Leseprobe

Momente der Klarheit Janus la Cour und das neue Bild der Natur Momente der Klarheit

Momente der Klarheit Janus la Cour und das neue Bild der Natur

6 Vorwort und Dank Andrea Rygg-Karberg, Ulrike Wolff-Thomsen 18 Wild, öde und einsam Janus la Cour und das neue Bild der Natur Simon Elson 42 Visuelle Korrespondenz und motivische Wiederverwendung Das Zusammentreffen von Janus la Cour und Per Kirkeby Ane Hejlskov Larsen 60 Ein neuer, kühler Blick Janus la Cour macht die Natur reif für die Moderne Florian Illies 78 Weißes Rauschen Die stille Erzählung über Janus la Cour Signe Havsteen 112 Warum ich Janus la Cour sammle Sven Drühl 122 Biografie 124 Ausgestellte Werke 128 Impressum mit Bildnachweis Inhalt

Wild, öde und einsam Janus la Cour und das neue Bild der Natur Simon Elson

19 Die Natur, die die Gründer der dänischen Malerei um 1800 erlebt, erkundet und abgebildet haben, früher »goldenes Zeitalter« genannt, gibt es so zu Janus la Cours Schaffenszeit um 1870 schon nicht mehr. Durch diese frühere Malergeneration und ihre Bilder, mehr noch wegen Industrialisierung und Ausbau der Eisenbahn, hat sich die Landschaft im europäischen Zentrum verändert – und so muss sich auch der Blick auf die Natur verändern. Gleichzeitig überdauert die Sehnsucht nach ihrer Größe und Stille. Das ist die Situation, in der La Cour, geboren 1837 an der dänischen Nordseeküste als Sohn eines hugenottischen Großbauern, nach neuen Kunstwegen sucht. Störrisch, dickköpfig, eigenwillig zieht er ab Mitte der 1850er-Jahre durch die dänische Heimat und reist dann auch durch Europa, nach Deutschland, Frankreich, Italien, in die Schweiz und nach Schweden. Er, der ewige Küstenbewohner mit den dunklen, gallischen Augen, schon als Kind von der Nordsee an die Ostsee gezogen, findet in den 1860er-Jahren seinen ganz eigenen Stil. Und zwar in den Schweizer Alpen, auf dem Weg nach Italien, beim Rosenlaui-Gletscher, wie sich im Aquarell Rosenlaui /Wellhorn (Kat. 71) sehen lässt. So hypnotisch hat niemand zuvor Felsen gezeichnet und aquarelliert. Und niemanden hat wohl je zuvor eine bildliche Vision von einem simplen Strand umgetrieben, von der er kurz zuvor in einem Brief nach Hause berichtet: »Ich hatte schon seit längerem, gleich nach meiner ersten Reise in die [italienischen] Sabiner Berge, ein Bild im Kopf: Ein warmer, trockener Tag, ein leerer Strand, wild, öde und einsam.«1 La Cour zieht in die Welt nicht auf der Suche nach dem Größten, Spektakulärsten, sondern nach dem Kargen, Unscheinbaren. Dieser schlichte Strand, von dem er mit ungefähr 30 Jahren träumt – er wird ihn bis zu seinem Tod 1909 immer wieder malen. Ob am Strand oder in den Bergen, niemand hat der Stille stärkere Denkmäler gesetzt als La Cour, obwohl oder gerade weil er den Feueratem der Fabriken schon im Nacken spürt und im Ohr die Eisenbahn rattern hört. Ironie der Geschichte, die man fürs 19. Jahrhundert und nach dem Ausnahmehistoriker Reinhart Koselleck gerne »Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen« nennt? Ohne Eisenbahn hätte der Däne seine vielen Reisen nach Italien, von denen er etwa fantastische Gemälde aus dem Garten der Villa d’Este mitgebracht hat, gar nicht unternehmen können (Kat. 63–65); den heute immer noch dort liegenden Felsbrocken auf Capri (Kat. 59) vor zuckrigem Abendhimmel hätte es nicht gegeben; die Küste von Sorrent (Kat. 60–62) hätte er nie festgehalten – nicht zu vergessen die Nemisee-Serie, die das kleine Vulkankratergewässer unweit Roms am Morgen und am Abend zeigt: Blick auf den morgendlichen Nemisee (Abb. 1) und Abendlicher Nemisee (Abb. 2). Diese romantisierende Dämmerstimmung, seinem Werk eigentlich eher fremd, hat ihn damals bekannt gemacht, und sie wirkt immerhin so stark nach, dass der dänische Künstler Per Kirkeby sich mehr als 100 Jahre später Bilder aus dieser losen Serie kauft und bei sich in die Stube hängt (Abb. 3).2 Jedenfalls war für La Cours Vorläufergeneration, auf eigene Beine und auf Pferdekutschen angewiesen, schon eine einzige Reise nach Italien Luxus und höchste Wonne. Abb. 1 Blick auf den morgendlichen Nemisee, bez. unten rechts: »Janus la Cour 1884«, Öl auf Leinwand, 67 × 61 cm, Privatsammlung

