Leseprobe

Münze. Macht. Wissen. Münze. Macht.Wissen. Die Münzen und Medaillen der Klassik Stiftung Weimar

Münze. Macht. Wissen. Die Münzen und Medaillen der Klassik Stiftung Weimar Herausgegeben von Sebastian Dohe Sandstein Verlag

Annette Ludwig Vorwort 6 Inhalt Iris Kolomaznik Glasschuber in Gabelkonstruktion – eine außer- gewöhnliche Münzpräsentation 38 Sebastian Dohe Das Münz- kabinett Weimar – eine Sammlungs - geschichte 8 Gunnar R. Dumke Goethe und seine Münz- sammlung 32 Alexander Methfessel Mit Licht und Farbe zur Münzgeschichte – digitale Bildanalyse für die Material- bestimmung 44

Sebastian Dohe und Gunnar R. Dumke Katalog 48 Dynastiege- schichte(n) Teil 1 – 16. Jahrhundert 50 Krieg und Frieden – 16. bis 19. Jahrhundert 84 Dynastie- geschichte(n) Teil 2 – 17. bis 18. Jahr- hundert 104 Geprägter Glaube – 1544 bis 1917 160 Sachsen- Weimar- Eisenach – 1741 bis 1918 184 Aus Goethes Sammlung – 330 v. Chr. bis 1826 216 Nach der Monarchie – nach 1918 246 Bibliografie 266 Bildnachweis 271 Impressum 272

8 Das Münzkabinett Weimar – eine Sammlungs - geschichte Sebastian Dohe Haugwitz, Tentzel und die Gründung des Münzkabinetts Herzog Wilhelm Ernst (1662–1728, Abb. 1) gilt als Gründer des Weimarer Münzkabinetts. Als eine seiner kulturellen Leistungen rangierte dies auf einer Ebene mit der Einrichtung der Bibliothek und der Kunstkammer.1 Münzen und Medaillen gab es auch zuvor in Weimar, als Teil des ernestinischen Gesamtarchivs oder als fürstlicher Besitz; sie waren dann aber den regelmäßigen ernestinischen Erbteilungen unterworfen. So hatte beispielsweise Ernst der Fromme (1601–1675) nach der Erbteilung 1640 aus Weimar 516 Münzen und Medaillen mitgenommen.2 Für den erneuten Aufbau einer Münzsammlung stand Herzog Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar Wilhelm Ernst Tentzel (1659–1707) zur Verfügung, ›Vater‹ der sächsischen Numismatik, der mit seiner Saxonia Numismatica das für Generationen gültige Standardwerk zu diesem Thema lieferte (Abb. 2). Er vermittelte auch gleich den Grundstock für ein Kabinett, die Sammlung von Friedrich Adolph von Haugwitz (1637–1705). Dieser war Oberhofmarschall am kursächsischen Hof in Dresden gewesen und verfolgte das Ziel, privat eine umfassende Sammlung sächsischer Münzen anzulegen, eine auf Sachsen spezialisierte histoire metallique. Er fiel allerdings in Dresden in Ungnade, diente kurzzeitig in Brandenburg und zog sich ab 1700 aus der Öffentlichkeit zurück.3 Bis dahin hatte er sich als Münzsammler längst einen Namen gemacht. So liest sich in einer Übersicht sehenswerter Münzkabinette in Deutschland unmittelbar nach Benennung 1 · Christian Wermuth, Medaille auf Herzog Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar, 1697, KSW, Museen, MM-2022/1417 2 · Christian Wermuth, Medaille auf Wilhelm Ernst Tentzel, 1707, KSW, Museen, MM-2022/10412

9 der sächsisch-kurfürstlichen Sammlung in Dresden: »[U]nd ist daselbst das Haugwitzische Cabinet nicht weniger sehens-würdig [...].«4 Von dem Ankauf für Weimar berichtete Tentzel in seiner Saxonia Numismatica: »[...] ich wünsche dabey im gedachten Tractätlein / daß der Herzog zu seiner ewigen Gloire denen Nachkommen zum besten ein vollständiges Sächsisches Medaillen-Cabinet anschaffen möchte. Welches Wunsches ich an. 1700. gewähret worden / da der löblichste Herzog das berühmte Haugwitzische Cabinet / welches in lauter Sächsischen Medaillen, auch grossen und kleinen Müntzen bestehet / an sich erhandelte / welches ich zuvor zu Berlin in Ordnung gebracht / und hernach auff Fürstlichen Befehl und Kosten nach Weimar gelieffert habe.«5 Das erwähnte Tractätlein ist eine Schrift zu sächsischen Geburtstagsmedaillen, die Tentzel im Jahr 1700 veröffentlicht hatte. Zu dem Anlass hatte er gleich den kulturpolitischen Rat gegeben: »[...] daß wie schon etwas von Sächsischen Münzen bey dem Archiv vorhanden / also Dieselbe ein vollständiges Medaillen-­ Cabinet auß bloßen Sächsischen Medaillen und Müntzen von der größesten bist zur kleinesten bestehend / anzuschaffen / und dem Archiv, weil solches das Haupt-Archiv der gantzen Fürstl. Ernestinischen Linie ist / einzuverleiben gnädigst geruhen möchten / welches zu Dero stetigen Glorie von denen Nachkommen mit großem Nutz und Vergnügen gebraucht und vermehret werden könnte.«6 Offenbar folgte der Herzog diesem Rat unmittelbar, indem er die Sammlung Haugwitz erwarb. Mit dem in der Klassik Stiftung Weimar überlieferten, zweibändigen Inventar hat Tentzel in diesem Zusammenhang persönlich gearbeitet, seine Notiz findet sich zu einer Medaille auf August den Starken: »Ist nur in Zinn vorhanden. W. E. Tentzel« (Abb. 3).7 Leider fehlen diesem Inventar darüber hinaus – wie fast allen vorhandenen Sammlungsverzeichnissen – Titelei, Vorwort, Verfassername und Datierung. So ist Provenienzforschung zu Münzen in Weimar zwar durch den erhaltenen Aktenbestand sehr gut belegbar, allerdings mit dem Wermutstropfen, dass die fehlenden Daten der Inventare im Einzelnen rekonstruiert werden müssen. Im Fall des Inventars der Sammlung Haugwitz erschließt sich der Inhalt aus den in Rot notierten Folio- und Objektnummern, die neben die Münzbeschreibungen notiert wurden. Sie referieren offenbar auf einen ausführlicheren Katalog der Sammlung Haugwitz, zu dem sich das überlieferte Inventar als ›verkürzte‹ Zweitfassung verhält. Das beweist der Abgleich mit dem zeitlich etwas jüngeren Inventarium, dem Inventar des Münzkabinetts von 1768 bis 1773, das ebenfalls diese Folio- und Objektnummern als Konkordanz verwendet und deren Gebrauch im Vorwort ausdrücklich auf die Sammlung Haugwitz zurückführt.8 Außerdem ist das jüngste verzeichnete Stück in dem ›verkürzten‹ Inventar ein Taler aus dem Jahr 1700. Die Sammlung wurde also in diesem Jahr, das Tentzel als Verkaufsjahr nannte, geschlossen.9 Die 2 100 verzeichneten Objekte umfassten inhaltlich genau das, was Tentzel dem Herzog empfohlen hatte: sächsische Münzen und Medaillen, geordnet in den zwei Linien der Ernestiner und Albertiner, mit hochkarätigen und bis heute seltenen oder einzigartigen Stücken. Vermutlich war die Sammlung noch größer, denn Brakteaten sind nicht erfasst. Mit nach Weimar gelangten auch bereits die ersten gedruckten Abbildungen der Sammlung. Salomo Franck (1659–1725), der in Weimar als Bibliothekar unmittelbar Zugriff auf das Münzkabinett hatte, publizierte aus dem Kabinett eine Reihe an mittelalterlichen Münzen – Brakteaten und Groschen – als eigene Publikation anlässlich des Geburtstags von Herzog Wilhelm Ernst im Jahr 1723.10 Dass Kupfertafeln für Abbildungen mit der Sammlung nach Weimar gekommen waren, bemerkte auch der Numismatiker Christian Schlegel (1667– 1722), ebenfalls mit Tentzel bekannt und Teil eines mitteldeutschen numismatischen Netzwerks. Es war Schlegel, der für Haugwitz eine Publikation vorbereitet hatte, dann aber, wohl weil der Oberhofmarschall zur Persona non grata wurde, von dem Vorhaben wieder Abstand nahm. Ein Jahr nach Schlegels Tod benutzte Franck die schon geleistete Arbeit, um mit wenig Aufwand die nun im Weimarer Kabinett befindlichen Stücke zu veröffentlichen.11 Die in den Kupferstichen abgebildeten Brakteaten sind mindestens zum Teil noch vorhanden (vgl. Kat.-Nr. 1). Sie sind zwar nicht in dem erhaltenen Inventar der Sammlung Haugwitz aufgelistet, aber genannt in dem um 1770 als drittes Münzinventar aufgestellten Catalogus Numophylacii. Das Vorwort bemerkt dazu: 3 · Inventar Haugwitz 1700, Bd. Albertiner, fol. 46r

