Reliefs und Gemälde der Florentiner Renaissance D M
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Herausgeber: Staatliche Kunstsammlungen Dresden Holger Jacob-Friesen Claudia Kryza-Gersch Der Madonna ganz nah Reliefs und Gemälde der Florentiner Renaissance
Inhalt 6 Vorwort holger jacob-friesen 10 Florentiner Madonnenreliefs des 15. Jahrhunderts: Wie die Bildhauerkunst ein Genre transformierte claudia kryza-gersch 32 Katalog 84 Kopie oder unersetzliches Original? Die Untersuchung und Restaurierung des Dresdner Stuckreliefs Madonna das Kind anbetend stephanie exner und cäcilia seidel 92 Künstlerviten claudia kryza-gersch 94 Liste der Gemälde in der Ausstellung 98 Liste der Leihgaben von anderen Museen 99 Bibliografie 104 Impressum
Abb. 3 Vittore Carpaccio, Der Traum der hl. Ursula, um 1495, Öl auf Leinwand, Gallerie dell’Accademia, Venedig
11 Florentiner Madonnenreliefs des 15. Jahrhunderts: Wie die Bildhauerkunst ein Genre transformierte Claudia Kryza-Gersch »Kaum ein zweiter künstlerischer Gedanke hat die Bildhauer der italienischen Frührenaissance so lebhaft angeregt, so innerlich ergriffen und zur Formbildung gedrängt wie die Vorstellung von Maria mit dem göttlichen Kinde. Von Donatello an, der mit starker Hand und dem ganzen Ernste seiner Kunst zugriff, haben alle führenden Meister des Quattrocento ein Bestes an Wollen und Können an diese Aufgabe gesetzt [...].«1 Mögen diese Worte für das heutige Ohr auch etwas pathetisch klingen, so beschreiben sie dennoch im Kern richtig das eindrucksvolle Phänomen der Florentiner Madonnenreliefs des 15. Jahrhunderts. Ihr Verfasser, Paul Herrmann, war von 1915 bis 1925 Direktor der Dresdner Skulpturensammlung und klassischer Archäologe.2 Dennoch war ihm offenbar klar, dass es der Dresdner Skulpturensammlung an Beispielen dieser Kunstform mangelte, sodass er bei der Auktion der bedeutenden Sammlung Beckerath 1916 in Berlin zuschlug und zwei Terrakottareliefs (Kat. 3, 5) mit der Darstellung der Madonna mit Kind erwarb.3 Die Treffsicherheit seiner Auswahl ist erstaunlich, denn unter den rund 35 Madonnenreliefs, die in dieser Auktion angeboten wurden, suchte er Unikate von ganz besonderem Reiz aus. Herrmann setzte mit seinem Ankauf eine Initiative fort, die sein Vorgänger Georg Treu, ebenfalls Archäologe und Direktor der Dresdner Skulpturensammlung von 1882 bis 1915, eingeleitet hatte, als er 1893 eine Florentiner Stuckmadonna erwarb. Auch er bewies dabei ein gutes Händchen, denn es handelte sich um ein Original nach einem Entwurf von Desiderio da Settignano mit einer Farbfassung von Neri di Bicci (Kat. 6) – was damals allerdings noch niemand erkannte. 1902 kaufte Treu ein weiteres Stuckrelief, das sich als Original von Buggiano erweisen sollte (Kat. 4), gemeinsam mit einem kleinen oberitalienischen Madonnenrelief mit Rahmen (Kat. 7). Treu wurde bei diesen drei Einkäufen von niemand Geringerem als Wilhelm von Bode (1845–1929) unterstützt, dem legendären Berliner Museumsdirektor und einflussreichen Kunsthistoriker. Das heute nach ihm benannte Museum auf der Museumsinsel wurde nach seiner Konzeption 1904 gegründet und widmete sich hauptsächlich der italienischen Renaissance.4 Ganz anders hingegen war die Ausrichtung der Dresdner Skulpturensammlung, die die Entwicklung der abendländischen Plastik von der Antike bis zur Gegenwart abbilden wollte5 – ein einzigartiges Konzept, dessen Kühnheit bis heute beeindruckt. Um dieses Ziel zu erreichen, begann man in Dresden nicht nur damit, zeitgenössische Werke zu erwerben, sondern kaufte