Leseprobe

28 »Meine Welt ist die Farbe, in ihr kann sich meine Phantasie ganz entfalten«,10 beschreibt Ida Kerkovius ihr Verhältnis zur Farbgestaltung. Die Werke der Künstlerin zeichnen sich durch Farb- und Formkompositionen aus, die einen freien Umgang mit diesen Elementen zwischen genauer Beobachtung und Fantasie zum Ausdruck bringen (sh. Abb. S. 94). Auch Maria Caspar-Filsers Blumenstrauß zeigt vibrierende, rhythmisch und kraftvoll eingesetzte Farben, die nicht nur die gemalten Blumen in der Vase nahezu in Schwingungen zu versetzen scheinen, sondern sich auch mit der ornamentalen Tapete im Hintergrund verbinden (sh. Abb. S. 49). Aus einzelnen, collageartig geschichteten Elementen, die schablonenartig ausgeschnitten und übereinandergelegt scheinen, formiert sich hingegen Karl Korabs Siebdruck einer Zimmerpflanze. Im Grenzbereich zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit gewinnt auch hier das Formenspiel und die Farbgestaltung an Bedeutung (sh. Abb. S. 103). In der von Ernst Straßner gemalten nächtlichen Straßenszene verschmelzen Sujet und Farbgestaltung zu einer vibrierenden Einheit (sh. Abb. S. 185). Seine am Postimpressionismus und Kolorismus orientierte Malerei steht in Kontrast zu Hans Meybodens expressivem Einsatz der Farbe (sh. Abb. S. 115). Die Idee der Befreiung der Farbe von der objektiven Wirklichkeitswiedergabe steht hier im Mittelpunkt, auch wenn der Bezug zum Gegenstand stets bestehen bleibt. Bei Willem Grimms Traubenstillleben hebt sich das Motiv nur wenig vom dunklen Umraum ab (sh. Abb. S. 86–87). Bei ihm vereinigt sich die pastos aufgetragene Farbe mit dem Motiv der Trauben. Plastisch modelliert, heben sich diese nahezu reliefartig von der Leinwand ab. Grimms experimenteller Umgang mit der Farbe, häufig unter Beimischung von Sand, lässt sie als eigenständigen Wert in ihrer Materialität hervortreten. SEHNSUCHTSORTE UND (ALP)TRAUMLANDSCHAFTEN Landschaftsdarstellungen in der Kunst blicken auf eine lange Historie zurück, die sich ab dem Spätmittelalter als selbstständiges Sujet herausbildeten, woraus die Landschaftsmalerei als eigene Kunstgattung entstand. Dies schließt jedoch auch den Blick auf die Landschaft und damit ihre Wahrnehmung ein. Durch ein optisches Messinstrument eröffnet sich in Werner Nöfers Siebdruck der Blick auf flächige, karge Landschaften, die auf wenige Farbkontraste reduziert sind und nur durch die Horizontlinie als solche erkennbar bleiben (Abb. S. 29). Die in beiden Linsen mal horizontal, mal vertikal visualisierten Ansichten machen Landschaften unterschiedlichen Charakters sichtbar. Diese sind menschenleer, vermitteln aber zugleich den Eindruck einer durch menschliche Eingriffe, Vermessungen und Technologien geformten Welt. Daneben scheint Charlotte Herzog von Bergs Daloa wie ›rausgezoomt‹, eine an eine Landkarte erinnernde Aufsicht aus der Ferne (sh. Abb. S. 91). Bei näherem Hinsehen offenbart sie sich als Anordnung abstrakt-gemusterter Farb- und Formelemente, die auf Herzog von Bergs Reise in die titelgebende Stadt an der Elfenbeinküste zurückgehen. Beide Siebdrucke spielen mit der Beziehung zwischen Beobachtung und Interpretation und erinnern uns daran, dass unsere Wahrnehmung der Welt immer eine vermittelte ist. Die Insel Ischia diente in der Mitte des 20. Jahrhunderts vielen Künstlerinnen und Künstlern als Zufluchts- und Sehnsuchtsort. Hans Purrmann verbachte dort viel Zeit und fing das warme Licht und die mediterranen Farben ein (sh. Abb. S. 150–152). Ernst Straßners Ende der 1950er Jahre entstandene Ansicht der italienischen Stadt Pozzuoli scheint durch Purrmanns Werke inspiriert (Abb. S. 29), die Straßner sehr bewunderte; auch besuchte er Purrmann auf Ischia.11 Dunoyer de Segonzac / Herzog von Berg / Kluth / Marcks / Nagaoka / Nöfer / Purrmann / Riediger / Schumacher / Straßner / Trökes

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