20 Über diesen Janus la Cour, den ich in gut zehn Sammlungsjahren mit Christoph Müller in Berlin kennenlernen durfte, habe ich 2022 die Monografie Macht der Stille publiziert.3 Ich habe erforscht, wann er zu seinem eigenen Stil findet, habe seine Ablehnung (und hier und da auch grummelnde Bewunderung) von Camille Corot und der französischen Malerei nachvollzogen, habe in Worte zu fassen versucht, wie stark er reduziert, das Menschliche aus seinen Bildern herauslässt und dem unscheinbaren, kargen Motiv zu fast heldenhafter Größe verhilft. Eine Frau versteckt er im Gemälde Hohe Buchen (Kat. 15) im unermesslichen Grün eines Buchenwalds; die kleine Gestalt auf dem großen Felsbrocken aus einem seiner vielen Skizzenbücher ist schon fast die profilierteste menschliche Figur, die er je aufgenommen hat (Kat. 52). Er holt aus seiner oft monochrom anmutenden, oft dunklen dänischen Heimat das Maximum an Malerischem heraus, ohne sie allzu sehr zu verfälschen. Der Künstler Sven Drühl hat es mir vor einigen Jahren in Berlin vor dem Gemälde Der Strand von Fløjstrup II (Kat. 48) aus der Sammlung Christoph Müller begeistert gezeigt: »Das Grün, das er da in dieses dunkle Meisterwerk einbaut, da hat er farblich quergeschossen!« Vorne besteht das Bild dann aber insgesamt zu gut einem Drittel aus dem braunen Tang des Strandes, aus sandiger Farblosigkeit. Drühl, der La Cours Kunst nicht nur sammelt, sondern auch als Inspirationsquelle für eigene Malereien verwendet, erzählt in diesem Katalog noch einmal mehr von seiner Lust an dem spröden Dänen. Ich habe bei meinen Recherchen viel erfahren und verstanden über La Cour, der ein Kind seiner Zeit ist und sich ihr doch nicht beugen will. Eine Sache muss ich aber noch einmal genauer besprechen: Dass La Cour das Gegenteil von Gesamteindrücken malt, sich so stark auf das Detail stürzt, manisch immer die gleichen landschaftlichen Formationen abbildet, die sich zudem fast immer dadurch auszeichnen, dass sie das Gegenteil von besonders, nämlich höchst gewöhnlich sind. Baumgruppen, Flussläufe, Strandabschnitte. Ganze Gebäude könnte man nur mit seinen Steinbildern füllen, niemand zuvor hat Steine so ernst genommen und zu Protagonisten gemacht wie er, betrachtet man beispielsweise Werke wie HelgenæsKüste mit Stein (Kat. 55), Steine am Strand von Fløjstrup (Kat. 53), Küstensteine, Studie (Kat. 28) oder Steiniger Strand (Kat. 27). Ganz besonders filigran sind auch die mit Flechten überzogenen Waldfelsen aus Schweden, siehe Tyllinge (Kat. 37). Mit feinstem Pinsel hat er hier gemalt, was des fast zufällig wirkenden Ausschnitts wegen auch eine getuschte Studie sein könnte. Unerhört, besser: ungesehen, wie er einen Flusslauf beim heimischen Aarhus monumentalisiert, diesen plätschernden, murmelnden Waldmühlenbach, den er wohl Hunderte Male abschreitet und zigmal ins Bild bringt, so auch im Bild Wald bei Moesgaard (Kat. 17). In diesem Wald schaut kein Reh zwischen den Bäumen hervor, leben keine nordischen Sagengestalten, fast könnte man meinen, es gäbe noch nicht einmal Mücken. Nur die nahezu haptisch erlebbare Struktur von Bäumen, Steinen, Wasser. Die Gemäldegruppe zeigt, dass der Maler dort, wo der Bach bei Aarhus in die Ostsee mündet, auf einer kleinen Brücke gestanden haben muss, die es so ähnlich auch heute noch gibt, und dann zur einen Seite hin die Mündung malt und zur anderen die erste Biegung des Flusses, groß, im Heldenformat, eine Feier des Unspektakulären (Kat. 10, 12–14). Ähnlich wagemutig geht er beim schweizerischen MonteRosa-Motiv vor, zu sehen in den Werken Monte Rosa I (Kat. 68) und Monte Rosa II (Kat. 69). Er gibt uns zwar auf zwei Metern Breite die gleißenden, feinmalerisch perfekten Gipfel des Massivs, baut aber im Vordergrund einen wuchtigen braunen Riegel vor, verstepptes Gras, Steine, als wollte er unseren Blick nicht in die Traumlandschaft der Alpen entfliehen lassen, sondern in den Boden rammen. Den gleichen Mut sehen wir in den vielen Serien von Küstenabschnitten, so im Strand bei Aarhus I (Kat. 21), Strand bei Aarhus II (Kat. 23) und Strand bei Aarhus III (Kat. 22), wo er über Jahre hinweg immer wieder eine Baumgruppe umkreist, sie in unterschiedlichen Jahreszeiten malt, immer fest im dänischen Land verortet. Struppiges Dünengras, Sand, Steine, an Farblosigkeit grenzende Monochromie. Er hat da keine nackten Badenden hineingesetzt, keinen Gentleman mit

21 Hut und Stock, keine spielende Kinderschar und auch keine Fischerei-Romantik, wie dies etwa zeitgleich bei der Haager Schule und den niederländischen Impressionisten gängig war. Dafür hat er die Düne so furios und doch fein gemalt, ihre Kargheit so bitterernst genommen, dass die Bilder wie Porträts wirken, Gesichter einer Landschaft, aber überhaupt nicht anthropomorphisiert wie kurz darauf beispielsweise bei Edvard Munch. Auch bei der Serie Der Strand von Fløjstrup geht La Cour ähnlich vor, er bildet den immer gleichen Abschnitt über Jahre wie im Zoom mal näher, mal ferner ab, zu sehen auf Der Strand von Fløjstrup I (Kat. 47) und Der Strand von Fløjstrup II (Kat. 48) sowie im Werk Unruhiges Wetter (Kat. 46) – ein absolutes Meisterwerk und für unsere Schau vom Kunstmuseum Brandts ausgeliehen. An der Datierung sieht man allerdings auch, dass man seine Studien und seine entwurfsmäßigen Bilder nicht dem großen Werk unterordnen muss, denn nachdem er 1888 das fast zwei Meter breite Unruhige Wetter gemalt hatte, vielleicht für einen Sammler, vielleicht für die wichtige Charlottenburger Frühjahrsausstellung in Kopenhagen, hielt ihn das nicht davon ab, genau diesen Küstenabschnitt fünf Jahre später erneut ins Visier zu nehmen. Er war nie fertig mit der Landschaft, sie war, so muss man es wohl sagen, sein bester Freund – oder seine beste Freundin. So hat ihn sein Weggefährte Joakim charakterisiert, der Sohn seines Lehrers und Kollegen Peter Christian Skovgaard: »Es ist charakteristisch für ihn, dass er einen entrindeten Baumstumpf mit der gleichen Liebe zeichnete wie wir anderen eine herrliche Abb. 2 Abendlicher Nemisee (Studie?), bez. unten rechts: »J. la Cour 1877«, Öl auf Leinwand, 55,5 × 80,1 cm, Bonhams London, Auktion 19. Jahrhundert, 22. 4. 2010 Frau.«4 Wie Falten eines geliebten Gesichts, so zärtlich und weihevoll malt La Cour zweimal die furchigen Strukturen einer Steilküste (Kat. 49–50).5 Seine Kunst wirkt manchmal, als sei sie im luftleeren Raum entstanden. Als habe dieser menschenscheue, ewige Junggeselle, von dem kein einziger Liebesbrief überliefert ist, wie ein Naturreformer in den Bergen und den Dünen gelebt. Doch das täuscht. La Cour hat sie gekannt, die mythischen Bilder der Malereigeschichte, die Nackten, die Helden, die epischen Landschaften – und auch die neuere Malerei, die Pariser Stilentwicklung, die dann langsam auch bei ihm im dänischen Kopenhagen ankommt. Zwar hat er nie eine Großstadt gemocht, doch besucht hat er Paris, Rom und Kopenhagen; Rom mehrmals und Kopenhagen mindestens einmal jährlich. Womöglich hat er sich also in der Außenwelt versichert, doch vielleicht weiß er es auch intuitiv: Das, was er macht, hat noch keiner vor ihm gemacht. Monumentalisierung durch Reduktion. Radikale Ausblendung des Pittoresken, auch wenn hier und da mal ein italienisches Städtchen ins Bild rutscht (Kat. 58). Zumeist aber liegt sein Fokus auf rein landschaftlichen Details, auf Abschnitten und Ausschnitten. Seine zahlreichen Skizzenbücher zeigen es, seine Kompositionsskizze (Kat. 18) macht es ganz deutlich: Um seine Vision zu verwirklichen, seiner Kunst den unverwechselbaren Touch zu geben, überlegt er sich genau, welche Motivelemente von dem, was er landschaftlich vor sich sieht, noch in den Bildausschnitt aufgenommen werden und welche nicht. Er verkleinert den Rahmen immer weiter, findet, im Wortsinne, seine Nische.

