das Œuvre von Ben Willikens kongruent mit dem Prinzip von Bühne und Theater. Das Licht bringt seine Bilder zum Leben, sei dies eine seitliche hohe Tür, durch die das Licht eine Schneise bildet und den restlichen Raum kollateral erleuchtet, sei dies eine prächtige, gleißende Öffnung, die in der Bildmitte gleichsam Ausgangspunkt und Ziel aller räumlichen Fantasien darstellt. Ohne Licht gibt es keinWillikens-Bild, sogar die ORTE-Bilder feiern das Licht als einen stummen, schreckensschwarzen Schrei seiner Abwesenheit. Und ohne Licht gibt es auch kein Theater. BenWillikens, derWanderer zumLicht. Bei unseremerstenBühnenbildgespräch zu Marat/Sade 1990 in Frankfurt sagte er mir, 30 Jahre seines Lebens habe er imDunkeln gelebt, die 30 weiteren Jahre seien für ihn eine Reise ins Licht. Mittlerweile sind es mehr als 30 geworden, und die Reise hat noch kein Ende gefunden. Das Theater ist zwar ein essenzieller Teil dieser Reise, es hinterfragt jedoch auf Schritt und Tritt Klarheit und Logik des Weges. Es ist eine Frage des Lichts. Das Licht verbindet Bild und Bühne, es zeigt aber auch die krasse Unterschiedlichkeit der Vorgänge. Im gemalten Bild gibt es ein klares Führungslicht. Dies mag es genauso auf der Bühne geben, dies gibt es auch in unseren gemeinsamen Arbeiten. Doch irgendwann bricht auf einer ungedeckten Flanke ein neues Licht hervor, beißt sich mit dem Führungslicht, bringt den Raum in einen unsicheren, schwebenden, manchmal zerstörerischen Zustand, ist Ursache von Chaos.

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