Leseprobe

A U S GE H O B E N!

Autorin und Herausgeberin Laura Breede Sandstein Verlag

A U S GE H O B E N! Realismen von Aristide Maillol bis Gruppe ZEBRA Die Sammlung Straßner der Technischen Universität Braunschweig

IN H DIE SAMMLUNG Horst Antes › 40 Ernst Barlach › 44 Uwe Bremer › 46 Maria Caspar-Filser › 48 Lovis Corinth › 52 Karl Fred Dahmen › 60 Walter Dexel › 62 Axel Dick › 64 Hans-Jürgen Diehl › 66 André Dunoyer de Segonzac › 68 Nobu Fukui › 70 Rupprecht Geiger › 72 Werner Gilles › 74 HAP Grieshaber › 76 Willem Grimm › 78 Rudolf Hausner › 88 Charlotte Herzog von Berg › 90 Friedensreich Hundertwasser › 92 Ausgehoben! Eine Sammlung wird wiederentdeckt › 8 1956–1975: Zwischen Lehrsammlung und Gebäudeschmuck – Funktion, Genese und Historie der Sammlung › 10 Die 1980er Jahre: Zwischen Krimi, Dauerpräsentation und dem leisen Verschwinden › 14 Der Sammlungsinitiator Ernst Straßner: Werkentwicklung und die kritischen Aspekte seiner Biografie › 18 Realismen von Aristide Maillol bis Gruppe ZEBRA. Die Ausstellung zu Gast im Städtischen Museum Braunschweig (13. 3. 2025–8. 6. 2025) › 24 Farbflimmern: Vom Kolorismus zur geometrischen Abstraktion › 27 Sehnsuchtsorte und (Alp)Traumlandschaften › 28 Figurationen in Transformation und Auflösung › 30 Urbane Strukturen: Zwischen Präzision und Pop › 31 Wider den Gegenstand: Licht und Abstraktion › 33 Real, irreal, surreal: Zwischen Fantasie und Politik › 34

A L T Ida Kerkovius › 94 Karl Kluth › 96 Paul König › 100 Karl Korab › 102 Rudolf Levy › 104 Aristide Maillol › 108 Gerhard Marcks › 110 Hans Meyboden › 114 Pit Morell › 116 Klaus Moritz › 118 Kunito Nagaoka › 122 Peter Nagel › 124 Jörg Neitzert › 126 Rolf Nesch › 128 Siegfried Neuenhausen › 132 Katinka Niederstrasser/ Albert Schindehütte › 136 Werner Nöfer › 138 Peter Paul › 142 Max Pechstein › 144 Hans Purrmann › 146 Lothar Quinte › 154 Reimer Riediger › 158 Ernst Schumacher › 160 Reiner Schwarz › 162 Peter Sorge › 164 Ernst Straßner › 166 Victor Svec › 192 Rolf Thiele › 194 Alfred Thon › 196 Heinz Trökes › 212 Johannes Vennekamp › 214 Alf Welski › 216 Stefan Wewerka › 218 Gerd Winner › 220 Dank › 222 Bildnachweis › 223 Impressum › 224

A U S H O »Man sieht, daß hier ein Maler sammelt«.1 Mit diesem Satz wird der Künstler und Grafiker HAP Grieshaber2 1963 in der Studierendenzeitschrift Omnibus zitiert. Sein Ausspruch bezieht sich auf eine Kunstsammlung, die einst die Räumlichkeiten der Pädagogischen Hochschule Braunschweig3 zierte und seit den 1980er Jahren größtenteils im Magazin der Universitätsbibliothek der Technischen Universität Braunschweig4 schlummert. Laura Breede Eine Kunstsammlung an einer Technischen Universität? Das mag zunächst verwundern und ist sicherlich auch den meisten Hochschulangehörigen unbekannt. Im Rahmen eines Projekts zur Erschließung und Sichtbarmachung wurde die Sammlung 2023/24 aus dem Magazin geholt: Sie wurde ›ausgehoben‹.5 Dieser Begriff aus dem archivischen Kontext meint die physische Herausgabe von Dokumenten oder Archivkartons und beschreibt in diesem Zusammenhang passend die Wiederentdeckung der ab den 1950er Jahren für die Pädagogische Hochschule Braunschweig zusammengestellten Kunstwerke. Die Sammlung wurde umfänglich begutachtet, beschrieben und dokumentiert. Mit dem vorliegenden Ausstellungs- und Sammlungskatalog und einer Ausstellung im Städtischen Museum Braunschweig wird sie aus ihrem sprichwörtlichen ›Dornröschenschlaf‹ erweckt und erstmals in ihrer Gesamtheit sichtbar gemacht. In der vorliegenden Publikation spüren wir der Entstehung und Geschichte dieser bemerkenswerten Sammlung sowie ihrer Bedeutung für die Hochschule nach. Eine zentrale Frage lautet, wie die über 100 Werke in den vergangenen Jahrzehnten beinahe in Vergessenheit geraten konnten. Dabei wird der konzeptionelle Zusammenhang der Sammlung unter Berücksichtigung der Spannungsverhältnisse zwischen den in unterschiedlichen Sammlungsphasen hinzugefügten Werken betrachtet. Zudem wird die Rolle von Ernst Straßner, Künstler und Professor für Kunst und ihre Didaktik sowie Initiator der Sammlung, beleuchtet. Im abschließenden Teil des einleitenden Textes werden wir einige Aspekte seiner eigenen Werkentwicklung und Biografie einer kritischen Betrachtung unterziehen. Die Fortführung der Sammeltätigkeit nach Straßners Emeritierung 1973 unter Federführung seines ehemaligen Assistenten Rudolf Schönhöfer wird in Augenschein genommen – sie verrät viel über eine neue inhaltliche Ausrichtung durch die Ergänzung um ein umfangreiches Konvolut druckgrafischer Werke. Durch die historische Einordnung und eine kunstwissenschaftliche Analyse der gesammelten Werke unter Berücksichtigung wichtiger Kunstdiskurse der

B E N! GE Eine Sammlung wird wiederentdeckt Nachkriegszeit entsteht ein umfassendes Bild der Sammlung. Dem einleitenden Text folgt eine thematische Gruppierung der Sammlungsstücke in sechs Kapiteln entsprechend ihrer Präsentation in der Ausstellung im Städtischen Museum Braunschweig (13.3.–8.6.2025). Die verschiedenen Teile der Sammlung eröffnen dialogische Gegenüberstellungen, die sowohl Kontroversen als auch überraschende Gemeinsamkeiten ans Licht bringen. Im abschließenden Katalogteil sind alle Werke in alphabetischer Reihenfolge der Künstler:innen abgebildet und werden durch Kurztexte zur jeweiligen Werkentwicklung sowie biografische Eckdaten zu den Kunstschaffenden ergänzt. Entsprechend der Bandbreite der in der Sammlung vertretenen künstlerischen Positionen ist die im Rahmen des Projekts erreichbare Informationslage von Werk zu Werk sehr unterschiedlich: In einzelnen Fällen liegen überhaupt nur rudimentäre Informationen vor. Wo möglich, werden Angaben zur Provenienz der Werke, den Bedingungen ihres Zugangs zur Sammlung und ihrer Integration in die Hochschule bzw. Universität aufgeführt.6 Diese Publikation versteht sich vor allem als Darlegung des Status quo der Sammlungserschließung und soll zugleich eine Einladung für zukünftige Forschungsarbeiten sein. Denn bei Weitem nicht alle Fragen können mit Abschluss des Projekts beantwortet werden, und die offen gelegten Lücken sollen zu weiterführenden Untersuchungen anregen. So wie die Sammlung dynamischen Entwicklungen unterliegt, soll auch die Befassung mit ihr nicht als abgeschlossen betrachtet werden, sondern weiterhin mit Leben – und Wissen – gefüllt werden. 1 Steffens, Werner in: ASTA der Technischen Hochschule Braunschweig (Hg.): Omnibus, Jahrgang 1963, Heft 7, S. 18–19, hier S. 19, unter: https://doi.org/10.24355/dbbs.084202002271402-0 [22. 8. 2024]. 2 Zu HAP Grieshaber in dieser Sammlung sh. S. 76 dieser Publikation. 3 Die Pädagogische Hochschule Braunschweig – im Folgenden mit PH abgekürzt – bestand zwischen 1945 und 1969 unter dem Namen Kant-Hochschule, danach als Abteilung Braunschweig der PH Niedersachsen. 1978 wurde sie in die Technische Universität integriert. Ihr Vorläufer war die Bernhard-Rust-Hochschule für Lehrerbildung. 4 Im Folgenden mit TU Braunschweig abgekürzt. 5 Das Projekt zur Erschließung und Sichtbarmachung der Sammlung Straßner (2023/2024) wurde von der Stiftung Braunschweiger Kulturbesitz gefördert. Initiiert wurde es von den Nachfolgefakultäten der Pädagogischen Hochschule Braunschweig, der Fakultät für Geistes- und Erziehungswissenschaften und der Carl-Friedrich-GaußFakultät, in Zusammenarbeit mit dem Universitätsarchiv der TU. 6 Nicht bei allen Kunstwerken ist das Zugangs- oder Erwerbsdatum auf Grundlage der vorhandenen Unterlagen nachzuvollziehen. Sofern bekannt, ist es der Bildunterschrift beigefügt.

