13 »Ein Mann mit feiner Witterung und bibliomaner Verliebtheit«1 und »dem Sinn für wahrhaftige und echte Werte in Kunst und Dichtung«,2 so beschrieben Zeitgenossen den Dresdner Verleger Wolfgang Jess. Er spielt für die von Jürgen Brinkmann an die Kunstsammlungen Chemnitz übereigneten Werke von Erich Heckel eine wesentliche Rolle, denn bis auf drei Blätter gehörten eben jene Werke ehemals zur Sammlung von Jess. Brinkmann hat diese Werke direkt von der Familie Jess und ihrem Freundeskreis erworben oder von der Ehefrau des Verlegers Marianne Jess und der Tochter Dr. Ina-Gerta Jess geschenkt bekommen. Einen großen Teil erhielt er schließlich aus dem Nachlass von Dr. Ina-Gerta Jess. Von den Angehörigen hat er überdies erfahren, dass Wolfgang Jess Grafiken über die Kunsthütte zu Chemnitz erstanden hat.So gab Marianne Jess am 20.September 1991 in einem Brief über die Herkunft von zwei Heckel-Blättern Auskunft, die Brinkmanns Schwiegervater zuvor als Geschenk erhalten hatte: »Wolfgang hat sie im Jahr 1931 anlässlich einer der ersten Ausstellungen von E. Heckel in der ›Kunsthütte‹ in Chemnitz bei dem ihm gut bekannten Direktor Weigand erworben. Wolfgang kaufte damals schon sehr frühe Radierungen und Lithographien aus den Jahren 1906–1920 von E. Heckel, weil er seine Bedeutung als ›spiritus rector‹ der ›Dresdner Brücke-Maler‹ erkannte.«3 Wer war also Wolfgang Jess? 1885 wurde er in Hannover geboren. Nach dem Abitur zog es ihn nach Leipzig, wo sein Vater Senatspräsident im Reichsgericht war. Dort absolvierte er eine Buchhandelslehre in der Hinrich’schen Buchhandlung. Nach einem Philosophiestudium in Lausanne und Genf arbeitete er in Berlin in der Grote’schen Verlagsbuchhandlung sowie als Volontär bei der Times in London und München, wo er Einblick in das Verlagswesen erhielt. Einen ersten Einschnitt in die bis dahin so geradlinige Karriere bildete der Ausbruch des Ersten Weltkriegs, in dem Jess ab 1914 als Soldat diente.4 Nach Ende des Krieges verband er seine Passion für Bücher und für Kunst mit der Gründung eines eigenen Verlags. Im März 1920 erwarb er in der Dresdner Altstadt die Gerhard Küthmann Verlagsbuchhandlung, deren Spezialisierung bereits auf Kunst und Architektur gelegen hatte. Jess führte diese Bestrebungen fort und gab im neuen Verlag unter seinem eigenen Namen ebenfalls Publikationen zur Kunst- und Kulturgeschichte heraus.5 Trotz aller Aufbruchsstimmung, die vor allem die Anfangszeit der Weimarer Republik mit sich brachte, erschwerte die wachsende Inflation das Geschäft des jungen Unternehmens. Nichtsdestotrotz stabilisierte sich der Verlag in dieser Zeit, indem Jess das umfangreiche Verlagsprogramm seines Vorgängers wieder aufnahm und zu neuem Leben erweckte. So erschienen in den ersten Jahren Neuauflagen einiger Titel zur Kunstgeschichte wie Meißner Porzellan,seine Geschichte und künstlerische Entwicklung von Willy Doenges (1921), Geschichte des japanischen Farbholzschnittes von Woldemar von Seidlitz (1921 und 1923) sowie Die Primitiven des Japanholzschnittes von Julius Kurth (1922). Nach und nach entwickelte der Verlag sein eigenes Programm. Der Erfolg kam nicht zuletzt auch durch die Zusammenarbeit mit dem Gestalter und Drucker Jakob Hegner (1882–1962), ebenfalls Inhaber eines eigenen Verlags, und dem Buchbinder Peter A. Demeter (1875–1939) zustande. Beide waren im Hellerauer Verlag tätig und für die anspruchsvolle künstlerische Galtung ihrer Publikationen bekannt. In dieser Konstellation legten die von Fritz Schillermann zusammengetragenen und heraus1 Fritz Diettrich, Im glücklichen Dresden, Berlin 1963, S.145. 2 Hans Krey, »Wege zwischen den Zeiten. Eine Rückschau auf fünfunddreißig Jahre«, in: Jahrbuch zur Pflege der Künste, 4.Folge, hrsg. v. Hans Krey, Dresden 1956, S.203–226, hier S.212. 3 Marianne Jess, Brief vom 20.9.1991, Privatbesitz. Anette Kindler und Johanna Gerling 4 Krey 1956 (wie Anm.2), S.204; vgl. auch Jens Wonneberger, »Bibliomane Verliebtheit und Sinn für das Neue, Wolfgang Jess und sein Verlag«, in: Dresdner Hefte, 21 (2003), 4, S.73–78, hier S.73. 5 Krey 1956 (wie Anm.2), S.204; vgl. auch Künstler am Dresdner Elbhang, hrsg. v. Ortsverein Loschwitz-Wachwitz e.V., Bd.2, Dresden 2007, S.210; Christoph Linke, »Die verschwundenen Verlage der SBZ/DDR, Teil 2: Sachbuchverlage«, in: Marginalien. Zeitschrift für Buchkunst und Bibliophilie, 230 (2018), S.56–67, hier S.61.
RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1