auch in großem Stil Abgüsse von berühmten Werken, deren Originale unerreichbar waren.6 Wo es aber möglich war, versuchte man selbstverständlich, an echte Objekte heranzukommen, und so war es angezeigt, sich um ein paar florentinische Madonnen der Renaissance zu bemühen. Während man im Berliner Bode-Museum heute Dutzende solcher Madonnenreliefs betrachten kann, war es in der Schausammlung in Dresden bisher nicht möglich, auch nur ein einziges Beispiel für diese wichtige Kunstform ausgestellt zu sehen, denn die vier (mit dem oberitalienischen Beispiel fünf) von Treu und Herrmann erworbenen Reliefs lagen mehr oder weniger unbeachtet im Depot. Warum dies vermutlich der Fall war und warum ihre Wiederentdeckung so bedeutsam ist, soll im Folgenden dargestellt werden. Florenz – die Wiege der Renaissance Florenz gilt – vielleicht mehr noch als als Venedig oder Rom – als Inbegriff der Renaissance, also jener Epoche, mit der die Menschheit in die sogenannte Neuzeit eintrat und das Mittelalter hinter sich ließ. Es erscheint wie ein Wunder, als dort um 1400 eine völlig neue Art von Künstlern die Bühne betrat und Werke geschaffen wurden, die den Menschen als Individuum in den Mittelpunkt stellten. Wie war das möglich? Dafür brauchte es das Zusammentreffen ganz bestimmter Umstände, und die waren offenbar in der Stadt am Arno gegeben. Florenz war seit 1250 eine Republik.7 Das hieß natürlich nicht, dass das Volk regierte, aber es gab auch keinen Fürsten,
12 und der Adel war vom politischen Geschehen mehr oder weniger ausgeschlossen. Dies ist ein wichtiger Faktor, da er zu einer patriotischen und selbstbewussten Gesinnung der Florentiner führte. Die Macht lag in erster Linie bei den sieben großen Zünften (Arti Maggiori: Anwälte, Richter und Notare, Kaufleute, Wollhersteller und -händler, Bankiers und Geldwechsler, Seidenweber und -händler, Ärzte und Apotheker, Kürschner und Pelzhändler) sowie in geringerem Maße bei den 14 Gilden der Handwerker (Arti Minori: Schlachter und Viehzüchter, Schmiede, Schuhmacher, Steinmetze und Holzschnitzer, Leinenhersteller, Winzer und Weinhändler, Gastwirte, Gerber, Kerzendreher, Sattler, Schlosser, Waffenschmiede, Zimmerleute, Bäcker und Müller). Es herrschte also ein kommerziell oder gewerblich tätiges Bürgertum, aus dessen Mitte die Prioren der Signoria gewählt wurden.8 Dieses System blieb mehr oder weniger unverändert bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts bestehen, als sich die Republik zur Monarchie wandelte: 1537 wurde Cosimo I. de’ Medici (1519–1574) Herzog, und für Florenz und die Toskana brach ein neues Zeitalter heran. Das Quattrocento und das Cinquecento, also grob gesagt die beiden Jahrhunderte der Renaissance, waren somit in ihrer politischen und sozialen Ausrichtung recht unterschiedlich.9 Wirtschaftlich erlebte Florenz in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts einen beträchtlichen Aufschwung, der sich vor allem auf die Textilverarbeitung und das Bankwesen stützte.10 Mit der Errichtung des Palazzo della Signoria, des heutigen Palazzo Vecchio, des Doms Santa Maria del Fiore und der Kirchen Santa Maria Novella und Santa Croce entfaltete sich auch schon eine rege Bautätigkeit. Im 14. Jahrhundert ging es nicht ganz so günstig weiter. Soziale Unruhen und kriegerische Auseinandersetzungen waren an der Tagesordnung, und die verheerende Pest von 1348 tat ein Übriges. Die Folge waren ein dramatischer Rückgang der Bevölkerung und eine schwere ökonomische Krise. 