10 »Hoffentlich können wir im Laufe der Jahre die Sammlung noch erweitern und damit die Brauschweiger Stadtverwaltung etwas beschämen, die doch jedes Jahr etwas für Kunst ausgibt und es nicht fertig gebracht hat, etwas Nennenswertes zu erwerben, da doch die paar schönen alten Meister im Museum, Rembrandt, Rubens, Vermeer, Holbein, eigentlich zum Sammeln verpflichten.«7 Diese Zeilen schreibt Ernst Straßner 1958 an den von ihm bewunderten Künstlerkollegen Hans Purrmann.8 Mit dieser Aussage macht der Sammlungsinitiator und Hochschulprofessor den Stellenwert deutlich, den er der von ihm für die Pädagogische Hochschule neu angelegten Sammlung zuspricht. Diese könne, so lassen sich Straßners Worte verstehen, mit den musealen Sammlungen in der Stadt, z.B. Alter Meister im Herzog Anton Ulrich-Museum, mithalten bzw. diesen auf Augenhöhe begegnen oder sie sinnvoll ergänzen. Die Rückschau zeigt, dass Straßner tatsächlich ein umfangreiches Sammlungskonvolut mit Arbeiten namhafter Künstler:innen zusammentrug, und auch die in der Mitte der 1970er Jahre vorgenommenen Ergänzungen durch Rudolf Schönhöfer umfassen relevante künstlerische Positionen der Nachkriegszeit zwischen Neuem Realismus und Abstraktion. Auf diese Weise eröffnen die Sammlungswerke ein weites Spektrum diverser Stilrichtungen und künstlerischer Bewegungen der (Klassischen) Moderne und Nachkriegszeit. 1956–1975: ZWISCHEN LEHRSAMMLUNG UND GEBÄUDESCHMUCK – FUNKTION, GENESE UND HISTORIE DER SAMMLUNG Nach aktuellem Kenntnisstand wurden in den 1980er Jahren über 120 Werke zur Sammlung gezählt, von denen 107 identifiziert werden konnten.9 Mit einer Vielfalt heterogener Genres, Kunstströmungen und künstlerischer Techniken zählen derzeit rund 30 Gemälde (Öl auf Leinwand, Tempera auf Hartfaserplatte u.a.), 75 Druckgrafiken (Lithografien, Radierungen, Holzschnitte, Serigrafien u.a.), einige Aquarelle sowie ein Bronzerelief dazu.10 Die Werke überspannen einen Entstehungszeitraum von ungefähr 90 Jahren, beginnend mit der zarten Lithografie eines Rückenaktes des französischen Künstlers Aristide Maillol. Diese ist auf das Jahr 1895 datiert und markiert damit die früheste Arbeit der Sammlung (sh. Abb. S. 109). Neben Radierungen des deutschen Impressionisten sowie frühen Vertreters des Expressionismus, Lovis Corinth (1920er Jahre, sh. Abb. S. 53–54), sind Gemälde der Matisse-Schüler Rudolf Levy (um 1930, sh. Abb. S. 104) und Hans Purrmann (1950er Jahre, sh. Abb. S. 149–153) vertreten. Auch ein farbenfrohes Pastell einer Gartenansicht der Bauhäuslerin Ida Kerkovius (1958, sh. Abb. S. 94) oder die nahezu abstrakte Ansicht eines Waldweges von Karl Kluth (1959, sh. Abb. S. 97), mit expressivem Pinselstrich und in kräftigen dunklen Farben gemalt, gehören dazu. Überwiegend handelt es sich bei diesen Werken um eine Kunst, die sich dem Gegenstand verschrieben hat, diesem jedoch durchaus in ganz unterschiedlichen Formen der Abstrahierung begegnet. Der zweite Sammlungsteil umfasst Druckgrafiken der 1960er und 1970er Jahre, wie der poppig-surreal anmutende Siebdruck des dem Phantastischen Realismus zuzuordnenden österreichischen Künstlers Rudolf Hausner (sh. Abb. S. 89), ein druckgrafisches Formen- und Perspektivspiel Stefan Wewerkas (sh. Abb. S. 219) oder eine Forelle im Sprung des GruppeZEBRA-Mitglieds Peter Nagel (sh. Abb. S. 125). Zu den jüngeren Elementen der Sammlung gehören außerdem einige (geometrisch) abstrakt angelegte Drucke, wie farbintensive Serigrafien Rupprecht Geigers (sh. Abb. S. 72), Nobu Fukuis (sh. Abb. S. 70) oder Lothar Quintes (sh. Abb. S. 155–157) aus den 1970er Jahren. Den Ausgangspunkt für die Sammlungskonzeption markieren drei Gemälde Hans Purrmanns, ein Blumenstillleben und zwei mediterrane Landschaftsansichten in Öl auf Leinwand.11 Straßner bewunderte Purrmann insbesondere für dessen Kolorismus, wie er in seinen Briefen an den Künstler wiederholt zum Ausdruck brachte. »Ich persönlich würde am allerliebsten Ihnen einmal beim Malen zusehen, um einmal direkt zu erleben, wie das was die Natur bietet, Ihnen bei der Arbeit sich zum Klang bildet.