10 Sebastian Dohe »Die Kupfertafeln hat schon der H. von Haugwitz stechen lassen, mit dessen Cabinet sie nebst dem ersten in gros. Fol. gefertigten, u. in braun Leder gebundenen Abdruck davon hierher gekommen sind, wie aus der mit Bleystift am Ende von Wilh. Ernst Tenzels [...] Hand beygeschriebenen Note deutlich zu schließen ist.«12 Dieses in braunes Leder gebundene Exemplar von Francks Publikation mit den erwähnten Bleistiftnotizen ist überliefert (Abb. 4). Die darin befindlichen Abbildungsseiten fallen im Format etwas größer aus als der davor befindliche Text. Hier wurden offenkundig zwei unterschiedliche Drucke nachträglich zu einem Buch zusammengebunden – ein weiteres Indiz, dass die Abzüge der Kupferstiche schon 1700 nach Weimar geliefert worden waren und dann erst durch Franck deutlich später publiziert wurden.13 Mit dem Erwerb der Sammlung Haugwitz war der Weimarer Herzog also Eigentümer einer in numismatischen Kreisen bestens bekannten und schon in Teilen für eine Publikation vorbereiteten Münzsammlung geworden, die so ausgerichtet war, wie es der führende Kenner sächsischer Numismatik empfahl. Das zu zelebrieren, taugte für höfische Feierlichkeiten: Eindrucksvoll belegt das ein Gedicht von Johann Matthias Gesner (1691–1761) anlässlich des 65. Geburtstags von Herzog Wilhelm Ernst, eine Anrede des Fürstl. Münz Cabinetes an seinen durchlauchtigsten Stifter. Hier tritt die Münzsammlung selbst als Personifikation auf und spricht den Herzog dankbar an: »Als Haugwitz mich verließ, nahmst du mich, Herr, zu dir glückseliger Verlust, durch den wir mehr erlangen Als wir vorhin gehabt. So wohl gelung es mir. Ich bin aus einem Kind von Ritterlichem Orden [...], doch hierdurch zur Fürstentochter worden.«14 Die Münzsammlung selbst rühmte sich also, eine Rangerhöhung durch den Besitzerwechsel erfahren zu haben. Im Lauf des Gedichts wiederholt sie dann Tentzels Argument, dass sich eine Münzsammlung als Erkenntnisinstrument eigne, um die Geschichte der fürstlichen Abkunft möglichst weit in die Zeit zurückreichend zu ergründen. Münzen versprachen einen besonders authentischen Blick in die Vergangenheit. Das zielte letztlich auf einen Kerngedanken adliger Herrschaft – je besser der Stammbaum, desto nobler die eigene Position. So wie die Sammlung Haugwitz weit über Weimar vor ihrem Ankauf bekannt war, so verbreitete sich das Jahr 1700 als Gründungsdatum eines weimarischen Münzkabinetts. 30 Jahre später wiederholte der in Sachsen geborene und in Göttingen als Professor lehrende Johann David Köhler (1684–1755) das Ereignis, als er das Leben von Herzog Wilhelm Ernst Revue passieren ließ: »Sein irdisches Vergnügen hatte er an schönen Bluhmen und Früchten, an einer guten Music, an einem auserlesenen Cabinet von Sächs. Münzen, und an einer vortreffl. Bibliothec. [...] Das kostbahre und sehr vollständige Münz-Cabinet erhandelte er A. 1700. durch den Münz-erfahren Tenzel von den Haugwitzischen Erben, und vermehrte solches bey aller Gelegenheit.«15 Manchem Historiker genügte es auch, Tentzels Bericht dazu mehr oder weniger getreu abzuschreiben.16 Binnen weniger Jahre etablierte sich das Weimarer Kabinett so zu einem Standort für die Darstellung sächsischer Münzgeschichte. Tentzel konnte in seiner Saxonia Numismatica, die er ab 1705 veröffentlichte und die nach seinem Tod 1714 noch einmal in einer zweiten Auflage erschien, nun regelmäßig auf Stücke im Weimarer Münzkabinett verweisen. Stand vielleicht in der Vermittlung des Ankaufs der Sammlung Haugwitz sogar der Gedanke Tentzels dahinter, eine vom Verkauf der Erben bedrohte Privatsammlung, die schließlich einen besonderen Wert für die sächsische Numismatik besaß, vor dem Schicksal der Zerstreuung zu bewahren? In Form eines eigenen, institutionalisierten Münzkabinetts, das ein Fürst wie eine Bibliothek oder Kunstkammer pflegte, ließen sich die Stücke jedenfalls auch von Dritten langfristig konsultieren – und flankierten damit letztlich die Überprüfbarkeit der von Tentzel veröffentlichten Forschung. Umzug und Neuaufstellung nach 1766 Münzkabinette zählten im 18. Jahrhundert zusammen mit Bibliotheken oder Gemäldesammlungen zu den Vorzügen eines Hofes, für die sich ein Besuch lohnte. Formelhaft wiederholen Reisetagebücher und geografische Beschreibungen dies auch für das Weimarer Münzkabinett und heben es neben anderen Sammlungen im Residenzschloss (Abb. 5) mal mehr, mal weniger ausführlich hervor. Exemplarisch lautete zum Beispiel 1754 ein Eintrag: 4 · Salomo Franck, Illustris Nummophylacii Wilhelmo Ernestini, 1723, KSW, HAAB, Sign. Num 74, Taf. VII

11 Das Münzkabinett Weimar – eine Sammlungsgeschichte »Weimar, die Haupt- und Residenzstadt der Herzoge, mit einem schönen Schloß, die Wilhelmsburg genannt; die dasige [sic] fürstliche Bibliothec, das schöne Münzcabinet, Kunst- und Naturalienkammer sind besonders merkwürdig [...].«17 Weiterhin stellte Anton Friedrich Büsching (1724–1793) 1761 »Die Stadt und das Amt Weimar« vor und nannte im Residenzschloss »den vortrefflichen herzoglichen Büchersaal, das gemeinschaftliche Archiv der Herzoge zu Sachsen ernestinischer Linie, eine Kunst- und Naturalienkammer, ein kostbares Münzcabinet, und eine Gemäldegallerie«.18 Auch Johann Georg Keyßler (1693–1743) hob in seinem Reiseführer 1751 hervor: »Das Münzkabinet, worinnen sonderlich die sächsischen Medaillen und Numismata trefflich beysammen sind, ist dem ehemaligen churfürstlichen sächsischen geheimen Rathe und Oberhofmarschall, Friedrich Adolph von Haugwitz abgekaufet worden.«19 Für Reisende empfahl der dänische Justizrat Johann Peter Willebrandt 1758: »Das Weymarische Schloß, nebst der darinnen befindlichen Herrlichkeit an Schildereyen, Büchern und Münzen zu sehen, ist der Mühe werth.«20 Das Bedürfnis nach einer eigenen Unterbringung der Kunstkammer, der Bibliothek und des Münzkabinetts mündete 1766 in einem Umzug dieser Sammlungen in das sogenannte Grüne Schloss, heute bekannt als das historische Gebäude der Herzogin Anna Amalia Bibliothek (Abb. 6). Ursprünglich zwischen 1562 und 1565 als separates Wohnschloss in unmittelbarer Nähe des Residenzschlosses erbaut, bot es den fürstlichen Sammlungen ein eigenes, separates Gebäude. Ein Anbau in Richtung Norden sollte auch für die Münzsammlung Raum bieten.21 Carl Friedrich Gottlob Hirsching (1762–1800) berichtete 20 Jahre später darüber: 5 · Wilhelm und Christian Richter, Ansicht des Residenzschlosses in Weimar, mittig im Hintergrund das Grüne Schloss, um 1655, KSW, Museen, DK 5/85 6 · A. Glaser, Großherzogliche Bibliothek in Weimar, 1830, KSW, HAAB, Sign. 19 D 5085