22 Das macht ihn zu einem modernen Künstler, denn es wird mit der Moderne, nach dem stilistisch ohnehin schon sehr vielfältigen 19. Jahrhundert, immer schwerer, noch Motive zu finden, die nicht totgemalt sind. Vor allem, wenn man sich nicht für Großstädte, Fabriken, Dampfwalzen und Loks interessiert. Totgemalt sind die heroischen Landschaften, die actiongeladenen Schiffsunglücke im Sturm, die brillanten Sonnenauf- und Sonnenuntergänge, wobei La Cour diesen schönen Schmelz absolut meistert. Nur verbirgt er ihn hinter einem Feld, so auf dem früh-genialen Bild Wiesen, Dämmerung (Kat. 8), oder stellt ihm knallharte Steinstrukturen entgegen, so bei Felsbrocken auf Capri (Kat. 59). Totgemalt ist das menschliche Gesicht, die Wirtshausszene, die hübsche italienische Landschaft mit wassertragender Magd. Auch die Impressionist:innen spüren, sehen und wissen das. Auch sie suchen zeitgleich nach dem Neuen. Während sie ihr Glück in Farbe und Licht finden und die Modernisten dann zusätzlich noch in der geometrischen Form, man denke an Picasso, Malewitsch oder Hilma af Klint, findet La Cour die Rettung eben im Detail, im Ausschnitt, in der Reduktion. Der Impressionismus zerstäubt die Welt in farbiges Licht, doch jenseits der Bilder besteht die Welt weiterhin auch aus Dunkelheit, aus kargen Flächen, dem trocknenden Braun der Algen, dem zarten Grün des Frühlings, dem grau-blauen nordischen Himmel. Das sieht La Cour, und darauf beharrt er. Er liebt die Natur zu sehr, um sie vollständig in Malerei aufzulösen. Wenn man ihn dafür einen Traditionalisten nennen muss, einen Realisten, so sei es drum. Für seine Kunst, konservativ im Sinne von Natur konservierend und doch auch modern, weil sie die großen Landschaftsvorläufer deutlich reduziert und monumentalisiert, kommt ihm das damals immer noch unterrepräsentierte Format der Studie gerade recht. Er, der 1901 eine der ersten reinen Studienausstellungen in Europa veranstaltet, nämlich in Kopenhagen, hat die Offenheit des unfertigen Blattes als Mittel, sein Werk im Gleichschritt mit natürlichen Jahreszeiten, Lichtstimmungen, Formationen zu verbreitern, schon früh entdeckt. Schon von der Dämmerung am italienischen Nemisee gibt es viele Variationen, La Cours Kunst wird seriell, weil sie immer weitergehen will. Ein Foto, eines der wenigen, die es von ihm überhaupt gibt, zeigt ihn bei der Arbeit in seinem Wohnatelier, ein ehemaliger Bauernhof bei Aarhus, den er von 1888 bis zu seinem Lebensende bewohnt. Hinter ihm hängen unzählige, sehr ähnlich aussehende Studien (Abb. 4). Es heißt, sie haben alle Atelierwände von oben bis unten bedeckt – und wenn der einsame Meister, der dort ohne Frau und ohne Kinder lebt, nur hin und wieder von einem Künstlerkollegen besucht, in der Nacht aufwacht und das Abb. 3 Per Kirkeby, sein Sohn Sophus mit dem kleinen Enkel, im Hintergrund ein Nemisee-Gemälde von La Cour, 2017, Privataufnahme Abb. 4 Janus la Cour beim Arbeiten im Atelier (Hof Langballegård bei Aarhus), o. Dat., Foto aus: Rikard Magnussen: Landskabsmaleren. Janus La Cour. 1837–1909, Kopenhagen 1928, S. 139 ›

23 Gefühl hat, eine der Studien hinge schief, dann geht er nach unten in die Malstube und richtet sie aus.6 Die Studien sind sein Werk, und sein Werk ist sein Leben. Wir stehen heute an einem ähnlichen Punkt wie La Cour damals, stehen inmitten technischer Revolutionen, deren Wirkungen man kaum abschätzen kann. Nebenbei fällt uns das Klima auf den Kopf. Und wir, auf dem Höhepunkt der Technik, GPS, KI und Same-Day-Lieferungen beim Online-Kauf hin oder her, müssen uns wieder darauf besinnen, was die Kamille kann, was die Biene braucht, was der Landschaft guttut. Wir müssen ähnlich konservierend und modern sein wie La Cour, müssen fortschrittlich sein, indem wir bewahren – das ist einer der Momente der Klarheit, die einen in unserer Ausstellung vor seinen Gemälden ergreifen mögen. »Irgendwo auf ihrem Weg von den Bäumen in die Hütten und weiter, bis in die viel zu teuren Singleapartments, hat die Menschheit die Stille getötet. Irgendwann zwischen Erfindung der Dampfmaschine und dem ersten Download einer Meditationsapp ist ein Grundrauschen entstanden, das erst verstummen wird, wenn die moderne Zivilisation eine verblassende Erinnerung ist.«7 So beginnt der auf Twitter berühmt gewordene El Hotzo seinen Debütroman Mindset von 2023. Dieses »Grundrauschen«, dieses Gefühl, dass die Stille verschwindet, hat der dänische Künstler Janus la Cour vor ungefähr 150 Jahren zum ersten Mal wahrgenommen, dieser Monolith der europäischen Kunst, der keine echten Vorbilder und keine Nachahmer hat. Ein weiterer Klarheitsmoment: Seine Bilder, eines um das andere, stellen den gelungenen Versuch dar, nicht nur die Stille für immer aufzubewahren, sondern sie an uns weiterzugeben. 1 La Cour an seinen Freund und Lehrer Peter Christian Skovgaard, 4. April 1867, im Original online einsehbar, https://www.ktdk.dk (15. 1. 2022). 2 Zu der unterschwelligen Beziehung von Kirkeby und La Cour vgl. den Essay von Ane Hejlskov Larsen im vorliegenden Band. 3 Simon Elson: Macht der Stille. Janus la Cour und das Bild der Natur, Dresden 2022. 4 Joakim Skovgaard: Minder om Janus la Cour, in: Kunstbladet, Kopenhagen 1909–1910, S. 265–269. 5 Florian Illies beschreibt diese einzigartigen Bilder, die der Sammler Christoph Müller bereits vor Jahren dem Pommerschen Landesmuseum in Greifswald geschenkt hat, noch einmal genauer in seinem Beitrag. 6 Die Sache mit den schiefen Studien erzählt Joakim Skovgaard, vgl. Joakim Skovgaard: Minder om Janus la Cour, in: Kunstbladet, Kopenhagen 1909–1910, S. 265–269. 7 Sebastian Hotz: Mindset, Kapitel 1, Romananfang, Köln 2023.

24 Kat. 9 Flussmündung, 1893 Sammlung Wolfgang Lührs, Naumburg, Dauerleihgabe im Altonaer Museum, Hamburg

25 Kat. 10 Sommerabend an der Flussmündung am Meer, 1892 Aarhus Kommune Kunstsammlung

26 Kat. 11 Vorzeichnung zur Fluss- mündungs-Version von 1895 Aros Kunstmuseum, Aarhus

Kat. 12 Flussmündung am Meer, stiller Vormittag im Juli, 1895 Christoph Müller Stiftung

Florian Illies Ein neuer, kühler Blick Janus la Cour macht die Natur reif für die Moderne