11 Denn für mich ist ein solches Bild mit seinen vielfältigen Koloristischen Beziehungen unendlich reicher als etwa ein Bild von Klee [Paul Klee; Anm. L.B.], das ich mehr wie eine geschmackvolle Intarsia, also leicht durchschaubar in den wenigen Farbbeziehungen, empfinde.«12 Von April 1955 bis zu Purrmanns Tod 1966 standen beide Künstler in schriftlichem Austausch. Die initiale Kontaktaufnahme erfolgte durch eine Kaufanfrage Straßners an Purrmann, der im Dezember 1955 zum Ausdruck brachte, dass es ihm »eine ganz große Freude« wäre, »auf diese Weise eines Ihrer Bilder täglich vor Augen haben zu können«.13 Nach einigen Monaten der Planung konnte der Kauf dreier Gemälde des Malers 1956 abgeschlossen werden. Die koloristische Gestaltungsweise Purrmanns kann somit als maßstäblich für den Beginn der Sammeltätigkeit gesehen werden, mit dem von Straßner angedachten Ziel, »nur möglichst einen sensiblen Kolorismus zu sammeln«.14 Und doch diversifizierte sich das Feld der Sammlungswerke im Laufe der Zeit, auch weil Straßner, wie er an Purrmann schrieb, mit Bedauern feststellen musste, dass eine derartige koloristische Farbgestaltung in der zeitgenössischen Kunst selten geworden war.15 Bereits im Jahr 1956 ist eine Sammlungserweiterung durch Werke anderer Künstler:innen zu verzeichnen. Die Finanzierung der Ankäufe für die Hochschule erfolgte aus unterschiedlichen Quellen. In der Anfangszeit konnten Gelder verwendet werden, die aus der Vermietung der PH-Aula an die Stadt generiert wurden16 und über die die Hochschule trotz staatlicher Trägerschaft frei verfügen konnte. »Unser Direktor Prof. Rodenstein schlägt vor, von dem Geld nicht alltägliche Notwendigkeiten zu kaufen, die sich rasch abnutzen, sondern etwas Bleibendes zur Freude und eigenen Bildung«,17 notiert Straßner am 15.12.1955 in einem Brief an Purrmann. Darüber hinaus bezuschusste der Staat Niedersachsen Neubauten mit einem Etat für Kunst-am-Bau-Projekte.18 Soweit dies heute rekonstruierbar ist, erfolgten einige Ankäufe über private Kontakte Straßners zu den Künstler:innen, wie am Beispiel Purrmann zu belegen ist. Auch die Werke Willem Grimms19 gelangten über die private Beziehung in die Sammlung, schließlich unterrichtete dieser Straßners Sohn an der Landeskunstschule in Hamburg. Außerdem machte Grimm sich bei einem Besuch in Braunschweig ein Bild von der Hochschulsammlung.20 Andere Werke wurden über Galerien bezogen oder aus Ausstellungen erworben. 7 Ernst Straßner an Hans Purrmann am 6.2.1958. Hans Purrmann Archiv, München. Im Folgenden wird auf den Briefaustausch durch die Angabe des Datums verwiesen. Wenn nicht anders angegeben, ist das Hans Purrmann Archiv, München, die Quelle. 8 Zu Hans Purrmann in der Sammlung sh. S.146f. dieser Publikation. 9 Zu weiteren Informationen über die in den 1980er Jahren erstellte Liste sh. S. 18. 10 Das gesamte Sammlungskonvolut umfasst lediglich vier Werke von Künstlerinnen. 11 Abweichende Datierungen zum Beginn der Sammlungstätigkeit in verschiedenen Quellen führen zu Unsicherheiten. Nach eingehender Prüfung der vorliegenden Unterlagen, insbesondere der Aufzeichnungen von Straßner selbst, legt diese Publikation unter Vorbehalt den Beginn der Sammlung auf den Erwerb der Purrmann-Gemälde fest. Da der Eingang einiger Werke jedoch nicht vollständig rekonstruiert werden konnte, besteht die Möglichkeit, dass diese bereits vor 1956 und durch andere Initiatoren an die Hochschule gelangten. Möglicherweise wurden sie erst später von Straßner oder anderen Beteiligten der Sammlung des Fachbereichs Kunst zugeordnet. 12 Brief von Straßner an Purrmann am 5.12.1955. 13 Brief von Straßner an Purrmann am 8.12.1955. 14 Brief von Straßner an Purrmann am 27.12.1960. 15 Vgl. ebd. 16 Vgl. Zietz, Karl: Kleine Chronik der Pädagogischen Hochschule Braunschweig. Schriftenreihe der Pädagogischen Hochschule Braunschweig (Kant-Hochschule), hg. v. Adolf Beiß, Braunschweig 1967, S.17. Vgl. hierzu ebenfalls den Brief von Straßner an Purrmann am 8.4.1957, sowie Himmelmann, Gerhard (Hg.): Fünfzig Jahre wissenschaftliche Lehrerbildung in Braunschweig. Festschrift des Erziehungswissenschaftlichen Fachbereichs der Technischen Universität Braunschweig, Braunschweig 1995, S. 33. 17 Brief von Straßner an Purrmann am 15.12.1955 18 »Unsere Kunstsammlung in der Hochschule konnten wir im letzten Jahr dadurch erweitern, daß der Staat Niedersachsen für staatliche Neubauten zwei Prozent der Baukosten für künstlerischen Schmuck bereitstellt, was wir bei einem Erweiterungsbau ausnutzten. Ein Wechsel im Bauamt hat uns einen Baurat geschenkt, der sich für unsre Kunstsammlung begeistert und weiter uns hilft.« Brief von Straßner an Purrmann am 4.5.1960. 19 Zu Willem Grimm in der Sammlung sh. S. 78 dieser Publikation. 20 Vgl. Brief von Straßner an Purrmann am 22.10.1958.

12 Welche Funktion hatte die Sammlung in ihrer ersten Phase für die Hochschule? Die Rekonstruktion der Sammlungshistorie und -genese lässt auf eine mehrschichtige Bedeutung schließen. So diente sie zunächst primär als Lehrsammlung, wurde also zu Anschauungszwecken im Rahmen der Kunstlehrer:innenausbildung genutzt. Gleichzeitig sollte sie zur Verschönerung der Hochschulräumlichkeiten beitragen. Die Vorlesungsverzeichnisse der Hochschule verdeutlichen den hohen Stellenwert, den Straßner der Auseinandersetzung mit Kunst im Original als Teil seiner Lehre zusprach. Neben Lehrveranstaltungen im Herzog Anton Ulrich-Museum, bei denen die Studierenden zur Auseinandersetzung mit der dort ausgestellten Kunst angeregt werden sollten, lassen sich ähnlich ausgerichtete Lehrveranstaltungsankündigungen finden, die im Zeichensaal der Hochschule stattfanden, wie etwa Kunstbetrachtung vor Originalen aus dem Sommersemester 1958.21 Auch die Veranstaltung Malerei in ausgewählten Beispielen aus dem Sommersemester 1971 zeugt davon.22 Als Arbeitsform wurde hier ganz explizit »die Bildbetrachtung an Kunstwerken und Reproduktionen von Kunstwerken« angegeben mit dem Ziel, »selbständig sehen lernen durch Nachvollziehen der künstlerischen Arbeit am Werk, besonders durch Vergleich vergleichbarer Kunstwerke«.23 Dabei sollte die »vergleichende Betrachtung zu einem Zuordnenkönnen eines Werkes zu einem bestimmten Zeitabschnitt und Kulturkreis [...]« anleiten.24 Die Hinweise auf die Bildbetrachtung »vor Originalen« bzw. »am Werk« lassen auch auf eine mögliche Einbindung der Sammlungswerke in die Lehrveranstaltung schließen. Daneben dienten Straßner insbesondere die Gemälde Purrmanns in Vorlesungen und publizierten Schriften als Analysebeispiele: »Zur Eröffnung des Sommersemesters am 16. April wollen wir alle unsere Kunstkäufe aufhängen, und ich will in der Eröffnungsvorlesung über moderne Malerei, über Kolorismus, über Sie und über Bildbetrachten überhaupt sprechen. Dann hoffe ich noch mehr Freunde für Ihre Malerei zu gewinnen, als Sie jetzt hier schon haben.«25 Henrich Eugen beschreibt in der Festschrift für Ernst Straßner 1975, dass die Sammlung der Hochschule zur lebendigen »Auseinandersetzung und Anschauung am Original und als tätige und tägliche Schulung für die Studierenden ausgesucht, also für Praxis und Bereicherung des Raumes bestimmt«26 sei. AUFENTHALTSRAUM VOR DEM HÖRSAAL A DER PH BRAUNSCHWEIG Frühjahr 1961, mit einem Gemälde von Maria CasparFilser und einem Pastell von Ida Kerkovius

