Leseprobe

63 Denselben Blick hinab finden wir auch in La Cours kleinem Meisterwerk Steilküste, Strukturdetail (Kat. 50). Während die Studien vom Strand und vom Wiesenboden wirken, als habe jemand das Licht heruntergedimmt, damit die Natur ihre ganzen stillen farblichen Nuancen nahezu ungerührt und ungestört präsentieren kann, zeigt er hier ihr Aufblitzen im Sonnenlicht. Wieder macht La Cour das Meer, diesen großen Protagonisten der dänischen Malerei, zu einer vernachlässigbaren Lappalie, hinten rechts schimmert es auf in einem diffusen, weißlichen Blau. Um dich geht es heute nicht, so scheint ihm der Maler zuzurufen. Nein, es geht um den Sand und die Erde, die aus dieser Düne brechen und die von der Sonne zu einem skulpturalen Relief geformt werden. An zwei Stellen ist hier das sandige Erdreich abgebrochen, herabgesackt, und La Cour malt die Schatten und die Konturen mit einer Lust und Feinheit, als male er einen Körper. Ein Universum von Hellbrauntönen. Dazwischen ragt eine Zunge herab, ein steiniger, schmaler Grat, der offenbar noch nicht weggebrochen ist, und auf den setzt der Künstler ein atemraubendes Zeichen seines Könnens: Wie er hier, direkt vor der Natur, in kürzester Zeit mit dem Pinsel in Öl die Wirkung des Lichtes einfängt, das sich an dem Vorsprung bricht und im hellen Sand zu sich selbst kommt, das hätte jedem französischen Impressionisten Freudentränen in die Augen getrieben. Aber damit nicht genug. Kaum hat man so herabgeblickt auf diese Düne, auf diese Weise erneut den Blick ins Weite verweigert, da entdeckt man, ganz am Schluss, den linken Rand. Und was Janus la Cour da nun in einem Stakkato von Grün veranstaltet, treibt die Freiheiten seines Lehrers Skovgaard auf die Spitze. Da wird Gras zur Farbe, Farbe zu Gras, Natur zu Abstraktion, Abstraktion zu Natur. Ganz links oben dann verbinden sich das Grün und die Düne auf verschlungenen zehn, zwölf Quadratzentimetern zu einem winzigen grünbraunen Fest der Malerei. Es ist kein Wunder, dass Per Kirkeby diesen Maler schätzt. Auch wenn man sich La Cours Vegetation (Kat. 39) anschaut, kann man das Werk vorsichtig mit Kirkebys unbetiteltem Werk von 2005 (Kat. 24) assoziieren. Hier wie dort geht es um Farbe und Struktur. An der Steilküste, Strukturdetail (Kat. 50) zeigt sich die zweite innovative Leistung – parallel zu den Serien der Heuschober und der Kathedrale von Rouen, die Claude Monet malt, entdeckt La Cour den Zauber des Seriellen, oder anders ausgedrückt: den Zauber der verändernden Kraft des Lichtes auf ein und dieselbe Wirklichkeit. Es gibt eine zweite Studie dieses Motivs, Steilküste (Kat. 49), offenbar am selben Tag und kurze Zeit später gemalt, wie die ähnliche Gestimmtheit und der nur leicht veränderte Schatten in der abfallenden Düne zeigen. Die zweite Studie ist auf den 8. August 1883 datiert, was also auch für die erste Fassung gelten darf. Der Maler ist einfach ein paar Schritte weitergegangen. Der Blick ins Offene war doch zu verlockend, die Wolken türmten sich zu schön, das Glitzern auf den Wellen wollte ins Bild. Also malt er nach dem Zoom auf die Düne doch noch das Bild mit dem Weitwinkelobjektiv. Er schaut in die Ferne – und dennoch, in der vorderen Bildhälfte, wieder hinunter auf den Sand und das Gras. Als wolle er zeigen, dass er weiß, wie kostbar dieses Herabblicken bleibt, dass es in seinen Augen mithalten kann mit all den offensichtlichen Sensationen von Meer, Himmel, Wolken, Sonne. Auch hat er der Steilküste, so ist zu vermuten, noch eine kleine Studie beigefügt, Steinstrand (Kat. 51), wo er die Konstellation des Küstenzipfels genauer untersucht – direkt von den Nachkommen La Cours ist dieses im Format ganz besondere Bild in die Sammlung von Christoph Müller gekommen. Das Serielle, die variierenden Wiederholungen prägen aber nicht nur La Cour als Studienmaler. Nein, nicht nur direkt vor den Objekten reizt es ihn, die Wirkung des Lichtes und der Tageszeiten auf die Natur zu malen. Auch in seinem Atelier, wo dann auf der Grundlage der Studien seine großformatigen Gemälde entstehen, bindet er seine Lieblingsmotive in eine faszinierende Wiederholungsschleife. Als hätte der deutsche Poet Gottfried Benn schon das Werk von Janus la Cour gekannt, als er feststellt: »Wiederholungszwänge, nur sie ergeben Stil.« Es sind die verblüffend großformatigen Motive des unter hohen

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