61 Janus la Cour malt in einer ganz entscheidenden Phase der europäischen Landschaftsmalerei. Ganz deutlich neigt sich das goldene Zeitalter der dänischen Malerei seinem Ende zu, als er in den späten 1850er-Jahren zu arbeiten beginnt. Es lebt im Skagen der 1880er-Jahre, als La Cours Hauptwerk entsteht, noch ein letztes Mal auf, in dem Licht auf den Gesichtern der Fischer und dem abendlich beruhigten Strand. Doch Janus la Cour malt stoisch immer dieselben Bäume an der Küste von Aarhus, dieselben Steine am Strand, denselben Fluss, der ins Meer mündet. Und als dann um 1900 die Moderne sanft beginnt, mit den Werken von Peter Ilsted und vor allem Vilhelm Hammershøi, mit ihren traumverlorenen Interieurs, da geht Janus la Cour weiter an die Küste und malt dieselben Steine und dieselben Bäume und dieselbe Flussmündung. Während er malt, entstehen erst der Impressionismus, Naturalismus und Symbolismus, dann Expressionismus und Kubismus. Doch nichts davon findet Widerhall in seinen Gemälden. Auf eine faszinierende, fast mönchische Weise hat er sich ferngehalten von den Strömungen der Kunst genauso wie von den Strömungen der Welt und immer wieder nur die pure Natur gemalt. Pure Natur. Ohne Menschen. Die besondere Energie, die von jeder seiner Leinwände ausgeht, rührt auch daher. Man weiß nicht, ob es eine Natur nach oder eine Natur vor den Menschen ist, die er malt und beschwört. In jedem Fall erfindet er eine eigene Zeitdimension in seiner Kunst, es gibt keine »Zeitgenossenschaft«, die sich in irgendwelchen Accessoires oder Attributen andeutet, es fahren keine Eisenbahnen durch seine Landschaften, Automobile schon gleich gar nicht, und das ganze Zeitalter der Industrialisierung findet woanders statt. Wenn man die Gemälde von Janus la Cour betrachtet, scheint es, als wolle da einer den Strom des Lebens anhalten und sagen: Es gibt nur eine Zeit, die Zeit der Natur, den ewigen Kreislauf aus Morgen, Mittag, Abend und aus Frühling, Sommer, Herbst. Davon erzählt jedes seiner Bilder (von der Nacht und vom Winter erzählen sie übrigens nur selten; dieser Däne wollte nachts am liebsten schlafen und war kein großer Freund der Kälte). Es gibt drei Aspekte, die diesen außergewöhnlichen Landschaftsmaler des 19. Jahrhunderts auszeichnen und ihn für das 21. Jahrhundert so faszinierend machen: die Richtung seines Blickes, die unterkühlte Temperatur seiner Malerei und seine Vorliebe für das Serielle. Während sein Lehrer Peter Christian Skovgaard in der Technik einen furiosen, ruhelosen, stellenweise fast schon abstrakten Plein-Air-Stil in der dänischen Ölstudienmalerei etabliert, motivisch aber den konventionellen Rahmen selten verlässt, wählt La Cour in seinem Werk genau den umgekehrten Weg. Seine handwerklich brillante Malerei, die mit dem Trommelfeuer unzähliger kleiner Striche die Natur wie eine fotorealistische Erscheinung auf der Leinwand erwachsen lässt, bleibt über weite Strecken realistisch und traditionell, dem frühen 19. Jahrhundert verhaftet, allerdings weitaus reduzierter. Seine Kompositionen jedoch, die abgesenkten Horizonte, die irritierenden Perspektiven, die radikalen Ausschnitte, das Serielle, sie sind von jäher Modernität. Modernität kann auch in der Verweigerung liegen. Erschöpft von Jahrzehnten glorioser Marinemalerei und Seestücken, mit prachtvollen Schiffen im Wellengang, mit landenden Fischerbooten und Fischersfamilien in Tracht, sucht Janus la Cour nach einem neuen Weg, die dänische Küste zu Kunst werden zu lassen. Blicken wir auf zwei kleine Studien vom Strand, denn gerade diese direkt vor der Natur in Öl gemalten Werke erzählen am meisten von La Cours ungewöhnlicher Perspektive. Er malt den Strand, an den kaum Wellen schlagen, das Meer ruht sich aus, die Steine auch, es liegt eine Erschöpfung über der von La Cour abgebildeten Welt. Er malt keine grandiosen Strände, nicht am liebsten die weißen Klippen von Møn wie die dänischen Landschaftsmaler vor ihm, nein, es sind namenlose Steine an einer namenlosen Küste, die er immer und immer wieder in den Blick nimmt, einen Felsbrocken auf Capri (Kat. 59) oder nordische Mineralien wie auf Küstensteine, Studie (Kat. 28) und Seegras und große Steine (Kat. 41).

62 Vor allem auf den dänischen dieser kleinen Studien wirkt es manchmal so, als sei auch der Himmel von einer großen grauen Decke überzogen und schlucke jedes Licht. Der Strand mit seinen Steinen kennt keine Schatten, alles steht und liegt gleichwertig und gleichgültig nebeneinander in einer Abfolge von Grau- und Brauntönen. Ganz links hinten sieht man jeweils etwas Meer, aber es zieht weder den Maler dorthin noch die Augen der Betrachter:innen. Das große Sehnsuchtsziel der Romantik hat bei La Cour seine utopische Kraft verloren. Wir blicken mit ihm herab auf das Gewöhnlichste, was er finden konnte. Eine zufällige Ansammlung von Steinen, altem Seetang, Moosbewuchs, dazwischen verschmutzter Sand, kleinere Steine. Derselbe Effekt, wenn er Wurzeln (Kat. 42) im Wald zeigt, einen Weg wie auf Wagenspuren (Kat. 40) oder kleine, unscheinbare Pflanzen wie in Studie von Blättern und Wildblumen (Kat. 34) – sehr viele seiner Ölstudien sind von diesem ungewöhnlichen Blick hinab geprägt.1 Janus la Cour scheint es gar nicht zu stören, dass er den Blick nicht weiten kann; er scheint es zu genießen, wie mit dem Teleobjektiv das Territorium unter seinen Füßen zu erkunden. Unter seinen Augen und unter seinem Pinsel weitet es sich plötzlich zu einer ganz eigenen, unendlichen Welt. Hier liegt das Neue seiner Kunst. Zunächst will man, getrieben von der Sucht nach Sensationen und der nächsten Aufregung, weitergehen, wenn man diese Bilder sieht, weiterschauen, ob es nicht doch noch ein spektakuläreres Motiv gibt, größere Versprechungen. Doch wenn man sich erst einmal eingelassen hat auf diese Welt in Moll, wenn man akzeptiert hat, dass es ein so windstiller Tag an der Küste ist, dass noch nicht einmal Wellen ans Ufer schlagen, wenn man also akzeptiert, dass es bei La Cour um die kleinen Sensationen geht, um die, die zwischen dem hellen Grau und dem dunklen Braun liegen, und darum, dass plötzlich ein paar grüne Grashalme rechts die Steine vorne links in einem leichten Rot aufleuchten lassen, ist man auf einem guten Weg. Nämlich hinunter. Auf genau diesen Weg will uns La Cour mitnehmen, und er weiß, dass er erst einmal schlechte Karten hat. Er weiß, dass er warten muss, bis seine Betrachter:innen realisieren, was er ihnen abverlangt. Weil er sie zwingt, auf den Boden zu schauen, ihnen den Blick in die Weite verweigert, der ihnen das gesamte goldene Zeitalter über offenstand. La Cours Kunst verlangt von Betrachtenden, damals genauso wie heute, eine unglaubliche körperliche Anstrengung, sie verlangt ein echtes Einlassen. Doch dann wird es zu einer Übung in Achtsamkeit, der eigene nervöse Blick kommt zur Ruhe, man ist am Ende dankbar für diese spröden Detailaufnahmen des Beiläufigen und Nebensächlichen, weil sie einen Teil der sichtbaren Welt zeigen, der meist übersehen wird. Man merkt dann auch, was es für ein kühner, moderner Verweigerungsakt des Malers ist, die kleinen Bilder oben nicht weitergehen zu lassen, sondern quasi abzuschneiden. Also nur den Vordergrund zu malen – und dann zu behaupten, dass das alles sei. Dass es keinen Mittelgrund braucht und schon gar keinen Hintergrund. Durch das Wiesenstück Waldboden mit Steinen und Farn von 1882 (Pommersches Landesmuseum) frisst sich ganz langsam eine unheimliche Stille. Man hat das Gefühl, dass die Braun- und Grüntöne der restlichen Leinwand nur noch einmal kurz gezeigt werden, bevor auch sie im schwarzen Dunkelgrün versinken werden. Es ist kein Wiesen-, sondern ein Meditationsstück. Man spürt, mit welch schnellem, federndem Pinsel La Cour hier die zwei, drei größeren Grasbüschel erfasst hat, wie er einen zerfurchten Weg mit seinen hellen und dunklen Brauntönen subtil und vital aus dem Waldboden stampft, wie er die Leinwand mit einem All-over aus Natur und Erdtönen überzieht. Ist das noch Realismus? Ist das noch Naturalismus? Braucht man da überhaupt noch den Symbolismus? Schaut man sich diesen Waldboden an, hat man das Gefühl, hätte Janus la Cour noch fünf Minuten weitergemalt, wäre dieses Bild zu einer einzigen Abstraktion geworden, zu einem Bild von Per Kirkeby, seinem späten Bewunderer und Sammler. In dieser kleinen, unscheinbaren Studie stößt La Cour ganz kurz die Tür zur Zukunft auf. Die Welt scheint sich ihrer Darstellbarkeit zu entwinden. Es geht nur noch um Grün und Braun und um ein bisschen helles Grau – siehe auch die Studie Waldmoor von 1885 (Kat. 36).