13 Die Gestaltung der Hochschulräumlichkeiten mit Sammlungsstücken lässt sich heute nur noch durch einige wenige Fotografien, Aufzeichnungen Straßners oder Artikel aus Studierendenzeitschriften sowie der Erinnerung ehemaliger Studierender im Ansatz rekonstruieren. Eine Fotografie aus dem Frühjahr 1961 belegt etwa, dass der Aufenthaltsraum vor dem Hörsaal A der PH durch das großformatige Gemälde eines Blumenstilllebens Maria Caspar-Filsers und das Pastell einer Gartenansicht Ida Kerkovius’ geschmückt wurde (Abb. S. 12). Auch der Aula-Vorraum war mit Sammlungswerken bestückt, wie eine schriftliche Korrespondenz von Straßner mit Hans Purrmann belegt: »Ihre [Hans Purrmanns; Anm. L.B.] Bilder hängen seit Mitte April in unserer Vorhalle. Bei jedem täglichen Vorbeigehen freue ich mich neu daran. Unser Gebäude hat einen Anziehungspunkt damit erhalten wie keine andere Stelle in Braunschweig.«27 (Abb. S. 13) In weiteren Briefen erwähnt Straßner zudem die Idee, einige Werke im Gemeinschaftsraum des neuerbauten Studentenheims zu präsentieren.28 21 Vgl. Pädagogische Hochschule Braunschweig, Kant-Hochschule, Personal- und Vorlesungsverzeichnis für das Sommersemester 1958, unter: https://doi.org/10.24355/dbbs.084-201303041340-0 [23.8.2024]. 22 Vgl. Pädagogische Hochschule Niedersachsen, Abteilung Braunschweig, Personal- und Vorlesungsverzeichnis für das Sommersemester 1971, S. 93f., unter: https://doi.org/10.24355/dbbs.084201303081130-0 [26. 8. 2024]. 23 Ebd. 24 Ebd. 25 Brief von Straßner an Purrmann am 29.2.1956. 26 Eugen, Heinrich: »Die pädagogischen Schriften Ernst Straßners«, in: Kunst und Kunsterziehung. Beiträge zur Kunsterziehung, Kunstgeschichte und Ästhetik. Festschrift für Ernst Straßner, hg. v. Winfried Schmidt, Göttingen 1975, S. 11. 27 Brief von Straßner an Purrmann am 13.6.1956. Darüber hinaus erläutert Straßner bezugnehmend auf eine dem Brief beigelegte (heute leider nicht mehr vorhandene) Fotografie dezidiert die Reihenfolge der Hängung aller Werke im Aula-Vorraum, darunter u.a. Druckgrafiken von Lovis Corinth, Max Pechstein und Gerhard Marcks sowie Gemälde von Werner Gilles. 28 Brief von Straßner an Purrmann am 18.1.1956. BRIEF VON ERNST STRASSNER AN HANS PURRMANN / 13. 6. 1956

Zu Gast im Städtischen Museum Braunschweig (13. 3. 2025–8. 6. 2025) Realismen von Aristide Maillol bis Gruppe ZEBRA Laura Breede In sechs thematischen Kapiteln begegnen sich in der Ausstellung im Städtischen Museum Braunschweig Werke, die auf den ersten Blick gegensätzlich wirken, bei genauerer Betrachtung jedoch unerwartete Gemeinsamkeiten offenbaren. Verbindungen zwischen den unterschiedlichen künstlerischen Positionen der Sammlung, etwa durch gemeinsame Ausbildungsstätten, die Zugehörigkeit zu künstlerischen Gruppierungen, ähnliche künstlerische Haltungen zu bestimmten Zeiten oder geteilte Erfahrungen zeitgeschichtlicher Ereignisse, lassen regelrechte Netzwerke entstehen. Das gilt auch für die Personen, die für die Zusammenstellung der Sammlung verantwortlich waren und die – etwa durch persönliche Kontakte – ebenfalls als Bindeglieder zwischen den unterschiedlichen Positionen und Teilen der Sammlung fungieren. Daneben sind auch spezifische Programme erkennbar, wie jenes der Galerie Schmücking, über die in den 1970er Jahren viele Werke erworben wurden. Sie hat aus diesem Grund einen nicht unerheblichen Anteil an der Ausrichtung der Sammlung. Nicht zuletzt umfasst die Sammlung mehrere Positionen Braunschweiger Künstler:innen, oder solche, die im Braunschweiger Kunstverein, dem Städtischen Museum Braunschweig oder anderen lokalen Ausstellungsinstitutionen präsentiert wurden und daher eine besondere Beziehung zu dieser Stadt haben. Auf diese Weise schließt sich etwa für den Holzschnitt HAP Grieshabers regelrecht ein Kreis. Dieser wurde 1959 nach einer Ausstellung im Städtischen Museum Braunschweig über die Galerie Schmücking für die Hochschulsammlung angekauft und kehrt nun für die Laufzeit der Ausstellung an diesen Ort zurück. Auch die Position Walter Dexels, von dem eine Druckgrafik zur Sammlung zählt, stellt eine Verbindung zwischen den Institutionen – der Universität und dem Städtischen Museum – her, schließlich ist im Städtischen Museum eine von ihm angelegte Lehrsammlung beheimatet und wird dort erforscht. Als Lehrsammlung ist auch die Kunstsammlung der ehemaligen Pädagogischen Hochschule angelegt worden, gleichzeitig diente sie als Gebäudeschmuck, vor allem aber ist sie aus heutiger Perspektive als ein Stück Braunschweiger Geschichte zu betrachten – und hierfür erweist sich das Städtische Museum als besonders geeigneter Kooperationspartner und Gastgeber. Neben den genannten Vernetzungen fallen bei der Betrachtung der Hochschulsammlung bestimmte Themen und Sujets ins Auge, die über eine chronologische Ordnung der WerkentDIE STEL

stehung oder des Sammlungszugangs hinausweisen. Die für die Ausstellung getroffenen Gruppierungen sind keine hermetisch abgeschlossenen Kapitel (sh. S.27–35); manche Künstlerinnen und Künstler, die in der Sammlung mehrfach vertreten sind, finden sich in verschiedenen Kapiteln wieder, während andere an der Schnittstelle zwischen unterschiedlichen Thematiken stehen und so Übergänge markieren. 1 Knaller, Susanne: »Realismus und Dokumentarismus. Überlegungen zu einer aktuelle Realismustheorie«, in: Linck, Dirck et al. (Hg.): Realismus in den Künsten der Gegenwart, Zürich 2010, S. 175–189, hier S. 176. 2 Vgl. Schneider, Angela et al. (Hg.): Französische Meisterwerke des 19. Jahrhunderts. Aus dem Metropolitan Museum of Art, New York, Ausst.-Kat., Berlin 2007, S. 281. 3 Linck et al.: »Zur Einführung. Realismus in den Künsten der Gegenwart«, in: ders. et al. 2010, S. 7–9, hier S. 8. Mit Realismen von Aristide Maillol bis Gruppe ZEBRA fächert sich die Vielfalt der Sammlungswerke thematisch sowie historisch auf. Dabei soll »Realismen« als ein höchst variabler Begriff verstanden werden, der »unterschiedliche ästhetische und formale Konzepte mit sich führt«.1 Die gewählte Pluralform des Begriffs betont diese Offenheit. Unter diesem Titel versammeln sich daher nicht nur Werke, die sich in die Nähe des Realismus rücken lassen, wie er aus dem 19. Jahrhunderts bekannt ist, also einer an der Wirklichkeit orientierten, sich von idealisierenden Strömungen abgrenzenden Malerei unter der Prämisse einer möglichst präzisen Wiedergabe des Motivs in Bezug auf aktuelle Themen und Probleme der Zeit.2 Gemeint sind ebenso Werke, die sich dem sogenannten Neuen Realismus oder dem Phantastischen Realismus der Nachkriegszeit zuordnen lassen, der in den 1950er und 1960er Jahren im Gegensatz zu gestisch- oder geometrisch-abstrakten Kunstformen entstand, oder solche, die beispielsweise unter (post)impressionistischen oder expressionistischen Gestaltungsweisen zu fassen sind. Die Publikation Realismus in den Künsten der Gegenwart beschreibt die Bedeutung des Realismusbegriffs heute treffend als »schillernd« und »zwischen Realismus des Mediums und dem Realismus der Darstellung, zwischen getreuer Oberflächenwiedergabe und jener Verfremdung, die bereits den Avantgarden zur Wirklichkeitserkenntnis notwendig erschien, zwischen dem ›Realen‹ der empirischen Wirklichkeit und dem Reflex auf ihre immer schon vermittelte Erfahrung«3 oszillierend. Eine Beschreibung, die sich auch auf die Sammlungswerke übertragen lässt, die sich teilweise nah an der Wirklichkeitsdarstellung orientieren, teils in abstrahierender Weise lediglich Fragmente der sichtbaren Welt berühren oder solche Arbeiten umfassen, die der Autonomie von Farbe und Form in abstrakter Ausführung Raum geben. A U S LUNG

