105 Patrick Zeidler Region erst nach der arabischen Eroberung Ägyptens im 7. Jahrhundert n. u. Z. in größerem Umfang eingeführt und löste von da an Leinen als Hauptfaser zunehmend ab. An diesem Beispiel zeigt sich, dass die Verwendung unterschiedlicher Ressourcen stets auch von der jeweiligen kulturellen Prägung und den aktuell herrschenden politischen Machtverhältnissen abhängig war. In der Anden-Region wurde nach der spanischen Eroberung Seide als neue Faser eingeführt – eine Ressource, die erst durch die Veränderung der globalen Machtverhältnisse und die Kolonialisierung der Neuen Welt verfügbar wurde. Das chinesische Reich konnte aufgrund seiner Seidenproduktion bereits in der Antike seinen Einfluss auf den gesamten eurasischen Kontinent, einschließlich Japan und bestimmter Regionen an der Nordwestküste Afrikas, ausdehnen, indem es die Seidenstraße als Handelsweg und Wirtschaftsmotor etablierte.3 Heute nutzt die Weltmacht China die Symbolkraft der Seide als Namensgeberin für die »Seidenstraße 2.0«, eine programmatische und mit erheblichen finanziellen Investitionen verbundene Initiative, mit der Chinas Einfluss auf den Weltmarkt langfristig gestärkt werden soll. Textilien dienen nicht nur im alltäglichen Gebrauch als Kleidung oder zur Raumausstattung, sondern sie besitzen auch eine wichtige Funktion als Statussymbol. Die Rohmaterialien Baumwolle, Leinen, Wolle und Seide sowie die Produktion von Textilien spielen bereits seit vielen Jahrtausenden eine bedeutende Rolle in verschiedenen gesellschaftlichen und globalen Prozessen, die häufig mit der Entstehung menschlicher Abhängigkeitsverhältnisse verbunden waren und auch heute noch sind.1 In den Gesellschaften des antiken Mittelmeerraums wurden Textilien u. a. zur Ableistung von Tributen und Steuern genutzt. Im Zuge des transatlantischen Sklavenhandels wurden aus Afrika verschleppte Menschen als Arbeitskräfte auf den Baumwollplantagen des amerikanischen Kontinents ausgebeutet. In den europäischen Textilfabriken des 18. Jahrhunderts standen abhängige Lohnarbeiter*innen am Beginn der Industrialisierung. Aber auch heute noch treten in manchen Regionen – wie beispielsweise in Süd- und Südostasien – zum Teil noch Ausbeutung und Zwangsarbeit in der Textilproduktion auf, die mit dem Bedürfnis der westlichen Gesellschaften nach »fast fashion« und Billigmode im Zusammenhang stehen. Baumwolle unterschiedlicher Art wurde bereits vor Jahrtausenden in verschiedenen Teilen der Welt unabhängig voneinander kultiviert.2 Zu den frühesten Belegen für die Domestizierung von Baumwolle zählen Nachweise aus dem Gebiet des heutigen Indiens und Pakistans, insbesondere aus dem Indus-Tal, die auf die Zeit um 6000 v. u. Z. zurückgehen. Aber auch in einigen Regionen Afrikas, der arabischen Welt und Syriens lässt sich die Domestizierung und systematische Verarbeitung von Baumwolle bis zum 6. Jahrtausend v. u. Z. zurückverfolgen. Bemerkenswert sind zudem die ab dem 5. Jahrtausend v. u. Z. an der Nordküste Perus auftretenden Hinweise auf die Domestizierung von Baumwolle. Neuere Forschungen deuten darauf hin, dass dort die Nutzbarmachung dieses Rohstoffs für die systematische Herstellung von Netzen zum Fischfang entscheidend für die Entstehung sesshafter, komplexer Gesellschaften war (s. dazu S. 66 und 129) und nicht – wie häufig angenommen – die Nahrungsmittelproduktion durch die Landwirtschaft. Im mesoamerikanischen Raum war die Verwendung von Baumwolle zur Herstellung von Kleidung und anderen Textilien seit dem 3. bis 2. Jahrtausend v. u. Z. verbreitet. Im antiken Mittelmeerraum war Baumwolle dagegen weitgehend unbekannt. Die Fasern für die Textilherstellung wurden vielmehr durch die Domestizierung von Schafen (Wolle) und den Anbau von Flachs gewonnen. Baumwolle wurde in dieser
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