Leseprobe

WUNDER WISSENSCHAFT

PORZELLAN UND SAMMELLUST IM BAROCKEN WIEN HERAUSGEGEBEN VON STEPHAN KOJA UNTER MITARBEIT VON CLAUDIA LEHNER-JOBST UND IRIS YVONNE WAGNER

INHALT 9 Ein geheimnisvolles Material Das barocke Wien und seine Porzellanmanufaktur STEPHAN KOJA 17 Z wischen Wunder und Wissenschaft Die Wiener Porzellanmanufaktur Du Paquier CLAUDIA LEHNER-JOBST 42 Skulpturale Werke aus Porzellan CLAUDIA LEHNER-JOBST 47 Reisen, Entdeckungen und Experimente IRIS YVONNE WAGNER 55 Die Wirtschaftspolitik der Fürsten von Liechtenstein im 17. und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zwischen Tradition und Innovation ARTHUR STÖGMANN 68 Glückspreis Porzellan CLAUDIA LEHNER-JOBST 73 G länzend, lichthaltig, zerbrechlich. Zur Verbindung von Porzellan und höfischer Elite SAMUEL WITTWER 87 Chinesisches und japanisches Porzellan in den Fürstlichen Sammlungen Liechtenstein: Modische Luxusgüter aus dem fernen Osten ELINE VAN DEN BERG 106 Zwei japanische Schönheiten ELINE VAN DEN BERG 109 Chinoiserie, Wien und die Vorstellungswelt im Porzellan von Du Paquier IRIS MOON 124 Porzellan für wen? ELINE VAN DEN BERG 129 »Sauffen wir uns gleich zu tode, so geschiehts doch nach der Mode« Der stürmische Einzug von Schokolade, Tee und Kaffee in den europäischen Alltag MARGRET RIBBERT 146 Ein Kaffee-, Tee- und Schokoladenservice für den Kardinal CRISTINA MARITANO 151 Die Kunst des barocken Tafelns ANNETTE AHRENS 163 Verzeichnis der ausgestellten Werke 199 Literatur und Quellen 207 Bildnachweis 208 Impressum

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9 ◄ Detail von Kat.-Nr. 77 EIN GEHEIMNISVOLLES MATERIAL DAS BAROCKE WIEN UND SEINE PORZELLANMANUFAKTUR STEPHAN KOJA Kaum ein Material bringt die Ästhetik und das Lebensgefühl des frühen 18. Jahrhunderts so zum Ausdruck wie Porzellan. Und kaum eine Porzellanmanufaktur in Europa hat in so faszinierender Weise dem Geist der Stadt, in der sie ihre Erzeugnisse geschaffen hat, anschauliche Form verliehen. Nachdem man nach der Belagerung Wiens 1683 die Osmanen und damit eine existenzielle Gefahr für das Reich abgewehrt hatte, stürzte man sich in der Hauptstadt und den Kronländern voller Tatendrang in den Wiederaufbau und die ökonomische Weiterentwicklung. Getragen wurde dieses Bestreben vom Adel, der im Sinne des Merkantilismus die Ertragskraft der eigenen landwirtschaftlichen Betriebe, die Entwicklung innovativer Herstellungstechniken und die Erschließung neuer Geschäftsfelder förderte. In der Folge erlebten besonders die Städte einen enormen Aufschwung, der sich in einer intensiven Bautätigkeit niederschlug. Gebäude von nie zuvor gesehener Pracht entstanden, die den politischen und gesellschaftlichen Anspruch ihrer Bauherren selbstbewusst vortrugen. Gleichzeitig war die Zeit erfüllt von dem Wunsch nach umfassendem Wissen und einem tieferen Verständnis der physischen Welt. Folglich unternahm man ambitionierte alchemistische Forschungen, die von der Aristokratie gefördert oder oft selbst betrieben wurden, und nicht wenige Wiener Palais besaßen Laboratorien oder Brennöfen für diese

10 Untersuchungen und Experimente. Der neugewonnene Wohlstand erlaubte auch eine Verfeinerung der Lebenskultur der gehobenen Stände. Durch ausgedehnte Handelsbeziehungen mit der Neuen Welt und Ostasien gelangten Luxuswaren und neuartige kulinarische Genüsse nach Europa und befeuerten eine Leidenschaft der gesellschaftlichen Eliten für das Exotische. Ein besonders begehrtes Produkt war Porzellan, zu dem es in Europa kein Äquivalent gab und das in seiner edlen Zartheit und materiellen Qualität als ein Inbegriff des hohen zivilisatorischen Niveaus Chinas aufgefasst wurde. Umso mehr unternahm man in Mitteleuropa fieberhaft Versuche, dem Geheimnis der Erzeugung dieses faszinierenden Werkstoffs auf die Spur zu kommen, bis 1708 in Dresden endlich die Nacherfindung des »weißen Goldes« gelang. So nimmt es nicht wunder, dass ein Entrepreneur wie Claudius Innocentius du Paquier, ermutigt von einer Zeit aufstrebenden Unternehmertums und ausdrücklich unterstützt vom Kaiserhaus, alles daransetzte, auch in Wien eine Produktion des kostbaren und begehrten Porzellans aufzuziehen. Von den alchemistischen Versuchen, den Handelswegen und dem Kulturtransfer, von der vielschichtigen Rolle der Diplomatie, von Industriespionage und genialem Erfindungsgeist, von Ambition und Gründerkultur, aber auch von den prachtvollen Festen erzählt diese Ausstellung, die sich ganz bewusst auf die Jahre 1718 bis 1744 konzentriert, in denen diese zweite Porzellanmanufaktur Europas unter der Leitung Du Paquiers produzierte, ehe sie von Maria Theresia aufgekauft und verstaatlicht wurde. Porzellan war das perfekte Material, um dem Lebensgefühl aristokratischen Lebens Ausdruck zu verleihen und dessen Streben nach subtiler Eleganz zu unterstreichen, denn zum einen versprach dessen Besitz Distinktionsgewinn, zum anderen verkörperte es eine zunehmende Kultivierung und Verfeinerung des täglichen Lebens. Gleichzeitig entsprach es in seinem Glanz, seiner Kostbarkeit, aber auch seiner Fragilität dem ästhetischen Empfinden der Epoche und konnte als ein Sinnbild der höfischen Gesellschaft verstanden werden, wie Samuel Wittwer in seinem Essay in diesem Band eindrucksvoll ausführt. Detail von Kat.-Nr. 133

11 Das Kaiserhaus, Angehörige des Hochadels, aber auch ranghohe Minister gaben Service, Einzelstücke für Geschenke oder ganze Raumausstattungen in Auftrag. Mitglieder des Fürstenhauses Liechtenstein gehörten zu den entscheidenden Förderern der in unmittelbarer Nachbarschaft zu ihrem Gartenpalais in der Rossau gelegenen Fabrikationsstätten. Auch Wien war im 18. Jahrhundert von der »maladie de porcelaine« erfasst worden, und so besaß beispielsweise Fürst Joseph Wenzel I. von Liechtenstein ein Porzellankabinett, in dem er fast 300 Stücke versammelte und das in seiner prachtvollen Präsentation die Bewunderung der Kaiserin erregte, die sich für Schloss Schönbrunn Vergleichbares wünschte. Was die Schöpfungen von Du Paquier so außergewöhnlich macht, ist ihr Vermögen, dem Geist Wiens zu Beginn des 18. Jahrhunderts auf besonders charmante Weise Ausdruck zu verleihen. Die Kapitale des Reiches war schon damals eine äußerst kosmopolitische Stadt und damit ein Schmelztiegel der Ideen, Talente und visuellen und kulturellen Erfahrungen der Menschen, die hier zusammentrafen und sich in verschiedenen Sprachen austauschten. So entstanden in den Werkstätten von Du Paquier Kompositionen, die in ihrer Verspieltheit, ihrer Originalität und ihrer Lust an überraschenden Effekten vor Augen führen, wie sehr man es genossen haben muss, mit dem neuen Werkstoff ungeahnte Möglichkeiten gewonnen zu haben und gleichzeitig von strengen stilistischen Erwartungen frei zu sein. Man war von dem Ehrgeiz getrieben, asiatisches Porzellan durch die eigenen Erzeugnisse zu übertreffen, wie schon das vom Kaiser erteilte Privileg zur Errichtung der Manufaktur betonte: »[...] allerley feinste Porcellain-Majolica und indianische Gefäß, und Gezeug, wie solche in Ostindien und anderen fremden Ländern gemacht werden, mit weit schöneren Farben, Zirathen und Gestalt.«1 Der Ideenreichtum war enorm, und die Manufaktur entwickelte dabei eine Formensprache, die mühelos heimisches Gestaltungsempfinden mit exotischen Einflüssen verband und in oftmals unbekümmerten oder extravaganten Zusammenstellungen verblüffende Kreationen hervorbrachte – etwa, wenn Karpfen, Salamander, Löwen, Panther und Drachen als Griffe, Henkel, Füße oder als Schmuck der Gefäße dienten. 1 Das kaiserliche Privilegium vom 27. Mai 1718, OeStA Wien, FHKA, NHK Bancale Akten NÖ 620, 27. Mai 1718, fol. 1 r.