26 Eine Betrachtung der Sammlungszusammenstellung in ihrem zeithistorischen Kontext eröffnet erhellende Perspektiven.4 Die meisten Werke gelangten zwischen den 1950er und 1970er Jahren in die Sammlung; viele entstanden auch in diesen Jahrzehnten. Es handelt sich vorwiegend um gegenständliche Kunst, und das ermöglicht die Einordnung in einen wichtigen Diskurs der Nachkriegszeit: Nach 1945 standen abstrakte und gegenständliche Kunstrichtungen in einem konfliktreichen Spannungsverhältnis, das die tiefgreifenden gesellschaftspolitischen und kulturellen Veränderungen in der Mitte des 20. Jahrhunderts widerspiegelte. In der Suche nach neuen Ausdrucksformen zur Verarbeitung der Schrecken und Traumata des Krieges diente die Kunst als Medium der Reflexion. Gegenständliche Kunst wurde vielfach als traditionell, rückwärtsgewandt und konservativ wahrgenommen, während die abstrakte Kunst als Ausdruck einer neuen Welt und als radikaler Bruch mit der jüngsten Vergangenheit galt. Künstlerische Positionen, die sich gegenständlich äußerten, gerieten leicht in den Verdacht, geschichtsvergessen zu arbeiten. Schließlich war die avantgardistische und insbesondere abstrakte Kunst während der NS-Zeit verfemt und eine Orientierung an vormodernen Vorstellungen erzwungen worden, »die die künstlerischen Avantgarden längst hinter sich gelassen hatten«.5 Andererseits wurde abstrakte Kunst häufig als elitär und unverständlich kritisiert. Die Symposien der Darmstädter Gespräche, die zwischen 1950 und 1975 zumeist als Begleitveranstaltung zu einer Ausstellung stattfanden, sowie die erste documenta und die wiederaufgenommenen Künstlerbundausstellungen boten eine Plattform für die Auseinandersetzung mit dieser Thematik. Das erste Darmstädter Gespräch und die zugehörige Ausstellung, initiiert von der Neuen Darmstädter Sezession auf der Mathildenhöhe, beschäftigten sich 1950 mit dem Thema Das Menschenbild in unserer Zeit. Die Veranstaltung gilt als ein Streitgespräch zwischen den Befürwortern und Gegnern der abstrakten Kunst.6 Der Widerhall dieser Nachkriegskonflikte lässt sich in der Zusammenstellung der Sammlungswerke erahnen. Ernst Straßner, der bis zum Anfang der 1970er Jahre für die Erweiterung des Konvoluts maßgeblich verantwortlich war, stellte sich eindeutig auf die Seite der gegenständlich arbeitenden Künstlerinnen und Künstler.7 Dies geht aus seinen Schriften und dem privaten Briefaustausch mit Hans Purrmann hervor, und möglicherweise sind die von ihm ausgewählten Werke ein Spiegel dieser Überzeugung. Denn das Sammlungskonvolut der ersten Phase zeugt hauptsächlich von der Hinwendung zu einer figürlichen, auf den Gegenstand bezogenen Kunst in unterschiedlich stark abstrahierten stilistischen Ausformungen. Straßners Haltung in dieser Debatte scheint jedoch weniger ambivalent zu sein, als die Vielfalt der gesammelten Werke es vermuten lässt. HAP Grieshabers Holzschnitt etwa weist starke Abstrahierungen auf, doch arbeitete er stets mit dem Ziel, bei der Figuration zu bleiben und »existenzielle Themen der Menschheit« zu bearbeiten.8 Die wenigen gänzlich abstrakten Positionen der Sammlung wurden in den 1970er Jahren unter Federführung von Rudolf Schönhöfer in die Sammlung aufgenommen. Die übrigen durch ihn ergänzten Werke sind mehrheitlich Druckgrafiken der 1960er und 1970er Jahre, die dem Neuen oder Phantastischen Realismus zugeordnet werden können – ihrerseits ebenfalls Gegenpole zu den abstrakten Richtungen wie Informel und Tachismus. Was hat ein Blumenstillleben von Hans Purrmann mit einem abstrakten Rund Rupprecht Geigers gemeinsam? Diese Begegnung zweier Werke leitet das erste Ausstellungskapitel ein. Die Gegenüberstellung eröffnet gleichzeitig die Bandbreite der Sammlung zwischen Malerei und Grafik, Gegenständlichkeit und Abstraktion sowie alle in der Sammlung vertretenen Zwischen- und Grautöne. 4 Zur Genese der Sammlung sh. S. 8–21 dieser Publikation. 5 Maset, Pierangelo: »Kunst im Nationalsozialismus«, in: Faulstich, Werner (Hg.): Die Kultur der 30er und 40er Jahre, München 2009, S. 233–242, hier S. 234. 6 Vgl. Laade, Clea Catharina: Die Ausstellung »Das Menschenbild in unserer Zeit« und das erste Darmstädter Gespräch, Berlin 2016, S. 9. 7 Sh. hierzu die Ausführungen auf S. 19f. dieser Publikation. 8 Vgl. Laade 2016, S. 50. 9 Vgl. Rupprecht-Geiger-Gesellschaft Städtische Galerie im Lenbachhaus, München (Hg.): Rupprecht Geiger. Werkverzeichnis der Druckgrafik 1948–2007, München 2007.

27 FARBFLIMMERN: ZWISCHEN KOLORISMUS UND GEOMETRISCHER ABSTRAKTION Die Ausdruckskraft der Farbe über die Zeichnung oder plastische Gestaltung zu stellen, sie von der Form zu lösen und ihre Materialität in den Vordergrund zu rücken, erzeugt ein regelrechtes Farbflimmern, das die unter diesem Thema betrachteten Werke eint. Für Hans Purrmanns Malerei ist die koloristische Farbgestaltung, also das Entwickeln eines harmonischen und spannungsvollen Bildgefüges aus der Farbe heraus, das Leitmotiv seines Schaffens. Dabei steht sein Kolorismus in der Tradition französischer Künstler wie Henri Matisse (1869–1954), mit dem er gut bekannt war. Dem Gegenstand bleibt er in seinen Gemälden stets treu. Rupprecht Geiger hingegen verfolgt das Ziel, die Farbe als »autonomen Wert«9 hervorzuheben. Lediglich als geometrische Form erkennbar, wird die Farbe isoliert und Assoziation zu außerbildlichen Elementen bewusst ausgeschlossen. Während Purrmanns farbgewaltiges Blumenstillleben vor einem Spiegel seinen freien Umgang mit Farbe offenbart, steht Geigers geometrischabstrakte Kreisform im Kontext seiner nahezu wissenschaftlichen Farbexperimente im Siebdruckverfahren (Abb. S. 27). HANS PURRMANN / Blumenstillleben vor Barockspiegel / 1952 RUPPRECHT GEIGER / Großes blaues Rund blau-rot bis schwarz-schwarz / 1964 Caspar-Filser / Geiger / Grimm / Kerkovius / Korab / Meyboden / Purrmann / Straßner

