Leseprobe

197 Stadtmuseum& Sonstige strecken von Halle/Leipzig über Erfurt nach Nürnberg (Verkehrspro- jekt Deutsche Einheit Nr. 8), welche seit 2015 (nach Halle/Leipzig) und 2017 (nach Nürnberg) in Betrieb ist. Seitdem halten in Weimar nur noch vereinzelt Schnellzüge, darunter ein diesellokbespannter Inter- city von Gera nach Düsseldorf (zwei- bis dreimal am Tag). Die kritische Reflexion des entstehenden Eisenbahnzeitalters – wie überhaupt die der beginnenden Industrialisierung – hat in Weimar, in der Weimarer Klassik, einen spezifischen Ort. Der späte Goethe, fasziniert und skeptisch zugleich, wurde zu einem Beobachter der technischen Entwicklung, ja der Moderne überhaupt. Er besaß ein Modell der »Rocket«, einer der ersten englischen Dampflokomotiven (Faksimile im Goethe-Museum), und verwendet selbst bereits den Begriff »Eisenbahn«. In seinem Tagebuch vom 27. Februar 1832, also wenige Wochen vor seinem Tod, heißt es: »Die Eisenbahn von Liver- pool nachManchester, ein interessantes Heft, durchzugehen angefan- gen.« Die erste deutsche Eisenbahn ist kurz nach Goethes Tod gefah- ren, nämlich 1835. Folgt man einer Gesprächsäußerung Johann Peter Eckermanns, so sah Goethe »unsere guten Chausseen und künftigen Eisenbahnen« sogar als Voraussetzung einer künftigen deutschen Ein- heit (23. Oktober 1828). Viel zitiert ist vor allem eine briefliche Äuße- rung mit ambivalenter Einschätzung: »Reichtum und Schnelligkeit ist was die Welt bewundert und wornach jeder strebt; Eisenbahnen, Schnellposten, Dampfschiffe und alle mögliche Fazilitäten der Kom- munikation sind es worauf die gebildete Welt ausgeht, sich zu über- bieten, zu überbilden und dadurch in der Mittelmäßigkeit zu ver­ harren« (an Carl Friedrich Zelter, 6. Juni 1825). Dieses Unbehagen an Technisierung und Beschleunigung des menschlichen Lebens – bis hin zu einer weitreichenden Umgestaltung von Landschaft durch den Menschen – hat Goethe seiner Faust -Dichtung eingeschrieben (vgl. Fausts Verfluchung der »Geduld« als Zentralmotiv, V. 1606, und dann den vierten und den fünften Aufzug des zweiten Teils, wo Faust ein großes, aber zerstörerisches Vorhaben zur Landgewinnung durch- setzt und an eben denen, die »verweilen« können, an Philemon und Baucis, den versöhnten Alten, Anstoß nimmt).

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