Leseprobe

207 Tee als Alltagsgetränk stammt ursprünglich aus China und wurde bis ins 18. Jahrhundert nur im Fernen Osten weitflächig angebaut. Während des 17. Jahrhunderts wurde Tee jedoch auch in Europa beliebt, zuerst in Portugal und Großbritannien und ab 1700 auch in Holland und Deutschland. Im Zusammenhang mit dem Genussmittel Tee wird eine Reihe von starken asymmetrischen Abhängigkeiten deutlich.1 Zuerst wurde in Europa nur grüner Tee getrunken, aber ab dem 18. Jahrhundert auch schwarzer. Beide Teesorten stammen von derselben Pflanze, werden aber unterschiedlich aufbereitet. Um mit den portugiesischen und niederländischen Handelsunternehmen konkurrieren zu können, war 1600 die britische Ostindien-Kompanie gegründet worden. Tee wurde erstmals 1657 in London als Luxusgut zum Verkauf angeboten. Anfangs akzeptierten die chinesischen Teehändler nur Silber als Bezahlung, was die Finanzen der europäischen Händler sehr belastete. 1660 war Tee zehnmal so teuer wie Kaffee.2 Die steigende Beliebtheit von Tee in England führte zu einem erhöhten Konsum und einem dramatischen Anstieg der Teeimporte aus China (Abb. 1). Die Nachfrage nach immer größeren Mengen an chinesischem Tee stellte in Kürze eine Herausforderung für die Händler der Ostindien-Kompanie dar. Dies bewegte die Briten, selbst zu versuchen, Tee zu kultivieren, um sich von China unabhängig zu machen.3 Im Rahmen erster Experimente schickte man die Samen verschiedener Teearten zunächst nach Kew Gardens in England. Danach wurde Saatgut auch in ausgewählte britische Kolonien mit geeigneten Bodenverhältnissen und Klimazonen (z. B. Amerika, Westindische Inseln) geschickt. Da die Seereisen jedoch zu lang waren, keimten die Samen nicht. Daher wurden Setzlinge gezogen und kleine Pflanzen zurück nach Großbritannien verfrachtet. Die chinesische Teesorte (var. sinensis), die relativ kleine Blätter hat, ließ sich jedoch nur schwer in anderen Ländern kultivieren. Glücklicherweise wurden 1823 im Himalaya wilde einheimische Teesträucher (var. assamica) entdeckt.4 Das indische Vorgebirge mit den Bundesstaaten Assam und Darjeeling sowie Ceylon (Sri Lanka) boten besonders ideale Voraussetzungen für den großflächigen Teeanbau. Lange Monsunperioden von vier bis fünf Monaten mit leichtem, aber anhaltendem Regen bei milden Temperaturen sorgten dort für ein perfektes gemäßigtes Klima für den Teeanbau.5 Die ersten weitläufigen Plantagen wurden 1830 im Assam-Tal angelegt. Als sich in Großbritannien eine sogenannte Teemanie entwickelte, stieg ab 1860 die Verbreitung der Teegärten exponentiell. Der Wunsch nach einer ständig verfügbaren, preisgünstigen, unverfälschten und selbst kontrollierten Teequelle führte zu einer Erweiterung des britischen Kolonialreichs. Das Ziel war es, das Areal zu vergrößern, auf dem Tee innerhalb der britisch kontrollierten Gebiete angebaut und aufbereitet werden konnte. Infolgedessen überstiegen in den 1880er Jahren zum ersten Mal die Teeimporte aus Indien die Menge des aus China eingekauften Tees.6 Ab 1830 trug Tee klar zum Ausbau des kolonialen britischen Empires bei.7 Mehr Land wurde annektiert und britischen Pflanzern wurden Landzuschüsse zu extrem niedrigen Preisen gewährt.8 Immer mehr Wälder mussten gerodet werden, um Platz für neue Plantagen zu schaffen, und die Fertigkeit der Verarbeitung von Teeblättern musste zunächst von qualifizierten chinesischen Teebauern erlernt werden (Abb. 2).9 Die Teeindustrie wuchs im letzten Viertel des 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ungemein, was zu einem Anstieg in der Anzahl der Teepflücker*innen und einer unglaublichen Vergrößerung der Anbaufläche führte. Am Ende der Kolonialherrschaft im Jahr 1947 wurden 89 Prozent des gesamten Assam-Tals direkt von britischen Teeagenten in Kalkutta kontrolliert.10 DIE MACHTSTRUKTUR AUF DEN TEEPLANTAGEN Die Teeindustrie wurde während der Kolonialherrschaft zu einer wichtigen Arbeitgeberin. Da die Teeblätter an Hängen von Hand gepflückt werden müssen, stellten die Teepflücker*innen eine essenzielle Notwendigkeit dar. Die Teeblätter wurden in geflochtenen Kiepen gesammelt, die mit einem Stirnband auf dem Rücken getragen wurden (Abb. 3). Meist herrschte ein chronischer Arbeitskräftemangel in den Teeplantagen. Chinesische Arbeiter, die anfangs eingesetzt wurden, waren teuer und die umliegenden Bergtäler nur dünn besiedelt. Daher wurden Pflücker*innen aus der bäuerlichen Gemeinschaft im größeren Umraum angeworben, aber zunehmend auch aus dem benachbarten Bengalen.11 Die eingeführten Arbeiter*innen, die vor Ort kein Land besaßen und keine eigenen landwirtschaftlichen Verpflichtungen hatten, galten als zuverlässiger und konnten von den Briten leichter kontrolliert werden.12 Die Teeproduktion war exportorientiert, und ein zunehmend wettbewerbsintensiver Weltmarkt mit stark schwankenden Teepreisen schaffte ein sehr kompetitives Umfeld. Um die Arbeiterschaft zu kontrollieren und die Bildung von Arbeitsorganisationen, Protesten oder Streiks zu verhindern, errichteten die Briten eine enge hierarchische Machtstruktur. Innerhalb dieser wurden die Teepflücker*innen (kulis) in den streng bewachten Plantagenkomplexen (kuli lines) bewegungsunfähig gemacht und am Kontakt mit der Außenwelt gehindert. Dies ermöglichte es den größtenteils britischen Plantagenbesitzern, die Arbeiter*innen in einer strikten Abhängigkeit zu verankern und diese für mehr als ein Jahrhundert aufrechtzuerhalten.13 Die Löhne, die den Teepflücker*innen gezahlt wurden, waren völlig unzureichend. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen waren hart und unmenschlich, die Sterblichkeit hoch und Fluchtversuche der abhängigen Teepflücker*innen sehr verbreitet.14 Mit dem Bedarf an Arbeitskräften und der Notwendigkeit einer längerfristigen Kontrolle wurde auch Zwang ausgeübt. Mit dem europäischen Tee-Boom von 1860 wurde in Indien ein Schuldverschreibungssystem eingeführt. Dieses verpflichtete die Arbeiter*innen durch Verträge, über einen bestimmten Zeitraum für die Teegärten zu arbeiten.15 Die vertraglich gebundenen Arbeitskräfte, die oft aus armen und prekären Verhältnissen stammten, wurden wirtschaftlich ausgebeutet und fast wie Sklaven behandelt. Die meisten von ihnen Julia A. B. Hegewald

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