Über das Sichtbare hinaus JOCHEN HEIN & MIGUEL ROTHSCHILD
Herausgegeben und bearbeitet von Ulrike Wolff-Thomsen Museum Kunst der Westküste Sandstein Verlag
Über das Sichtbare hinaus JOCHEN HEIN & MIGUEL ROTHSCHILD
JOCHEN HEIN
MIGUEL ROTHSCHILD
Für die Förderung des Katalogs dankt das MdWK sehr herzlich: VOLKER KOCH SONJA UND HARTWIG MICHELS
Inhalt 11 Vorwort und Dank 12 Ü ber das Sichtbare hinaus Jochen Hein & Miguel Rothschild 29 Wald 49 Wolken 73 Himmel 99 Meer 121 Antarctica 132 Vita und Werkliste Jochen Hein 134 Vita und Werkliste Miguel Rotschild 136 Impressum
10 / 11 Vorwort und Dank Im Rahmen seines Artist-in-Residence-Programms lädt das Museum Kunst der Westküste (MKdW) bildende Künstlerinnen und Künstler – national wie international – ein und bietet ihnen die Möglichkeit, ein Atelierhaus in Alkersum für freie kreative Arbeit zu nutzen. Wichtig ist uns, dass die Kunstschaffenden an keine Auflagen gebunden sind. Die Aufenthalte können – je nach individueller Absprache – unterschiedlich lang sein und sich auch je nach Arbeitsstand wiederholen. Damit verfolgt das MKdW das Ziel, neue hochkarätige Kunst auf Föhr entstehen zu lassen. Dies gelingt seit 2009, seit Eröffnung des MKdW, unter Beteiligung von bisher 34 Künstlerinnen und Künstlern, mit großem Erfolg. Mit positivem Zuspruch vieler Kunstschaffender und Museumsgäste entwickelte das MKdW aus dem Programm heraus ein eigenes Ausstellungsformat unter dem Titel Made on Föhr. Dieses Label steht für eine Ausstellungsreihe, die neue und interessante Dialoge zwischen den hier entstandenen künstlerischen Positionen eröffnet und den Kunstschaffenden eine attraktive Bühne im MKdW bietet. So entstand auch das Ausstellungsprojekt Über das Sichtbare hinaus, das von diesem Katalog begleitet wird und für das zwei Künstler ausgewählt wurden, die sich mit ähnlichen Themen auseinandersetzen, sich aber sehr unterschiedlicher Instrumentarien bedienen und andere Zielsetzungen verfolgen. Für die Bereitschaft, uns großzügig Leihgaben für die Ausstellung zur Verfügung zu stellen, danken wir sehr herzlich dem Hamburger Maler Jochen Hein, seinen Privatsammlern und der Galerie Thomas Fuchs, Stuttgart, sowie dem argentinischen Fotografen und Installationskünstler Miguel Rothschild, seinen Privatsammlern und der Galerie Kuckei & Kuckei, Berlin, sowie der Galerie Bendana-Pinel Art Contemporain, Paris. Wir hoffen, dass die Ausstellung großen Zuspruch findet, und wünschen den beiden Künstlern allen erdenklichen Erfolg! Prof. Dr. Ulrike Wolff-Thomsen Direktorin Museum Kunst der Westküste
13 12 / Über das Sichtbare hinaus JOCHEN HEIN & MIGUEL ROTHSCHILD Der deutsche, in Hamburg lebende Maler Jochen Hein und der argentinische, in Berlin tätige Fotograf und Installationskünstler Miguel Rothschild sprechen in ihren Werken über Themen wie Wahrnehmung und Zeit beziehungsweise verhandeln das Verhältnis von Natur und Mensch. Die Natur wird zur bestimmenden Größe. Der Mensch jedoch wird nicht selbst Bildmotiv. Vielmehr vermag er, sich als Betrachter dem Dialog zu stellen. Die menschenleeren Szenerien übersteigen unsere etablierte Vorstellung von Raum und Zeit und eröffnen somit neue Perspektivräume – inhaltlich wie innerbildlich. Wald In