Leseprobe

31 Nikolai Grube lässigten jedoch häufig die materiellen Dimensionen, die eng mit den kolonialen Prozessen verbunden sind. Durch den material turn werden die materiellen Aspekte von Sklaverei, extremen Abhängigkeitsverhältnissen und Kolonialismus in den Vordergrund gerückt. Dies umfasst die Untersuchung von materiellen Objekten wie Handelswaren, Technologien, Architekturen (Abb. 1) und Landschaften, die im kolonialen Austausch und in starken Abhängigkeitsbeziehungen eine zentrale Rolle spielten. Darüber hinaus ermöglicht der material turn auch die Analyse von materiellen Spuren und Überresten kolonialer Herrschaft und Unterdrückung in der Gegenwart wie beispielsweise in der Form von Denkmälern, Gebäuden oder wirtschaftlichen Strukturen. Im Zusammenhang mit der Perspektive auf Abhängigkeit erlaubt die Erforschung von Dingen eine tiefere Analyse der materiellen Grundlagen und Ressourcen, die Kolonialismus und asymmetrische Abhänin den Kulturwissenschaften sowie neuere Debatten zur Umwelt- und Biohistorie, wie sie von Autoren wie Arjun Appadurai, Tim Ingold und Bruno Latour1 vertreten werden. Der material turn ist eine theoretische Perspektive, die sich mit der Bedeutung von Materialität und materiellen Artefakten in verschiedenen Bereichen der Wissensproduktion und der sozialen Praxis befasst. Diese Perspektive legt den Fokus auf die Rolle von Objekten, Rohstoffen und anderen materiellen Elementen bei der Gestaltung von Gesellschaften, Kulturen und historischen Prozessen. Im Kontext der Betrachtung des Kolonialismus und der Abhängigkeit eröffnet der material turn neue Wege, um die komplexen Dynamiken und Strukturen dieser historischen Phänomene zu verstehen. Traditionelle Ansätze zur Erforschung von Abhängigkeitsverhältnissen haben oft die Rolle von Ideen, Ideologien und Machtverhältnissen und damit vor allem deren normative Perspektive betont, vernachIn den Geschichts- und Sozialwissenschaften sowie der Anthropologie ist das allumfassende Phänomen extremer Abhängigkeiten in menschlichen Gesellschaften größtenteils durch die Untersuchung von Texten oder Bildern erforscht worden. Infolgedessen haben sich diese Wissenschaften bisher hauptsächlich auf Aussagen und Darstellungen konzentriert, die über abhängige Menschen und ihre Lebensumstände gemacht wurden. Unser Ansatz in diesem Buch hingegen unterscheidet sich von diesem Zugang. Anstatt uns auf Texte zu konzentrieren, richten wir unseren Fokus auf Objekte und Artefakte, auf die materielle Welt. Unser Ziel ist es, materielle Zeugnisse asymmetrischer Abhängigkeiten zu erforschen und ihr Spektrum an Ausdruck und Information als ebenbürtige Quelle asymmetrischer Abhängigkeiten neben dem geschriebenen Wort zu etablieren. Unser Zugang zur Erforschung von Abhängigkeit stützt sich auf den material turn

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