28 »Meine Welt ist die Farbe, in ihr kann sich meine Phantasie ganz entfalten«,10 beschreibt Ida Kerkovius ihr Verhältnis zur Farbgestaltung. Die Werke der Künstlerin zeichnen sich durch Farb- und Formkompositionen aus, die einen freien Umgang mit diesen Elementen zwischen genauer Beobachtung und Fantasie zum Ausdruck bringen (sh. Abb. S. 94). Auch Maria Caspar-Filsers Blumenstrauß zeigt vibrierende, rhythmisch und kraftvoll eingesetzte Farben, die nicht nur die gemalten Blumen in der Vase nahezu in Schwingungen zu versetzen scheinen, sondern sich auch mit der ornamentalen Tapete im Hintergrund verbinden (sh. Abb. S. 49). Aus einzelnen, collageartig geschichteten Elementen, die schablonenartig ausgeschnitten und übereinandergelegt scheinen, formiert sich hingegen Karl Korabs Siebdruck einer Zimmerpflanze. Im Grenzbereich zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit gewinnt auch hier das Formenspiel und die Farbgestaltung an Bedeutung (sh. Abb. S. 103). In der von Ernst Straßner gemalten nächtlichen Straßenszene verschmelzen Sujet und Farbgestaltung zu einer vibrierenden Einheit (sh. Abb. S. 185). Seine am Postimpressionismus und Kolorismus orientierte Malerei steht in Kontrast zu Hans Meybodens expressivem Einsatz der Farbe (sh. Abb. S. 115). Die Idee der Befreiung der Farbe von der objektiven Wirklichkeitswiedergabe steht hier im Mittelpunkt, auch wenn der Bezug zum Gegenstand stets bestehen bleibt. Bei Willem Grimms Traubenstillleben hebt sich das Motiv nur wenig vom dunklen Umraum ab (sh. Abb. S. 86–87). Bei ihm vereinigt sich die pastos aufgetragene Farbe mit dem Motiv der Trauben. Plastisch modelliert, heben sich diese nahezu reliefartig von der Leinwand ab. Grimms experimenteller Umgang mit der Farbe, häufig unter Beimischung von Sand, lässt sie als eigenständigen Wert in ihrer Materialität hervortreten. SEHNSUCHTSORTE UND (ALP)TRAUMLANDSCHAFTEN Landschaftsdarstellungen in der Kunst blicken auf eine lange Historie zurück, die sich ab dem Spätmittelalter als selbstständiges Sujet herausbildeten, woraus die Landschaftsmalerei als eigene Kunstgattung entstand. Dies schließt jedoch auch den Blick auf die Landschaft und damit ihre Wahrnehmung ein. Durch ein optisches Messinstrument eröffnet sich in Werner Nöfers Siebdruck der Blick auf flächige, karge Landschaften, die auf wenige Farbkontraste reduziert sind und nur durch die Horizontlinie als solche erkennbar bleiben (Abb. S. 29). Die in beiden Linsen mal horizontal, mal vertikal visualisierten Ansichten machen Landschaften unterschiedlichen Charakters sichtbar. Diese sind menschenleer, vermitteln aber zugleich den Eindruck einer durch menschliche Eingriffe, Vermessungen und Technologien geformten Welt. Daneben scheint Charlotte Herzog von Bergs Daloa wie ›rausgezoomt‹, eine an eine Landkarte erinnernde Aufsicht aus der Ferne (sh. Abb. S. 91). Bei näherem Hinsehen offenbart sie sich als Anordnung abstrakt-gemusterter Farb- und Formelemente, die auf Herzog von Bergs Reise in die titelgebende Stadt an der Elfenbeinküste zurückgehen. Beide Siebdrucke spielen mit der Beziehung zwischen Beobachtung und Interpretation und erinnern uns daran, dass unsere Wahrnehmung der Welt immer eine vermittelte ist. Die Insel Ischia diente in der Mitte des 20. Jahrhunderts vielen Künstlerinnen und Künstlern als Zufluchts- und Sehnsuchtsort. Hans Purrmann verbachte dort viel Zeit und fing das warme Licht und die mediterranen Farben ein (sh. Abb. S. 150–152). Ernst Straßners Ende der 1950er Jahre entstandene Ansicht der italienischen Stadt Pozzuoli scheint durch Purrmanns Werke inspiriert (Abb. S. 29), die Straßner sehr bewunderte; auch besuchte er Purrmann auf Ischia.11 Dunoyer de Segonzac / Herzog von Berg / Kluth / Marcks / Nagaoka / Nöfer / Purrmann / Riediger / Schumacher / Straßner / Trökes

29 10 Kerkovius, Ida zit. n. Galerie Vömel (Hg.): Bilder, Aquarelle, Zeichnungen und Graphik, Ausst.-Kat., Düsseldorf 1989, o.P. 11 Vgl. Brief von Straßner an Purrmann am 6.2.1958. Die idyllischen Landschaftsansichten stehen in starkem Kontrast zu den düsteren Tönen großformatiger, nahezu abstrakter Darstellungen dichter Wälder mit verschlungenen Pfaden, die eine bedrohliche Atmosphäre erzeugen. Karl Kluths zunächst gestisch-abstrakt scheinendes Gemälde erweist sich bei genauerer Betrachtung als geheimnisvoller, nahezu undurchdringlicher Wald (sh. Abb. S. 98), und bei Ernst Straßner tauchen mystische Figuren im dunklen Unterholz auf (sh. Abb. S. 188 und 189). Kunito Nagaokas Horizont/Misoon III hingegen eröffnet den Blick auf eine Welt, in der gebaute Umgebung und Natur miteinander zu verschmelzen scheinen. Organische Formen verbinden sich bei ihm mit futuristisch anmutenden Landschaftsstrukturen, die aus einer Sciene-Fiction-Dystopie zu stammen scheinen (sh. Abb. S. 123). ERNST STRASSNER / Pozzuoli Ende 1950er Jahre WERNER NÖFER / Hausse / 1970

52 Corinth Lovis 21. 7. 1858 / TAPIAU, OSTPREUSSEN – 17. 7. 1925 / ZANDVOORT, PROVINZ NORDHOLLAND Mythologische und religiöse Themen nehmen einen bedeutsamen Stellenwert im Schaffen des Malers, Zeichners und Grafikers Lovis Corinth ein, dessen Œuvre auf der Schwelle zwischen Naturalismus, Impressionismus und Expressionismus zu verorten ist.1 Seine künstlerische Ausbildung absolvierte er ab 1880 in München, Antwerpen und Paris, wo er insbesondere in akademisch-klassizistischer Tradition ausgebildet wurde.2 Ab 1891 lebte Corinth für neun Jahre wieder in München und war 1892 an der Gründung der Münchener Neuen Secession beteiligt, einer Vereinigung, deren Mitglieder sich »der konservativen, zunehmend national orientierten Ausstellungspolitik Lenbachs entziehen«3 wollten. Er unternahm viele Reisen und stand in engem Kontakt mit Max Liebermann (1847–1935). Ab 1900 lebte er sowohl in München als auch Berlin, wo er ein häufiger Gast im Gerhart-Hauptmann-Haus war und in der Berliner Secession ausstellte, bevor er endgültig nach Berlin zog.4 Dort eröffnete er eine Malschule für Damen und wurde Vorstandsmitglied der Berliner Secession, die mit ihrem »weltoffenen Anti-Akademismus in den Anfangsjahren [...] neben den namhaftesten deutschen Künstlern auch Vertreter der internationalen Moderne«5 anzog. Corinths Haltung gegenüber der vor dem Ersten Weltkrieg in Deutschland umstrittenen französischen Kunst war eher ambivalent, und er rang selbst darum, einen »genuin deutschen Ausdruck in der Kunst zu erlangen«.6 So war er »stets zerrissen zwischen konservativer Historienmalerei und der Parodie seiner eigenen Sujets, zwischen Internationalismus und Patriotismus, zwischen der Sezession und dem Wilhelminischen Establishment, zwischen Erfolg und Risiko«.7 Es folgten Reisen, Ausstellungsbeteiligungen und Lehrtätigkeiten. Nach seinem DIE GEBURT DER VENUS III / 1916 / Kaltnadelradierung / 40×28,5 cm Inv.-Nr. Str-Cor-1 / Erworben vor 1956