1378 kam es schließlich zum Aufstand der ciompi, der Wollarbeiter, die sich nicht in Gilden organisieren durften und zu den ärmsten Schichten der Stadt gehörten, dem popolo minuto. Trotz all dieser Katastrophen sollte sich Florenz jedoch wieder erholen. Gegen Ende des schwierigen 14. Jahrhunderts begann sich das Vermögen vor allem einer Familie zu vermehren: der Medici, denn aus den einstigen Textilhändlern wurden überaus erfolgreiche Bankiers. Der Aufstieg der Familie vollzog sich unter Giovanni di Bicci de’ Medici (1360–1429) und seinen Söhnen Cosimo il Vecchio (1389–1464) und Lorenzo (um 1395–1440), was jedoch nicht ohne dramatische Machtkämpfe ablief.11 Mit enormem Geschick tätigten sie ihre Bankgeschäfte und regierten de facto die Stadt, obgleich sie nur selten öffentliche Ämter bekleideten. Cosimo, der den Beinamen Pater Patriae (Vater des Vaterlands) erhielt, achtete streng darauf, sich stets als bescheidener Bürger unter Bürgern zu geben, war jedoch ein begnadeter Politiker, dessen Einfluss weit über Florenz hinausreichte. Seinen Reichtum nutzte er gezielt zur Förderung der Künste, denn er hatte ein Problem: Eigentlich verbot die Kirche das Erheben von Zinsen auf einen gewährten Kredit.12 Genau das tat Cosimo jedoch, und um sich von der Todsünde des Wuchers sozusagen freizukaufen, flossen großzügige Geschenke an Kirchen wie San Lorenzo, San Marco und die Badia in Fiesole. Daneben vergaß er aber nicht, auch den Ruhm seiner Familie zu mehren und ließ den Palazzo Medici errichten und kostbar ausstatten. Zu seinen Lieblingskünstlern zählten Filippo Brunelleschi (1377–1446), Michelozzo (um 1396–1472) und Donatello (um 1386–1466). Cosimos Mäzenatentum ist charakteristisch für die Epoche nach der Erholung von der Pest: Es gab etliche neue, reiche Familien, die gente nuova, die ihr Überleben gebührend feiern wollten. Mit diesen rudimentären Hinweisen zur faszinierenden Geschichte von Florenz sollte angedeutet werden, wie sich die Situation um 1400 in etwa darstellte. Die Stadt war eine sozusagen quasi-demokratische Republik, die von einem bürgerlichen Patriziat getragen wurde, wobei es durchaus ein gewisses Maß an sozialer Flexibilität gab. Der Wohlstand stützte sich im Wesentlichen auf Handel und Finanzwesen. Da die Florentiner traditionell antiautokratisch gesinnt waren, blieb die (noch) informelle Machtstellung der Medici nicht ohne Gegenwehr. Ein nicht geringer Teil der sozialen Rivalität spielte sich auf dem Gebiet des Palastbaus und der Ausstattung von Kapellen ab, und so führte diese besondere gesellschaftliche Konstellation – trotz permanenter Bedrohungen – zu einer bemerkenswerten Blüte der Kunst, die zusätzlich vom aufkommenden Humanismus befeuert wurde.13 Das 15. Jahrhundert begann in Florenz nicht nur mit gesellschaftlicher Konkurrenz, sondern auch mit einem künstlerischen Wettbewerb: Die Arte del Calimala, also die Zunft der Tuchhändler, die für den Erhalt und die Ausstattung des Baptisteriums zuständig war, suchte mit einer Ausschreibung den besten Künstler für die Ausführung der Bronzetür am Nordportal des ehrwürdigen Baus. Dies führte zur Anfertigung der berühmten Konkurrenzreliefs, von denen sich
Abb. 4 Bernardo Daddi, Hausaltar (Triptychon), um 1335/1340, Tempera auf Holz, Lindenau- Museum, Altenburg
Abb. 5 Lippo Memmi, Thronenden Madonna mit Kind, um 1330, Tempera auf Holz, Lindenau-Museum, Altenburg