12 Sebastian Dohe »[...] so befahlen die Frau Herzogin, daß das zeitherige sogenannte Französische oder grüne Schlößchen, welches ehedem Herzog Johann Wilhelm im J. 1563. erbauet hatte, das aber ganz baufällig worden war, zu einem Bibliotheksgebäude eingerichtet werden sollte. [...] so daß die Bibliothek nebst dem Münzkabinet im Jahr 1766. in den Monaten April und May in selbiges gebracht und rangirt werden konnte. Es war auch dieses ein sehr großes Glück [...], indem bey dem am 6 May 1774. erfolgten unglücklichen Schloßbrande die Bibliothek, wenn sie noch da gestanden, ohne Rettung ein Raub der Flammen geworden wäre.«22 Dem beschriebenen Brand fielen zahlreiche noch im Schloss verbliebene Kunstwerke zum Opfer. Für das Münzkabinett ebenso wie für die Bibliothek und Kunstkammer war der Umzug also tatsächlich ein Glücksfall gewesen. Im Zuge der Verlagerung wurde die Münzsammlung neu katalogisiert. Das geschah zuerst in einem Inventarium (Abb. 7), nach der Sammlung Haugwitz das zweite überlieferte Sammlungsverzeichnis, und dann zeitnah erneut in drei Bänden, einem nach den Vignetten auf den Buchrücken zu betitelnden Catalogus Numophylacii (Abb. 8). Das Inventarium scheint sich als vorläufige Fassung zum Catalogus zu verhalten. Beide Bände müssen ganz oder zum Teil von Johann Christian Bartholomäi (1708–1776) verfasst oder diktiert worden sein. Bartholomäi war 1743 durch Herzog Ernst August von Sachsen-Weimar-Eisenach (1688–1748) die Aufsicht über die Bibliothek übertragen worden. Bartholomäi beaufsichtigte daher auch ihren Umzug. In seiner posthumen Biografie heißt es: »Von dieser Zeit an fuhr er fort, an dem [sic] Realkatalogen zu arbeiten, übernahm aber auch die ihm gnädigst anvertraute Aufsicht über das bey der Bibliothek befindliche herzogl. Münzkabinet. Diese sehr kostbare Sammlung [...] war seit dem Jahr 1743 versiegelt gewesen; wurde aber 1768 geöffnet, und unserm Seligen [Bartholomäi] übergeben. Er fieng auch sogleich an, diese schätzbare Münzsammlung, welche seit jener Zeit beträchtliche Vermehrungen erhalten hat, in Ordnung zu bringen, und einen Katalogen darüber zu fertigen, welchen er aber nicht ganz hat vollenden können.«23 Das Inventarium ist datierbar durch einen Anhang, der Neuerwerbungen in den Jahren 1770 bis 1773 auflistet, sodass es zwischen der beschriebenen Öffnung des Kabinetts 1768 und den Erwerbungen des Jahres 1773 verfasst worden sein muss.24 Für die Objekte im Inventarium bezog sich Bartholomäi noch auf die Sammlung Haugwitz und führte deren Katalognummern mit. Allerdings ist der Aufbau nicht stringent nach einzelnen Herrschern angelegt und springt in der Ordnung, die sich offenbar eher an der vorhandenen Lagerung orientiert. Dies erschwert die Suche nach bestimmten Objekten. Von besonderem Wert ist die angehängte Ankaufsliste, da sie Provenienzen aufschlüsselt. Mehrfach erscheint hier beispielweise als Verkäufer an das Münzkabinett »Cammerrath Kirms«,25 vermutlich August Christian Kirms (1703–1778), und es werden Erben von Münzsammlungen oder Auktionen genannt. Geld aus dem zeitgenössischen Zahlungsverkehr kam in das Kabinett, indem dieses »Conventions-Geld [...] vom H. Bibliothec. Bartholomaei nach und nach eingewechselt worden« war.26 Am 13. Juni 1769 gab außerdem der noch elfjährige Erbprinz Carl August, späterer Herzog, eine Reihe von 83 »Medaillen, Thl. und kleineren Münz-Sorten« an das Münzkabinett ab.27 Möglicherweise hatte Carl August die Objekte im Rahmen einer Ausbildung als Prinz, als Anschauungsobjekte für dynastische Geschichte, besessen. Der dann in einem aufwändigen Einband mit vergoldeter Titelvignette am Buchrücken gebundene, dreibändige Catalogus wurde von Bartholomäi offenbar noch begonnen – der Großteil der Einträge scheint zu Beginn der 1770er Jahre gemacht worden zu sein – und wurde dann von anderer Hand weitergeführt. Seiten mit gerader Seitenzahl, also linkerhand, wurden leer gelassen, um Platz für Nachträge zu bieten. Das deutet darauf hin, dass Einträge auf Seiten mit gerader Seitenzahl erst nach 1770, etwa im Zeitraum bis 1780, zugingen.28 Als weiterer Bearbeiter kommt Gottlieb Ephraim Heermann (1727–1815) infrage, der in Weimar auch als Operettendichter in Erscheinung trat, an der Herzoglichen Bibliothek als Bibliothekar angestellt war und auch das Münzkabinett leitete. Notizen im Catalogus gehen deutlich über 1776, das Todesjahr von Bartholomäi, hinaus, mindestens bis 1783.29 Der Catalogus unterscheidet nach Linien des Hauses Wettin ebenso wie nach Nominalen und ist in sich deutlich übersichtlicher geordnet. ›Hauptmünzen‹, also große Nominale in Gold und Silber bis zum Vierteltaler reichend, sind in einem Band für Ernestiner verzeichnet, in einem zweiten Band für Albertiner, und ein dritter, mit Nummis Minores 7 · Inventarium 1768–1773, Bd. Ernestiner, S. 289

13 Das Münzkabinett Weimar – eine Sammlungsgeschichte betitelter Band beinhaltet kleine Nominale, Groschen, Dreier und Pfennige für beide Linien sowie Brakteaten. Insgesamt kam das Kabinett um 1770 so auf etwa 4 600 Münzen und Medaillen – der Band mit ernestinischen Münzen und Medaillen mit hohem Nominal zählt rund 1 200 Objekte, der zu albertinischen rund 1 100 und der dritte Band mit Nummis Minores rund 2 300. Mit Heermann als nächster Generation führte nun jemand mit besonders hoher Begeisterung für Münzen die Aufsicht über das Kabinett. Von ihm hat sich ein umfangreiches und bislang noch nicht zu überschauendes Konvolut an Notizzetteln, Heftchen und Listen erhalten, zum Teil auch mit Zeichnungen von Münzen versehen.30 Sie zeugen von einer unablässigen, vielleicht sogar manischen Beschäftigung mit der Münzsammlung. Produktiv nutzte Heermann dies für die Lebensgeschichte von Herzog Johann Ernst d. J. (1594–1626), die er 1785 und 1786 veröffentlichte mit Beschreibungen und Abbildungen von Münzen, darunter zum Beispiel das 1770 erworbene Unicum des PallasGepräges zu drei Dukaten von 1622.31 Die nächstfolgende Generation beäugte ihn bei seinem Tun kritisch. Christian Gottlob Voigt (1743– 1819, Abb. 9), der gemeinsam mit Goethe die Bibliothek und die darin bewahrten Sammlungen beaufsichtigte, bestand in Briefen an Goethe 9 · Friedrich Wilhelm Facius, Medaille auf Christian Gottlob von Voigts fünfzigjähriges Dienstjubiläum, 1816, KSW, Museen, MM-2022/10415 8 · Inventar Catalogus 1770–1783, Bd. Ernestiner, S. 80–81

