Leseprobe

208 waren – und sind auch heute noch – Frauen und Angehörige als niedrig betrachteter oder ausgestoßener Gesellschaftsgruppen, wie Ādivāsīs und Dalits (Abb. 4). Da sich die Arbeiter*innen oft in familiären Gruppen bewegten und anwerben ließen, war auch Kinderarbeit verbreitet. Es gab zwar Festangestellte, aber viele wurden nur als Gelegenheits- oder Saisonarbeiter*innen beschäftigt.16 Diejenigen, die versuchten zu desertieren, wurden körperlich bestraft. Die Teepflücker*innen wurden in einem Milieu von rassistischen Vorurteilen und praktisch unbegrenzter Macht der Pflanzer unterdrückt.17 TEEKONSUM IN DER BRITISCHEN GESELLSCHAFT Während der viktorianischen Zeit wussten wahrscheinlich nur wenige Engländer*innen zu Hause von diesem zwanghaften Arbeitsregime, das von den britischen Unternehmen in Indien durchgesetzt wurde. Nichtsdestotrotz verband Tee aus dem fernen Indien, der im 18. Jahrhundert von weiten Teilen der britischen Gesellschaft genossen wurde, Heimat und Empire. Im Laufe eines Jahrhunderts hatte sich der Konsum von Tee in England von einem anfangs exotischen Luxusgut, das nur wenigen erschwinglich war und in Tee- oder Kaffeehäusern konsumiert wurde, zu einem alltäglichen Getränk gewandelt, welches auch von einfachen Leuten zu Hause zu sich genommen wurde. Im 19. Jahrhundert wurde Tee zum »Nationalgetränk« der Engländer*innen und einem Symbol der Häuslichkeit und nationalen Identität, das nicht nur englisch, sondern auch imperial war.18 Obwohl ab dem 18. Jahrhundert auch gewöhnliche Menschen zu Hause Tee konsumierten, verlor das Heißgetränk nie ganz seine exotische und leicht luxuriöse Konnotation. Teewerbung betonte die doppelte Stellung des Tees: als Luxus und gleichzeitig als tägliches Bedürfnis.19 Um seinen Reichtum und Modesinn zu zeigen, in dem man Außergewöhnliches in das gewöhnliche Leben integrierte, wurden glamouröse Teeservices hergestellt. Einige waren aus feinem Porzellan gefertigt und mit fernöstlichen Szenen verziert (Abb. 5). Es wurden auch teure versilberte Teekannen, Siebe, Zuckerdosen und Milchkännchen hergestellt. Chinesischen Tee trank man traditionell mit Zitrone, indischen mit Mich. Öffentliche Debatten drehten sich auch um die Reinheit des Tees, und in diesem Zusammenhang spielte die Verpackung eine wichtige Rolle. Obwohl es sich um eine exotische Ware handelte, die aus dem fernen Indien stammte, betonte die Verpackung die »britishness« und Reinheit des Produkts. Zu Hause wurden aufwendig gestaltete Teedosen, häufig mit integriertem Messlöffel, verwendet, um das Produkt frisch zu halten (Abb. 6). Zusätzlich wurden Teekannenwärmer aus Stoff hergestellt, um die Kannen länger warm zu halten. In den 1920er Jahren wuchs der Widerstand der indischen Teearbeiter*innen gegen das Schuldverschreibungssystem und führte schließlich zu seiner offiziellen Abschaffung, jedoch erst im Jahr 1926.20 Zwischen 1937 und 1940 entstanden Gewerkschaften auf verschiedenen Teeplantagen. Trotzdem setzten sich in vielen Fällen Machtstrukturen, die durch Zwang, physische Gewalt und außergesetzliche Methoden der Arbeitskontrolle durch die Plantagenbesitzer gekennzeichnet waren, fort.21 Heute dominieren multinationale Konzerne den Markt mit geringen Erträgen für die Teepflücker*innen.22 Gleichwohl ist die Teeindustrie auch heute noch eine der größten Arbeitgeber*innen in Indien. Heutzutage wird eine weitere starke Abhängigkeit in Bezug auf Tee deutlich: die Abhängigkeit von einem sich wandelnden Klima. Im Zusammenhang mit der globalen Erderwärmung sind die Regionen Südasiens, die für den Teeanbau auf regelmäßige und kontinuierliche Regenfälle angewiesen sind, so trocken geworden, dass Plantagen künstlich bewässert werden müssen. Dies führt zu höheren Preisen auf dem Weltmarkt, niedrigeren Löhnen für die lokalen Arbeiter*innen und der Schließung einiger Teegärten. Trotz alledem ist Indien nach China auch heute noch der zweitgrößte Teeexporteur der Welt. 1 Für weiterführende Literatur auf Deutsch zum Thema dieses Beitrags s. Krieger 2009; Vries 2009. 2 Pickersgill 2017, 395. 3 Varma 2017, 17. 4 Fromer 2008, 531, 535–537; Pickersgill 2017, 399–400; Varma 2017, 15. 5 Varma 2017, 17. 6 Fromer 2008, 532. 7 Fromer 2008, 532, 534, 537. 8 Behal 2006, 145. 9 Varma 2017, 15, 19, 21. 10 Behal 2006, 143–144, 156. 11 Behal 2006, 156; Varma 2017, 39–42. 12 Varma 2017, 25–26. 13 Behal 2006, 145, 156, 159. 14 Behal 2006, 156–158. 15 Behal 2006, 156. 16 Gothoskar 2012, 33–34; Varma 2017, 16. 17 Behal 2006, 158–159. 18 Fromer 2008, 531–532. 19 Fromer 2008, 537–540. 20 Behal 2006, 169. 21 Behal 2006, 145, 150, 153. 22 Gothoskar 2012, 33, 36. Literatur: Behal 2006 R. P. Behal, Power Structure, Discipline, and Labour in Assam Tea Plantations under Colonial Rule, International Review of Social History, Suppl. 14: Coolies, Capital, and Colonialism: Studies in Indian Labour History (2006): 143–172. Fromer 2008 J. E. Fromer, »Deeply Indebted to the Tea-Plant«: Representations of English National Identity in Victorian Histories of Tea, Victorian Literature and Culture 36 (2008): 531–547. Gothoskar 2012 S. Gothoskar, This Chāy is Bitter: Exploitative Relations in the Tea Industry, Economic and Political Weekly 47, 50 (2012): 33–40. Krieger 2009 M. Krieger, Tee: Eine Kulturgeschichte (Köln 2009). Pickersgill 2017 B. Pickersgill, The British East India Company, John Bradby Blake and their Interest in Spices, Cotton and Tea, Curtis’s Botanical Magazine 34, 4 (2017): 379–401. Varma 2017 N. Varma, Tea in the Colony, in: N. Varma, Coolies of Capitalism: Assam Tea and the Making of Coolie Labour, Work in Global and Historical Perspective 2 (Oldenburg 2017): 15–42. Vries 2009 P. Vries, Zur politischen Ökonomie des Tees: Was uns Tee über die englische und chinesische Wirtschaft der Frühen Neuzeit sagen kann, Stabwechsel: Antrittsvorlesungen aus der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien 1 (Wien 2009).

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