seinem großformatigen Gemälde Gras (S. 31) knüpft Jochen Hein indirekt an ein Motiv an, dem Albrecht Dürer bereits 1503 autonome Bildwürde verliehen hat.1 Beide Künstler präsentieren einen vermeintlichen Wirklichkeitsausschnitt, der über die Bildgrenzen hinaus vorstellbar ist. Hein wählt jedoch eine abgesenkte Perspektive, fokussiert das Motiv stärker und zoomt es für den Betrachter ganz nah heran. Das Licht erreicht nicht alle Bereiche in derselben Intensität, sondern akzentuiert besonders die Randpartien. So gerät der Rezipient in ein Vexierspiel – aus gewisser Distanz beeindrucken die Detailgenauigkeit, die spannende Lichtreflexion auf den einzelnen Halmen und der Wechsel von Hell und Dunkel, doch aus unmittelbarer Nähe irritiert im ersten Moment, welche Abstraktionen in Erscheinung treten – im Widerspruch zur Wahrnehmung in der Lebensrealität. Einerseits entzaubert Hein die Illusion, andererseits entwirft er eine neue Bildwirklichkeit. »Diese Oberfläche neu zu schaffen, aufzuladen, die Rätsel einzuschreiben, die uns umgeben – das ist die Essenz meiner Arbeit.«2 1 Vgl. Albrecht Dürer: Das große Rasenstück, 1503, Aquarell und Deckfarben, mit Deckweiß gehöht, 40,8×31,5 cm, Wien, Albertina, Inv.-Nr. 3075. 2 Jochen Hein im Interview mit Peter Bies, 27. 2. 2012.
Heins Landschaften, oftmals menschenleere Waldlichtungen (S. 34, 42 und 45), spiegeln auf den ersten Blick romantische Idyllen – nicht die Urnatur, sondern Orte, die in unserer heutigen Umgebung zu finden sind. Hein gestaltet jedoch keine realen Abbilder, sondern erschafft seine eigenen Landschaftsräume mit großem malerischem Gestus: eigene »Sehnsuchtsorte«. Dem Maler gelingt es, diese Empfindung gleichsam zu materialisieren, sie sichtbar und glaubhaft zu machen. Der Betrachter fühlt sich an vermeintlich Vertrautes erinnert und verbindet seine eigene Geschichte mit dem Wahrgenommenen. Nicht ungewöhnlich, wenn man glaubt, an den Orten schon einmal gewesen zu sein. Heins Bildwelten rufen mithin Erinnerungen wach und schenken dem Betrachter eine Illusion. Dies ist der erste Blick. Je näher wir hingegen an den Malträger herantreten, umso mehr wird die Illusion entzaubert und zugleich neu entfacht. Die malerische Qualität und Präsenz sind so eindrucksvoll, dass sich der Blick kaum abwenden lässt. »Die Oberfläche ist für mich zentral, denn für mich sind alle Rätsel in die Oberfläche der Welt eingeschrieben. Alle Erwartungen werden davon erweckt und enttäuscht«, so beschreibt es Jochen Hein. Für ihn persönlich bleibt es aber ein ernüchternder, entmutigender Moment, zu erkennen, dass seine Beziehung zur Natur ohne Resonanz bleibt, banal gesprochen, dass den Bäumen menschliches Empfinden egal ist und sie einem anderen Zeitenlauf folgen. »Das Entsetzliche an der Natur ist denn auch nicht etwa ihre vielzitierte Grausamkeit, sondern vielmehr ihre totale Gleichgültigkeit.