32 Goethe und seine Münzsammlung Gunnar R. Dumke Prolog »[...] Mehr Belehrung und Freude versprech ich mir jedoch aus den Anordnungen, welche Ew. Exzellenz bei dem Münzkabinett treffen werden. Es wird sich finden, daß wir in Weimar auch in diesem Fache schöne Besitzungen haben. Ew. Exzellenz Sammlung antiker Münzen, die meinigen vom funfzehnten [sic] her, besonders auf Kunstgeschichte berechnet; sodann die herzogliche, die Geschichte des Hauses erläuternd, welches in diesem Augenblicke zwischen Sein und Nichtsein schwankt. Möge uns so mancher schöne Besitz zunächst Freude und Unterhaltung geben.«1 Mit dieser Nachricht beschrieb Goethe seine Vision eines numismatischen Weimars: Voigts Sammlung antiker Münzen, die herzogliche Münzsammlung, die die Dynastiegeschichte behandelt, und seine eigene, auf die Kunstgeschichte seit dem 15. Jahrhundert ausgerichtet.2 Es ist offensichtlich, welchen Teil seiner Sammlung Goethe hier besonders betonte: seine Sammlung von gut 2 000 Medaillen, in der Mehrheit italienische Renaissance-Medaillen.3 Den Rest machen knapp 2 000 Münzen aus, hiervon 759 antike, die sich in 121 griechische und 639 römische unterteilen. Die restlichen gut 1 000 Münzen reichen vom Mittelalter bis in die frühe Neuzeit und geografisch von Mittelamerika bis nach China. Die jüngste Münze in der Sammlung ist ein preußischer halber Groschen von 1831, nur ein Jahr vor Goethes Tod (Abb. 1).4 Überlieferung der Sammlung und offene Fragen Goethes Münzsammlung beziehungsweise Teile davon haben bislang zwei Publikationen erfahren. Goethes letzter Privatsekretär Johann Christian Schuchardt (1799–1870) legte 1847/1848 ein Gesamtverzeichnis der Goetheʼschen Kunstsammlungen vor.5 Für die Münzen waren hierfür vier Bearbeiter tätig: Julius Friedländer (1813–1884), der zu der Zeit bereits im Berliner Münzkabinett tätig war, nahm sich der Medaillen an. Die antiken Münzen sind von Johann Jakob Leitzmann (1798–1877) bearbeitet worden. Leitzmann, Pfarrer und Numismatiker aus der Nähe von Sömmerda, unweit von Weimar gelegen, war vor allem als Herausgeber der Numismatischen Zeitung Weißensee bekannt geworden. Die Münzen des Mittelalters und der frühen Neuzeit wurden von Schuchardt selbst bearbeitet, die orientalischen Münzen schließlich vom Jenaer Professor Johann Gustav Stickel (1805–1696). Die Qualität der Bearbeitung schwankt jedoch deutlich zwischen den einzelnen Beiträgen, wie bereits Behrendt Pick bemerkt hat.6 Unklar bei dieser Publikation, und auch bei der Sammlung insgesamt, bleibt, inwieweit die hier vorgelegte Ordnung auf Goethe selbst zurückgeht. Einzelne Elemente vermitteln einen ungeordneten Eindruck, zum Beispiel die Kategorie »Varia«:7 Hier werden immerhin 149 unterschiedlichste Objekte aufgelistet, von Münzen und Rechenpfennigen über Jetons und Abgüsse bis hin zu Medaillen und Medaillons. Handelt es sich hierbei um Objekte, die Goethe selbst nicht mehr versorgt hatte? Oder sind es Münzen und Medaillen, die nach Goethes Tod außerhalb der Sammlung gefunden und erst dann der Sammlung

33 hinzugefügt wurden? Zumindest für die Kupfermünzen könnte dies der Fall sein. So finden sich in den Lots eine ganze Reihe von Münzen, die zu Lebzeiten Goethes noch zirkuliert sein dürften (Abb. 2). Unklar bleiben muss ebenfalls, inwieweit die Bestimmungen von Schuchardts Katalog auf Vorarbeiten Goethes beruhen. Goethe selbst hatte mehrmals angekündigt, seine Sammlung in loser Abfolge in einzelnen Aufsätzen zu publizieren, bis auf die Vorarbeiten zu einem ersten Aufsatz ist allerdings nichts überliefert.8 Ebenfalls existieren keinerlei Unterlegzettel oder Notizen zu den Münzen direkt. Die zweite Publikation betrifft die Medaillensammlung. Im Jahr 2000 legte Jochen Klauß eine zweibändige Publikation zur Medaillensammlung Goethes vor. Der erste Band publiziert den größten Teil der über 2 000 Medaillen, im zweiten Band findet sich eine Zusammenstellung aller Notizen, Tagebucheinträge und Briefe von und an Goethe oder Dritte, die Informationen zu Münzen oder Medaillen – Goethe verwendete beide Begriffe synonym – enthalten.9 Dieses sind die beiden einzigen monografischen Arbeiten zu Goethes Sammlung. Ein weiterer Aufsatz von Behrendt Pick (1861– 1940) soll noch genannt werden, in dem er 1920 einen kurzen allgemeinen Überblick über die Sammlung gab und ein paar einzelne Münzen – vor allem antike Stücke – heraushob.10 Allerdings stammt aus diesem Artikel auch das vernichtende Urteil: »Dass nicht viel Bedeutendes darunter ist, wurde schon gesagt [...].«11 Dies dürfte viel dazu beigetragen haben, dass sich die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Goethes Münzsammlung nach wie vor in einem Anfangsstadium befindet. Mit Blick auf diese dürftige Forschungslage sollen im Folgenden drei unterschiedliche Sammlungsthemen aus dem Bereich der frühen Neuzeit vorgestellt werden, derjenige Sammlungsbereich, der bislang am wenigsten Aufmerksamkeit erfahren hat. Für diesen Teil sind auch die gesammelten Nachrichten und Notizen von Goethe nicht sehr hilfreich, da er sich hier kaum inhaltlich mit den Münzen der frühen Neuzeit auseinandersetzt. Was sich seinen Aufzeichnungen entnehmen lässt, ist, dass er auch diesem Sammlungsteil viel Zeit gewidmet hat, lediglich die Motivation, diese Münzen zu sammeln, lässt sich nicht den schriftlichen Zeugnissen entnehmen;12 hier helfen nur die Objekte selbst weiter. Religiöse Auseinandersetzungen Unter diesen Bereich fallen insbesondere Stücke zu Auseinandersetzungen zwischen Protestanten und katholischen Herrschern. Verbunden sind damit für die damalige Zeit ›skandalöse‹ Fälle von Konvertierungen. Ein gutes Beispiel hierfür ist die schwedische Königin Christina (1626–1689), die Tochter Gustav Adolfs II. (1594–1632). Dieser war ein Vorkämpfer des Protestantismus im Dreißigjährigen Krieg und ist in der Sammlung durch eine der seltenen Goldmünzen, die sich in Goethes Besitz befanden, vertreten (vgl. Kat.-Nr. 85). Christina, fünf Jahre alt beim Tod ihres Vaters, übernahm mit 18 Jahren die Regierung und wurde sechs Jahre später, im Jahr 1650, zur Königin von Schweden gekrönt. Ihre Weigerung zu heiraten und Auseinandersetzungen mit dem Parlament führten bereits vier Jahre später zur Aufgabe der Krone und – was einen Skandal auslöste – zur Konvertierung zum Katholizismus. Dieser wurde von der päpstlichen Seite als großer Prestigegewinn gefeiert. Goethe besaß nicht nur zwei Münzen von Christina, sondern auch ganze 24 Medaillen von ihr (Abb. 3; Kat.-Nr. 87).13 1 · Halber Groschen des Königreichs Preußen, 1831, KSW, Museen, GMM-3677 2 · Heller des Herzogtums Sachsen-Hildburghausen, 1766, KSW, Museen, GMM-3510 3 · Francesco Travani, Medaille auf Christina von Schweden, nach 1655, KSW, Museen, GMM-1810

