Leseprobe

320 Plauen im Sozialismus wenigen rationierten käuflichen Nahrungsmittel reich- ten zum Leben kaum aus. Hamsterfahrten gehörten zum Alltag, die Hunger leidenden Stadtmenschen tauschten bei den Bauern Schmuck, Wäsche und anderen Besitz gegen Brot, Kartoffeln, Eier und Speck oder sie lasen abgeerntete Felder nach. Zur Trümmerberäumung hatte das Stadtbauamt schon Ende April alle Firmen und Werkstätten aufgefor- dert, soweit möglich Baumaschinen, Baugeräte, Kräne und andere Technik bereitzustellen. Parallel zu den Auf- räumarbeiten begann die schrittweise Instandsetzung des Strom-, Wasser- und Gasleitungsnetzes im Stadt- gebiet, wobei sich zunächst auf die noch bewohnbaren Straßenzüge sowie auf Ernährungsbetriebe konzen­ triert wurde. Mitte Mai 1945 richteten die Besatzer in der Elster­ aue zwischen Straßberg und Kürbitz ein Internierungs- lager für deutsche Militärangehörige ein. Nach ameri- kanischen Angaben wurden aus diesem Lager im Juni 1945 täglich bis zu 1 000 Mann entlassen. In den ersten Nachkriegswochen trieben sich in der Stadt mehrere Tausend befreite Kriegsgefangene und Fremdarbeiter herum. Plünderungen, Diebstähle und Körperverletzungen waren an der Tagesordnung. Um die Situation unter Kontrolle zu bekommen, brachte die Militärbehörde die Zwangsverschleppten in zwei Plaue- ner Kasernen und dem Fliegerhorst an der Schöpsdrehe sowie in weiteren bewachten Sammellagern unter. Aus dem teilzerstörten Stadtkrankenhaus waren in den letzten Kriegswochen mehrere Stationen ausge- lagert worden, so nach Leubnitz, Mühltroff und Bad Elster. Nach dem Einzug der Amerikaner kehrten diese Abteilungen Schritt für Schritt nach Plauen zurück. Verwundete Soldaten wurden im Frühjahr 1945 in mehr als zwei Dutzend Lazaretten und Hilfslazaretten ver- sorgt, die im Krankenhaus, in Schulen und Privatklini- ken, aber ebenso Objekten außerhalb Plauens unter- gebracht waren. Das Notlazarett Herbartschule über- nahm die amerikanische Militärverwaltung am 20. April 1945 als alliiertes Hospital, in dem auch Zivilisten be- handelt worden. Schulen und andere Bildungseinrichtungen blieben in der Zeit der US-amerikanischen Besatzung geschlossen. Für die Plauener Wirtschaft interessierten sich die Amerikaner eher punktuell. In der Vogtländischen Ma- schinenfabrik AG (Vomag) verhörten sie leitende Mit- arbeiter und beschlagnahmten Unterlagen und Bau- teile. Ansonsten verfuhren die Besatzer nach der Devise, Produktion, Lieferungen und Dienstleistungen lediglich so weit sicherzustellen, dass Hunger, Krank- heiten oder Unruhen gegen die Besatzer vermieden werden. Obwohl gemäß den alliierten Beschlüssen von Lon- don und Jalta bereits Wochen vor Kriegsende feststand, dass Plauen der sowjetischen Besatzungszone zuge- ordnet werden würde, hofften viele Plauener, angefan- gen beim Oberbürgermeister, die Amerikaner würden bleiben. Deshalb kam es noch am 30. Juni 1945 – am Tag des Abzugs der Amerikaner aus Plauen – zu einem Tref- fen zwischen Schlotte und dem Regierungspräsidenten von Thüringen in Weimar. Dieser versicherte dem Plaue- ner Stadtoberhaupt, dass die Demarkationslinie zwi- schen den beiden Siegermächten entlang der Zwi- ckauer Mulde verlaufen und Plauen unter amerikani- scher Verwaltung bleiben würde. Davon ausgehend, sprach man dort schon über tagespolitische Fragen. Zurück in Plauen, fand Schlotte völlig überrascht eine Situation vor, die alle Pläne jäh zunichtemachte : Die Rote Armee zog in Plauen ein. Was der Rathaus-Chef nicht wissen konnte : Nach einem Briefwechsel zwi- schen Truman und Stalin Mitte Juni 1945 war der Rück- zug der amerikanischen Truppen aus künftigem sowje- tischem Besatzungsgebiet für die Zeit ab dem 1. Juli 1945 befohlen worden. Zur gleichen Zeit sollten die Westalliierten in Berlin die für sie bestimmten Sektoren übernehmen – so, wie es im Februar 1945 in Jalta be- schlossen worden war. Besatzungswechsel und neue Rathaus-Führung Am 1. Juli 1945 zogen Einheiten des 101. Gardeschützen- regiments der Roten Armee in Plauen ein. Für den 4. Juli befahl der neue Chef der Kreiskommandantur Plauen, Oberstleutnant Nikolai Komarow, Plauens Oberbürger- meister Schlotte und den Landrat des Kreises Plauen Dr. Alexander Schmidt in die Kommandantur an der Neun- dorfer Straße. Es ging in dieser ersten Besprechung um eine Reihe von Sofortmaßnahmen – als wichtigste die Abgabe von Waffen, die unverzügliche Wiederaufnahme der Produktion und Öffnung von Läden sowie die Regis- trierung aller Offiziere und Soldaten, die nach 1939 in der Wehrmacht gedient hatten. Indes : Schlottes – und auch Schmidts – Tage im Amt waren unter den neuen Besatzern gezählt. Am 14. Juli 1945 wurden beide entlassen, dazu zwei bereits unter den Nationalsozialisten besoldete Stadträte und der Polizeidirektor. Auf den Chefsessel im Rathaus rückte der KPDler Herbert Hensel, ein in Plauen bis dato poli- tisch unbeschriebenes Blatt. Der gebürtige Dresdner war erst 1936 zugezogen; die Wahl fiel auf den 38-jäh- rigen Handelsvertreter, weil die Sowjets – zum Miss- fallen der örtlichen KPD-Leitung – an der Spitze der Stadt keinen bekannten Kommunisten sehen wollten. Diese Personalentscheidung entsprach vollkommen der strategischen Linie der neuen Machthaber, die der führende KPD-Funktionär und spätere SED-Partei- chef Walter Ulbricht im Mai 1945 in dem bekannten Satz auf den Punkt gebracht hatte : »Es muss demo- kratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.« Für die zweite Reihe im Rathaus winkte die Kom- mandantur ausschließlich Kommunisten und Sozialde- mokraten durch. Zum Landrat wurde Richard Milden­ strey (KPD) ernannt. In seinem gesamten Handeln war 1. Juli 1945

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