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13 Dabei scheint es der Anspruch gewesen zu sein, die Kundschaft immer wieder durch erfindungsreiche Schöpfungen zu erstaunen, da kaum Serien gefertigt, sondern vielmehr aufwendige Einzelstücke produziert wurden. Das damit verbundene finanzielle Risiko sollte schließlich auch zur Überschuldung des Betriebs führen. Durch die intensivierten Handelsbeziehungen mit fernen Ländern waren auch neuartige Getränke nach Europa gelangt, die sich bald zu wahren Modegetränken entwickelten. Sie wurden neben ihrer Köstlichkeit auch wegen ihres Exotismus geschätzt und verlangten nach Gefäßen, die dieser Besonderheit Gestalt zu geben vermochten. So traf es sich hervorragend, dass gerade zu dieser Zeit das europäische Porzellan erfunden wurde, das sich schon durch seine Materialeigenschaften besonders für den Genuss von Tee, Kaffee und heißer Schokolade eignete. Gleichzeitig bot Porzellan die Möglichkeit, diesen Tassen und Koppchen eine Form zu geben, die den Gebrauch erleichterte und dem Genuss zusätzliche Noblesse verlieh. Die Manufaktur Du Paquier tat sich hier besonders durch ihre kostbar gestalteten, zum morgendlichen Trinken der Schokolade bestimmten Trembleusen hervor – Tassen, die durch einen Untersatz mit Galerie vor dem Umkippen bewahrt wurden. Neben Gefäßen für Heißgetränke oder dem Geschirr für die Tafel wurde der neue Werkstoff auch für eine Fülle anderer Verwendungen eingesetzt: So entstanden Bierhumpen, Flaschen für Weine, Schnäpse und Liköre, Toiletteartikel, Parfumfläschchen, Tabakdosen, Schreibutensilien, Uhrengehäuse, Spiegelrahmen, Kerzenhalter, Aufbewahrungsdosen für Gesellschaftsspiele, Griffe von Spazierstöcken oder religiöse Skulpturen für die persönliche Andacht. Diese Gegenstände verzierte die Manufaktur mit ihrem reichhaltigen Laub- und Bandelwerk oder überzog die Gefäße mit einer Fülle europäischer Blumen, die wie hingestreut wirken und zu einem Markenzeichen von Du Paquier wurden. Es sind Dekore von großer Liebenswürdigkeit und Unbefangenheit, ja Fröhlichkeit. Aber auch zurückhaltend, exquisit und überaus vornehm konnte der Schmuck gestaltet sein, etwa, wenn monochrome Schwarzlotmalerei mit wenigen, ausgesucht gesetzten goldenen Akzenten gehöht wurde, wie etwa beim Jagdservice der Fürsten von Liechtenstein. Mit dem Siegeszug des Porzellans im 18. Jahrhundert, dessen Verwendung aufgrund zunehmender Erschwinglichkeit immer breitere Gesellschaftsschichten erreichte, veränderte sich die Tischkultur Europas nachhaltig. Heute ist Porzellan so allgegenwärtig, dass wir keinen Gedanken mehr daran verschwenden. Doch hat dieses Material die Menschheit in Bezug auf Hygiene und Stil in ein neues Zeitalter katapultiert. Dass es auch zu einer der reizvollsten und originellsten künstlerischen Ausdrucksformen wurde, ist nicht zuletzt der Wiener Manufaktur Du Paquier zu verdanken. • Mein besonderer Dank für das Zustandekommen dieses Ausstellungsprojekts, das thematisch wie ästhetisch zum Kern fürstlichen Sammelns und des Epochengefühls im barocken Wien führt, gilt an dieser Stelle seiner Durchlaucht Fürst Hans-Adam II. von und zu Liechtenstein und seiner Durchlaucht Erbprinz Alois von und zu Liechtenstein für ihre großzügige Förderung, den öffentlichen und privaten Sammlungen aus Österreich, Europa und den Vereinigten Staaten, die unsere Präsentation durch ihre Leihgaben generös unterstützen, hier allen voran dem Museum für angewandte Kunst in Wien, das uns eine große Zahl wichtiger Exponate zur Verfügung gestellt hat. Ich danke meinen Mitkuratorinnen Claudia Lehner-Jobst und Iris Yvonne Wagner sowie dem Team der Fürstlichen Sammlungen, die in großer Professionalität die Verwirklichung dieser anspruchsvollen Schau vorangetrieben haben, und den Autorinnen und Autoren des Katalogs, die mit ihren Studien vielfältige Aspekte dieses reichen Themas beleuchten. Für den eleganten Auftritt unseres Ausstellungsprojekts und des begleitenden Katalogs zeichnen der Ausstellungsgestalter Marcus Lilge und der Sandstein Verlag verantwortlich; auch ihnen sei an dieser Stelle herzlich gedankt. ◄ Detail von Kat.-Nr. 56 Kat.-Nr. 104 ►

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17 ZWISCHEN WUNDER UND WISSENSCHAFT DIE WIENER PORZELLANMANUFAKTUR DU PAQUIER CLAUDIA LEHNER-JOBST Leichtigkeit sollte einziehen, als die Verteidigung von Land und Leben überstanden war. Die Osmanischen Heere kehrten gegen »die aufgehende Sonne« zurück. Prinz Eugen von SavoyenCarignan (1663–1736) sicherte Friedensverträge, die mit dem Austausch von Botschaftern, zeremonieller Symmetrie und Pretiosen gegenseitige Anerkennung bezeugten.1 Die Anzahl der glanzvollen, sorgfältig nach den Gewohnheiten und dem Rang der Empfänger ausgewählten Geschenke, die das Kaiserhaus 1719 mit seinem Großbotschafter nach Konstantinopel sandte, lässt erahnen, welche Hoffnung in Friedenszeiten und die damit verbundenen wirtschaftlichen und kulturellen Perspektiven gelegt wurde. 1 Joseph Johann Adam I. und Joseph Wenzel I. von Liechtenstein gehörten zu einem Kreis teils junger fürstlicher Mitstreiter in Prinz Eugens Kampagnen, sie teilten ebenso ihre Leidenschaft für die Künste.

