Leseprobe

74 1576) zeigen in ihren Plänen ebenfalls die Feuerlinien des in den Flanken postierten Verteidigungsgeschützes. Handelte es sich hier um Idealanlagen, so wurde das Bastionärsystem vom Reißbrett auf die Landschaft übertragen.17 (ABB. 2) Wichtig war neben der fortifikatorischen Stärke allerdings auch die Sicherstellung der Versorgung sowie die Anbindung an ein überregionales Wegenetz – diese Bedingungen waren entscheidend, ob sich eine Stadt etablieren konnte, verlegt oder aufgegeben werden musste.18 FRÜHE UND ZEITGLEICHE PLANSTÄDTE Eine der frühesten nahezu perfekt angelegten Städte war Palmanova, das Vincenzo Scamozzi (1548–1616) ab 1593 als Grenzfestung der Republik Venedig im radial-polygonalen Prinzip errichten ließ. Vom zentralen Exerzierplatz führten anfänglich sechs breite Straßen zu den Befestigungsanlagen. (ABB. 3) Selbst die Unterbringung der Soldaten war hierarchisch geregelt, die Offiziere wohnten im Zentrum, die Söldner entlang der Festungsanlagen. Bereits 1554 hatte sich der Militäringenieur Pietro Cataneo in seinen »Quattro primi libri di architettura« für eine rationale Entwurfslösung ausgesprochen und gemeint, kreisförmige Grundrisse sollten aufgrund der besseren Funktionalität durch eckige ersetzt werden. So konnten die Mauern in Form eines Polygons mit Bastionen bestückt werden. Ein weiteres frühes Beispiel ist Sabbioneta, das sich über einem Hexagon mit sechs Bastionen erhebt – oder auch La Valletta, die ab 1566 nach dem Rasterschema erbaute Festungsstadt des Johanniterordens auf Malta.19 Etwas jüngeren Datums ist Nancy, dessen Neustadt zwischen 1588 und 1600 errichtet wurde. Es weist sehr viel Ähnlichkeit mit Hanau auf, auch hier blieben Alt- und Neustadt bis ins 18. Jahrhundert getrennt. Erst mit der damaligen Schleifung der großen Bastionen entstand prestigeträchtiger Stadtraum, der in der Neustadt neue Möglichkeiten der Platzgestaltung bot.20 Diesseits der Alpen setzten sich eher quadratische bzw. rechteckige Grundrisse für Planstädte durch. Bereits 1515 schilderte Thomas Morus (1478–1535) in seinem Roman »Utopia« die Idee eines Inselstaates mit 54 Städten von quadratischem Grundriss mit schachbrettförmigem Wegenetz ohne Zentrum – als Basis für ein gerechteres Gesellschaftsmodell. Albrecht Dürer (1471–1528) definierte in seiner Befestigungslehre 1527 den Prototyp nach Morus für viele, nördlich der Alpen entstehende quadratische Planstädte. Dieser war Vorbild bei der Anlage von Freudenstadt ab 1599 nach Plänen von Heinrich Schickhardt (1558–1635). (ABB. 4) Hier sind drei Häuserzeilen mühlbrettartig um einen quadratischen Platz angelegt, dessen Mittelpunkt ein Schloss hätte zieren sollen, das allerdings nicht zur Ausführung kam, während die Kirche in das Zeilenschema der Gesamtbebauung eingefügt wurde, also keine eigene Platzgestaltung erhielt. Bedingt durch den frühen Tod des Stadtgründers, Herzog Friedrich I. von Württemberg (1558–1608), wurde der Plan nur teilweise verwirklicht.21 ABB.4 Idealplan von Freudenstadt (rechts unten das auf dem zentralen Platz geplante, aber nie errichtete Schloss), Heinrich Schickhardt, Zeichnung, um 1600, Hauptstaatsarchiv Stuttgart, N 220 A 177.

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1