86 Apparat enge Führung der BV.38 Auf Verlangen hatten sie oder die Abteilungsleiter Bericht zu erstatten sowie Stellungnahmen und Analysen zur Situationseinschätzung im Bezirk vorzutragen. Der ministeriale Einblick sorgte dafür, dass sich die BV-Leiter aus dem Urlaub bei Minister Mielke zurückmeldeten39 oder über die Weihnachtsfeiertage ihre telefonische Erreichbarkeit gegenüber der »Hauptabteilung KuSch« anzeigten.40 Insofern war die Berliner Zentrale zwar weit weg, aber dennoch stets im Bilde über die konkrete Dresdner Situation. In umgekehrter Richtung hielten der Minister sowie die Hauptabteilungsleiter Vorträge, die »den Teilnehmern neue Erkenntnisse […] vermitteln und Maßnahmen zur Verbesserung der operativen oder administrativen Arbeit aufzeigen«41 sollten. Auch neue Rechtsgrundlagen (etwa Richtlinien und Dienstanweisungen), welche für die entsprechenden Abteilungen besondere Gültigkeit besaßen, wurden durch den Minister und Generalstaatsanwalt der DDR in der Berliner Normannenstraße erläutert.42 Ungeachtet dieses grundlegenden strukturellen Geflechts zwischen Zentrale und Mittelinstanz ist es im Detail allerdings nur schwer zu vermessen, wie groß der tatsächliche Entscheidungs- und Umsetzungsspielraum des BV-Leiters und der Abteilungsleiter gegenüber den zentralen Anweisungen war. Schließlich handelte es sich auch beim MfS um Menschen mit eigenen Interessen, (Macht-)Absichten und Prägungen, die – eingespannt in das soziale Netz43 der BV – Anweisungen des Ministeriums interpretierten, übersetzten und umsetzten. Die strukturellen Sollzustände auf dem Papier – normiert über Anweisungen und Befehle – sind daher nur zum Teil aufschlussreich für ein Verständnis der tatsächlichen Funktionsweise des Apparates.44 Denn auch die BV Dresden war, soziologisch betrachtet und ungeachtet ihrer politischen Zielstellung und historischen Besonderheiten, eine (bürokratische) Organisation und somit ein »soziales System«. Und in diesen sind neben den geltenden Hierarchien stets auch die informellen Kommunikationswege von großer Bedeutung.45 Hinzu kommt das Luhmannsche Prinzip der »Unterwachung von Vorgesetzten«46, nach dem die untergeordneten Stellen – als Experten für spezifische Sachfragen – für die Leitungsebene praxisnahe Entscheidungen vorbereiten, die anschließend durch die Leitungsebene formalisiert wurden, wodurch wiederum allgemeine Verbindlichkeit hergestellt wurde.47 Es fällt allerdings schwer, diese Grundüberlegungen in einer ausreichend differenzierten Darstellung zur konkreten Funktionsweise der BV geltend zu machen. Denn trotz der enorm umfangreichen schriftlichen Quellendichte fehlt die Überlieferung von Mündlichkeit, da im Sinne der Effizienz die »mündlichen und fernmündlichen Verhandlungen mit anderen Dienststellen oder Beteiligten im Hause«48 eine angeordnete und vorzuziehende Praxis im MfS-Apparat war.49 Betrachtet man beispielsweise eine Alltagsquelle, wie die Telefonliste der »Abteilung XIV«, die sich in der abteilungseigenen Werkstatt befand, wird deutlich, dass der wissenschaftliche Blick auf das MfS oftmals zu analytisch ordnend und damit tendenziell trennend ist. Das MfS-eigene »Linienprinzip« legt diese Betrachtungsweise nahe und sie ist sicher an vielen Stellen aus forschungspraktischer Sicht schlüssig. Doch der Apparat funktionierte in der Praxis auch in einer ineinandergreifend-mündlichen Weise und wurde sicherlich von den historischen Akteuren auch so verstanden, und zwar aus deren spezifischen Verwendung heraus. Für das Wachpersonal in der Werkstatt des »Mehrzweckgebäudes« war es beispielsweise wichtig, sich mit dem Leiter der »RD« zu defekten Fahr
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