«3 Miguel Rothschild schreibt der Natur noch andere Eigenschaften zu. Seinen ersten FöhrAufenthalt 2020 – er nahm mit einer Rauminstallation an der Ausstellung Seestücke. Zwischen Fakten und Fiktion im MKdW teil 4 – nutzte er, um erste Landschaftsfotografien aufzunehmen. Im April 2023 kehrte der Künstler als Artist-in-Residence auf die Insel zurück und erkundete intensiv die nordfriesische Insel- und Halligwelt. Mit Kamera und Stativ war er auf Föhr, Amrum und Hallig Hooge unterwegs. Dass dabei fast durchgängig die Sonne schien, störte ihn fast schon ein wenig. »Zwei, drei Tage Sturm wären schön«, stellte der Künstler fest. Rothschild hat sich intensiv mit der Malerei der Romantik auseinandergesetzt, die der Natur, anders als in vorherigen Jahrhunderten, eine größere Bedeutung und Wirkmächtigkeit zusprach. Formuliert in seiner Publikation Philosophische Untersuchung über den Ursprung unserer Ideen vom Erhabenen und Schönen, hob der irisch-britische Schriftsteller und Staatsphilosoph Edmund Burke die empirisch-sensualistischen Qualitäten des sogenannten Erhabenen hervor: Das Erhabene (im englischen und romanischen Sprachgebrauch gleichlautend mit sublime, das Sublime) rufe Erschauern, aber zugleich »frohen Schrecken« hervor 5 und stehe für etwas Großes, mag es schroff, dunkel oder mächtig sein, und für etwas Geistig-Jenseitiges. Um dieser Empfindung nachzuspüren, galten Regionen, die als wild und ursprünglich wahrgenommen wurden und noch keine Spuren zivilisatorischer Eingriffe trugen, als besonders attraktiv. 3 Kat. Jochen Hein. Die zweite Natur, Hamburger Kunsthalle, Hamburg 2003. 4 Kat. Seestücke. Zwischen Fakten und Fiktion, Sea Pieces. Facts and Fiction, hg. von Ulrike Wolff-Thomsen/ Museum Kunst der Westküste und Christiane Stahl/ Alfred Ehrhardt-Stiftung, bearb. von Harald F. Theiss, Petersberg 2020. 5 Edmund Burke: Philosophische Untersuchung über den Ursprung unserer Ideen vom Erhabenen und Schönen, übersetzt von Friedrich Bassenge, Hamburg 1989.
14 / 15 Unter den Künstlern des frühen 19. Jahrhunderts gilt der norwegische, in Deutschland tätige Maler Johan Christian Dahl, der besonders der »wilden« Natur Bildwürde verliehen hat, als Favorit von Miguel Rothschild. Letzterer bedient sich selbstredend aktueller Instrumentarien, um seiner Naturempfindung adäquaten Ausdruck zu verleihen. Seine Landschaften sind durchaus erfüllt von Spiritualität, untermauert in Titeln wie The Valley of Souls (S. 37) und Geist 20.10. 2018 (S. 39). In den beiden 2019 beziehungsweise 2020 entstandenen großformatigen Arbeiten gewinnt der Betrachter eine Aufsicht auf dunkle, dichte Wälder, aus denen Rauch aufsteigt. Vielleicht ist ein Feuer ausgebrochen – Flammen selbst sind nicht zu sehen. Der Qualm scheint sich direkt vom Boden des unwirklichen, schwer zugänglichen Geländes zu entwickeln – wenn überhaupt, könnte das Feuer nur aus der Luft gelöscht werden. Dies ist der Eindruck, der sich dem Betrachter aus der Distanz vermittelt. Doch tritt jener näher an die Bildoberfläche heran, scheinen die Fotografien selbst Opfer des Feuers geworden zu sein: Reale Spuren von Verbrennungen, ausgeführt mittels eines Lötkolbens, werden sichtbar. Es haben sich unterschiedlich große und unregelmäßige Brandlöcher in die Oberfläche gebohrt, sie erobern den Tiefenraum und lassen den darunterliegenden Bildträger, der ebenfalls Brandspuren trägt, sichtbar werden. Mit dem gewaltsamen Eingriff, mit der partiellen Zerstörung der Bildoberfläche, verweigert Rothschild uns den Blick auf das vormals Vollendete. Illusion und Wirklichkeit greifen