63 Denselben Blick hinab finden wir auch in La Cours kleinem Meisterwerk Steilküste, Strukturdetail (Kat. 50). Während die Studien vom Strand und vom Wiesenboden wirken, als habe jemand das Licht heruntergedimmt, damit die Natur ihre ganzen stillen farblichen Nuancen nahezu ungerührt und ungestört präsentieren kann, zeigt er hier ihr Aufblitzen im Sonnenlicht. Wieder macht La Cour das Meer, diesen großen Protagonisten der dänischen Malerei, zu einer vernachlässigbaren Lappalie, hinten rechts schimmert es auf in einem diffusen, weißlichen Blau. Um dich geht es heute nicht, so scheint ihm der Maler zuzurufen. Nein, es geht um den Sand und die Erde, die aus dieser Düne brechen und die von der Sonne zu einem skulpturalen Relief geformt werden. An zwei Stellen ist hier das sandige Erdreich abgebrochen, herabgesackt, und La Cour malt die Schatten und die Konturen mit einer Lust und Feinheit, als male er einen Körper. Ein Universum von Hellbrauntönen. Dazwischen ragt eine Zunge herab, ein steiniger, schmaler Grat, der offenbar noch nicht weggebrochen ist, und auf den setzt der Künstler ein atemraubendes Zeichen seines Könnens: Wie er hier, direkt vor der Natur, in kürzester Zeit mit dem Pinsel in Öl die Wirkung des Lichtes einfängt, das sich an dem Vorsprung bricht und im hellen Sand zu sich selbst kommt, das hätte jedem französischen Impressionisten Freudentränen in die Augen getrieben. Aber damit nicht genug. Kaum hat man so herabgeblickt auf diese Düne, auf diese Weise erneut den Blick ins Weite verweigert, da entdeckt man, ganz am Schluss, den linken Rand. Und was Janus la Cour da nun in einem Stakkato von Grün veranstaltet, treibt die Freiheiten seines Lehrers Skovgaard auf die Spitze. Da wird Gras zur Farbe, Farbe zu Gras, Natur zu Abstraktion, Abstraktion zu Natur. Ganz links oben dann verbinden sich das Grün und die Düne auf verschlungenen zehn, zwölf Quadratzentimetern zu einem winzigen grünbraunen Fest der Malerei. Es ist kein Wunder, dass Per Kirkeby diesen Maler schätzt. Auch wenn man sich La Cours Vegetation (Kat. 39) anschaut, kann man das Werk vorsichtig mit Kirkebys unbetiteltem Werk von 2005 (Kat. 24) assoziieren. Hier wie dort geht es um Farbe und Struktur. An der Steilküste, Strukturdetail (Kat. 50) zeigt sich die zweite innovative Leistung – parallel zu den Serien der Heuschober und der Kathedrale von Rouen, die Claude Monet malt, entdeckt La Cour den Zauber des Seriellen, oder anders ausgedrückt: den Zauber der verändernden Kraft des Lichtes auf ein und dieselbe Wirklichkeit. Es gibt eine zweite Studie dieses Motivs, Steilküste (Kat. 49), offenbar am selben Tag und kurze Zeit später gemalt, wie die ähnliche Gestimmtheit und der nur leicht veränderte Schatten in der abfallenden Düne zeigen. Die zweite Studie ist auf den 8. August 1883 datiert, was also auch für die erste Fassung gelten darf. Der Maler ist einfach ein paar Schritte weitergegangen. Der Blick ins Offene war doch zu verlockend, die Wolken türmten sich zu schön, das Glitzern auf den Wellen wollte ins Bild. Also malt er nach dem Zoom auf die Düne doch noch das Bild mit dem Weitwinkelobjektiv. Er schaut in die Ferne – und dennoch, in der vorderen Bildhälfte, wieder hinunter auf den Sand und das Gras. Als wolle er zeigen, dass er weiß, wie kostbar dieses Herabblicken bleibt, dass es in seinen Augen mithalten kann mit all den offensichtlichen Sensationen von Meer, Himmel, Wolken, Sonne. Auch hat er der Steilküste, so ist zu vermuten, noch eine kleine Studie beigefügt, Steinstrand (Kat. 51), wo er die Konstellation des Küstenzipfels genauer untersucht – direkt von den Nachkommen La Cours ist dieses im Format ganz besondere Bild in die Sammlung von Christoph Müller gekommen. Das Serielle, die variierenden Wiederholungen prägen aber nicht nur La Cour als Studienmaler. Nein, nicht nur direkt vor den Objekten reizt es ihn, die Wirkung des Lichtes und der Tageszeiten auf die Natur zu malen. Auch in seinem Atelier, wo dann auf der Grundlage der Studien seine großformatigen Gemälde entstehen, bindet er seine Lieblingsmotive in eine faszinierende Wiederholungsschleife. Als hätte der deutsche Poet Gottfried Benn schon das Werk von Janus la Cour gekannt, als er feststellt: »Wiederholungszwänge, nur sie ergeben Stil.« Es sind die verblüffend großformatigen Motive des unter hohen