34 Gunnar R. Dumke Notgeld Für das Thema Notmünzen oder auch Belagerungsgeld lässt sich eine weitere Häufung feststellen, was wiederum stark mit konfessionellen Auseinandersetzungen zusammenhängt. Allerdings schweigt Goethe in seinen Tagebüchern und Briefen komplett zu diesem Thema. Notgeld aus militärischem Zusammenhang lässt sich in seiner Sammlung zu den Bereichen Breslau 1620/1621, Breda 1625, Minden 1634 und Mainz 1793 finden. Die Münzen zu Breslau 1620/1621 beziehen sich auf den Dreißigjährigen Krieg im Königreich Böhmen: Friedrich V., Pfalzgraf und Kurfürst der Pfalz (1596–1632), ließ sich nach den Ereignissen des Prager Fenstersturzes 1618 von den protestantischen Landesständen von Böhmen und Schlesien zum König von Böhmen wählen, in totaler Opposition zum Habsburger Ferdinand II. (1578–1637). In der Hoffnung, die Unterstützung Englands und Dänemarks zu gewinnen, investierte Friedrich nicht nur sein Privatvermögen, sondern auch große Teile des Pfälzer Vermögens. In den darauf folgenden militärischen Konflikten gegen Truppen Kaiser Ferdinands II. wurden einseitig geprägte Silberklippen herausgegeben (Abb. 4). Notmünzen zu Breda beziehen sich auf den niederländischen Freiheitskampf als Begleiterscheinung des Dreißigjährigen Kriegs: Zwischen August 1624 und Juni 1625 wurde die niederländische Stadt Breda von spanischen und flandrischen Truppen belagert. Zuvor waren die Auseinandersetzungen zwischen Spanien und den Niederlanden, der sogenannte Achtzigjährige Krieg, nach zwölf Jahren Waffenstillstand 1621 wieder aufgeflammt. Trotz der besonders starken Befestigung der Stadtanlage gelang es den Spaniern, den Belagerungsring so zu schließen, dass die Stadt auch über den Flussweg keinen Nachschub mehr bekommen konnte. Nachdem mehrere Entsatzversuche von Seiten der Niederländer gescheitert waren, mussten sie nach acht Monaten der Belagerung schließlich kapitulieren. Die Belagerung fand europaweite Aufmerksamkeit; in Flugblättern wurde allerorts über den Fortgang der Belagerung berichtet. In Italien wurde auf den Ausgang der Belagerung gewettet, nach dem Sieg der Spanier kam es zu einer Suizidwelle der Wettverlierer. Zwölf Jahre später konnten die Niederländer die Stadt nach einer erneuten Belagerung ihrerseits wieder zurückerobern. Die Kupferklippen wurden von den Niederländern im Lauf der Belagerung als Notgeld herausgegeben (Abb. 5). Auch Minden wurde im Dreißigjährigen Krieg belagert: Bis 1626 beherbergte die Stadt eine dänische Besatzung, die sich aber angesichts einer heranrückenden, zahlenmäßig überlegenen kaiserlichen Streitmacht aus der Stadt zurückzog. Daraufhin besetzte der kaiserliche Feldherr Tilly (1559–1632) die Stadt nun seinerseits mit einer Garnison, die – trotz Konflikten mit den Einwohnern – sie bis ins Jahr 1634 halten konnte. In diesem Jahr belagerte Herzog Georg von Braunschweig-Lüneburg (1582–1641), der nur kurz zuvor zu den Schweden übergetreten war, die Stadt. Die Belagerung war den Schweden eher hinderlich, weil sie anderweitig benötigte Truppen band, weswegen ihre Unterstützung wohl eher zurückhaltend ausfiel. Trotzdem gelang es dem Herzog, die Stadt schließlich auszuhungern und zur Aufgabe zu zwingen. Auch hier wurden die Silberklippen in der Stadt als Notgeld ausgegeben. Hergestellt wurden sie aus zuvor beschlagnahmtem Silbergeschirr, was auf einigen Stücken noch gut nachzuvollziehen ist (Abb. 6). Mit den Münzen zu Mainz verlassen wir die Zeit des Dreißigjährigen Krieges und begeben uns in Goethes eigene Vergangenheit: Am 21. Oktober 1792 war Mainz durch Kapitulation von französischen Truppen besetzt worden, und im darauffolgenden März wurde von Mainzer Jakobinern die Mainzer Republik ausgerufen. Dieses veranlasste die Koalitionstruppen Preußens und Österreichs zur Rückeroberung der Festung. Die Stadt wurde ab dem 14. April 1793 von 32 000 überwiegend preußischen Soldaten eingekesselt und von 23 000 französischen Soldaten verteidigt. In der Stadt sorgte vor 5 · Belagerungsklippe aus Breda zu einem Stuiver, 1625, KSW, Museen, GMM-3026 6 · Belagerungsklippe aus Minden zu acht Groschen, 1634, KSW, Museen, GMM-3103 4 · Klippe aus Schlesien zu drei Talern, 1621, KSW, Museen, GMM-2979