BANNERTRÄGER / 1914/15 / Kreidelithografie / 38×33,3 cm Inv.-Nr. Str-Cor-2 / Erworben vor 1956

55 Schlaganfall 1911 wurde Corinths Malweise roher und die Wahl der Bildthemen persönlicher. Für den Ersten Weltkrieg empfand er Begeisterung in Erwartung eines vermeintlichen gesellschaftlichen Aufbruchs.8 1919 wurde er Mitglied der Akademie der Künste Berlin, erhielt eine Ehrendoktorwürde an der Königsberger Albertus-Universität und stellte neben Oskar Kokoschka (1886–1980), Max Liebermann und Max Slevogt (1868–1932) im Deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig aus. Sein malerisches Spätwerk ist von einer Herangehensweise geprägt, bei der »eine prekäre Balance zwischen Formerfindung und Formauflösung« zu beobachten ist und »Farbmaterie [...] nicht mehr der Bezeichnung der Welt [dient], sondern [...] unmittelbar Ausdruck, Aufschrei« ist.9 Während der Zeit des Nationalsozialismus wurde er verfemt, Werke aus öffentlichen Sammlungen beschlagnahmt oder vernichtet und sieben Bilder in der Ausstellung Entartete Kunst angeprangert. 1 Vgl. Lorenz, Ulrike u.a. (Hg.): Lovis Corinth und die Geburt der Moderne, Bielefeld 2008, S. 87 2 Vgl. ebd., S. 23. 3 Ebd., S. 27. 4 Vgl. ebd., S. 28. 5 Ebd., S. 34. 6 Ebd., S. 38. 7 Zimmermann, Michael F.: Lovis Corinth, München 2008, S. 39. 8 Vgl. Lorenz 2008, S. 40. 9 Ebd. S. 46. Zur Sammlung der TU Braunschweig zählen heute vier druckgrafische Arbeiten, die sich den mythologisch-religiösen Sujets zuordnen lassen. Daneben gehört mit dem Bannerträger auch ein Motiv aus dem Themenspektrum der Rollenbilder dazu, das den Schauspieler Rudolf Rittner in seiner Rolle als Bauern-Revolutionär Florian Geyer darstellt – ein Motiv aus der Inszenierung eines Hauptmann-Dramas.

68 Dunoyer de Segonzac André Landschaften, Stillleben und Aktdarstellungen gehören zu den Hauptthemen der Werke von André Dunoyer de Segonzac. Der Künstler des Realismus blieb bis zum Ende seines Lebens als Maler und Grafiker produktiv und in seiner Kunst der Wirklichkeitsnähe verpflichtet. Seine größte Inspiration fand er in der Natur, deren Darstellung ihm besonders durch die Harmonie und Tonalität der Farben am Herzen lag, während er auf starke Kontraste bewusst verzichtete.1 Eine eher dunkle und erdige Farbpallette ist für seine Werke charakteristisch.2 Nur seine Ölmalerei verrät einen Einfluss des Kubismus in dem Bestreben zur Organisation der Komposition.3 Nachdem er im Jahr 1900 sein Studium an der École des Beaux-Arts in Paris begonnen hatte, wechselte er 1903 in das private Atelier des Malers und Illustrators Luc-Olivier Merson (1846–1920). Einige Jahre später besuchte Dunoyer de Segonzac die private Kunstschule Académie la Palette am Pariser Montparnasse, wo u.a. die berühmte frühe Vertreterin der geometrischen Abstraktion Sonia Delaunay-Terk (1885–1979) zu seinen Mitschülerinnen zählte. Zudem wurde er Schüler des Historienmalers und Zeichners Jean-Paul Laurens (1838–1921). Seine Zeichnungen wurden erstmals 1908 in Zeitschriften veröffentlicht, im selben Jahr wurden auch seine Werke erstmals im Salon d’Automne und im Salon des Indépendants ausgestellt – jenen Salons, die Künstlerinnen und Künstler präsentierten, deren Werke vom offiziellen Salon abgelehnt worden waren und die den späteren Secessionsbewegungen als Vorbild dienten.4 Dunoyer de Segonzac schloss sich nie einer künstlerischen Bewegung an und blieb von den ästhetischen Strömungen seiner Zeit weitgehend unberührt, stets seinem realistischen Stil verpflichtet.5 Sein Leben war geprägt von Reisen und zahlreichen Ausstellungen. 1913 wurden seine Werke auf der New Yorker Armory Show präsentiert, gefolgt von Ausstellungen auf der Biennale Venedig und der zweiten documenta in den 1930er bis 1950er Jahren. Seine Kunst wurde mit zahlreichen Auszeichnungen gewürdigt. 7. 7. 1884 /BOUSSY-SAINT-ANTOINE, ESSONNE – 17. 9. 1974 / PARIS 1 Vgl. Roger-Max, Claude: André Dunoyer de Segonzac, Ausst.-Kat., New York 1966, o.P. 2 Vgl. Beaune, Carisse: Dunoyer de Sgonzac, André, unter: https://www.universalis.fr/encyclopedie/andre-dunoyer-desegonzac/ [27. 8. 2024]. 3 Vgl. ebd. 4 Vgl. Schneider, Angela u.a. (Hg.): Französische Meisterwerke des 19. Jahrhunderts – aus dem Metropolitan Museum of Art, New York, Ausst.-Kat., Berlin 2007, S. 282. 5 Vgl. Roger-Max 1966, o.P. LANDSCAPE WITH A BRIDGE / 1955 Offset-Lithografie, Fine Art Print des Originalgemäldes (1924) / 68,5×51 cm Inv.-Nr. Str-Seg-1