18 Im April 1719 waren auf Donauschiffen »einige Centner geschlagenes Silber/als Spiegelrahmen etc. von Augsburg zu Wasser anhero geführet worden/so/nebst mehr andern Kostbarkeiten/als Präsenten der Kaiserliche Groß-Bothschafter/Titl. Herr Graf von Virmont/ mit sich nach der Türkey nehmen werde«.2 Wenig später folgten prachtvolle Geschenke aus der 1718, im Jahr des Friedens von Passarowitz, gegründeten Porzellanmanufaktur in Wien, an deren Gelingen Damian Hugo von Virmont (1666–1722), vormals Gesandter in Dresden, zu Beginn maßgeblich beteiligt war.3 Ihre Modelleure und Maler waren sichtlich über die Vorlieben des Sultans und seines Hofes instruiert (Abb. 1).4 Bereits 1719 waren zudem »gantze Partien« an Wiener Porzellan als erste Exportsendung der Manufaktur nach Ungarn und in die Türkei erwähnt.5 Aus Konstantinopel kamen in jenem Jahr edle Pferde und Prunkgeschirre für den Kaiser mit dem osmanischen Großbotschafter nach Wien. Dem mehrsprachigen und diplomatisch versierten Ibrahim Pascha wurde kurz nach seinem Eintreffen die Ehre zuteil, am 20. August 1719 der öffentlichen Hochzeitstafel Erzherzogin Maria Josephas (1699–1757) und des Sächsischen Kurprinzen im Sommerschloss Favorita zuzusehen, wenn auch »unbekanter Weyse« aus einer eigenen Loge. »VON SONDERBAHRER SCHÖNHEIT« Die gewonnene Freiheit sorgte für zukunftsorientierte Ideen. Der Absolutismus alter Ordnung stand dem Fortschritt nicht im Weg; zu deutlich zeigte sich der Aufbruch des kosmopolitischen Adels, à la moderne und damit »heutig und jetzig« zu sein.6 Zu dieser Stimmung fügten sich die frühen Wiener Porzellane »von sonderbarer Schönheit« wie ein Wunschkonzert ihrer vielfältigen Kundschaft. Ungeachtet jeglicher ökonomischen Vernunft scheinen sie mit launiger Phantasie täglich »von ganz neuer Façon« erfunden worden zu sein.7 Ihr Charakter ist experimentell und künstlerisch variabel, dem innovativen Material und seinen herausfordernden Geheimnissen entsprechend. Wunder und Wissenschaft liegen darin nahe beisammen. Die Manufakturgeschichte des Gründers Claudius Innocentius du Paquier (1679–1751) lässt sich aufgrund der geringen Dokumentation nur mit einem weiten Blick erkunden, der Standort, Hauptdarsteller, ihre Netzwerke und die vielfältigen Beweggründe, Porzellan zu machen, zu bewundern und zu verwenden, beachtet. In der kaiserlichen Residenzstadt war das neue Lebensgefühl zunächst auf dem Fundament der Architektur eindrucksvoll und weithin sichtbar geworden. Persönlicher Geschmack und Beständigkeit standen hinter jedem der neuen Bauwerke, womit sich insbesondere der hohe Adel rund um die Wiener Hofburg etablierte und urbane Präsenz zeigte. Auch in den Vorstädten und Landschlössern konkurrierten bedeutende Architekten, Maler und Bildhauer, um Vergnügungsorte und Residenzen adeliger Unabhängigkeit zu schaffen. Das Palais des Fürsten Johann Adam Andreas I. von Liechtenstein (1657–1712) in der Rossau fiel mit seinem italienischen Flair als schönstes auf (Abb. 2). Bereits Fürst Karl Eusebius von Liechtenstein (1611–1684) formulierte die dauerhafte Wirkung bewussten Handelns, wenn es auf dem wahrhaft adeligen Gemüt basierte, »dessen wehsenheit iedoch sein sollte, curios zu sein, was schenes, rares und kinstliches ist zu schatzen und zu lieben, zu verlangen und zu ieben«.8 »Curiosität« wird in Zedlers Universallexicon ambivalent als »Neugierigkeit« und Unzufriedenheit mit dem Willen Gottes betrachtet, doch »Weil alle Curiosität den Verstand ergötzet«, besitze sie eine nützliche Eigenschaft, »sie erwecket Gedancken«. Am Ende macht sich die Frühaufklärung bemerkbar: »Und eben die Erwegung dieses Nutzens bekräfftiget und rechtfertiget die Curiosität derer, die mit gutem Fortgange nachdencken, und scharfsinnige Wahrheiten zu erfinden trachten.«9 2 Wienerisches Diarium, Num. 1636, 8. April 1719. Im Herbst des Jahres übergab Graf Damian Hugo von Virmont dem Sultan, der Sultanin und verschiedenen Würdenträgern die 108 prächtigen Silberobjekte, von zwei Meter hohen Spiegeln über komplett ausgestattete Kaffeetische bis zu Sherbetschalen und einem Dessertaufsatz. Als Anhang des Reiseberichtes wurden die Silbergeschenke beschrieben. Wienerisches Diarium, Num. 1679, 6. September 1719. 3 Der Frieden von Passarowitz (serb. Požarevac, damals ein Dorf, heute Verwaltungsstadt südlich von Belgrad) beendete den Venezianisch-Österreichischen (und 6. Österreichischen) Türkenkrieg und verhalf Österreich zur größten territorialen Ausdehnung. Weiterführend: Projekt 1 Die Großbotschaften Damian Hugo von Virmonts und Ibrahi Paschas (1719/20), QhoD des Insitute for Habsburg and Balkan Studies (ÖHW, Graz), https://qhod. net/context:vipa (21. 9. 2024). 4 Zelleke 2009 b, Abb. 11.14, 11.16. 5 Johann Melchior Steinbrück an den Legationssekretär Christian Adam Anacker, Porzellanmanufaktur Meißen, Betriebsarchiv (IAf3, fol. 299), Abb. in Neuwirth 2006, S. 15. 6 Zedler 1731/1754, S. 385, 728. 7 Wienerisches Diarium, Anhang zu Num. 61, 30. Juli 1729. 8 Zitiert nach Haupt 1990, S. 115. 9 Zedler 1731/1754, Bd. 24, Curiosität, S. 99 f., 172–174. ◄ Abb. 1 Manufaktur Du Paquier, Wien Rosenwasserkanne mit Becken, um 1735 Porzellan, Aufglasurfarben, Vergoldung Istanbul, Topkapı Sarayı Müzesi, Inv.-Nr. 16/773

19 MATERIAL DER ZUKUNFT Schein und Sein beschäftigte die Künste des frühen 18. Jahrhunderts tiefgreifend. Die Förderung der Wissenschaften zählte zu den fürstlichen Tugenden. Bildungsreisen führten nach England oder in die Republik der Vereinigten Niederlande, wo wissenschaftliche Werke zensurfrei publiziert werden konnten. In den namhaften Wiener Palais waren gepflegte Bibliotheken, Miniaturkabinette und Laboratorien eingerichtet. Auch Uhren gehörten als Zeitmesser in den Bereich fürstlicher Wissenssammlungen und wurden zu den phantasievollsten Kreationen der Manufaktur Du Paquier. »Curiosität« war jedenfalls im Spiel, als Claudius Innocentius du Paquier mit einer kleinen Gruppe von Financiers und Spezialisten sein außergewöhnliches Projekt einer Porzellanmanufaktur vorbereitete. Über Jahrhunderte zählte ostasiatisches Porzellan zu den wundersam fremden Dingen, deren Herstellung dem Reich der Magie zugeordnet wurde. Versuche, das weiße, transluzide, zarte und doch brauchbar harte Produkt nachzuahmen, führten bisher nur zu flüchtigen Ergebnissen, die dem Vorbild nicht nahekamen. Die Entschlüsselung des Porzellanmachens in Europa wurde daher zu einer der großen Sensationen des 18. Jahrhunderts. Es war ein Sieg der Wissenschaft und ein kultureller Sprung in die Zukunft. Doch das Geheime blieb, prägte die Wahrnehmung des Materials und steigerte Wert und Begehren (Abb. 3). Mit dem echten europäischen Porzellan stand ein Werkstoff zur Verfügung, welcher nicht nur durch neue praktische Eigenschaften glänzte, sondern in seinem ästhetischen Potenzial die gültigen Regeln der Künste ausspielte. Abb. 2 Christian Hilfgott Brand Blick auf Wien über die Vorstadt Rossau mit dem Gartenpalais Liechtenstein und seinem Belvedere, 1735 Öl auf Leinwand Niedersächsisches Landesmuseum, Hannover Inv.-Nr. PAM 766

