136 Apparat Der Historiker Mike Schmeitzner beschrieb Gutsche in seinem Aufsatz als einen »Praktiker seines Faches, dem jeglicher intellektueller Tiefgang fehlte«.316 Die operative Arbeit als »Berufsrevolutionär« war sein Metier und die Macht der Sowjetunion gab ihm eine Orientierung. Gewalt sei dem einstigen Buchbinder aus katholischem Elternhaus notwendiges Mittel des Politischen geworden.317 Die zeitgenössische Einschätzung von Oberstleutnant Walter Otto (stellvertretender Leiter der »HA KuSch«) aus dem Jahr 1969 war – wenig verwundernd – bedeutend anerkennender. Er betonte das Pflichtbewusstsein, die Einsatzbereitschaft, die »zielklare politische Haltung«, Gutsches Vorbildwirkung sowie dessen Fähigkeit, »die jüngere Generation im fortschrittlichen Sinne zu Kämpfern zu erziehen«. Hinzu komme eine überdurchschnittliche Begabung, die es ihm ermöglichte, seine Aufgaben zu erfüllen. Schließlich resümierte er: »Genosse Gutsche war ein stets bescheidener, gewissenhafter und vorbildlicher Genosse, der von sich sagen konnte, sein Leben war nicht umsonst gelebt.«318 Die genannten Merkmale vereinen eine Vielzahl von gewünschten Eigenschaften eines guten MfS-Offiziers, unabhängig davon, ob es sich bei dieser Einschätzung post mortem um eine traditionsstiftende Überbewertung oder gar Fiktion handelte. Joseph Gutsche (bzw. dessen Bild) galt es MfS-intern nachzueifern. Gerhard Harnisch (1953) – der Regisseur des Ortswechsels Der fast 20 Jahre jüngere Gerhard Harnisch wurde 1916 geboren. Er wuchs ebenso in einer Arbeiterfamilie auf und wurde von Kindesbeinen an politisch geprägt. Diesbezüglich hielt Harnisch rückblickend in seinem Lebenslauf fest: »Mein Vater war oft arbeitslos und durch seine frühzeitige politische Tätigkeit wurde auch meine Kindheit und mein Leben bestimmt. Schon früh lernten wir das Leben einer Proletarierfamilie kennen. […] Es ist verständlich, dass ich durch die Erziehung meines Vaters schon als Kind zur politischen Bewegung gestoßen bin«.319 Der im Januar 1945 von den Nazis wegen »Hochverrats« am Münchner Platz in Dresden mit dem Fallbeil hingerichtete Ankerwickler und Pirnaer Widerstandskämpfer Paul Harnisch war ebenso wie sein Sohn Mitglied der KPD.320 Das prägende Moment der frühen Politisierung, eine relative Konstante der frühen MfS-Leitungsebene, wird anhand Gerhard Harnischs Biographie deutlich. Harnisch kam aus Pirna und war somit ein Leitungskader aus der Region. Nach der achtjährigen Volksschule lernte er den Beruf des Buchdruckers, welchen er bis 1938 ausübte. Bereits mit acht Jahren war er Mitglied im »Jungspartakusbund« und ab 1932/33 in der »Roten Hilfe«. In der Zeit des Nationalsozialismus war er illegal für den KJVD und die KPD in Pirna tätig.321 In diesem Zusammenhang wurde er im März322 und noch einmal im Zeitraum zwischen April und Mai 1933 für insgesamt 27 Tage u. a. im KZ Hohnstein323, unweit von Pirna, als Jugendlicher in »Schutzhaft« genommen. Nach seinem Einsatz beim Reichsarbeitsdienst (RAD) am »Westwall« im Jahr 1938 kam Harnisch zur Wehrmacht und erlebte den Angriff auf Polen.324 Seine zweite Haftstrafe absolvierte er 1942 über vier Monate als Wehrmachtsangehöriger wegen »Wehrkraftzersetzung«. Grund dafür waren seine Briefe von der Front an die »Genossen« in der Heimat325, welche von der Wehrmachtsprüfstelle abgefangen wurden.326 Nach seiner Haftstrafe wurde er Anfang 1945 wieder an der Ostfront eingesetzt. Der Kaderakte des MfS zufolge erlebte er das Zusammenbrechen der deutschen Linien, wurde zeitweise versprengt und schließlich bei Danzig verwundet. Von
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