ineinander, eine Imagination, die durch Verschattungen noch verstärkt wird, die je nach Umgebungslicht variiert. Rauch ist flüchtig, immateriell wie Geister oder Waldgespenster, die unerwartet auftauchen und sich wieder verflüchtigen, denen jedoch – wie Rothschild überzeugt ist – eine Seele inhärent ist. Es bleibt spekulativ, ob es gute Geister oder Dämonen sind. Ja, ob es überhaupt solche Wesen sind, die hier in Erscheinung treten. Sie verraten sich nicht, es bleibt trügerisch – die Varianz der Möglichkeiten, die sich unter dem Begriff des Erhabenen entfaltet, ist groß. Die Referenz auf romantische Dichtung, in der durch Wälder geisternde Wesen eine bedeutende Rolle spielen, ist virulent. So gehen Hein und Rothschild auf ganz unterschiedliche Weise mit Bildoberflächen um, schenken dem Betrachter Illusionen und ent- und verzaubern jene zugleich.6 Wolken Ein anderer Themenbereich knüpft ebenfalls an Bildkonzepte an, die Anfang des 19. Jahrhunderts erstmalig formuliert wurden. Der Blick richtete sich nach oben, zum Himmel, auf Wolkengebilde, denen fortan autonome Bildwürde zugesprochen wurde. Wolken führen uns unsere eigene Nichtigkeit vor Augen. Menschen und Wolken sind ihrer Natur nach verwandt: flüchtig, dahineilend, unbeständig, sich verändernd, dann wieder verschwinden sie, nur die zeitlichen Dimensionen sind andere. 6 Weiterführende Literatur zu Rothschild, siehe Kat. Miguel Rothschild, bearb. von María Cecilia Barbetta/Beatrice von Bismarck, Ostfildern 2015; Kat. Le Spectre. Miguel Rothschild, bearb. von Béatrice Andrieux u.a., Paris 2019; weiterführende Literatur zu Jochen Hein, siehe Kat. Jochen Hein. Die Natur des Menschen. Human Nature, hg. von Markus Bertsch/Beatrix Obernosterer/Christiane Ladleif, Ostfildern 2013.
17 16 / Es ist weniger Caspar David Friedrich, von dem drei kleine Wolkenstudien überliefert sind, als vielmehr sein Künstlerfreund und Nachbar Johan Christian Dahl – Friedrich wohnte in der dritten Etage des Hauses An der Elbe 33 in Dresden, Dahl in den beiden Geschossen darüber –, der sich immer wieder der neuen Wirklichkeitsaneignung stellte und das sich so schnell Verflüchtigende, die Wolken, in zahlreichen Ölstudien eingefangen hat. Während Dahl das neue Medium der schnell trocknenden Ölstudie im Freien oder mit Blick aus seinem Atelierfenster nutzte, beschreitet Jochen Hein einen anderen Weg. Er löst sich vom realen Vorbild und schafft doch ein Abbild. Er hat die Bilder im Kopf – es ist seine Natursicht, die darin gespiegelt wird und die der Betrachter als »wahr« ansieht. Die Schönheit der Wolkenformationen (S. 51) wird auch deshalb als so stark empfunden, weil die Wolken trotz ihrer Flüchtigkeit als vollkommen zeitlos erscheinen. Sie erschaffen sich selbst in der realen Welt, in den Gemälden ist Jochen Hein ihr Schöpfer. In der sechsteiligen Serie Himmel (S. 59–61), in der ein schmaler unterer Bildstreifen dem ruhig daliegenden Meer vorbehalten ist, fegen unterschiedliche Wolkenschichten über den hohen Himmel. Es sind Cirrus- oder Zirrostratus-Wolken, die sich wie sanfte Schleier in der Atmosphäre entwickeln und – in diesen Beispielen – am eher abendlichen, nicht sommerlichen Himmel auftreten. Dunkel und dräuend wirkt auch