Leseprobe

61 Janus la Cour malt in einer ganz entscheidenden Phase der europäischen Landschaftsmalerei. Ganz deutlich neigt sich das goldene Zeitalter der dänischen Malerei seinem Ende zu, als er in den späten 1850er-Jahren zu arbeiten beginnt. Es lebt im Skagen der 1880er-Jahre, als La Cours Hauptwerk entsteht, noch ein letztes Mal auf, in dem Licht auf den Gesichtern der Fischer und dem abendlich beruhigten Strand. Doch Janus la Cour malt stoisch immer dieselben Bäume an der Küste von Aarhus, dieselben Steine am Strand, denselben Fluss, der ins Meer mündet. Und als dann um 1900 die Moderne sanft beginnt, mit den Werken von Peter Ilsted und vor allem Vilhelm Hammershøi, mit ihren traumverlorenen Interieurs, da geht Janus la Cour weiter an die Küste und malt dieselben Steine und dieselben Bäume und dieselbe Flussmündung. Während er malt, entstehen erst der Impressionismus, Naturalismus und Symbolismus, dann Expressionismus und Kubismus. Doch nichts davon findet Widerhall in seinen Gemälden. Auf eine faszinierende, fast mönchische Weise hat er sich ferngehalten von den Strömungen der Kunst genauso wie von den Strömungen der Welt und immer wieder nur die pure Natur gemalt. Pure Natur. Ohne Menschen. Die besondere Energie, die von jeder seiner Leinwände ausgeht, rührt auch daher. Man weiß nicht, ob es eine Natur nach oder eine Natur vor den Menschen ist, die er malt und beschwört. In jedem Fall erfindet er eine eigene Zeitdimension in seiner Kunst, es gibt keine »Zeitgenossenschaft«, die sich in irgendwelchen Accessoires oder Attributen andeutet, es fahren keine Eisenbahnen durch seine Landschaften, Automobile schon gleich gar nicht, und das ganze Zeitalter der Industrialisierung findet woanders statt. Wenn man die Gemälde von Janus la Cour betrachtet, scheint es, als wolle da einer den Strom des Lebens anhalten und sagen: Es gibt nur eine Zeit, die Zeit der Natur, den ewigen Kreislauf aus Morgen, Mittag, Abend und aus Frühling, Sommer, Herbst. Davon erzählt jedes seiner Bilder (von der Nacht und vom Winter erzählen sie übrigens nur selten; dieser Däne wollte nachts am liebsten schlafen und war kein großer Freund der Kälte). Es gibt drei Aspekte, die diesen außergewöhnlichen Landschaftsmaler des 19. Jahrhunderts auszeichnen und ihn für das 21. Jahrhundert so faszinierend machen: die Richtung seines Blickes, die unterkühlte Temperatur seiner Malerei und seine Vorliebe für das Serielle. Während sein Lehrer Peter Christian Skovgaard in der Technik einen furiosen, ruhelosen, stellenweise fast schon abstrakten Plein-Air-Stil in der dänischen Ölstudienmalerei etabliert, motivisch aber den konventionellen Rahmen selten verlässt, wählt La Cour in seinem Werk genau den umgekehrten Weg. Seine handwerklich brillante Malerei, die mit dem Trommelfeuer unzähliger kleiner Striche die Natur wie eine fotorealistische Erscheinung auf der Leinwand erwachsen lässt, bleibt über weite Strecken realistisch und traditionell, dem frühen 19. Jahrhundert verhaftet, allerdings weitaus reduzierter. Seine Kompositionen jedoch, die abgesenkten Horizonte, die irritierenden Perspektiven, die radikalen Ausschnitte, das Serielle, sie sind von jäher Modernität. Modernität kann auch in der Verweigerung liegen. Erschöpft von Jahrzehnten glorioser Marinemalerei und Seestücken, mit prachtvollen Schiffen im Wellengang, mit landenden Fischerbooten und Fischersfamilien in Tracht, sucht Janus la Cour nach einem neuen Weg, die dänische Küste zu Kunst werden zu lassen. Blicken wir auf zwei kleine Studien vom Strand, denn gerade diese direkt vor der Natur in Öl gemalten Werke erzählen am meisten von La Cours ungewöhnlicher Perspektive. Er malt den Strand, an den kaum Wellen schlagen, das Meer ruht sich aus, die Steine auch, es liegt eine Erschöpfung über der von La Cour abgebildeten Welt. Er malt keine grandiosen Strände, nicht am liebsten die weißen Klippen von Møn wie die dänischen Landschaftsmaler vor ihm, nein, es sind namenlose Steine an einer namenlosen Küste, die er immer und immer wieder in den Blick nimmt, einen Felsbrocken auf Capri (Kat. 59) oder nordische Mineralien wie auf Küstensteine, Studie (Kat. 28) und Seegras und große Steine (Kat. 41).

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