64 Pappeln sanft ins Meer fließenden Flusses, es sind die hohen kahlen Buchen auf der hohen Düne, es sind auch Motive von der Villa d’Este aus Italien oder vom Gebirgsmassiv Monte Rosa aus den Alpen, bei denen er lustvoll zum Mittel der Variation des Gleichen greift. Ja, auch dieser Aspekt ist wichtig: Der Künstler, der erst jahrzehntelang bei der Skovgaard-Familie in Kopenhagen und von den 1880er-Jahren an bis zu seinem Tod im Jahr 1909 unverheiratet und kinderlos in der Nähe von Aarhus lebt, reist doch oft in den Süden – und er malt stets die Etappe dorthin, besonders die Alpen, die zu überqueren sind, und dann natürlich besonders die berückende Schönheit Italiens in allen Schattierungen. Unsere Ausstellung vermag erstmals auch aus der Schweiz und aus Italien Motivreihen von Janus la Cour zu zeigen, die demonstrieren, dass er das Prinzip des Seriellen keineswegs an seine dänische Heimat und die wichtigsten dortigen Jagdgründe bindet. Nein, es ist ein wichtiger Bestandteil seiner Ästhetik, dass er auch jenseits dänischer Motive auf europäischer Ebene darangeht, die Stabilität der Natur durch den Wechsel der Lichtstimmungen zu feiern. Ja, die Flussmündung bei Aarhus (Kat. 9–10, 12), der Nemisee (s. S. 19, 21) und der Villa-d’Este-Garten bei Rom (Kat. 63–65) sowie die Buchen hoch über einer nordischen Düne in Strand bei Aarhus I bis III (Kat. 21–23) – das alles wirkt in Serie noch feierlicher und überzeitlicher. Gerade weil es keine klassischen Motive sind, die La Cour wählt, macht deren Wiederholung sie klassischer. Es ist, als wolle er mit diesen Serien Walter Benjamins These, wonach die Aura eines Gegenstands »im Zeitalter ihrer Reproduzierbarkeit« abnehme, auf malerische Weise widerlegen. Es sind Varianten des Immergleichen, die überraschenderweise die Aura des dargestellten Naturausschnitts erhöhen – und letztlich genau das als kleines Präludium durchspielen, was Andy Warhol später mit seinen Siebdrucken von Marilyn, Mao und anderen auf die Spitze treiben sollte. Doch es fehlt noch der entscheidende Faktor, der die Kunst von Janus la Cour auszeichnet und seinen Werken diese Originalität, diese hohe Wiedererkennbarkeit verleiht. Es ist die Kühle seines Blickes. Nach zwei glühenden Generationen romantischer Landschaftsmalerei, die sich von der Schönheit und der Erhabenheit der Natur überwältigen ließen, erzeugt La Cour einen Temperaturabsturz. Sein Licht ist kalt, sein Blick ist nüchtern, er schaut auf die Felsen und die Bäume und die Steine und den Strand und das Wasser und die Dünen wie ein Arzt bei der Anamnese. Er besieht sich alles. Er bildet es ab. Er lässt sich nicht überwältigen. Er lässt sich nicht bezirzen. Und er lässt sich nicht herunterziehen. Er schaut einfach. Und manchmal auch zweifach, dreifach, vierfach, wie wir sehen. Und oft schaut er hinunter. Aber dann auch wieder nach vorne. Er malt Stein für Stein und Ast für Ast und Grashalm für Grashalm. Ganz am Schluss malt er auf magische Weise die Luft. Diese steht in seinen Bildern, immer, füllt den Raum wie flüssiges Harz. Und so kommt die Natur bei Janus la Cour zur Ruhe. Sie allein kann uns Momente der Klarheit schenken. 1 Aber auch zum Beispiel der aufgebrochene Boden eines Ackers auf einem großformatigen Meisterwerk aus dem Kopenhagener Statens Museum spielt genau diese Bodensicht aus – Landschaft bei Nejsum in Vendsyssel (1899), da hat man den Acker vorne auf fast zwei Breitenmetern vor sich.

65 Kat. 34 Studie von Blättern und Wildblumen, o. Dat. Privatsammlung

66 Kat. 35 Studie eines Baches an einer blühenden Wiese, o. Dat. Privatsammlung, Dänemark

67 Kat. 36 Waldmoor, 1885 Christoph Müller Stiftung

68 Kat. 37 Tyllinge (Schweden), 1881 Christoph Müller Stiftung

Signe Havsteen Weißes Rauschen Die stille Erzählung über Janus la Cour

79 In den kunsthistorischen Darstellungen Janus la Cours (1837–1909) werden seine scheinbare soziale Isolation und menschenleeren Motive zum Narrativ eines stillen und zurückgezogenen Malers ebenso stiller Bilder. Zudem steht La Cour in der Geschichte der dänischen Kunst des 19. Jahrhunderts zwischen Ruhe und Paukenschlag. Dezidiert »übersehen« wurde er nicht; er bekam bloß weder übermäßig viel noch auffällig wenig Aufmerksamkeit. Die Stille ist somit in mehr als einer Weise zu Janus la Cours Bestimmung geworden.1 Die Menge gleicher Motive und Wiederholungen in seinem Werk zeugen jedoch von einer gewissen künstlerischen Beständigkeit, die »lärmt«, wenn man sie ernst nimmt. Dieser Beitrag schlägt vor, La Cours Werke als eine Art »weißes Rauschen« zu verstehen, durch das die übliche Erzählung der Kunst des 19. Jahrhunderts als Entwicklung, weg von der Tradition hin zu einer Kultivierung der Modernität, infrage gestellt wird. Janus la Cour wurde nahe Ringkøbing geboren. La Cours Familie zog häufig um, wobei die Umgebung Djurslands besondere Bedeutung für seine frühe künstlerische Entwicklung hatte. Nachdem der Maler 1853 für sein Studium an der Kunstakademie nach Kopenhagen gegangen war, fand er in Peter Christian Skovgaard einen engen Freund und Arbeitspartner. Er zog zu den Skovgaards, wurde Teil der Familie und blieb bis 1884 – unterbrochen nur von längeren Reisen nach Südeuropa, die einen entscheidenden Anteil seiner Motive lieferten. Vor allen Dingen der Garten und die Landschaft um die Villa d’Este in Tivoli bei Rom sind wiederkehrende Motive. 1888 kaufte der Maler den etwas außerhalb von Aarhus gelegenen Hof Langballegård, auf dem er den Rest seines Lebens verbrachte. Er blieb unverheiratet und wird durchweg als sozialer Außenseiter beschrieben. Briefe und andere persönliche Zeugnisse geben keinen großen Einblick in sein Gefühlsleben, und die Aussage Joakim Skovgaards, es sei »charakteristisch für ihn, dass er einen entrindeten Baumstumpf mit der gleichen Liebe zeichnete, wie wir anderen eine herrliche Frau«,2 trägt zu dem Bild eines leidenschaftslosen und asexuellen Einzelgängers bei. Schließlich kehren Janus la Cours Werke dem, was sich in der wieder und wieder gemalten Natur3 eigentlich an Zeichen menschlicher Existenz finden müsste, demonstrativ den Rücken. Aus diesem Grund wurde er auch als »Maler der Stille« bezeichnet, und es wurde über die »Macht der Stille« in seinen Werken gesprochen.4 Manche Begegnungen mit seinen Bildern fühlen sich an, als wandere man durch ein arkadisches Vakuum, gespickt mit Fragmenten ungetrübter Naturbeobachtung. Die Werke als solche machen keinen »Lärm«, vielmehr erfordern sie meditative Kontemplation. Bei einem Motiv aus Mols (Abb. 1) blicken wir auf eine verlassene Ebene. Steine, die an dösende Flusspferde erinnern, ragen aus vereinzelten Wasserablagerungen. Obwohl das Motiv in der Nähe von La Cours Heimat bei Djursland gemalt wurde, liegt in dem Blick auf die Natur etwas Verfremdetes. Dieselbe leicht fremdartige Neugier finden wir in seinen Schilderungen der schweizerischen Berge in Kandersteg – teilweise versteckt unter einer atmosphärischen Wolkendecke – oder auch in den Bildern des Monte-Rosa-Massivs (Kat. 68–69) sowie des Schlosses Chillon am Genfersee (Kat. 56), das mit einer solchen glasklaren Einfachheit gemalt wurde, dass es in den Augen brennt. Bei einer Darstellung Abb. 1 Mols, bez. unten rechts: »23 Juli 1873 J l C«, Öl auf Leinwand, 38 × 61,2 cm, The Hirschsprung Collection, Kopenhagen