die in der Studie Himmel (S. 66) am Nachthimmel erscheinende Schleierbewölkung. Es ist ein kurzer Moment, der sich im Nu verflüchtigen wird, ein Moment eingefrorener Zeit. Dunkelgrauem Sturmgewölk wird auch in Miguel Rothschilds zweiteiliger Arbeit Obsesión de una tristeza (S. 63) Bildwürde verliehen. Der Fotografie mit dem Motiv aufziehender dunkler Wolken liegt ein Spezialglas mit Einschlüssen auf, die je nach Beleuchtungslicht optisch wie stärker oder schwächer fallende Regentropfen hervortreten. So scheint die Atmosphäre mit dem Niederschlag vieler Wassertropfen erfüllt zu sein. Die beiden Bildelemente – Fotografie und Glasfläche – gehen eine kongeniale Verbindung ein, um eine unverwechselbare Wetterlage zu visualisieren. In einer weiteren Serie (S. 52, 57, 69 und 71) ruft Rothschild beim Rezipienten unbestimmte Ahnungen von Untergangsszenarien wach. Unheil scheint zu drohen. Es sind in der Regel keine Schönwetterwolken, die Rothschilds Aufmerksamkeit wecken, sondern Nimbostratus-Wolken, Regenwolken, die sich über den dunklen Himmel ohne feste Kontur ausbreiten oder sich überlagern. Der Himmel ist »sein« Himmel, den der Künstler von seiner Berliner Atelierterrasse aus aufgenommen hat. Er fühlte sich veranlasst, ihn in eine, wie Helen Adkins es ausdrückt, »Apotheose des alltäglichen Himmels«7 zu überführen. Noch eben sah der Himmel so schön, so hoffnungsvoll aus; nun scheint es, als kündigten sich dunkle Mächte an, die außerhalb der Einflusssphäre des Menschen agieren, aber auf ihn einwirken. Durch Rothschilds ausgefeilte Technik, dem Bildträger Verbrennungen zuzufügen und dadurch die Oberfläche zu perforieren, wird Darunterliegendes sichtbar und Teil der Gesamtwirkung. Der Betrachter wird verunsichert, ist irritiert. Die Perforationen bilden kein einheitliches Muster aus. Mal ballen sich die Löcher zusammen, mal stehen sie in 7 Kat. Premonition. Miguel Rothschild, bearb. von Helen Adkins, Bielefeld 2022, S.126.
18 / 19 kleinen Gruppen oder vereinzelt. Sie scheinen ein Eigenleben entwickelt zu haben, wild und drängend wie Feuer selbst. Es bedarf nicht mehr des Titels der Serie, Apokalypse, um das, was sich dort vollzieht, zu erahnen: das prophetisch-visionär angekündigte katastrophale »Ende der Geschichte«. Mit großer Ironie rekurriert Rothschild in seinem Künstlerselbstbild 8 auch auf seinen Namen Miguel (dt. Michael), den Namen des Erzengels, der im Judentum als Fürst der Synagoge, im Christentum als Fürst der Kirche und aller Engel gilt. Dieser verbannt Satan/Luzifer aus dem Himmel, waltet als Richter beim Jüngsten Gericht und lässt die guten Seelen ins Paradies einziehen. Es offenbart sich die Ambivalenz der Schöpfung: Bei Erschaffung der Welt wird die Finsternis vom Licht getrennt, der Himmel von der Erde. Diese Urbilder scheinen sich in manchen seiner Bilder (S. 57) zu spiegeln. Rothschild gehört – wie er selbst schmunzelnd preisgibt – einem leider finanziell verdorrten Zweig der großen jüdischen Familie Rothschild an, die bis heute vornehmlich als bedeutende Bankiers wirken. Die engste Familie ist auf schmerzvolle Weise mit der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts verbunden. Seine Großeltern väterlicherseits emigrierten mit ihrem