Abb. 3 Manufaktur Du Paquier, Wien Teekanne mit Silbermontierung, um 1720/1725 Porzellan, Silbermontierung LIECHTENSTEIN. The Princely Collections, Vaduz–Vienna Inv.-Nr. PO 2789

21 DAS FREIE »COMMERCIUM« Mit dem Ziel, die Wirtschaft dauerhaft und im merkantilistischen Sinn zu entwickeln, hatte Kaiser Karl VI. (1685–1740) im Juni 1717 »allen und jeden Unseren Getreuen Inwohnern und Unterthanen« seine Gnade zugesprochen und rief zur Verbesserung der bestehenden und Gründung neuer Manufakturen in den Erblanden auf. Karl VI. versprach den »hierzu behilfflichen Auß- und inländischen Maistern auf ihr Anmelden gedeyliche Privilegia und Freyheiten«, dazu kaiserlichen Schutz sowie den Ausbau und die Sicherheit der Handelswege auf See und Land, wobei auch der Hofkriegsrat zur Mitwirkung angehalten war. Ziel war das »freye commercium« als heilsame Maßnahme für »Uns/und dem gemeinen Weesen«.10 1710 wurde die Meissener Porzellanmanufaktur als erste ihrer Art in Europa gegründet und inspirierte zur Nachahmung.11 Damian Hugo von Virmont war als kaiserlicher Gesandter in Sachsen behilflich, die richtigen Protagonisten für das Wiener Vorhaben zu »associieren«. Er warb um die Unterstützung des »Kunstarbeiters« Christoph Conrad Hunger aus Thüringen, der über Kenntnisse als Goldschmied, Vergolder und Emailleur zu verfügen schien. Nach eigener Aussage hatte ihm Böttger das Geheimnis der Porzellanmasse mitgeteilt. Hunger und der erfahrene Mitarbeiter Böttgers, Johann George Mehlhorn, wurden am 29. September 1717 von August dem Starken mit 300 Talern »Wegen der neuen Invention die Blaue Farbe auf das Porcellain zutragen« entlohnt. Zuvor war dem Kurfürsten und König ein solcherart dekoriertes »Schälgen« vorgestellt worden.12 Der Diplomat Virmont hatte Hunger inzwischen erfolgreich »persuadiert«, im Oktober 1717 war er bereits in Wien. Für Du Paquier erwies sich Hunger zunächst als nützlicher Compagnon, kannte er doch die wichtigsten Mitarbeiter in Sachsen und korrespondierte mit ihnen über Materialien und deren Quellen. Die Entwicklung der Farben ging in Meissen nur langsam voran. Du Paquier konnte technisch überholen, doch hatte er zuerst das elementare Problem der Porzellanmasse zu lösen. Die Zeit eilte, denn um das Privileg für die Porzellanerzeugung zu erringen, musste Produktionsfähigkeit bewiesen werden. Laut Christoph Conrad Hunger suchte er mit Du Paquier über ein Jahr lang rund um Wien, in Ungarn und Böhmen vergeblich nach einer adäquaten Erde, dem feinen weißen Kaolin. Erst im Bistum Passau wurden sie fündig. Virmonts nächster personeller Erfolg war die Ankunft Just Friedrich Tiemanns in Wien im August 1718 mit einem essenziellen Schatz im Gepäck: den Zeichnungen der Brennöfen. Du Paquier erwarb sie für 50 Taler.13 Hunger schrieb am 6. Mai 1718 an Mehlhorn und bat ihn, Meißen binnen drei Wochen mit ein oder zwei Mitarbeitern nach Wien zu verlassen sowie etwas Kobaltblau und auf dem Weg ein Fässchen der Passauer Erde zu besorgen. Die Frist von drei Wochen fiel auf das Datum des Privilegs, das Kaiser Karl VI. am 27. Mai 1718 in Schloss Laxenburg unterzeichnete. Ob Kaiser Karl VI. von der Idee einer Wiener Porzellanmanufaktur überrascht oder durch den angebahnten dynastischen Bund mit Sachsen und die Kunde um das »Sächsische Porcellain« sogar selbst engagiert war, ist nicht überliefert, doch wird erwähnt, dass Du Paquier sein Anliegen »des mehreren vor- und angebracht habe«.14 Jedenfalls beachtet das als Kopie in kleinster Handschrift erhaltene fünfseitige Privileg alle spezifischen Aspekte dieses Vorhabens, von der gelobten Symbiose aus »Fleiss, Kunst und Wissenschafft« über die Beschaffung der Rohstoffe bis hin zum anerkannten Risiko durch »Gefahr und grosse Unkosten«.15 Alle fachlichen Details des Privilegs spiegeln vermutlich das nicht erhaltene Ansuchen Du Paquiers wider. Seine drei im Privileg anerkannten »Mit-Consorten« waren der erwähnte »Goldarbeiter« Christoph Conrad Hunger sowie ein Kollege Du Paquiers, ein Hofkriegsagent namens Peter Zerder, und der zunächst finanzkräftige »Niederlags-Verwandte« Martin Becker.16 Trotz der Versicherung des Kaisers im Wortlaut des Privilegs, finanziell nichts beizusteuern, schwingt kaiserlicher Enthusiasmus für das Projekt mit, »weilen es keine gemeine Handwercksarbeit, sondern in sich selbst ein geheimes und fürtreffliches Kunstwerk ist«. 10 Facsimile des Originals in Aust.-Kat. Wien 1970, S. 12. 11 S iehe den Beitrag von Wagner in diesem Band, S. 47–53. 12 Zitiert nach Rückert 1990, Mehlhorn sen. II, S. 51, und Hunger X, S. 82. 13 Lehner-Jobst 2009, S. 158. 14 A us dem kaiserlichen Privileg, 27. Mai 1718, OeStA Wien FHKA, NHK Bancale Akten NÖ 620, fol. 1 r. (Kopie nach 1718). 15 Ebd. 16 I n der späteren Kopie des Privilegs als »Martin Peter«. »Niederlags-Verwandter« bezeichnete in Wien einen Wechsler oder »vornehmen Kaufmann«, dem trotz seiner nicht katholischen Religionszugehörigkeit ein Wohnsitz in der Stadt Wien erlaubt war.

SKULPTURALE WERKE AUS PORZELLAN CLAUDIA LEHNER-JOBST Abb. 1 Manufaktur Du Paquier, Wien Kruzifix, um 1730 The Cleveland Museum of Art, Purchase from the J. H. Wade Fund Inv.-Nr. 1997.185 42