35 Goethe und seine Münzsammlung allem die starke Bombardierung für wachsende Spannungen zwischen den Einwohnern und dem französischen Generalstab, der praktisch die Macht übernommen hatte. Am 13. Juli wurde das Kriegsrecht verhängt, was die Unzufriedenheit der Bevölkerung noch vergrößerte. Nach dem Ausbleiben einer Entsatzarmee nahm der Generalstab am 17. Juli mit den Belagerern Verhandlungen auf, am 23. Juli erfolgte die Kapitulation. Während der Belagerung konnten die Franzosen anfangs noch Kupfermünzen prägen lassen, zum Teil aus eingeschmolzenen Kirchenglocken. Da man aber allein für Soldzahlungen täglich zwischen 15 000 und 20 000 Livre benötigte, ging das Metallgeld schnell zur Neige. Man führte sogenannte Assignaten ein, Papiergeldscheine, die allerdings auf große Ablehnung stießen und sehr häufig gefälscht wurden. Der Wert dieser Assignaten sollte den Besitzern nach Ende der Belagerung in Metallgeld eingetauscht werden. Nach der Kapitulation wurde den Bewohnern von Mainz 24 Stunden Zeit gegeben, die Belagerungsscheine beim Kriegszahlmeister zur Einlösung vor- zulegen, was natürlich nur einem Bruchteil der Menschen gelang. Der Rest blieb auf den Scheinen sitzen und erlitt zum Teil katastrophale finanzielle Verluste. Die gesamte Belagerungsgeschichte traf Goethe ganz persönlich: Auf Seiten der Preußen stand auch Carl August von Sachsen-Weimar-­ Eisenach (1757–1828), der als seinen persönlichen Kriegsberichterstatter Goethe selbst im Aufgebot hatte. Er notierte die ersten Tage fleißig seine Beobachtungen, zwei Monate später hörte er allerdings schlagartig damit auf. In einem Brief an Friedrich Heinrich Jacobi (1743–1819) schrieb er: »Gerade das, worauf alles ankommt, darf man nicht sagen.«14 Es scheint also eine Art Zensur gegeben zu haben, die dem Dichter die Lust an der Arbeit verdarb. Seine Beobachtungen zur Belagerung von Mainz in Form eines fiktiven Tagebuchs schrieb er erst in den Jahren von 1819 bis 1822.15 In diesen Beobachtungen erwähnte er das Notgeld und die Assignaten nicht, jedoch finden sich im Faust II zahlreiche Wiederklänge seiner Abneigung gegenüber dieser Form des Geldes.16 So ließ er hier Faust und Mephistopheles Papiergeld für den Kaiser erschaffen, das dieser dringend benötigt, um die Staatsschulden zu begleichen. Die fertigen Banknoten werden im Stück vom Kanzler des Kaisers mit folgenden Worten vorgestellt: »Zu wissen sei es jedem ders begehrt: / Der Zettel hier ist tausend Kronen wert.«17 Der darauf aufbauende Plot demonstriert ein tiefes Unbehagen und die Abneigung Goethes gegenüber diesem neuen Zahlungsmedium. In seiner Sammlung jedoch finden sich mehrere Sets der Belagerungsmünzen (Abb. 7).18 Es muss unklar bleiben, ob es sich hierbei um Stücke handelt, die er vor Ort erstanden hat, oder ob er sie erst zu einem späteren Zeitpunkt zu seiner Sammlung hinzugefügt hat. Dass die Belagerung auch schon vor der Arbeit an seinem Buch im Hause Goethe Thema war, erfahren wir von Goethes Sohn August (1789–1830), der seinem Vater 1808 von einem Ausflug nach Kastel bei Mainz schreibt: »[...] da fiel mir, indem ich die Gegend betrachtete die gute alte Zeit ein in welcher Sie bester Vater mit vor Mainz lagen.«19 Offenbar hatte der Vater seinem Sohn von seiner Teilnahme an der Belagerung erzählt. Leider können wir bislang nicht nachweisen, ob die Münzen bei diesen Erzählungen eine Rolle gespielt haben. 30 Silberlinge Auch bei diesem mit Religion verbundenen Thema ist man allein auf die Aussagekraft der Münzen in Goethes Sammlung angewiesen. Matthäus 26, 14–16 schreibt: »Darauf ging einer der Zwölf namens Judas Iskariot zu den Hohepriestern und sagte: Was wollt ihr mir geben, wenn ich euch Jesus ausliefere? Und sie boten ihm dreißig Silberstücke. Von da an suchte er nach einer Gelegenheit, ihn auszuliefern.« 7 · 5 Sol, 1793, KSW, Museen, GMM-3883

38 Glasschuber in Gabelkonstruktion – eine außergewöhnliche Münzpräsentation Iris Kolomaznik Einleitung Zwei Münzsammlungen mit knapp 1 000 Stücken, ein Münzschrank und »Glasrahmen« sowie ein Tisch mit einem »gabel-förmigen Aufsatze« sind in einem Übergabezettel vom 6. Dezember 1850 aufgelistet (Abb. 1, 4).1 Im Schrank befinden sich tatsächlich fünf stark von üblichen Münzfächern in offener Kastenform abweichende Fächer – mit Glasboden und Glasabdeckung (Abb. 1, 3). Im Staatshandbuch des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach von 1874 ist innerhalb einer Aufzählung von in der Weimarer Bibliothek befindlichen Gegenständen vermerkt, dass ca. 800 numismatische Objekte als Geschenk von Zar Nikolaus I. von Russland (1796–1855) im Jahr 1846 dort angekommen waren. Damit sind die 852 Stücke gemeint, die im Übergabebeleg von 1850 aufgelistet sind. Hypothetisch ist zu rekonstruieren, dass jeder Glasschuber vertikal in einer nicht mehr erhaltenen Gabelkonstruktion auf einem ebenfalls verlorenen Tisch präsentiert werden konnte. Die Steckverbindung zwischen Schuber und Gabel bildeten der bolzenförmige Schubergriff aus Metall und ein Loch an der gegenüberliegenden Rahmenseite. Ein solches Gestell mit Glasrahmen ist bisher einmalig.2 Möglicherweise war diese Form der Präsentation nur eine begrenzte Zeit lang in Nutzung, denn die Namen der Dargestellten und Stücknummern auf den mit blauem Papier ausgeklebten Tablaren sind nur dann gut zu lesen, wenn das Fach liegt. Vertikal gestellt hingegen erscheinen Avers und Revers korrekt, die Objektnummern stehen jedoch auf dem Kopf. Zu vermuten ist deshalb, dass die Beschriftungen nicht zu den ursprünglichen Glasschubern gehörten. Sie wurden vermutlich in einer Zeit aufgebracht, als nicht mehr das Präsentieren der Stücke, sondern eher das Bewahren relevant und der Präsentationstisch mit dem Gestell einschließlich des Wissens um seine Funktionsweise verloren gegangen war, möglicherweise zu Beginn des 20. Jahrhunderts oder in den Jahrzehnten nach dem Tod der Großherzogin Maria Pawlowna von Sachsen-Weimar-Eisenach (1786–1859). Aufbau der Glasschuber Die Schrankfächer sind dreilagig geschichtet. Die holzgerahmten Scheiben drücken die Stücke jeweils an ihren Platz, wodurch der Schuber vertikal gestellt werden kann. Eine kräftige Metallspange hält die drei Lagen zusammen. Aus dieser Spange ragt als Schubladen-Knauf ein Metallbolzen von etwa einem Zentimeter Durchmesser und knapp zwei Zentimeter Länge heraus. Die Griffe der fünf Glasschuber ähneln nicht den zarteren anderen Schubladen-Knopfgriffen im Schrank. Der Bolzen in seiner Metallspange setzt sich auf der Glasscheibe mittels eines schmalen Holzstegs auf der Grenze der zwei Glashälften fort, womit das Ganze stabilisiert wird. Der Rahmen ist an einer Ecke mittels einer Schraube zu öffnen, sodass das Tablar auch entnommen werden kann. Die Glasschuber hatten demnach eine Wechselrahmen-Funktion. Jedoch müssten die einzulegenden Wechselstücke exakt dieselbe Höhe und Ausmaße haben. Ob dies nur eine der Konstruktion eingeschriebene Idee war oder auch in der Praxis Anwendung fand, bleibt offen. Nicht nur im Münzschrank, sondern generell sind diese fünf Glasrahmen, wie erwähnt, einzigartig. Durch die Ereignisse 1846 und 1850 ist die Zeitspanne für die Fertigung des Schrankes nun erstmals bestimmbar. Da er direkt für die Zusammenführung der zwei Kollektionen angefertigt worden zu sein scheint, ist seine Herstellung in Weimar beziehungsweise der Region anzunehmen.3