damals zweijährigen Sohn Rudolf, Miguels Vater, 1933 aus Deutschland zunächst in Richtung Barcelona, dann in Folge des spanischen Bürgerkriegs 1936/37 nach Argentinien; die Familie mütterlicherseits floh mit ihrer damals auch erst zweijährigen Tochter, Miguels Mutter Sigrid Mayer, 1934 direkt nach Argentinien. Die beiden heirateten dort 1956. Himmel Jochen Hein war im MKdW schon mehrfach mit Arbeiten präsent, 2016 in gleich zwei Ausstellungen: zum einen in seiner Soloshow Jochen Hein. Über die Tiefe,9 zum anderen in der vom Künstler mitkuratierten Ausstellung Jenseits der Zeit, in der seine Werke in Korrespondenz mit Gemälden von Landschaftsmalern des 19. und frühen 20. Jahrhunderts aus dem Bestand der Sammlung Kunst der Westküste traten. Begleitend arbeitete Hein auch als Artist-in-Residence auf Föhr. Heins Werke sind geprägt von einer intensiven Auseinandersetzung mit der Natur, insbesondere mit Meer, Bäumen und Himmel, aber seit 2021 auch mit arktischen Landschaften. Offensichtlich realistisch arbeitend, nähert er sich bei genauerem Hinsehen auch der Grenze zur Abstraktion an. Seine Bilder entwickeln eine besondere Spannung zwischen Nah- und Fernbetrachtung. Vermeintlich vertraute Sujets lösen sich beim Nähertreten in abstrakte, präzise angelegte Strukturen auf. Dabei verwendet der Künstler keineswegs traditionelle Maltechniken, sondern eine ganz eigene Methodik, Farbe und Bildträger zu behandeln. Auf diese Weise verleiht er seinen Bildern 8 Vgl. Miguel Rothschild: KillerTränen, Videoclip, 1999. 9 Kat. Jochen Hein. Über die Tiefe, hg. von Ulrike Wolff-Thomsen/Nicole Nix-Hauck, Heide 2016.
30 / 31 Jochen Hein / Gras / 2024 / 100×140 cm
38 / 39 Miguel Rothschild / Geist 20. 10. 2018 / 2019 / 117,6 ×170,6 cm
44 / 45 Jochen Hein / Dämmerung / 2022 / 50×100 cm
50 / 51 Jochen Hein / Hoher Himmel / 2023 / 100×140 cm
52 / 53 Miguel Rothschild / Apocalypse IX / 2020 / 86×120 cm
84 / 85 Miguel Rothschild / Reflexionen II (Föhr) / 2022 / 43×63 cm
108 / 109 Jochen Hein / Brandung / 2024 / 100×140 cm
118 / 119
Miguel Rothschild / Waterfall / 2017 / 200×130 cm
128 / 129 Jochen Hein / Antarctica / 2020 / 130×130 cm Antarctica / 2024 / 220×520 cm >
Jochen Hein Jochen Hein (*1960 in Husum) ist ein deutscher Maler, der vor allem für seine kraftvollen und zugleich meditativen Landschaftsgemälde bekannt ist. Hein studierte ab 1983 an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg. Er lebt und arbeitet in Hamburg und stellt international aus. Seine Werke sind in zahlreichen privaten und öffentlichen Sammlungen vertreten, darunter die Hamburger Kunsthalle, die Sammlung Leibinger-Kammüller in Stuttgart, die Volksbank Aschaffenburg und das Museum Kunst der Westküste. Er hat im Laufe seiner Karriere an bedeutenden Ausstellungen teilgenommen. Zu den wichtigsten zählen zum Beispiel die erfolgreiche Ausstellung Caspar David Friedrich. Kunst für eine neue Zeit 2024 in der Hamburger Kunsthalle, Über die Tiefe im MKdW 2016 sowie Gruppen- und Einzelausstellungen im Museum Bensheim, im Kunstverein Münsterland und der Städtischen Galerie Neunkirchen. Seine Werke waren zudem auf internationalen Kunstmessen zu sehen. 2016 war Jochen Hein als Artist-in-Residence auf Föhr zu Gast.
