19 Die Natur, die die Gründer der dänischen Malerei um 1800 erlebt, erkundet und abgebildet haben, früher »goldenes Zeitalter« genannt, gibt es so zu Janus la Cours Schaffenszeit um 1870 schon nicht mehr. Durch diese frühere Malergeneration und ihre Bilder, mehr noch wegen Industrialisierung und Ausbau der Eisenbahn, hat sich die Landschaft im europäischen Zentrum verändert – und so muss sich auch der Blick auf die Natur verändern. Gleichzeitig überdauert die Sehnsucht nach ihrer Größe und Stille. Das ist die Situation, in der La Cour, geboren 1837 an der dänischen Nordseeküste als Sohn eines hugenottischen Großbauern, nach neuen Kunstwegen sucht. Störrisch, dickköpfig, eigenwillig zieht er ab Mitte der 1850er-Jahre durch die dänische Heimat und reist dann auch durch Europa, nach Deutschland, Frankreich, Italien, in die Schweiz und nach Schweden. Er, der ewige Küstenbewohner mit den dunklen, gallischen Augen, schon als Kind von der Nordsee an die Ostsee gezogen, findet in den 1860er-Jahren seinen ganz eigenen Stil. Und zwar in den Schweizer Alpen, auf dem Weg nach Italien, beim Rosenlaui-Gletscher, wie sich im Aquarell Rosenlaui /Wellhorn (Kat. 71) sehen lässt. So hypnotisch hat niemand zuvor Felsen gezeichnet und aquarelliert. Und niemanden hat wohl je zuvor eine bildliche Vision von einem simplen Strand umgetrieben, von der er kurz zuvor in einem Brief nach Hause berichtet: »Ich hatte schon seit längerem, gleich nach meiner ersten Reise in die [italienischen] Sabiner Berge, ein Bild im Kopf: Ein warmer, trockener Tag, ein leerer Strand, wild, öde und einsam.«1 La Cour zieht in die Welt nicht auf der Suche nach dem Größten, Spektakulärsten, sondern nach dem Kargen, Unscheinbaren. Dieser schlichte Strand, von dem er mit ungefähr 30 Jahren träumt – er wird ihn bis zu seinem Tod 1909 immer wieder malen. Ob am Strand oder in den Bergen, niemand hat der Stille stärkere Denkmäler gesetzt als La Cour, obwohl oder gerade weil er den Feueratem der Fabriken schon im Nacken spürt und im Ohr die Eisenbahn rattern hört. Ironie der Geschichte, die man fürs 19. Jahrhundert und nach dem Ausnahmehistoriker Reinhart Koselleck gerne »Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen« nennt? Ohne Eisenbahn hätte der Däne seine vielen Reisen nach Italien, von denen er etwa fantastische Gemälde aus dem Garten der Villa d’Este mitgebracht hat, gar nicht unternehmen können (Kat. 63–65); den heute immer noch dort liegenden Felsbrocken auf Capri (Kat. 59) vor zuckrigem Abendhimmel hätte es nicht gegeben; die Küste von Sorrent (Kat. 60–62) hätte er nie festgehalten – nicht zu vergessen die Nemisee-Serie, die das kleine Vulkankratergewässer unweit Roms am Morgen und am Abend zeigt: Blick auf den morgendlichen Nemisee (Abb. 1) und Abendlicher Nemisee (Abb. 2). Diese romantisierende Dämmerstimmung, seinem Werk eigentlich eher fremd, hat ihn damals bekannt gemacht, und sie wirkt immerhin so stark nach, dass der dänische Künstler Per Kirkeby sich mehr als 100 Jahre später Bilder aus dieser losen Serie kauft und bei sich in die Stube hängt (Abb. 3).2 Jedenfalls war für La Cours Vorläufergeneration, auf eigene Beine und auf Pferdekutschen angewiesen, schon eine einzige Reise nach Italien Luxus und höchste Wonne. Abb. 1 Blick auf den morgendlichen Nemisee, bez. unten rechts: »Janus la Cour 1884«, Öl auf Leinwand, 67 × 61 cm, Privatsammlung
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