140 45 Meer bei Bajonne 1929 Aquarell, weiße Deckfarbe 50,3 × 68 cm sign., dat. und bez. u. r.: Heckel 29 | Meer bei Bajonne Inv.-Nr. Z 5867 Eine rege Reisetätigkeit prägte Heckels Leben und Schaffen während der 1920er und frühen 1930er Jahre. Ausgedehnte Studienreisen führten ihn durch ganz Europa, von Südschweden bis Sizilien, von den Pyrenäen bis in die Graubündner Alpen.1 Als Gegenpol zu seinem Atelier in Berlin und dem mittlerweile festen Sommerdomizil in Osterholz suchte der Maler neue Eindrücke und Erfahrungen in fremden Ländern und Städten. In den Sommern 1926 und 1929 führten ihn zwei Reisen nach Südfrankreich. Von August bis Ende Oktober 1929 hielten sich Heckel und seine Frau Siddi in der Provence, den Pyrenäen, Aquitanien und an der südlichen Atlantikküste auf. Wie schon bei der ersten Frankreichreise lieferte die Begegnung mit den unterschiedlichen Landschaftsregionen und Städten Inspiration für zahlreiche Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen. Im großformatigen Blatt Meer bei Bajonne fasste Heckel mit Aquarell- und Gouachefarben die Sicht auf die Meeresbucht von Bajonne bei Biarritz ins Blickfeld. Dargestellt ist die von mächtigen seitlichen Kaimauern flankierte Mündung des Flusses Nive in den Atlantik. Es herrscht stürmisches Wetter. Hohe Wellen schlagen an die Befestigung, Gischt spritzt auf, ein dunkler Himmel mit dramatisch zerrissenen Wolken spannt sich über das bewegte Meer. Die kleine Staffageszene eines pflügenden Bauern im linken Vordergrund verdeutlicht die Größe und Macht der herrschenden Naturkräfte des Atlantiks. Im Verlauf der 1920er Jahre hatte Heckels Malerei einen Stilwandel erfahren. Die impulsive Expressivität der 1910er Jahre wich einer abgemilderten, eher sachlich orientierten Schilderung des Gesehenen. Gleichwohl atmet die ausdrucksgeladene Darstellung des aufgewühlten Meeres mit ihrem raschen und zupackenden Pinselduktus und der kontrastreichen Farbigkeit noch den Geist des stürmisch drängenden »Brücke«- Expressionismus, mit dem Heckel um 1910 Kunstgeschichte geschrieben hatte. Eine verstärkte Hinwendung zum Naturvorbild, verbunden mit formaler Klarheit, kompositorischer Ausgewogenheit und der Vorliebe für weitwinklige Perspektivansichten von leicht erhöhtem Standort, kennzeichnen vor allem die Städte- und Hafenansichten der südlichen Küste. Häufig zu beobachten ist auch die klassische Einführung des Betrachter:innenblicks ins Bildgeschehen mittels eines Weges im Vordergrund. In diesem Fall übernimmt der Verlauf der schützenden Befestigungsanlage diese Funktion. An ihrem Ende bildet die helle Gischt vor dem dunklen Himmel einen optischen Fixpunkt. So verschränken sich zugleich Architektur und Landschaft, das konstruktiv Gebaute und das organisch Bewegte zu einer lebhaften Szenerie. 1 Vgl. Andreas Gabelmann, »Von Hier nach Dort, Die Reisebilder der 20er Jahre«, in: Erich Heckel. Sein Werk der 20er Jahre, Ausst.-Kat. Berlin, BrückeMuseum 30. 10. 2004 – 12. 2. 2005, hrsg. v. Magdalena M. Moeller, München 2004, S.89–103.
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