Leseprobe

62 Vor allem auf den dänischen dieser kleinen Studien wirkt es manchmal so, als sei auch der Himmel von einer großen grauen Decke überzogen und schlucke jedes Licht. Der Strand mit seinen Steinen kennt keine Schatten, alles steht und liegt gleichwertig und gleichgültig nebeneinander in einer Abfolge von Grau- und Brauntönen. Ganz links hinten sieht man jeweils etwas Meer, aber es zieht weder den Maler dorthin noch die Augen der Betrachter:innen. Das große Sehnsuchtsziel der Romantik hat bei La Cour seine utopische Kraft verloren. Wir blicken mit ihm herab auf das Gewöhnlichste, was er finden konnte. Eine zufällige Ansammlung von Steinen, altem Seetang, Moosbewuchs, dazwischen verschmutzter Sand, kleinere Steine. Derselbe Effekt, wenn er Wurzeln (Kat. 42) im Wald zeigt, einen Weg wie auf Wagenspuren (Kat. 40) oder kleine, unscheinbare Pflanzen wie in Studie von Blättern und Wildblumen (Kat. 34) – sehr viele seiner Ölstudien sind von diesem ungewöhnlichen Blick hinab geprägt.1 Janus la Cour scheint es gar nicht zu stören, dass er den Blick nicht weiten kann; er scheint es zu genießen, wie mit dem Teleobjektiv das Territorium unter seinen Füßen zu erkunden. Unter seinen Augen und unter seinem Pinsel weitet es sich plötzlich zu einer ganz eigenen, unendlichen Welt. Hier liegt das Neue seiner Kunst. Zunächst will man, getrieben von der Sucht nach Sensationen und der nächsten Aufregung, weitergehen, wenn man diese Bilder sieht, weiterschauen, ob es nicht doch noch ein spektakuläreres Motiv gibt, größere Versprechungen. Doch wenn man sich erst einmal eingelassen hat auf diese Welt in Moll, wenn man akzeptiert hat, dass es ein so windstiller Tag an der Küste ist, dass noch nicht einmal Wellen ans Ufer schlagen, wenn man also akzeptiert, dass es bei La Cour um die kleinen Sensationen geht, um die, die zwischen dem hellen Grau und dem dunklen Braun liegen, und darum, dass plötzlich ein paar grüne Grashalme rechts die Steine vorne links in einem leichten Rot aufleuchten lassen, ist man auf einem guten Weg. Nämlich hinunter. Auf genau diesen Weg will uns La Cour mitnehmen, und er weiß, dass er erst einmal schlechte Karten hat. Er weiß, dass er warten muss, bis seine Betrachter:innen realisieren, was er ihnen abverlangt. Weil er sie zwingt, auf den Boden zu schauen, ihnen den Blick in die Weite verweigert, der ihnen das gesamte goldene Zeitalter über offenstand. La Cours Kunst verlangt von Betrachtenden, damals genauso wie heute, eine unglaubliche körperliche Anstrengung, sie verlangt ein echtes Einlassen. Doch dann wird es zu einer Übung in Achtsamkeit, der eigene nervöse Blick kommt zur Ruhe, man ist am Ende dankbar für diese spröden Detailaufnahmen des Beiläufigen und Nebensächlichen, weil sie einen Teil der sichtbaren Welt zeigen, der meist übersehen wird. Man merkt dann auch, was es für ein kühner, moderner Verweigerungsakt des Malers ist, die kleinen Bilder oben nicht weitergehen zu lassen, sondern quasi abzuschneiden. Also nur den Vordergrund zu malen – und dann zu behaupten, dass das alles sei. Dass es keinen Mittelgrund braucht und schon gar keinen Hintergrund. Durch das Wiesenstück Waldboden mit Steinen und Farn von 1882 (Pommersches Landesmuseum) frisst sich ganz langsam eine unheimliche Stille. Man hat das Gefühl, dass die Braun- und Grüntöne der restlichen Leinwand nur noch einmal kurz gezeigt werden, bevor auch sie im schwarzen Dunkelgrün versinken werden. Es ist kein Wiesen-, sondern ein Meditationsstück. Man spürt, mit welch schnellem, federndem Pinsel La Cour hier die zwei, drei größeren Grasbüschel erfasst hat, wie er einen zerfurchten Weg mit seinen hellen und dunklen Brauntönen subtil und vital aus dem Waldboden stampft, wie er die Leinwand mit einem All-over aus Natur und Erdtönen überzieht. Ist das noch Realismus? Ist das noch Naturalismus? Braucht man da überhaupt noch den Symbolismus? Schaut man sich diesen Waldboden an, hat man das Gefühl, hätte Janus la Cour noch fünf Minuten weitergemalt, wäre dieses Bild zu einer einzigen Abstraktion geworden, zu einem Bild von Per Kirkeby, seinem späten Bewunderer und Sammler. In dieser kleinen, unscheinbaren Studie stößt La Cour ganz kurz die Tür zur Zukunft auf. Die Welt scheint sich ihrer Darstellbarkeit zu entwinden. Es geht nur noch um Grün und Braun und um ein bisschen helles Grau – siehe auch die Studie Waldmoor von 1885 (Kat. 36).

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