133 nahen Milieu.302 Seine Biographie liest sich wie ein Abenteuerroman, den sich Schriftsteller im Dienste der sozialistischen Staatspropaganda hätten nicht farbenfroher ausmalen können. Gleichzeitig ließ Gutsche – etwas überzogen formuliert – kaum ein europäisches Großereignis des 20. Jahrhunderts aus, denn der junge Kommunist er- und überlebte Krieg, »Klassenkampf«, Revolution, Haft und geheimdienstliche Aufbauarbeit. Im Zuge des Ersten Weltkrieges geriet er 1915 in russische Gefangenschaft. Nach seiner Flucht schloss er sich als Rotgardist den revolutionären Kämpfen 1917/18 in Russland an und wurde Mitglied der Bolschewiki. In seiner autobiographischen Schrift bemerkte er hierzu: »Kämpfend lernte ich verstehen, was proletarischer Internationalismus ist.«303 Nach Kriegsende kam er nach Deutschland zurück und schloss sich der USPD, ab 1920 der KPD an. Als Mitarbeiter des ZK der KPD war er involviert in die für 1923 geplante Revolution, welche in Sachsen ihren Ausgangspunkt finden sollte. Als der »Deutsche Oktober« jedoch aufgrund des entschlossenen Handelns der Reichsregierung ausfiel, absolvierte er 1924 einen militärpolitischen Lehrgang der Komintern in Moskau.304 Wegen Hochverrates saß er anschließend von Oktober 1924 bis 1927 im Zuchthaus Sonnenburg (bei Küstrin, heute Polen) ein. Nach seiner Haftentlassung ging sein politischer Kampf allerdings weiter. 1929 übernahm er die Leitung der Sprenggruppen innerhalb des »M-Apparates« der KPD. Seine illegale Tätigkeit blieb der Berliner Kriminalpolizei wiederum nicht verborgen. Kurz bevor im April 1931 die erneute Verhaftung drohte, entzog sich Gutsche der Festnahme durch Flucht in die Sowjetunion. Dort angekommen, wurde er noch im gleichen Jahr Mitglied der KPdSU(B), wobei es offen bleiben muss, wie er die Zeit des »Großen Terrors« in der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre als deutscher Exilkommunist verbrachte und schließlich überlebte.305 Fest steht, dass er auf Seiten der chinesischen Kommunisten verdeckt und im Auftrag der Komintern gegen die Japaner arbeitete. Im Zweiten Weltkrieg fungierte er als Regimentskommandeur der Roten Armee und absolvierte Sonderaufgaben – unter anderem in den USA.306 Ab 1942 kämpfte er zusammen mit seinem Sohn Rudolf als Partisan und Aufklärer in der Ukraine.307 Rückblickend kommentierte Gutsche seinen Einsatz hinter den deutschen Linien einsilbig: »Kämpfen wollte ich. Ich war doch Kommunist.«308 Dass er diese 301 Die Einbindung der Leiter in den MfS-Apparat und deren Kompetenzen wurden in den Kapiteln 2.2.3 und 3.1.2.a beschrieben und entfallen daher an dieser Stelle. Vgl. Engelmann: MfS-Lexikon, S. 60 f. Vgl. ebenso: Schroeder: Der SED-Staat, S. 150. 302 Vgl. Schmeitzner, Mike: Ein deutscher Tschekist der ersten Stunde, in: Timmermann, Heiner (Hg.): Das war die DDR. DDR-Forschung im Fadenkreuz von Herrschaft, Außenbeziehungen, Kultur und Souveränität, Münster 2004, S. 167–197, hier: S. 168. 303 Gutsche, Sepp: Der Sumpf – Freund der Partisanen, in: Kühnrich, Heinz/Schaul, Dora/Pech, Karlheinz: In den Wäldern Belorußlands. Erinnerungen sowjetischer Partisanen und deutscher Antifaschisten, Berlin 1976, S. 126–130, hier S. 126. 304 Vgl. Schmeitzner: Ein deutscher Tschekist, S. 172 f. 305 Vgl. Schlögel, Karl: Terror und Traum. Moskau 1937, Bonn 2008, S. 503. Vgl. ebenso: Baberowski, Jörg: Verbrannte Erde. Stalins Herrschaft der Gewalt, München 2012, S. 261 ff. 306 Vgl. Schmeitzner: Ein deutscher Tschekist, S. 176 f. 307 Rudolf Gutsche, Jahrgang 1919, war als OSL von 1950 bis 1957 Leiter der »HA VIII« in Berlin. Er baute die Abteilung maßgeblich auf, so die Historikern Angela Schmole. Vgl. Schmole, Angela: Hauptabteilung VIII. Beobachtung, Ermittlung, Durchsuchung, Festnahme, in: BStU (Hg.): Anatomie der Staatssicherheit. Geschichte, Struktur und Methode. MfS-Handbuch, Berlin 2011, S. 13. 308 Gutsche: Sumpf, S. 126.
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