Das Standkreuz mit seiner sensibel modellierten Christusfigur, erhöht auf einem mit aller verfügbaren Pracht gestalteten Sockel, gilt als Meisterwerk des frühen Wiener Porzellans. Für die Anfertigung dieses einzigartigen sakralen Objekts war mit Sicherheit ein Bildhauer von Rang beauftragt, der in Zusammenarbeit mit einem Maler und Vergolder der Manufaktur die Eigenschaften des Materials Porzellan für seinen Entwurf zu nutzen wusste. Den erstaunlich akkuraten anatomischen Details des Gekreuzigten nachspürend, erinnert die Sichtweise des Künstlers an jene eines Elfenbeinschnitzers oder an die Feinheiten einer florentinischen oder französischen Kleinbronze. Die in Porzellan gegossene Figur ist technisch makellos gelungen und ausgearbeitet. Ihr langgestreckter, feingliedriger Körper wurde weiß belassen, bis auf die im drastischen Naturalismus des Barock mit kostbarem Purpur dargestellten Wunden und wenigen in hellem Kobaltblau lavierten Details auf Mund und Füßen des Sterbenden. Die eigentliche Dramatik liegt jedoch in der stillen Emotion des Leidens und der Hingabe der im Viernageltypus ausgeführten Christusfigur. Feinste Details sind auch in den von Schmerz gezeichneten, doch würdigen Gesichtszügen wiedergegeben und bündeln die Aufmerksamkeit der Betrachtenden. Der Vergleich mit Giambolognas Christus von ähnlich zierlicher Gestalt und subtiler Körperdrehung (Liebighaus, Frankfurt am Main) lässt eine Vertrautheit des Meisters dieses Wiener Kruzifixes mit der florentinischen Tradition anklingen. Der Sockel gleicht mit seiner architektonischen Konstruktion, den kühnen Volutenfüßen und mit Purpur und Gold staffierten ornamentalen Details, wie Akanthusblättern und gitterartig durchbrochenen Kartuschenfeldern sowie Muschel- und Palmettenmotiven, den um 1730 entstandenen Uhrgehäusen der Manufaktur Du Paquier (Kat.-Nr. 96). Stilistische Parallelen finden sich zudem in zeitgenössischen Altarmodellen und Möbelentwürfen, wie beispielsweise den Torchères mit Wiener Boulle-Marketerie aus den Fürstlichen Sammlungen. Die Schauseite und die beiden seitlichen Wandungen des Sockels sind mit vergoldeten Bas-Reliefs en miniature belegt, inspiriert von zeitgleichen Arbeiten Georg Raphael Donners (1693–1741) und seiner Schüler. Dem Ablauf des Kreuzigungsgeschehens folgend, wird auf der linken Seitentafel die Geißelungsszene geschildert, auf der Vorderseite die Beweinung Christi und rechts die erlösende Auferstehung. Die Narrative und die grazile Physis des Gekreuzigten, beides in einem dem Material Porzellan, aber auch dem Zweck gerechten Format, dienten der Verinnerlichung und Nachempfindung in der Privatheit einer Hauskapelle oder eines persönlichen Altars in den Privatgemächern eines hochrangigen Palais. Im Ordentlichen Catalogus der Wiener Porzellanlotterie vom 17. März 1735 werden als Gewinne »Ein Crucifix zum Aufsetzen von mittlerer Größe 150. Floren«, sowie »Ein groß=sehr künstlich=mit Vergoldungen und Farben fein gemahltes Crucifix mit denen Figuren Maria/St. Johannes/und Magdalena, 200 fl.« beschrieben. Zu Letzterem berichtete der Breslauer Gelehrte Johann Christian Kundmann in der Publikation naturwissenschaftlicher Neuheiten.1 Josef Folnesics und Edmund Wilhelm Braun erwähnten ein Kruzifix im Besitz der Fürsten von Esterházy in Esterháza »auf einem Sockel mit buntem Barockdekor«.2 Dort herrschten höchste künstlerische Ansprüche, wie Johann Friedel von seinem Besuch in den »Briefen aus Wien an einen Freund in Berlin« schreibt: »[H]ier sind alle Gegenstände zahlreich und so auffallend, dass sie auch auf den gefühllosesten und nachlässigsten Besucher größten Eindruck machen müssen.«3 1 Kundmann 1737, S. 640 f. 2 Folnesics/Braun 1907, S. 38 f. 3 Friedel 1783, S. 485. Detail von Abb. 1 43

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47 REISEN, ENTDECKUNGEN UND EXPERIMENTE IRIS YVONNE WAGNER Spätestens seit der venezianische Händler Marco Polo (1254–1324) nach seiner Asienreise Porzellan als Tafelgeschirr beschrieben und wohl auch nach Europa mitgebracht hatte, avancierte es neben Seide, Edelsteinen und Gewürzen zu einer der begehrtesten Importwaren aus dem Fernen Osten. Weder die Bestandteile des glänzenden Materials noch dessen Herstellungsverfahren waren in Europa bekannt, sodass aufgrund der steigenden Nachfrage im 16. und 17. Jahrhundert chinesische Porzellane in großen Mengen produziert und verschifft wurden. Parallel fanden an unterschiedlichen Orten alchemistische Experimente und Versuche statt, dieses so begehrte Handelsgut selbst herzustellen, beispielsweise in Venedig, Florenz, Rouen, Saint-Cloud und auch in Meißen. Kurfürst Friedrich August I. von Sachsen (1670–1733), genannt August der Starke, war ein leidenschaftlicher Sammler ostasiatischer Porzellane. Unter seiner Herrschaft gelang es schließlich erstmals, Hartporzellan in Europa herzustellen. Nicht nur in den Bereichen Kunst, Musik, Literatur oder Architektur spielten Angehörige des Hochadels in der frühen Neuzeit als Mäzene eine wichtige Rolle, sondern auch in der Wissenschaft, da sie Gelehrte beschäftigten, die in Bereichen wie Astrologie, Philosophie, Alchemie oder Medizin forschten und arbeiteten. ◄ Detail von Kat.-Nr. 12

48 Ehrenfried Walter Graf von Tschirnhaus (1651–1707) erkundete Ende des 17. Jahrhunderts die mineralischen Rohstoffe des Erzgebirges im damaligen Kurfürstentum Sachsen. Bergbau, Hüttenwesen sowie Metall- und Glasverarbeitung gab es im Erzgebirge schon seit dem Mittelalter.1 Tschirnhaus gelang es, aus Glasblöcken ungewöhnlich große Brennlinsen (Abb. 1) und Hohlspiegel zu schleifen, mit denen er Temperaturen bis zu 2 000 Grad Celsius erreichte und Schmelzversuche mit Erden und Mineralien durchführte.2 Schließlich erhielt er von August dem Starken den Auftrag, den auf der Albrechtsburg in Meißen inhaftierten Alchemisten und vermeintlichen Goldmacher Johann Friedrich Böttger (1682–1719) zu beaufsichtigen. Gemeinsam mit Berg- und Hüttenleuten aus Freiberg unternahmen sie Schmelzversuche mit verschiedenen Erden, wofür auch Brennöfen gebaut wurden.3 Schließlich gelang es Böttger und Tschirnhaus, gemeinsam mit Pabst von Ohain 1707 rotes Steinzeug zu brennen, das sogenannte Böttgersteinzeug (Abb. 2). Wenige Monate später glückte Böttger in seinem Laboratorium auf der Jungfernbastei in Dresden erstmals der Brand eines weißen, durchsichtigen Scherbens aus einer Mischung von kaolinhaltigem Colditzer Ton, Freiberger Kalkspat, Quarz sowie Alabaster.4 Am 28. März 1709 informierte er die sächsische Hofkanzlei schriftlich über den Erfolg – es ist der Geburtstag des europäischen Hartporzellans.5 Die Gründung der Manufaktur auf der Albrechtsburg in Meißen erfolgte am 6. Juni 1710. Böttger wurde zum Administrator ernannt und arbeitete an der Verbesserung seiner Erfindung hinsichtlich der Reinheit des Scherbens und der Vervollkommnung der Glasur. Schließlich erkannte er die besondere Eignung der Erde Kaolin für die Rezeptur. Das geheim gehaltene Wissen um die Bestandteile und das Brennen von Hartporzellan gelangte dennoch durch ehemalige Mitarbeiter Böttgers nach Wien.6 Hinter all diesen Unternehmungen stand das Ziel, die Produktivität und Herstellung von Waren im eigenen Land durch Innovationen und die Gründung von Manufakturen zu erhöhen, diese wirtschaftlich optimal zu nutzen und teure Importe zu verringern.7 Abb. 1 Tschirnhaus’sches Brennglas Dresden, um 1700 Glas, geschliffen, Holz Technisches Museum Wien Inv.-Nr. 10699 Abb. 2 Porzellan-Manufaktur Meissen Teekanne mit Laub- und Bandelwerk, 1710/1713 Böttgersteinzeug Privatsammlung