15 jene von Brunelleschi und Lorenzo Ghiberti (um 1378–1455) erhalten haben (Florenz, Museo Nazionale del Bargello). Ghiberti ging als Gewinner dieses Wettbewerbs hervor, der auch als »Geburtsstunde der Renaissanceskulptur« bezeichnet wurde.14 In weiterer Folge schuf er nicht nur die Nordtür, sondern auch die sogenannte Paradiestür (1525–1552), während er in seiner Werkstatt einige der besten neuen Talente ausbildete. Selbst Donatello war für kurze Zeit (1404–1407) bei ihm tätig, bevor er sich selbstständig machte. Von Donatellos vielen bahnbrechenden Arbeiten sei hier nur die wahrscheinlich schon in den 1430er Jahren entstandene Bronzestatue des David erwähnt, die als erster männlicher Akt in Lebensgröße seit der Antike gilt. Der Geist des künstlerischen Wettbewerbs prägte auch die Vergabe der Aufträge für die Statuen der Schutzpatrone der Zünfte für die Nischen von Orsanmichele, die zunächst von Ghiberti, Donatello und Nanni di Banco (1373–1421) ausgeführt wurden. Mit diesen Werken übernahm die Bildhauerei endgültig die Führungsrolle in der Entwicklung der Künste, der erst ab 1425 mit Masaccio (1401–1428) auch ein Maler als würdiger Gegenpart entgegentrat. Um die Szenerie der Florentiner Bühne zu Beginn des 15. Jahrhundert zu komplettieren, sei noch einmal der Bildhauer und Architekt Brunelleschi genannt, der von 1418 bis 1436 die berühmte Kuppel des Florentiner Doms erbaute. Wenn auch in diesem kurzen Überblick nur ein Bruchteil der künstlerischen Schöpfungen, die in Florenz in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts entstanden, erwähnt werden kann, so nennt er doch die wichtigsten Namen und skizziert die Rahmenbedingungen für die Entstehung einer neuen Kunstform: des Madonnenreliefs für die private Andacht. Die Madonna wird Mensch Im Schatten der großen und berühmten Werke der Florentiner Frührenaissance entstand eine neue künstlerische Aufgabe, die von der Bildhauerei mit solcher Raffinesse umgesetzt wurde, dass sie auch hier ihre Führungsrolle behaupten konnte. Es ging dabei nicht um Paläste, Grabmäler oder Freskenzyklen, sondern um etwas sehr Einfaches: Reliefs für die private Andacht zu Hause, also um kleinformatige Werke für den individuellen Gebrauch.15 Auch hier muss man zuerst einen kurzen Blick zurück in das 13. Jahrhundert werfen, in dem sich das etablierte, was wir gemeinhin ein Altarbild nennen. Liturgisch gesehen, gab es dafür zwar keinerlei Notwendigkeit, aber die Gläubigen wollten nun einfach etwas betrachten, während der Priester die Messe zelebrierte.16 Das heißt, man gewöhnte sich an den Anblick eines Kultbildes, auf das man sich während des Betens konzentrieren konnte und das einem das zeigte, woran man glauben wollte und sollte. Von Anfang an sind dafür Darstellungen der thronenden Mutter Gottes, umgeben von Engeln und Heiligen, auch Maestà genannt, sehr beliebt gewesen.17 Schöpfungen von Cimabue (1240–1302) und Duccio (um 1255–1318/19) sind hier zu nennen, die ihre Wurzeln in der byzantinischen Malerei nicht verleugnen können. Auch Giottos (1267/1276–1337) um 1310 entstandene Ognissanti-Madonna (Florenz, Uffizien), obwohl im Stil schon moderner, gehört zu diesem Typus, der Maria auf einer fantasievollen Thronarchitektur sitzend mit dem Jesuskind auf dem Schoß vor einem goldenen Hintergrund zeigt. Es war nur eine Frage der Zeit, dass solche Bilder auch in einem kleinen Format hergestellt wurden. Zunächst blieben diese jedoch Luxusgüter, die in ihrer Ausführung die Kostbarkeit der großen Vorbilder kopierten. Der kleine Hausaltar des Lindenau-Museums in Altenburg von Bernardo Daddi (nachweisbar 1320–1348) mit seinem aufwändig geschnitzten Rahmen und der reichen Vergoldung ist dafür ein typisches Beispiel (Abb. 4).18 Die