Leseprobe

85 Kopie oder unersetzliches Original? Die Untersuchung und Restaurierung des Dresdner Stuckreliefs Madonna das Kind anbetend Stephanie Exner und Cäcilia Seidel Das Relief mit der Darstellung der Madonna und des Christuskindes lag über Jahrzehnte relativ unbeachtet im Depot der Skulpturensammlung. Ein dunkler, brauner Überzug beeinträchtigte das Erscheinungsbild so stark, dass zunächst die Vermutung im Raum stand, es handle sich um eine Kopie des 19. Jahrhunderts (Abb. 45). Tatsächlich war zunächst schwer ersichtlich, welch prachtvolle Bemalung sich unter diesem Überzug verbarg. Erkennbare Details sprachen jedoch für eine Datierung in das 15. Jahrhundert und die mögliche Zuordnung zur Malerwerkstatt des Neri di Bicci. Um diesen Fragen nachzugehen, wurden sowohl zerstörungsfreie Untersuchungen mithilfe strahlendiagnostischer Untersuchungsverfahren durchgeführt als auch Materialproben analysiert. Auf Basis dieser Ergebnisse sollte nicht nur die Authentizität geklärt, sondern auch die Restaurierung durchgeführt werden.1 Kunsttechnologische Untersuchungen Eine sichere Datierung des Reliefs über das Trägermaterial, das nachgewiesenermaßen hauptsächlich aus Gips besteht, war nicht möglich.2 In der Kunstwissenschaft wird für das Material meist der Begriff Stuck oder Stuckgips verwendet. Dabei handelt es sich um eine nach tradierten Werkstattrezepturen hergestellte Gussmasse, bei der Gips als Bindemittel fungiert, aber noch weitere Bestandteile wie Kalk, Tonmineralien und Zusätze auf Proteinbasis enthalten sein können.3 Für die Herstellung des Reliefs wurde die Gussmasse zunächst in eine liegende Negativform gegossen, was spezifische Quetschungen an den Außenkanten zeigen. Es lassen sich deutliche Hinweise auf die Verwendung von mindestens zwei qualitativ unterschiedlichen Gussmassen finden, sodass die Bildseite im Gegensatz zur Rückseite deutlich feinporiger erscheint. Die Frage, wer die Reliefrohlinge herstellte, ist nicht eindeutig zu beantworten. Bekannt ist, dass die Werkstätten von Bildhauern, Fassmalern und auch Goldschmieden mit der Anfertigung von Gipsabgüssen vertraut waren und eine enge Zusammenarbeit durchaus denkbar ist.4 Von Neri di Bicci weiß man, dass Bildhauer seine Werkstatt mit der Anfertigung solcher Repliken beauftragten.5 Bei den weiteren Untersuchungen des Reliefs wurde schnell deutlich, dass die erhaltene Fassung – also die Bemalung und Vergoldung des Reliefs – vor allem in der unteren Bildhälfte deutlich reduziert vorlag. Was sich jedoch erhalten hat, zeugt von großer Qualität und ursprünglichem Detailreichtum. Für die zeitliche Einordnung und Zuschreibung des Reliefs mussten eine Vielzahl von Beobachtungen und Analysen wie Puzzleteile gesammelt werden, um zu einem aussagekräftigen Gesamtbild zu gelangen. Dabei wurden Gemeinsamkeiten im technischen Aufbau und der Materialzusammensetzung mit mehreren bereits untersuchten italienischen Stuckreliefs aus dem 15. Jahrhundert festgestellt, die verschiedenen Malerwerkstätten zugeschrieben werden. Den meisten Stuckreliefs ist vor der eigentlichen Bemalung und Vergoldung ein vorbereitender Auftrag einer meist proteingebundenen Grundierung aus Gips und Bleiweiß gemeinsam, die Unebenheiten oder Fehler im Abguss ausgleichen sollte.6 Eine solche Grundierung liegt auch am Dresdner Relief vor. Madonnenbildnisse aus der Werkstatt Neri di Biccis weisen spezifische Gestaltungsmerkmale auf. Beispielsweise zeigen die Hintergründe häufig einen blauen Himmel, auf dem Wolkenstreifen verteilt sind, aus denen vergoldete Strahlen hervortreten.7 Diese charakteristische Himmel- und Wolkendarstellung mit vergleichbarer Fasstechnik lässt sich auch am Dresdner Relief feststellen (Abb. 46). Das dunkelblaue, matt-samtige Abb. 45 Zustand von Kat. 6 vor der Restaurierung 2022

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