80 aus Nissum in Vendsyssel (Abb. 2) steht der oder die Betrachter:in in einer Landschaft aus weichem Moos und Hügeln, während sich spitze Gräser durch den Untergrund bohren. Das Aufeinandertreffen des Weichen und Harten steigert hier das Bewusstsein für die Stofflichkeit der Natur. Die menschenleeren Bildräume La Cours haben zu Vergleichen mit dem etwas jüngeren »Meister der Stille«, Vilhelm Hammershøi, animiert.5 Doch La Cours Stille ist eine andere. Wo Hammershøis Räume sich verdichten, voll von Staubkörnern, die im Licht vibrieren, sind La Cours messerscharfe Darstellungen meist frei von Dunst und Nebel. Die Betrachtenden finden sich vor einer verlorenen, inhaltsleeren Stille wieder. La Cour hielt die Modernität eigener Aussage nach für nicht »malerisch«.6 Die Industrialisierung oder die Großstadtkultur, die viele seiner Kolleg:innen in Dänemark und im Ausland schilderten, interessierten ihn nicht. Wenn La Cour sich vielleicht nicht über die Gegenwart erhaben zeigte, so kehrte er ihr doch in gewisser Weise den Rücken zu.7 Dieser Umstand verstärkt den Eindruck, man blicke beim Betrachten seiner Bilder in hallende Leerräume. Die Werke erzählen kaum etwas über die Zeit, in der sie entstanden sind, doch wenn sie etwas von uns wollen, ist es, unsere Aufmerksamkeit von dem Menschengemachten wegzulenken. Trotzdem kann bei La Cour nicht von Naturfantasien die Rede sein. Abb. 2 Nahe Nissum in Vendsyssel, bez. unten links: »Niisum. 7 Septbr 1896. J.la Cour«, Öl auf Leinwand, 45,4 × 75,6 cm, The Hirschsprung Collection, Kopenhagen

81 Seine Schilderungen zeigen stets präzise beobachtete Orte.8 Das bezeugt auch ein Teil der Post, die der Künstler in die Heimat sendete. Von seinen Reisen ist eine große Anzahl an Briefen und Ansichtskarten erhalten, darunter aus Orten, die er darstellte (Abb. 3). Manche seiner Bilder weisen eine bemerkenswerte Ähnlichkeit zu den Schmuckmotiven der Briefbögen und Karten auf. Ein Brief mit einer Abbildung des Schlosses Chillon, gesendet 1897 an den Verpächter des Langballegård, Lauritz Kristensen, fällt besonders ins Auge. La Cour nahm sich die gleiche Szene selbst zum Motiv. Ein kleiner schwarzer Punkt kennzeichnet – so geht es aus dem Schreiben hervor – die Stelle, an der er zum Arbeiten saß. Das Briefpapier zeigt ein großartiges Panorama des Genfersees und der dahinterliegenden Berge. Ein Zug schlängelt sich an dem zum Wasser hin gelegenen Schloss vorbei – eine Verbildlichung der neuen Errungenschaft, hinaus in die Welt reisen zu können. Janus la Cours Malereien in Verlängerung der von den vorfabrizierten Postkarten vermittelten tourist:innenfreundlichen Bildidyllen zu betrachten, stellt diese in einen konkreten historischen Kontext. Auch der Eindruck, auf seinen Werken sähe man die Welt aus den beobachtenden Augen Alleinreisender, verstärkt sich. Auffällig ist dabei das systematische Wegretuschieren störender Elemente wie beispielsweise der Eisenbahn. Im Licht von La Cours Äußerungen über die fehlenden malerischen Eigenschaften der Modernität kann seine konsequente Entscheidung gegen die Darstellung moderner Elemente als ein Versuch gelesen werden, das für ihn Unwesentliche zu übertünchen. Janus la Cour in der Kunstgeschichte Künstlerisch betrachtet ist Janus la Cour nicht Avantgarde – mit seinem mehr auf Tradition als auf die Zukunft gerichteten Blick gehörte er unter seinen Kolleg:innen eher zur Nachhut als zur Speerspitze. In anderen Worten: Er ist eine Übergangsfigur.9 Der Bildhauer Rikard Magnussen gab 1928 mit Landskabsmaleren. Janus La Cour. 1837–1909 die erste größere Einführung in das Leben und Werk des Malers heraus, welche eine zu diesem Urteil passende Anekdote enthält. Der Buchdrucker Frederik Gotschalk Knudtzon beschrieb, wie er in Rom mit La Cour wegen des Dichters Adam Oehlenschläger (1779–1850) aneinandergeriet; Knudtzon, der seine Zeitgenossen Henrik Ibsen (1828–1906) und BjørnAbb. 3 Postkarte »Le mont Rose«, La Cour an Familie Kristensen, 11. August 1902, Archiv The Hirschsprung Collection, Kopenhagen

82 sterne Bjørnson (1832–1910) bevorzugte, deutete La Cours Einstehen für Oehlenschläger als Ausdruck dessen »inwendiger Traditionsverbundenheit« und »konservativer Verstocktheit«.10 La Cour äußerte sich kritisch bezüglich der französischen und deutschen Gegenwartskunst. Trotz dieses künstlerischen Konservatismus war er Magnussen zufolge das Politische betreffend »Freigeist und Anhänger der Selbstbestimmung des Volkes«.11 Er berichtete nur selten über seine Kunst und seine Inspirationsquellen. Er formulierte, dass er im Großen und Ganzen kein Mensch sei, der viel schreibt.12 Bei Magnussen werden La Cours Werkverlauf und Lebensgeschichte parallel dargestellt. Ins Deutsche übersetzt lauten die Titel der ersten beiden Kapitel Familie und Abstammung sowie Kindheit und erste Lehrjahre. Darauf folgen die Reisejahre und Gute wie auch schlechte Zeiten. Das abschließende Kapitel trägt den Namen Einsamkeit, der auch gerne als Schlüssel für die lebensverlassenen Naturschilderungen angesehen wird. Die letzte bedeutende Einführung zu dem Dänen erschien mit der Publikation Macht der Stille von Simon Elson, in welcher der Maler stärker in einen größeren internationalen kunsthistorischen Kontext eingeordnet wird. Ausgangspunkt des Narrativs ist La Cours Weg zu einem »eigenen Stil« in der Periode um 1870, als er begann, vermehrt Naturschilderungen in größerem Format und mit Fokus auf Form und Linienführung zu produzieren. Seine Arbeit wird ins Verhältnis zu zeitgenössischen Malern wie Monet, Van Gogh und Courbet gesetzt, welche die Konturen der Entwicklung europäischer Malkunst im 19. Jahrhundert mitgestalteten.13 Beide Publikationen enthalten unterschwellig die Aussage, La Cour habe den Erwartungen der damaligen Kunsthistoriker:innen nicht ganz entsprochen und sich eigene Wege gesucht, fernab der menschlichen und künstlerischen Gesellschaften und damit auch losgelöst von der künstlerischen Entwicklung der Zeit. Der Kunsthistoriker Haavard Rostrup (1907–1986) schrieb Folgendes über La Cour: »Seine Malweise ist altmodisch glatt und blank, mit dünnen, fein verteilten Farben, die den Bildern eine kühle, emaillierte Oberfläche verleihen. Nur bei einzelnen seiner Studien kann man – was er selbst auch tat – einen Einfluss französischer Landschaftskunst feststellen. Er versuchte, seinen Bildern einen poetischen Inhalt zu verleihen, und strebte bewusst danach, sich Claude Lorrain anzunähern. Aber seine Landschaften sind merkwürdig glaciert [Kat. 63], atmosphärenlos, mit einem blechernen, weißen Licht. Eine tote Welt, ohne Menschen und Tiere. Das gilt für seine großen, blanken Alpenlandschaften, aber auch die dänischen und italienischen Motive.«14 In Danmarks Malerkunst von Emil Hannover (1864–1923) und Charles Been (1869–1914) wird La Cour folgendermaßen charakterisiert: »[...] Ein großes formales Talent, ein aristokratischer Feinschmecker, der Motive mit stilvoller Größe der Linien wählte, aber auch ein etwas kühles oder zurückhaltendes Temperament, dessen Leidenschaftslosigkeit oder vornehme Scheu, sich zu äußern, umso öfter als Trockenheit empfunden wurde und wird, als La Cour häufig ausgerechnet versuchte, das Wetter in seinen spontanen, gewaltigen Ausbrüchen zu schildern. Alles in allem doch ein Künstler, dessen soignierte, geschliffene und formvollendete Bilder stets eine Zierde für unsere Ausstellungen waren, insbesondere zu der besagten Zeit.«15 Beide Texte zeichnen die Konturen eines etwas seltsamen Künstlers und seiner undurchdringlichen Werke: »glatt und blank«, »emailliert«, »blechern«, »soigniert«, »geschliffen« und »aristokratisch«. Diese beschreibenden Adjektive haben etwas kühl Abweisendes, beinahe unmenschlich Künstliches. Die Betonung der formalen Eigenschaften und Oberflächen verleiht den Werken eine materielle Qualität: Man stellt sich nicht nur vor, wie sich die »blanken«, »glacierten« Bilder vor den Augen entfalten, sondern auch, wie es wohl sein mag, ihre »kühlen«, »geschliffenen« Oberflächen zu berühren. Eine Verbindung zu den ästhetischen Diskussionen des 19. Jahrhunderts über die Perzeption des Kunstwerks und das Verhältnis von Inhalt und Form wird angedeutet. Sie entfalten sich in einem Spannungsfeld zwischen den verschiedenen Kunstformen und einem Umbruch in Psychologie und Physiologie.16

