Leseprobe

Innenansichten 366 Neben Blumen, Schnittchen, Obst und Gemüse fanden sich fast immer Radeberger Bier und Cognacschwenker auf den Tischen – dies war ein Wesensmerkmal ostdeutscher Alkoholkultur.333 Es bestand eine prinzipielle Offenheit der DDR-Gesellschaft im Umgang mit dem Thema Alkohol.334 Entsprechend wurde auch hinter den Mauern der BV in der Dienstzeit Alkohol eingenommen, gleichwohl Trinkfrequenz, Alkoholmenge und Anlass individuell waren. In der bereits dargestellten Aussprache zum Trinkverhalten des 1. Sekretärs Kurt Polenz (1961–1964) während einer Leitungssitzung im Dezember 1963 führte Rolf Markert zur Praxis des Trinkens in der BV gegenüber Polenz aus: »Du musst doch immer bedenken, Du bist 1. Sekretär und dementsprechend musst du dich doch verhalten. Wir sind doch alle keine Philister. Niemand wird Dir ein krummes Wort gesagt haben, wenn Du eine Schlagseite gehabt hast. Das würden wir höchstens dann sagen, wenn wir der Meinung sind, hier ist es nicht angebracht. Denn überall kann man das ja nicht. Man muss immer davon ausgehen, welche Funktion man bekleidet, dann muss man auch dementsprechend die Autorität gegenüber den Genossen wahren. Ich bin überzeugt davon, wenn ich im Klub wäre und die Kraftfahrer wären da und würden mich blau machen, dass ich unter dem Tisch liege, wäre ich bei ihnen durch die Tonne. Das kann man sich natürlich nicht leisten.«335 Den Worten Markerts ist entnehmbar, dass der Alkoholkonsum an sich kein Problem und der Ort des institutionalisierten (Be-)Trinkens allen bekannt war (das »Klubhaus«). Allerdings seien die Situation und die eigene Dienststellung (bzw. die zu füllende Rolle im Sozialgefüge) die bestimmenden Faktoren des Alkoholverzehrs gewesen. Gleichzeitig wird ein zentrales Problem deutlich, das mit dem Trinken einherging: Das auf Hierarchie und Autorität beruhende militärische Sozialgeflecht stand im Widerspruch zu der enthemmenden und gesellig-­ nivellierenden Wirkung von Alkohol, denn durch den Schnaps wurde der »Chef« unter Umständen zum Trinkfreund. Vorliegende Rechnungen und Bestellungen sind aussagekräftige Quellen, die einen Einblick in die damaligen Alltags- und mithin Konsumgewohnheiten der Mitarbeiter geben. Etwa wurden für eine Dienstversammlung im Oktober 1988 240 Mark veranschlagt. Auch wenn nur schwer ermittelt werden kann, wie viele Mitarbeiter bei der Versammlung tatsächlich anwesend waren, geben die Kalkulationen einen quantitativen Eindruck von den Verzehr- und Alkoholgewohnheiten. Zu den »20 Semmeln, Tomaten, Zwiebeln«, »2 Stk. Butter«, »2 Gl. Gurken«, »1,5 kg Wurstware« und »5 Fl. Selters« kamen »1 Sch. Club«, »2 K. Bier«, »2 Fl. Korn«, »1 Fl. Weinbrand«, »2 Fl. Sekt« sowie »2 Fl. Kirsch«.336 Bei größeren Feiern gehörte der Alkoholkonsum ganz selbstverständlich mit dazu: »Feierwütig war die Firma auf jeden Fall!«337, so der ehemalige Mitarbeiter Jörg Petters rückblickend. Auch Dieter Webs bestätigte, dass bei den Versammlungen zu den Jahrestagen am 8. Februar und 7. Oktober »manche tüchtig zugelangt«338 haben. Als Petters über die Feiern im Saal berichtete, erinnerte er sich an ein Gefühl der Ausgelassenheit und des Zusammenhalts, so dass dienstliche Themen und geheimdienstliche Konventionen für einen Abend verblassten. Es kam dabei auch mal vor, dass sich die Führungskader auf andere Weise als üblich auf ihre Mitarbeiter verlassen mussten: »Einmal haben wir sogar unseren Abteilungsleiter nach Hause bringen müssen, weil, es hat nichts mehr reingepasst. Also so etwas gab es auch.«339

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