39 Fünf Glasschuber als Klammer Im Inventar befinden sich zwei Kataloge zu ursprünglich zwei eigenständigen Kollektionen. Jeder Katalog zeigt eine separate Nummerierung der Stücke, der erste bildet zwei Untergruppen aus. Die Stücke der ersten Untergruppe mit 510 Objekten liegen in den ersten 17 offenen Fächern. Die zweite Untergruppe mit 342 Münzen aus Gold, Silber, Platin und Kupfer ist komplett in den ersten dreieinhalb Glasschubern platziert. Von diesen startet ein Goldstück des Münzherrn Peter I. (1672–1725) aus dem Jahr 1702, das heute ebenso wie alle anderen goldenen Objekte fehlt.4 Diese Gruppe von 342 Münzen schließt im vierten Glasschuber (Nr. XXI) mit neun 1-Kopeken-Stücken des Münzherrn Zar Nikolaus I. von Russland ab. Im selben Fach setzt direkt die ursprüngliche Weimarer Kollektion ein. Die verbleibenden eineinhalb Glasfächer sind mit dieser ausgefüllt. Es sind, so zu lesen im zweiten Katalog, »Großfürsten und Zaren«5 aus den frühen Jahrhunderten russischer Geschichte, gefolgt von den Kaisern und Kaiserinnen aus dem Haus Romanow, von denen chronologisch korrekt Peter I., mit einer Kupfermünze von 1702, als Münzherr beginnt.6 Das erste Stück im letzten Glasschuber ist beispielsweise eine Kupfer-Poluschka der weniger bekannten Münzherrin Zarin Anna Iwanowna (1693–1740) von 1731.7 Den Schlusspunkt im fünften Glasschuber und im zweiten Katalog setzt ein polnisches Geldstück, ein silbernes 10-Złoty-Stück von 1820 mit dem Brustbild von Zar Alexander I. (1777–1825). Die Glasschuber-Präsentationssuite bekommt, und das ist besonders bemerkenswert, durch die Verklammerung beider Teilsammlungen mit und in den fünf Glasrahmen den Charakter einer eigenständigen Kollektion, von Peter I. bis Alexander I., und damit vom ersten Regenten aus dem Haus der Romanows bis zum damals zuletzt verstorbenen russischen Herrscher. In diese Ahnenfolge reiht sich als Münzherr der regierende Zar, Nikolai I., in die unterschiedlichen Materialgruppen mit jeweils mehreren Münzen aktiv ein. Maria Pawlowna ist nicht vertreten. Aufgrund des Titelblatt-Eintrags zum zweiten Katalog, Verzeichnis über diejenigen Münzstücke, welche als ›Russische‹ im Großherzoglichen Münzcabinet zu Weimar vorhanden waren,8 hätte man beispielsweise eine Medaille auf ihre Vermählung 1804 in St. Petersburg erwarten können. 1 · Iris Kolomaznik, Rekonstruktion des Gestells mit der Vorderseite des Glasschubers XVIII, 2024

40 Iris Kolomaznik 2 · Münzschrank, 1846–1850, KSW, Museen, Kg-2022-12 3 · Blick in den geöffneten Münzschrank mit den nummerierten Fächern, oben rechts die fünf Glasschuber

41 Glasschuber in Gabelkonstruktion – eine außergewöhnliche Münzpräsentation 1850 – ein Münzschrank wird übergeben Am Nikolaustag 1850 quittierte »D. [Dr.] J. Stickel« unter der Auflistung zweier Sammlungen die Übergabe derselben »nebst e. Münzschrank t. [et] zugehörigen 2 Schlüsselkasten, Glasrahmen u e. Tisch mit gabel-förmigen Aufsatze, auch den beiden zugehörigen Catalogen«.9 Hierbei handelt es sich um Johann Gustav Stickel (1805– 1896), Jenaer Universitätsprofessor und Direktor des großherzoglichen orientalischen Münzkabinetts. Dieser schloss möglicherweise mit dieser Übergabe eine zwischen 1843 und 1846 laufende Neuordnung des bis 1927 im Bibliotheksgebäude befindlichen und alsdann in die Staatlichen Kunstsammlungen im Schloss transferierten großherzoglichen Münzkabinetts ab.10 Mit diesem in das Inventar integrierten Übergabezettel lässt sich nachweisen, dass der erhaltene Schrank einst mit Zusatzelementen ausgestattet war und in ihm zwei Teilsammlungen mit Katalogen vor dem 6. Dezember 1850 zusammengeführt wurden. Die Worte »Glasrahmen«, »gabelförmiger Aufsatz« und »Tisch« sind die Schlüsselbegriffe für die Rekonstruktion. Stickel benannte in seiner nach Katalog und Materialgruppen geordneten Auflistung auch die Herkunft beider Sammlungen: »A. in Catalog I verzeichnet, aus Russland gekommen: 510 Medaillen a Gold, 342 Münzen a Gold (1-70), Silber (70-276), Platina (277-79), Kupfer (280-342)« und »B. in Catalog II, a.[aus] der Großhz. Weimar. Sammlg. stammend: 7 Medaillen a Silber / 5 St. Gold / 1 Stck Kupfer (1 Stck), 19 Münzen v. Großfürsten u. Zaren, 77 Münzen v. Kaiser u. Kurprinzen, weniger 1 Stck (vgl. zu no. 52). Doubletten: Medaillen 3 Stck, Münzen 16 Stck. Ungewisse: 22 Stck. Silber, 21 ~, 1 ~, 4 ~, 2 ~, 7 Kupfer, 2 ~, 84 Varia. (13 Stck mit Russ. Medaillen (abgesondert).«11 Stickels Worte wirken so, als seien die Objekte aus dem ersten Katalog damals noch nicht lange in Weimar gewesen, so sehr betont er, dass sie aus Russland kamen. Es wird sich zeigen, dass die über 800 Stücke erst seit 1846 in Weimar waren. 1804 – Silberrubel als Geschenk Eine Suite mit zehn Silberrubeln kam im November 1804 nach einmonatiger Reise in der Residenzstadt Weimar an. Herzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach (1757–1828) hatte sie geschenkt bekommen. Dies berichtete Christian Gottlob Voigt (1743–1819) – Staatsminister und gemeinsam mit Goethe (1749–1832) mit der Oberaufsicht der Herzoglichen Bibliothek betraut und wie dieser Besitzer einer umfangreichen Münzsammlung.12 Voigt gab »Zur Nachricht«, dass die mit dem Erbprinzen, Carl Friedrich von SachsenWeimar-Eisenach (1783–1853), vermählte Großfürstin Maria Pawlowna von Russland während der Reise von St. Petersburg dem Weimarer Herzog, Carl August, der »Ihr bis in Preußen entgegen gereist war, [...] bey dieser Begegnung [...] das erste Geschenk [...] mit einer Russischen Regenten-Suite in Rubeln, von zehn Stück [...]« überreicht habe: Geldstücke von Peter I., Katharina I., Peter II., Anna, Iwan VI., Elisabeth, Peter III., Katharina II., Paul I. und Alexander I.13 Voigts Formulierung »das erste Geschenk« impliziert, dass weitere Geschenke an den die Prinzessin einholenden Weimarer Herzog gingen, bevor das Paar am 9. November 1804 den Ehrenbogen am Stadtrand durch- und in den Hof des nach dem Brand 1774 gerade eben wiederhergestellten Residenzschlosses einfahren konnte.14 Auf einem etwas kleineren Vorsatzblatt, das auf den Geburtstag von Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach (1739– 1807) datiert ist, schrieb Voigt ergänzend, er habe die »Anliegende Rubel-Suite [...] längst zum Herrsch. Gebrauch abgegeben, wenn ich nicht gehofft hätte«, dass es »bis zur Wieder Eröffnung des Cabinets« Zeit gehabt hätte. Auch, so Voigt weiter, »sollte verträglich ein eigenes Kästgen zu dem merkwürdigen Geschenk verfertigt werden. Jetzt aber, da Er. Wohlgeb das Regelwerk des Cabinets ordern, stehe ich nicht länger an, auch jene grosfürstl Schenkung in Ihre Treuen Hände zu legen und mich dadurch zum Schluss für das Cabinet zu entledigen. CGVoigt d. 24. October 1810, An. Leg. Rath. Heermann«.15 Möglicherweise ist das hier genannte »Kästgen« damals wirklich angefertigt worden. Doch spätestens seit 1850 ist diese geschenkte Suite aufgelöst und in die kleinere der zwei Sammlungen − in die letzten zwei Glasschuber und entsprechend im Inventar in die Seiten 86 bis 92 − integriert. Dies lässt sich mithilfe von zwei unterschiedlichen BleistiftAnmerkungen im Inventar nachweisen: Unscheinbar sind Ziffern mit runden Klammern, 1) bis 9), neben die Katalognummern 4 (Peter I.), 24 (Katharina I.), 33 (Anna), 35 (Iwan VI.), 37 (Elisabeth), 46 (Peter III.), 49 (Katharina II.), 69 (Paul I.) und 74 (Alexander I.) geschrieben. Dazu gibt es direkt dort keinerlei Auflösung. Das Rätsel ist zu lösen mit einem nochmaligen Blick auf Voigts Zur Nachricht zum Ereignis von 1804. Neben den dort aufgelisteten zehn (!) Regenten der GeschenkeSuite ist auf Höhe der Münze von Peter II. mit einem Fragezeichen einsetzend mit Bleistift geschrieben, dass »im Katalog kein Rubel von Peter II. zu finden« sei.16 Dies zeigt, dass die anderen neun eben jene sind, die die Bleistiftzahlen 1) bis 9), markieren. 1846 – eine Schenkung von über 800 Münzen und Medaillen Im Jahr 1846, wohl zum 60. Geburtstag der Großherzogin Maria Pawlowna von Sachsen-Weimar-Eisenach am 16. Februar, kam im Bibliotheksgebäude ein besonders wertvolles Geschenk des Zaren Nikolaus I. von Russland an. Dies ist mit einem Eintrag im StaatsHandbuch für das Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach von 1874 nachzuweisen: »Mit der Bibliothek sind vereinigt ein ansehnliches, für die sächsische Geschichte besonders wichtiges, vom Herzog Wilhelm Ernst 1706 gegründetes und nach Ankauf einer Sammlung antiker Münzen 1844 [d. i. Voigts Kollektion] neu geordnetes Münz- und Medaillen-Kabinet, vermehrt noch 1846 durch eine Schenkung Sr. Majestät des Kaisers von Rußland an 800 Russischen Geschichts-Medaillen und Münzen in Platina, Gold, Silber und Kupfer, ferner eine Siegelsammlung, begründet 1853 durch Ankauf der reichhaltigen Sammlung des Geheimen Regierungsraths C. P. Lepsius in Naumburg, und endlich ein Kunst- und Antiquitäten-Kabinet älterer Stiftung.«17