132 / 133 Werkliste Gras, 2024 Acryl auf Baumwolle 100×140 cm Courtesy Jochen Hein > Abb. S. 31, Detail S. 32/33 Aue, 2023 Acryl auf Baumwolle 100×140 cm Privatsammlung > Abb. S. 34 Schlosspark, 2024 Acryl auf Baumwolle 100 × 200 cm Courtesy Jochen Hein > Abb. S. 42, Detail S. 13 Dämmerung, 2022 Acryl auf Baumwolle 50×100 cm Courtesy Jochen Hein > Abb. S. 45, Detail S. 46/47 Hoher Himmel, 2023 Acryl auf Baumwolle 100×140 cm Courtesy Jochen Hein > Abb. S. 51 Himmel, 2018 Acryl auf Holz, 6-teilig Jeweils 40×40 cm Courtesy Jochen Hein > Abb. S. 59–61 Himmel, 2020 Acryl auf Holz 30 × 40 cm Privatsammlung > Abb. S. 66, Detail S. 18 Letztes Licht, 2018 Acryl auf Holz, 20-teilig Jeweils 25×30 cm Courtesy Jochen Hein > Abb. S. 75–81 Expecting Rain, 2024 Acryl auf Baumwolle 100×140 cm Courtesy Jochen Hein > Abb. S. 91, Detail S. 10 Gischt, 2024 Acryl auf Leinwand 130×130 cm Courtesy Jochen Hein > Abb. S. 101, Detail S. 4/5 Brandung, 2024 Acryl auf Baumwolle 100×140 cm Courtesy Jochen Hein > Abb. S.108, Detail S. 110/111 Brandung, 2023 Acryl auf Baumwolle 100×140 cm Courtesy Jochen Hein > Abb. S. 113, Detail S. 23 Brandung, 2023 Acryl auf Baumwolle 100×140 cm Courtesy Jochen Hein > Abb. S.115 Antarctica, 2021 Acryl auf Baumwolle 200 × 300 cm Privatbesitz > Abb. S.123 Antarctica, 2020 Acryl auf Baumwolle 130×130 cm Courtesy Jochen Hein > Abb. S. 124, Detail S. 126/127 Antarctica, 2020 Acryl auf Baumwolle 130×130 cm Courtesy Jochen Hein > Abb. S. 128, Detail S. 26 Antarctica, 2024 Acryl auf Baumwolle 220 × 520 cm Courtesy Jochen Hein > Abb. S. 130/131
135 134 / Miguel Rothschild Miguel Rothschild (*1963 in Buenos Aires) ist ein argentinisch-deutscher Künstler, der für seine multidisziplinären Werke bekannt ist. Nach dem Studium an der Escuela Nacional de Bellas Artes in Buenos Aires und der Hochschule der Künste in Berlin etablierte sich Rothschild in der europäischen Kunstszene. Vielfach wurde er als Artist-in-Residence eingeladen, so war er unter anderem zu Gast in der Villa Aurora, Los Angeles, sowie 2023 im MKdW. Er lebt und arbeitet in Berlin, seine Kunst wird weltweit ausgestellt. So waren seine Arbeiten in Einzel- und Gruppenausstellungen unter anderem im Kunstmuseum Wolfsburg, im PAC Padiglione d’Arte Contemporanea, Mailand, in der Fundación Proa, Buenos Aires, im Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigshafen, und im Beijing Times Art Museum sowie auf internationalen Kunstmessen zu sehen. Im Laufe seiner Karriere erhielt Miguel Rothschild zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Karl-Hofer-Preis, und wurde mit verschiedenen Stipendien gefördert. Seine Werke sind in öffentlichen und privaten Sammlungen weltweit vertreten, unter anderem in der Berlinischen Galerie, im Malba – Museo de Arte Latinoamericano und im MAMBA – Museo de Arte Moderno in Buenos Aires, in der Fundación Juan March in Madrid, im Jüdischen Museum Berlin, in der Kunststiftung DZ Bank in Frankfurt und in der Hermès Art Collection in Paris.