49 DIE FÜRSTEN VON LIECHTENSTEIN UND DIE ALCHEMIE Experimentierfreude und das Interesse für Alchemie lassen sich auch im Fürstenhaus Liechtenstein nachverfolgen. Von seinem Vater Karl Eusebius erbat Johann Adam Andreas I. von Liechtenstein ein alchemistisches Buch des Gelehrten Johan Baptista van Helmont (1579– 1644), einem Nachfolger des Arztes und Alchemisten Theophrastus Bombastus von Hohenheim, genannt Paracelsus, das er mit väterlichem Ratschlag zur Lektüre erhielt.8 Helmont war es, der das »Gas«, abgeleitet von dem Begriff »Chaos«, prägte und das Kohlendioxid (gas silvestris) als eine besondere Form des Dampfes erkannte.9 Um dies zu entdecken, musste er die tradierte Vorstellung, dass Luft ein einheitlicher Körper oder alchemisches »Element« sei, überwinden. Nach der damaligen Auffassung existierten, zurückgehend auf Empedokles, in der irdischen Sphäre die vier wandelbaren Elemente Feuer (Abb. 3), Wasser, Erde und Luft. In der himmlischen Sphäre herrschte die »Quinta Essentia«, die Aristoteles als »Äther« beschrieb – ein Element, das sich von den irdischen unterscheide und dauerhaft und unveränderlich sei. Dieses durchdringe alles und sei einem Feuer ohne Wärme gleich. Durch das spezifische Zusammenwirken der drei Prinzipien Sulphur, Mercurius und Sal entstünden alle Stoffe. Zwar kannte man Gase, beispielsweise das beim Bierbrauen entstehende Kohlendioxid, aber nicht ihre Natur als distinkte Stoffe.10 Durch die Einwirkung bestimmter physikalischer Kräfte glaubte man, Materialien und Substanzen verwandeln zu können oder auch minderwertige Materialien zu neutralisieren, um sie mit den Prinzipien eines hochwertigen Materials zu verbessern. Die Transmutationsprozesse der Natur sollten so nachempfunden und beschleunigt werden. Auch Böttger wurde mit der Intention, Gold herzustellen, von August dem Starken gefangen gehalten (Abb. 4).11 Viele Alchemisten begaben sich auf die Suche nach dem Stein der Weisen, der ihnen die Herstellung edler Metalle aus unedlen ermöglichen sollte, aber auch als Allheilmittel galt. Wie dieser herzustellen sei, war allerdings ein Geheimnis, und die alchemistischen Traktate beschreiben keinen genauen Lösungsweg, sondern bleiben verschlüsselt und rätselhaft. Auch das Buch Wasserstein der Weisen (Kat.- Nr. 8) in den Fürstlichen Sammlungen ist vielmehr eine theosophische Schrift, die den Weg zum Lapis philosophorum in einen spirituellen Läuterungsprozess einbindet. 1 Eine systematische Darstellung zum Bergbau und Hüttenwesen im Erzgebirge mit zahlreichen Illustrationen erschien bereits 1556 unter dem Titel De re metallica libri XII von dem Chemnitzer Stadtarzt Georgius Agricola (Kat.-Nr. 7). 2 In diesem Zusammenhang bewilligte ihm nach längeren Bemühungen der Dresdner Hof Staatsmitteln zur Anlegung von drei Glashütten. 3 Vgl. Soukup 2007, S. 464–466. 4 Ebd. 5 Volke 2010, S. 40–43. 6 Siehe hierzu den Beitrag von LehnerJobst in diesem Band, S. 17–39. 7 Siehe hierzu den Beitrag von Stögmann in diesem Band, S. 55–67. 8 Siehe Haupt 2012, S. 408 f., Nrn. 2411, 2412. 9 Siehe Priesner 2011, S. 102. 10 Ebd. 11 Da Böttger diese Erwartung nicht erfüllen konnte, konzentrierte er sich auf Anraten Tschirnhaus’ auf Experimente zur Herstellung von Porzellan. Siehe Volke 2010, S. 37 f. Über dessen Anteil an der Erfindung siehe ebd. S. 47–50. Abb. 3 Bartholomäus Spranger Allegorie des Feuers, um 1600 Feder in Blau, blau laviert, weiß gehöht, auf blauem Tonpapier LIECHTENSTEIN. The Princely Collections, Vaduz–Vienna Inv.-Nr. GR 940

50 Im Jahr 1698 bestellte Fürst Johann Adam Andreas I. von Liechtenstein beim Augsburger Optiker Costas Conrad Cuno ein Mikroskop sowie einen großen Brennspiegel, den dieser aus Feldsberger Glas schleifen sollte.12 Brennspiegel wurden, wie bereits beschrieben, benötigt, um hohe Temperaturen für Transmutationsprozesse zu erzeugen. Ihm wurde auch ein Arcanum angeboten, mit dem Silber in Gold zu verwandeln sei.13 Im Januar 1707 berichtete der Referendar Georg Anton von Fellner an den Fürsten von einem sechswöchigen Experiment: »Bey außgang der 6. wochen hat der Sigmund die phiolen auß den roßmüst genohmen, die materia darinnen, so sich in der farb nicht verendert hat, mit lebendigen kalch wohl vermischet, in eine retorten gethan und gestern dan gantzen mit zimblich starken fewer übergetrieben. Eß ist aber nichts alß ein wie spiritus urinah riechendes waßer herübergangen, einiger Mercurius aber gar nicht zu sehen. Waß nun mit den caput mortuo ferner zu thun, werde ewer durch. gnadigsten befehl erwarten und verharre [...].«14 Das Experiment war offensichtlich missglückt und die Entscheidung, was mit dem »caput mortuum«, einem als wertlos erachteten Nebenprodukt bei der Herstellung von Schwefelsäure, passieren solle, lag jetzt beim Fürsten. 12 Siehe Haupt 2012, S. 667 f., Nrn. 2825, 2827. 13 Ebd., S. 727, Nr. 2918: »Eß befinden sich zwey artisten alhier, welche ein zimment [Maßeinheit] pulver haben, daß silber durch ein zimment in pures goldt zu transmitieren. Alle drey tag ist die arbeith vorbey, daß cento per cento uber alle unkosten abwürfft in drey tagen.« 14 Z itiert nach Haupt 2012, S. 868, Nr. 3088. Abb. 4 Johann Friedrich Böttger Goldregulus, wohl 1713 Porzellansammlung, Staatliche Kunstsammlungen Dresden Inv.-Nr. F 389 Abb. 5 Versilberter Brennspiegel aus dem Labor Franz Stephans von Lothringen, 1751 Bronze, versilbert Technisches Museum Wien Inv.-Nr. 10697

51 Dass nicht alle Experimente glückten, lässt sich auch im Zusammenhang mit dem kostbaren, versilberten Brennspiegel (Abb. 5) aus dem Nachlass von Franz I. Stephan von Lothringen (1708–1765) berichten (Abb. 6). Mit diesem Spiegel wollte der Kaiser 1751 gemeinsam mit Pater Joseph Franz kleine Diamanten zu einem großen zusammenschmelzen, die jedoch aufgrund der hohen Temperaturen größtenteils verkohlten. Immerhin lieferte das kostspielige Experiment die Erkenntnis, dass Diamanten aus Kohlenstoff bestehen. In seinem Palais in der Wallnerstraße 3 standen dem Monarchen nicht nur Arbeitsräume für seine Kanzleien zur Verfügung, sondern hier hatte Franz Stephan auch ein Labor eingerichtet. Das Palais bildete das Zentrum seiner politischen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und künstlerischen Aktivitäten.15 Lange vor seiner Krönung zum Kaiser erwarb der Herzog von Lothringen 1736 die Herrschaften Holitsch (Holíč) und Sassin (Šaštín) in der fruchtbaren Marchebene von dem verschuldeten Grafen Joseph Czobor. Das Schloss Holitsch wählte er als repräsentativen Landsitz und ließ es vergrößern und Musterbetriebe einrichten – darunter eine Fayence-Manufaktur. Nachdem er 1737 Lothringen abgetreten hatte und das Geschlecht der Medici mit dem 15 Siehe hierzu Zedinger 2009, S. 26–28. Abb. 6 Schule Martin van Meytens Porträt des Kaisers Franz I. Stephan von Lothringen (1708–1765) 1745/1765 Öl auf Leinwand LIECHTENSTEIN. The Princely Collections, Vaduz–Vienna Inv.-Nr. GE 1741 Abb. 7 ► Manufaktur Carlo Ginori, Doccia; Modelleur: Gaspero Bruschi, zugeschrieben, nach einem Modell von Giuseppe Piamontini Actaeon, um 1748/1755 Porzellan LIECHTENSTEIN. The Princely Collections, Vaduz–Vienna Inv.-Nr. PO 2294