83 1 Vgl. u. a. den Ausstellungskatalog Anne Sofie Ejersbo Frederiksen (et al.): Stilhedens maler, Aros Kunstmuseum, Aarhus 2007; Simon Elson: Macht der Stille. Janus la Cour und das Bild der Natur, Dresden 2022. 2 Vgl. Frederiksen (et al.) 2007, S. 89. 3 La Cour sucht die Orte seiner Motive oft vielfach und im Abstand mehrerer Jahre auf. 4 Vgl. Frederiksen (et al.) 2007; Elson 2022. 5 Zur Stille bei Hammershøi vgl. Camilla Klitgaard Laursen: Stilhedens mester i tobakfabrikantens kunstsamling: Vilhelm Hammershøi og Heinrich Hirschsprung, in: Annette Rosenvold Hvidt/ Gertrud Oelsner (Hg.): Vilhelm Hammershøi, Valdemar Schønheyder Møller og fotografiet, Kopenhagen 2021; Elson 2022, S. 115. 6 Vgl. Elson 2022, S. 44. 7 Dieses Narrativ ist auch in Rikard Magnussens Buch Landskabsmaleren. Janus la Cour. 1837–1909, Kopenhagen 1928, zu finden. 8 Vgl. Elson 2022, u. a. S. 12 ff., S. 150 ff., 160 ff. 9 Ebd., S. 142. 10 Magnussen 1928, S. 69. 11 Ebd., S. 48. 12 In einem Brief an J. Th. Jensen vom 22. Januar 1891 entschuldigt La Cour sich für seine verspätete Antwort und weist darauf hin, dass das Schreiben nicht seine größte Stärke sei. Der Brief befindet sich im Archiv der Hirschsprung-Sammlung (Den Hirschsprungske Samlings Arkiv). 13 Vgl. Elson 2022, S. 18. 14 In Erik Zahle (Hg.): Danmarks Malerkunst fra middelalder til nutid, Kopenhagen 1937, S. 200. 15 Emil Hannover/Charles Been (Hg.): Danmarks Malerkunst, Kopenhagen 1902, Bd. 2, S. 15. 16 Einige der Schlüsselwerke finden sich bei Harry Malgrave (Hg.): Empathy, form and space. Problems in German aesthetics 1873– 1893, Santa Monica, 1994. 17 Vgl. Elson 2022, S. 154. In Anknüpfung hieran lohnt es sich, einen Blick auf die Rolle der Wiederholung bei La Cour zu werfen. So weist Simon Elson darauf hin, dass sie für den Maler einen wichtigen Handgriff darstellte:17 Er kehrte fortlaufend zu denselben Motiven zurück, die sich mit der Zeit leicht verschoben. Von dem Motiv als singuläres Ereignis kann bei ihm somit nicht die Rede sein, eher von Motiv-Ketten, die Verbindungen quer durch die Zeit knüpfen. Dieses Insistieren auf der Wiederholung fordert die Vorstellung und lenkt die Aufmerksamkeit von dem einzelnen Werk auf die Ganzheit der künstlerischen Produktion. Welchen Eindruck hinterlässt der dänische Maler? La Cours handlungsleere Bilder der »Stille« äußern sich nicht als solche, sie stellen sich der Arbeit der Kunsthistoriker:innen in gewisser Weise in den Weg. Diese Erkenntnis schlummert unter der Oberfläche von Raastrup und Hannovers Charakterisierung der »glacierten«, »emaillierten« Bilder, die sich dem chirurgischen Blick der Kunsthistoriker:in zu entziehen scheinen. Doch wie lässt ein Künstler wie Janus la Cour sich dann in der Kunstgeschichte platzieren? Ein Künstler, der sich dem Treiben entzog und verbissen gegen die Entwicklung ankämpfte? Eine mögliche Erklärung zu La Cours Nebenrolle in der dänischen Kunst des 19. Jahrhunderts liegt wohl darin begründet, dass kunsthistorische Übersichtswerke von einer anhaltenden Vorliebe für Fortschritt und Umbruch geprägt waren und es immer noch sind. Ein weiterer Grund findet sich möglicherweise in der Stille und der Schweigsamkeit, um die es in der Literatur über den Künstler oft geht. Dies zeigt womöglich in besonderem Maße, dass er für Kunsthistoriker:innen nicht leicht zu fassen war. Richten wir die Aufmerksamkeit hingegen auf das gesamte Werkkorpus, treten andere Aspekte hervor. Angesichts La Cours Abneigung gegen die optische Verunreinigung der Industrialisierung nehmen die Motiv-Ketten als beharrliche Wiederholungen den Charakter einer Art visuellen weißen Rauschens an. Dieses Rauschen erzeugt, aus der Kraft der an der Schwelle zur Monotonie stehenden Wiederholung, mit gebieterischer Durchsetzungsfähigkeit eine Ausblendung oder auch Abschirmung des Menschengemachten. Die Wiederholung wurde nicht nur zu einer wirksamen künstlerischen Strategie, sondern auch zu einer lautstarken Modernitätskritik.

84 Kat. 44 Regenwetter über dem Strand der Kalvø-Bucht, 1883 SMK, the National Gallery of Denmark, Kopenhagen

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