79 Grimm Willem 2. 5. 1904 / EBERSTADT – 19. 9. 1986 / HAMBURG Der aus einer Lithografenfamilie stammende Maler und Grafiker Willem Grimm entwickelte die Darstellung maskierter, verkleideter Menschen zu dem zentralen Motiv seines Schaffens.1 Besonders den norddeutschen bzw. nordschleswigschen Brauch des ›Rummelpott-Laufens‹, bei dem maskierte und verkleidete Kinder zu Silvester von Haus zu Haus ziehen, verarbeitete er in Holzschnitten, seiner bevorzugten druckgrafischen Technik, griff das Motiv aber auch in Gemälden auf. Grimm begann seine Ausbildung 1919 an der Kunstgewerbeschule in Offenbach, setzte diese an der dortigen Graphischen Anstalt fort und war Gasthörer bei Professor Karl Caspar (1879–1956) in München, der seine Neigung zur religiösen Kunst förderte.2 In den frühen 1920er Jahren arbeitete Grimm in der Hollanderpresse in Worpswede, wo v.a. Bucheinbände bedruckt wurden. Dort kam er mit Paula Modersohn-Becker (1876–1907) in Kontakt. Eine Weiterbildung führte ihn Mitte der 1920er Jahre nach Hamburg an die Landeskunstschule, wo er später auch als Lehrer tätig wurde. In der zweiten Hälfte des Jahrzehnts folgten erste Ausstellungsbeteiligungen sowie Reisen nach Paris und New York. 1929/30 trat er der Hamburgischen Sezession bei und unterrichtete Naturzeichnen an der Landeskunstschule, wo Karl Kluth3 und Rolf Nesch4 zu seinen Kollegen zählten.5 Die 1930er Jahre waren für Grimm geprägt von Reisen u.a. nach Italien und Norwegen gemeinsam mit Kluth, wo die Werke des Expressionisten Edvard Munch (1863–1944) Eindruck machten. Während des Zweiten Weltkriegs diente Grimm als Soldat und begann 1943, nach der Zerstörung seines Ateliers durch Luftangriffe, wieder künstlerisch zu arbeiten. Von 1946 bis 1969 lehrte er Malerei an der Landeskunstschule Hamburg, dabei vermittelte er den Blick auf die Natur als Grundlage der künstlerischen Auseinandersetzung.6 In den 1950er und 1960er Jahren erhielt er mehrere Auszeichnungen und war Ehrengast in der Villa Massimo in Rom. In dieser Zeit wurden seine Bilder dunkler, und er experimentierte mit verschiedenen Materialien. In den 1970er und 1980er Jahren setzte Grimm seine Ausstellungstätigkeit fort, u.a. bei der Deutschen Künstlerbundausstellung in Bonn. Er arbeitete häufig mit Künstlern wie Gerhard Marcks7 und Paul Wunderlich (1927–2010) zusammen. Neben den Maskenmotiven ist die Grille als weiteres zentrales Thema in seinen Werken hervorzuheben. Die Entwicklung des Grillenmotivs, wie es auch in der Sammlung vertreten ist, soll auf die freundschaftliche Verbindung von Grimm und Marcks zurückgehen und symbolisch für das Künstlerdasein stehen.8 Grimms Experimentierfreudigkeit zeigte sich in seinem Umgang mit verschiedenen Papieren und Drucktechniken. Häufig übermalte er seine Drucke, sodass der Ursprung in der Druckgrafik kaum erkennbar bleibt und ein intensiver Dialog zwischen Malerei und Grafik entsteht.9 Friedrich Straßner, der Sohn Ernst Straßners, studierte bei Grimm in Hamburg. Durch den privaten Kontakt zu dem Künstler konnten mehrere Werke in die Hochschulsammlung Einzug halten. Im September 1958 besuchte Grimm die Hochschule in Braunschweig, u.a. um die Gemälde Purrmanns10 in der Sammlung zu sehen. 1 Vgl. Grimm, Margret: Willem Grimm 1904–1986. Werkverzeichnis der Druckgrafik, Hamburg 2008. 2 Der Künstler Karl Caspar war der Ehemann der Künstlerin Maria Caspar-Filser. Zu Maria Caspar-Filser in dieser Sammlung sh. S. 48 dieser Publikation. 3 Zu Karl Kluth in der Sammlung sh. S. 96 dieser Publikation. 4 Zu Rolf Nesch in dieser Sammlung sh. S. 128 dieser Publikation. 5 Vgl. Grimm, Margret u. Rüggeberg, Harald (Hg.): Der Maler Willem Grimm. 1904–1986. Leben und Werk, Hamburg 1989, S. 153. 6 Vgl. ebd., S. 161. 7 Zu Gerhard Marcks in der Sammlung sh. S. 110 dieser Publikation. 8 Vgl. Grimm 2008, S. 44. 9 Vgl. ebd., S. 125. 10 Zu Hans Purrmann in dieser Sammlung sh. S. 146.

DIE GRILLE / 1948 / Holzschnitt / 45×32,5 cm / Inv.-Nr. Str-Gri-1

81 ABEND IN MAASHOLM I (AUCH: AN DER SCHLEI) / um 1950 Holzschnitt / 39×59 cm / Inv.-Nr. Str-Gri-3

92 Hundertwasser Friedensreich 15. 12. 1928 / WIEN – 19. 2. 2000 AN BORD DER QUEEN ELIZABETH 2 VOR BRISBANE Friedensreich Hundertwasser, geboren als Friedrich Stowasser, ist vor allem als Maler, Architekt und Umweltaktivist bekannt. Er lehnte geometrisch gerade Linien und strenge Strukturen entschieden ab und stellte stattdessen die fantasievolle und individuelle Gestaltung in den Mittelpunkt seines Schaffens. Nach einem kurzen Aufenthalt an der Akademie der bildenden Künste in Wien unternahm er ausgedehnte Studienreisen, bevor er 1949 in Paris nicht nur seinen neuen Namen annahm, sondern auch seinen unverwechselbaren Stil entwickelte.1 Nach weiteren Reisen folgte 1952 seine erste Ausstellung im Wiener Art Club. Zwei Jahre später präsentierte er seine Theorie des Transautomatismus, in deren Kern es um die Überwindung des gestischen Automatismus der abstrakten Stilrichtung des Informel ging.2 Ende der 1950er Jahre machte Hundertwasser mit seinem berühmten Verschimmelungsmanifest gegen den Rationalismus in der Architektur, einer scharfen Kritik am Rastersystem der funktionellen Architektur, auf sich aufmerksam. In dieser Zeit war er auch Gastdozent an der Hochschule für bildende Künste Hamburg. Die 1960er Jahre brachten ihm eine Einzelausstellung im österreichischen Pavillon der Biennale in Venedig, weitere Reisen und künstlerische Aktionen. Und auch in den folgenden Jahrzehnten konnte er weltweit zahlreiche Ausstellungen sowie Architekturprojekte realisieren und wurde mit Auszeichnungen für sein Werk geehrt. Das in der Sammlung befindliche Werk entstand durch eine seltene Zusammenarbeit Hundertwassers mit dem Maler, Zeichner und Vertreter der Outsider-Art Friedrich Schröder-Sonnenstern (1892–1982). Hundertwasser beschrieb das Motiv und die Kooperation folgendermaßen: »Bei diesem Siebdruck habe ich nur die Umrandung und die untere Leiste gestaltet und die Äpfel in Metallprägung gedruckt. Sonnenstern schuf einen Adam, einen Mann mit Kopf, jedoch verdorrt und öde, und diese Frau, Eva, zwar ohne Kopf, jedoch voll mit Früchten und Blüten.«3 Der Siebdruck, herausgegeben von Ars Viva in Zürich, basiert auf einem Motiv Schröder-Sonnensterns: Die moralische Praxis (Lebenszauberungselevin), eine Farbstiftzeichnung. Zur Hochschulsammlung gehört eine stempelsignierte Ausgabe, die als Edition mit einer Auflage von 4 200 Exemplaren verkauft wurde. Das Bild gelangte Mitte der 1970er Jahre im Rahmen eines Kunst-am-Bau-Projekts in die Sammlung. HOMMAGE À SCHRÖDER-SONNENSTERN / 1972 Farbsiebdruck mit Metallprägungen / 100×70 cm Ex. 01605/4200 / Inv.-Nr. Str-Hun-1 Erworben durch den Kunst-am-Bau-Etat 1974/75 1 Vgl. Weber, C. Sylvia: Die Ernte der Träume: Hundertwasser, Ausst.-Kat. Art Forum Würth, Künzelsau 2008, S. 158. 2 Vgl. Schmied, Wieland: Hundertwasser 1928–2000, Persönlichkeit, Leben, Werk, Köln 2000, S.80ff. 3 Hundertwasser, Friedensreich zit. n. Hundertwasser 1928–2000, in: Fürst, Andrea C.: Catalogue Raisonné, Bd. 2, Köln 2002, S. 836, unter: https://hundertwasser.com/originalgraphik/715_hwg56_ homage_to_schroeder-sonnenstern_869 [27. 8. 2024]. 715

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