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87 CHINESISCHES UND JAPANISCHES PORZELLAN IN DEN FÜRSTLICHEN SAMMLUNGEN LIECHTENSTEIN: MODISCHE LUXUSGÜTER AUS DEM FERNEN OSTEN ELINE VAN DEN BERG 1 Impey 1990, S. 2. ◄ Detail von Abb. 15 »So wie Lackkabinette gehörte auch japanisches Porzellan zur Standardausstattung eines großen Hauses; und in beiden Fällen wurden Interieurs und sogar Möbel angepasst, um diese zu präsentieren.«1

88 Diese Worte aus einem Artikel von Oliver Impey im Ausstellungskatalog Porcelain for Palaces (1994) gibt den Rausch um das Sammeln von japanischem Porzellan, der die europäische Elite um 1700 erfasst hatte, treffend wieder. Die Sammlung von asiatischem Porzellan des Hauses Liechtenstein ist ein gutes Beispiel für die Ausprägung des Phänomens in Wien. Sie zeigt, dass – obwohl die Habsburger (noch) nicht aktiv am europäischen Handel mit asiatischen Waren beteiligt waren – der Wiener Adel dennoch Wege fand, um an einige der schönsten Stücke zu gelangen, die in erster Linie über die Niederländische Ostindien-Kompanie (Vereenigde Oostindische Compagnie, VOC) und die Britische Ostindien-Kompanie (English East India Company, EIC) verschifft wurden.2 Porzellan dieser Art und dieses Kalibers war zudem eine wichtige Inspirationsquelle für die Porzellanmanufaktur Du Paquier. Abb. 1 Große Gefäße mit Figuren, Pflanzen und Vögeln Japan, Arita, Edo-Periode, um 1670/1690 Porzellan, Emailfarben LIECHTENSTEIN. The Princely Collections, Vaduz–Vienna Inv.-Nr. PO 2536

89 Bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts war das einzige Porzellan, das nach Europa verschifft wurde, das blau-weiße chinesische Porzellan. Etwa um diese Zeit brachten interne Konflikte in China aufgrund des Niedergangs der Ming-Dynastie (1368–1644) den Export von Porzellan größtenteils zum Erliegen und hatten schließlich auch schwerwiegende Auswirkungen auf die Produktion in Jingdezhen, dem Zentrum der Porzellanherstellung. Da Porzellan dermaßen gefragt war, verlegte die VOC ihren Hauptfokus auf Japan, wo die Niederländer die einzige europäische Macht waren, der es gestattet war, mit den Japanern Handel zu treiben, und das auch nur von der künstlich angelegten Insel Dejima aus.3 Obwohl das Geheimnis der Porzellanherstellung in Japan erst Anfang des 17. Jahrhunderts entdeckt worden war, brachten die dortigen Werkstätten bald schon Objekte von höchster Qualität hervor. Die ersten Lieferungen aus Japan enthielten nicht nur die bekannten blau-weißen Stücke, sondern auch Porzellan in leuchtenden, bunten Farben – ein absolutes Novum für europäische Kunden, das in der höheren Gesellschaft schnell an Beliebtheit gewann. Arita, die japanische Hauptproduktionsstätte, stellte zwei dominierende Arten von Porzellandekoren her: Imari und Kakiemon. Ein herausragendes Beispiel für Letzteres ist ein Paar großer Gefäße (die Deckel fehlen), die im Kakiemon-Stil dekoriert sind (Abb. 1). In Europa finden sich Stücke wie diese heute fast ausschließlich in (ehemals) adeligen Sammlungen wie der British Royal Collection, der Porzellansammlung in Dresden, bei der es sich im Grunde genommen um die ehemalige Sammlung von August dem Starken (1670–1733) handelt, sowie der Sammlung in Schloss Charlottenburg in Berlin. Das edelste Kakiemon-Porzellan zeichnet sich durch einen milchweißen Scherben (nigoshide) mit Aufglasurfarben aus, wie eine oktogonale Schüssel mit einem Dekor aus den sogenannten »drei Freunden des Winters« (Kiefer, Bambus und Pflaume) in den Fürstlichen Sammlungen Liechtenstein (Abb. 2) belegt. Diese Art von Porzellan war kostspielig in der Herstellung, und jedes Stück musste in einer eigenen schützenden Brennkapsel auf feuerfestem Ton gebrannt werden. 2 Die English East India Company (EIC) und die niederländische Verenigde Oost-­ Indische Compagnie (VOC) wurden 1600 beziehungsweise 1602 gegründet. Bald wurden sie zu den beherrschenden europäischen, in Asien ansässigen Handelsmächten, die die Portugiesen und Spanier vertrieben, die ihre Stellung während des 16. Jahrhunderts gehalten hatten. 3 Die Insel Dejima wurde ursprünglich von den Japanern für die Portugiesen geschaffen, um dort Handel zu treiben und deren Aufenthalt auf dem Festland zu begrenzen. 1639 war der europäische Handel mit Japan jedoch einem allgemeinen Verbot unterworfen, mit der einzigen Ausnahme der niederländischen VOC, die bleiben durfte. Deren Angestellte waren auf Dejima stationiert und hatten nur wenig oder gar keinen Zugang zu Japan selbst. Abb. 2 Oktogonale Schüssel mit den »drei Freunden des Winters« Japan, Arita, Edo-Periode, um 1670/1690 Porzellan, Emailfarben LIECHTENSTEIN. The Princely Collections, Vaduz–Vienna Inv.-Nr. PO 1880