44 Mit Licht und Farbe zur Münzgeschichte – digitale Bildanalyse für die Material - bestimmung Alexander Methfessel Die Untersuchung der Materialzusammensetzung von Münzen ist für Archäologen und Historiker von zentraler Bedeutung, um die Herkunft und Herstellung von Münzen besser zu verstehen. Zu traditionellen Methoden wie der Laserablation oder Röntgenfluoreszenzanalyse (RFA) bietet die digitale Bildanalyse eine nichtinvasive, kostengünstigere Alternative. Besonders die Verwendung von Multispektralaufnahmen hat sich bei der Analyse von Gemälden und Grafiken als vielversprechend erwiesen, da sie wertvolle Informationen über die Oberflächenstruktur und Materialzusammensetzung liefert, ohne dass die Objekte selbst beschädigt werden. Doch kann diese Technik auch für die Analyse von anorganischen Materialien wie Metallen bei Münzen verwendet werden? Das Projekt untersuchte, wie die Multispektralanalyse und die Berechnung von Rot-, Grün- und Blau-Farbwerten (RGB) die Materialzusammensetzung von Münzen bestimmen können. Hierbei wird das Reflexionsverhalten von Licht in verschiedenen Wellenlängenbereichen genutzt, um Materialien und ihre Oberflächenstrukturen sichtbar zu machen und so Rückschlüsse zu ziehen. Die Bestimmung der Materialzusammensetzung von Münzen erfolgt traditionell mit invasiven und nichtinvasiven Methoden. Da invasive Verfahren die Entnahme von Material oder das direkte Eingreifen in die Struktur der Münze voraussetzen, scheiden sie in der modernen Analytik meist aus. Nichtinvasive Techniken wie RFA liefern zwar detaillierte chemische Daten und sind besonders präzise, jedoch auch teuer, aufwändig und benötigen spezialisierte Geräte.1 Für die Analyse von größeren Münzbeständen ist der Einsatz somit oftmals nicht finanzierbar. Für unser Projekt entschieden wir uns deshalb, einen neuen, nichtinvasiven Weg über eine digital gestützte Multispektralanalyse zu erproben. Diese nutzt unterschiedliche Wellenlängen des Lichts, um Materialstrukturen sichtbar zu machen.2 Die Methode hat sich vor allem in der Kunst- und Restaurierungsforschung etabliert, da sie hilft, Details zu erkennen, die mit bloßem Auge nicht sichtbar sind. Für das vorliegende Projekt werden Multispektralaufnahmen im sichtbaren Licht sowie im UV- und IR-Bereich durchgeführt. Diese unterschiedlichen Spektren ermöglichen eine tiefere Analyse, da jedes Material unterschiedlich auf diese Wellenlängen reagiert. Allerdings zeigt sich bei der Anwendung dieser Technik auf Metalle, dass die Reflexion in den UV- und IR-Bereichen relativ gleichmäßig ist. Edelmetalle wie Gold und Silber weisen in den Multispektralbildern kaum Unterschiede auf. Diese Ähnlichkeiten machen es schwieriger, zwischen verschiedenen Materialarten zu unterscheiden (Abb. 1).

45 Trotz dieser Herausforderung bietet die Multispektralanalyse noch immer wertvolle Informationen. Durch die Kombination der Multispektralanalyse mit Texturanalysemethoden können subtile Unterschiede zwischen verschiedenen Metallen erkannt werden. Texturmerkmale wie die Oberflächenstruktur, die durch Korrosion oder Abrieb entstehen, liefern zusätzliche Hinweise auf die Materialart. Die Auflichtfotografie ergänzt die Multispektralanalyse, indem sie die Oberfläche der Münze direkt beleuchtet und so Texturen und Oberflächenmerkmale sichtbar macht, die mit anderen Methoden möglicherweise übersehen werden. Diese Technik trägt dazu bei, die Oberflächenstruktur detaillierter zu analysieren, insbesondere in Bezug auf Abnutzung oder Korrosion. Ein wesentlicher Bestandteil des Projekts ist die Visualisierung der RGB-Farbwerte aus den Multispektralaufnahmen.3 Diese Farbwerte geben Aufschluss über die Oberflächenstruktur und helfen, Materialunterschiede zu erkennen. Nach der Erhebung der Multispektralaufnahmen werden die RGB-Werte berechnet und mithilfe verschiedener Visualisierungstechniken wie 3D-Scatter-Plots,4 2D-Scatter-Plots5 und Heatmaps6 aufbereitet. Wie bereits dargelegt, reicht die Multispektralanalyse allein für die Analyse von Metallen wie Gold und Silber oft nicht aus. Die Texturanalyse durch Methoden wie die Gray Level Co-Occurrence Matrix (GLCM) hilft, Oberflächenstrukturen zu charakterisieren und feinere Unterschiede zwischen den Metallen zu erkennen. Indem Texturen wie Kontrast und Energie7 aus den Multispektralaufnahmen extrahiert werden, können Unterschiede in der Oberflächenrauheit oder Korrosion identifiziert werden, die für die Materialklassifikation von großer Bedeutung sind. Der Ablauf der digitalen Bildanalyse in diesem Projekt folgt einem klar strukturierten Prozess. Zunächst werden Multispektralbilder der Münzen aufgenommen, wobei besonderes Augenmerk auf eine konstante Beleuchtung gelegt wird, um Verzerrungen der Farbwerte zu vermeiden. Dabei kommen UV- und IR-Wellenlängen (250 und 850 nm) zum Einsatz. Für eine vollständige Erfassung der Münze werden Vorder- und Rückseite aufgenommen. Danach folgt die Vorverarbeitung der Daten: Zunächst werden die Bilder normalisiert, um eine konsistente Farbskala zu gewährleisten. Weitere wichtige Schritte umfassen die Rauschunterdrückung und den Einsatz von Filtertechniken, die Störungen durch Lichtquellen oder Bildsensoren minimieren. Im nächsten Schritt werden die RGB-Werte der Münzen extrahiert, die die Farbverteilung und damit die Materialbeschaffenheit widerspiegeln. Parallel dazu wird eine Texturanalyse durchgeführt, bei der mithilfe der GLCM wichtige Oberflächenmerkmale wie Kontrast und Homogenität ermittelt werden. Diese Merkmale sind 1 · Auflicht-, UV- und IR-Aufnahme eines Leipziger Goldguldens, KSW, Museen, MM-2020/27

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