134 / 135 Werkliste The Valley of Souls, 2019 –2020 Fine-Art-Print auf Hahnemühle Papier, verbrannt 100×140 cm Courtesy Kuckei+Kuckei, Berlin, und Miguel Rothschild > Abb. S. 37 Geist 20.10.2018, 2019 Fine-Art-Print auf Hahnemühle Papier, verbrannt 117,6 ×170,6 cm Sammlung SVPL > Abb. S. 39, Detail S. 40/41 Apocalypse IX, 2020 Fine-Art-Print auf Hahnemühle Papier, verbrannt 86×120 cm Courtesy Bendana-Pinel/ Art Contemporain, Paris, und Miguel Rothschild > Abb. S. 52, Detail S. 54/55 Apocalypse X, 2020 Fine-Art-Print auf Hahnemühle Papier, verbrannt 100×100 cm Courtesy Bendana-Pinel/ Art Contemporain, Paris, und Miguel Rothschild > Abb. S. 57, Detail S. 17 Obsesión de una tristeza, 2017 C-Print, Spezialglas, 2-teilig Jeweils 61× 61 cm Courtesy Kuckei+Kuckei, Berlin, und Miguel Rothschild > Abb. S. 63, Detail S. 64/65 Apocalypse XVI, 2021 Fine-Art-Print auf Hahnemühle-Papier, verbrannt 110×160 cm Courtesy Kuckei+Kuckei, Berlin, und Miguel Rothschild > Abb. S. 69 Apocalypse II, 2020 Fine-Art-Print auf Hahnemühle-Papier, verbrannt 90×120 cm Courtesy Miguel Rothschild > Abb. S. 71, Detail S. 6/7 Tempestad (Föhr), 2022 C-Print gerahmt mit Spezialglas 77 × 78,5 cm Courtesy Miguel Rothschild > Abb. S. 83 Reflexionen II (Föhr), 2022 C-Print gerahmt mit zwei verschiedenen Glassorten 43 × 63 cm Sammlung SVPL > Abb. S. 85, Detail S. 86/87 Sturm auf Föhr, 2024 C-Print auf Aludibond, Nylonfäden 77×115 cm Courtesy Miguel Rothschild > Abb. S. 88 Föhr 2, 2020 C-Print, mundgeblasenes Glas 60 × 86 cm Courtesy Miguel Rothschild > Abb. S. 92, Detail S. 94/95 Der Sturm, 2022 C-Print, Konfetti 31 × 46 cm Courtesy Bendana-Pinel/ Art Contemporain, Paris, und Miguel Rothschild > Abb. S. 97 Ohne Titel, nach William Turner, 2016 Textildruck, Nylonfäden 230 × 80 cm (Höhe variabel) Courtesy Bendana-Pinel/ Art Contemporain, Paris, und Miguel Rothschild > Abb. S.102, Detail S. 103 Mar de ausencias, 2017 C-Print auf Aludibond, Sicherheitsglas 95×142 cm Courtesy Kuckei+Kuckei, Berlin, und Miguel Rothschild > Abb. S.105, Detail S. 106/107 Destellos Nocturnos (Hallig Hooge), 2023 Fine-Art-Print auf Canson-Papier, Strasssteine 92×137 cm Courtesy Bendana-Pinel/ Art Contemporain, Paris, und Miguel Rothschild > Abb. S.116 Waterfall, 2017 Diasec, Nylonfäden 200×130 cm Courtesy Bendana-Pinel/ Art Contemporain, Paris, und Miguel Rothschild > Abb. S.119, Detail S.118
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