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91 Kakiemon-Porzellan scheint von privaten Händlern nach Europa verschifft worden zu sein, deren Geschäfte natürlich nicht in den offiziellen Dokumenten der Ostindien-Kompanien aufschienen. In der Folge gibt es keinen Beleg für die europäischen Häfen, an denen dieses Porzellan ankam. In dieser Periode hatten nur niederländische und chinesische Kaufleute die Befugnis, mit Japan Handel zu treiben. Man geht allerdings davon aus, dass Kakiemon in erster Linie von Letzteren verschifft wurde, da der Dekor eher dem Geschmack der Chinesen entsprach, die jedoch Teile ihres Bestands an englische Händler verkauften, weshalb London ein geeigneter Kandidat als Ankunftshafen für Kakiemon-Porzellan in Europa wäre. Tatsächlich finden sich in historischen britischen Sammlungen immer noch zahlreiche KakiemonStücke, während in den niederländischen Sammlungen kaum welche vorhanden sind.4 Zudem sollte nicht unerwähnt bleiben, dass im Lauf des frühen 18. Jahrhunderts eine ganze Menge Porzellan aus niederländischen Sammlungen an europäische Interessenten, vor allem in Frankreich und England, verkauft wurde, was ein weiterer Grund für das Fehlen von Kakiemon in den Niederlanden sein könnte. Während dieser Zeit erlitt die niederländische Wirtschaft einen Einbruch, was Familien möglicherweise veranlasste, Stücke aus ihren Sammlungen zu verkaufen, die natürlich sofort eifrig von ausländischen Käufern erworben wurden.5 Kehren wir nun zu den Gefäßen zurück, die auf dem Körper mit rechteckigen Feldern dekoriert sind und durch florale Elemente getrennt werden. Die Aussparungen zeigen zwei ostasiatisch aussehende Figuren, von denen eine, in einer felsigen Landschaft mit Pflanzen und Vögeln, einen Fächer, die andere einen Sonnenschirm hält. Die Symmetrie der beiden Figuren, die zu jeder Seite des Felsens stehen, die zentrale Position des Vogels und die Wiedergabe des Sonnenschirms sind untypisch für japanische Kunst, und der Dekor war möglicherweise von einer europäischen Vorlage inspiriert, wie etwa Delfter Keramik oder einer Zeichnung.6 Obwohl die Fürstlichen Sammlungen Liechtenstein zahlreiche interessante Beispiele für japanisches Porzellan bewahren, werden wir uns zunächst einigen früheren und damit chinesischen Exemplaren asiatischen Porzellans widmen. FRÜHES ASIATISCHES PORZELLAN Die Anfänge der Liechtensteinischen Sammlung asiatischen Porzellans liegen höchstwahrscheinlich schon weit vor dem Ende des 17. Jahrhunderts, wie einige chinesische Stücke, die zwischen dem Ende des 16. und dem Anfang des 17. Jahrhunderts entstanden sind, vermuten lassen. Ein bemerkenswertes Exemplar ist eine große Seladon-Vase mit zentralem Lotusrankendekor (Abb. 3). Vasen dieser Art entstanden in China ab dem 14. Jahrhundert und standen in Tempeln. Während Seladon in historischen europäischen Sammlungen selten ist, finden sich im Topkapı Palastmuseum in Istanbul, das die ehemalige Sammlung der osmanischen Sultane enthält, zahlreiche Beispiele. Stücke wie dieses kamen vermutlich auch über den Nahen Osten, wo chinesisches Seladon sehr begehrt war, nach Europa. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde der Vase eine Montierung hinzugefügt, für welche die ausgestellte Öffnung der Vase abgeschnitten wurde, damit der Deckel aufgesetzt werden konnte (es sei denn, die Öffnung wurde bereits vorher beschädigt oder abgebrochen). Ein weiteres frühes chinesisches Stück in den Fürstlichen Sammlungen ist ein Übertopf, der in die Wanli-Zeit (1573–1620) datiert wird, mit einer Montierung aus vergoldeter Bronze (Abb. 4). Ursprünglich handelte es sich dabei um einen Gartenhocker (zuodon), wie er in chinesischen Gärten und Innenräumen zum Einsatz kam. In Europa war diese ursprüngliche Funktion nicht bekannt, weshalb das Objekt wohl in zwei Hälften geschnitten, in einen Übertopf (womöglich auch zwei Übertöpfe) verwandelt und mit einer Ormoulu-Montierung versehen wurde. Es ist nicht bekannt, wie und wann die Vase und der Übertopf in die Sammlung gelangten. Es besteht jedoch die Möglichkeit, dass Fürst Karl I. von Liechtenstein (1569–1627), 4 Eine Ausnahme stellt Schloss Twickel in der Provinz Overijssel dar. 5 Fitski 2011, S. 44, 46. 6 Ebd., S. 22 f. Abb. 3 Große Vase mit Lotusranken China, Longquan (Porzellan)/Ignaz Joseph Würth, Wien (Montierung), Ming-Dynastie, 16. Jahrhundert, Montierung: um 1775/1785 Feinsteinzeug, Seladon; Bronze, vergoldet LIECHTENSTEIN. The Princely Collections, Vaduz–Vienna Inv.-Nr. PO 1848

106 Diese beiden sitzenden Figuren (Abb. 1) sind im Japanischen als bijin bekannt, was so viel bedeutet wie »schöne Frauen«. Sie stellen Edelkurtisanen dar, die während der frühen Edo-Zeit (1603–1868) in den Vergnügungsvierteln von Edo (heute Tokyo) und Kyoto lebten und arbeiteten. Mit ihrem bemerkenswerten Aussehen waren sie im Bereich der Mode tonangebend. Die Kleidung dieser Porzellanfiguren zeigt die tatsächliche Kleidung, die im Japan dieser Zeit getragen wurde. Bücher aus der Zeit mit Entwürfen für Kimonos (hiinagata-bon) zeigen, welcher Stil in einer bestimmten Periode populär war, und einige der Muster, die für die Dekoration der Gewänder der bijin-Figuren zum Einsatz kamen, lassen sich auf diese Bücher zurückführen. Die hier gezeigten Figuren sind in identischem Stil gekleidet, wobei der äußere Kimono eine Dekoration aus Chrysanthemenblüten zwischen Wolken aufweist, der innere hingegen Kirschblüten auf rotem Grund zeigt. ZWEI JAPANISCHE SCHÖNHEITEN ELINE VAN DEN BERG Abb. 1 Sitzende bijin-Figuren Japan, Arita, Edo-Periode, 1670/1690 Porzellan, Aufglasurfarben LIECHTENSTEIN. The Princely Collections, Vaduz–Vienna Inv.-Nr. PO1842.1-2

107 Im Japan der Edo-Zeit erforderte es Jahre der Ausbildung, um eine Kurtisane der höchsten Klasse zu werden, und nicht jeder konnte Zugang zu diesen Frauen erlangen. Kunden mussten hohe Beträge bezahlen und zudem die Gunst dieser Frauen »gewinnen«. Ihre Schönheit und die kostspielige Kleidung waren eine der wichtigsten Quellen für ukiyo-e, in denen sie oftmals vor schmucklosem Hintergrund abgebildet waren (Abb. 2).1 Diese Drucke wurden von Menschen erworben, die das Vergnügungsviertel besucht hatten, und dienten wohl als eine Art Erinnerung. Mit großer Wahrscheinlichkeit bildeten ukiyo-e die Vorlage für die Porzellan-bijin; vermutlich waren auch die Figuren Erinnerungsstücke an wunderbare, mit einer Edelkurtisane verbrachte Abende. Interessanterweise erwähnt der älteste japanische Hinweis auf eine Porzellan-bijin von 1807, dass sich eine Figur in sitzender Haltung im Besitz des berühmten haiku-Dichters Konishi Raizan (1634–1716) befand. Er verfasste den kurzen Aufsatz Onna ningyō niko (Ein Bericht einer weiblichen Figurine), in dem er auf sein Exemplar verweist.2 Die Herstellung dieser und anderer Porzellanfiguren fand in Arita auf der Insel Kyūshū statt. Hier wurde irgendwann Anfang des 17. Jahrhunderts erstmals in Japan Porzellan entwickelt, mit Unterstützung koreanischer Töpfer, die aus Korea zwangsübersiedelt worden waren. Ende des 17. Jahrhunderts stand die Produktion in voller Blüte, und die hochwertigsten Produkte entstanden im Kakiemon-Brennofen. Aufgrund der Beliebtheit dieses Porzellans in strahlenden Glasurfarben – sowohl im Inland als auch in Europa – begannen auch andere Werkstätten mit der Herstellung von Stücken im Kakiemon-Stil. Es ist nicht ganz klar, ob die Kakiemon-Figuren der bijin in den tatsächlichen Kakiemon-Brennöfen oder in anderen Werkstätten entstanden. Es erscheint äußerst unwahrscheinlich, dass sich europäische Sammler bewusst waren, wen diese Figuren verkörperten; mit ihrem fremdartigen Aussehen und ihrer Kleidung müssen sie jedoch als Kuriositäten gegolten haben. Sie wurden wohl zusammen mit anderen Porzellanstücken entweder auf einem Sockel an der Wand, auf einem Konsoltisch oder aber auf einem anderen Möbelstück präsentiert, wie im Spiegelsaal von Schloss Weißenstein in Pommersfelden noch heute zu sehen ist. Die relativ beschränkte Anzahl, in der sie in Europa ankamen – vor allem im Vergleich zu anderen Objekten wie Vasen, Tellern und ähnlichem –, machte sie zudem sehr teuer im Erwerb. Figuren unterschiedlicher Ausprägung wurden bereits 1659 von den Niederländern aus Japan nach Europa verschifft.3 Diese in der Kakiemon-Palette gefertigten Figuren wurden hauptsächlich zwischen 1670 und 1700 exportiert. Es hat den Anschein, dass die Nachfrage nach diesen Objekten ab dem 18. Jahrhundert schwand, was unter anderem wohl eine Auswirkung der Entwicklung von Porzellan in Meißen, Wien und anderen europäischen Orten war. Diese Manufakturen konnten Figuren herstellen, die dem europäischen Geschmack eher entsprachen, wie romantische Pärchen oder chinoiserieartige Skulpturen. Abb. 2 Eine Kurtisane und ihre Dienerin Japan, 1661–1672 Tusche und Farbe auf Papier Amsterdam, Rijksmuseum (Leihgabe der Vereniging van Vrienden der Aziatische Kunst) Inv.-Nr. AK-MAK-1167

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