Mitteltafel, die eine Maestà zeigt, kann durch das Zuklappen der seitlichen Flügel, auf denen die Verkündigung, die Geburt Christi und sein Kreuzestod zu sehen sind, zu einer handlichen und transportablen Kassette transformiert und vielfältig eingesetzt werden. Nicht weniger kostbar ist die sich ebenfalls im Lindenau-Museum befindliche Thronende Madonna mit Kind von Lippo Memmi (nachweisbar 1317–1347), die einmal Teil eines Diptychons war, also von zwei miteinander verbundenen Tafeln, die mittels eines Scharniers – ähnlich wie ein Buch – zusammengeklappt werden können (Abb. 5).19 Wie bei Daddi ist auch hier ein besonderes Augenmerk auf die prachtvolle Wiedergabe edler Stoffe gelegt und die Vergoldung mit punzierten Mustern bereichert. Für wen solche teuren Objekte angefertigt wurden, lässt sich nicht sicher feststellen. Anzunehmen ist, dass sie für den klösterlichen Bereich, für den individuellen Gebrauch des höheren Klerus, für kleine Kapellen von Bruderschaften oder in Rathäusern gedacht waren, und dass sie auch der eine oder andere wohlhabende Laie besessen haben mag.20 Für breitere Kreise waren sie jedoch nicht gedacht, und dies scheint im Laufe des 14. Jahrhunderts immer mehr zu einem Manko geworden zu sein. Wie bereits erwähnt, war das 14. Jahrhundert in Florenz durch eine einschneidende Erfahrung geprägt: Die Pest von
33 1 Isis mit dem Horusknaben (Isis lactans) Ägypten, 664–332 v. Chr. Bronze, H. 12,1 cm, B. 3,8 cm Skulpturensammlung bis 1800, Inv.-Nr. Aeg 549 Provenienz: 1831 von Alessandro Ricci, Florenz, angekauft. Literatur: Marc Loth in Dresden 2022, 73, Kat.-Nr. 7. Die kleine Statuette zeigt eine sitzende Frau mit einem Kind auf ihrem Schoß, dem sie die Brust zum Trinken darreicht. Es handelt sich um die ägyptische Göttin Isis, die Schwester und Gemahlin des Totengottes Osiris, und ihren Sohn Horus. In der ägyptischen Mythologie wurde Isis als Göttin der Geburt, Wiedergeburt und Magie betrachtet. Sie galt aber auch als Beschützerin aller Wesen in Bedrängnis und vor allem als himmlische Muttergestalt, was im Motiv des Säugens ihres Kindes Ausdruck fand. Als Urbild von Fruchtbarkeit und Mutterschaft wurde Isis auch bei den Griechen und Römern verehrt und lieferte schließlich das Vorbild für die christliche Darstellung der Mutter Jesu als stillende Maria (Maria lactans). Bedeutungsvoll ist dabei ihre sitzende Pose, die als thronende zu verstehen ist. Dies verweist darauf, dass der Name »Isis« so viel wie »Thronsitz« bedeutet, während Horus als mythischer Archetypus des legitimen Königs galt.1 CKG 1 Assmann 1991, 144–177.
35 gedacht waren, gibt es auch Exemplare mit einem Griff auf der Rückseite, die als sogenannte Pax oder Kusstafel Verwendung fanden.2 Diese wurde bei der Messfeier vom Priester den Gläubigen zum Kuss dargeboten, um solcherart seinen Friedensgruß zu verbreiten. Diese rituelle Handlung wird heute meist durch einfaches Händeschütteln vor oder nach der Kommunion, begleitet von den Worten »Der Friede sei mit dir«, vollzogen. Als Schöpfer der Komposition gilt der oberitalienische Goldschmied und Medailleur Moderno, der mit Galeazzo Mondella identifiziert wurde. Seinen Künstlernamen, mit dem er auch signierte, hatte er sich offenbar als Antwort auf das Pseudonym des nur wenige Jahre älteren mantuanischen Hofbildhauers Pier Jacopo Alari Bonacolsi (1460–1528) gewählt, der sich »Antico« nannte, um seine tiefe Verbundenheit mit der Kunst der Antike zum Ausdruck zu bringen.3 Im Unterschied zum Mantuaner, der sich in seinen Werken nur 2 Nach Galeazzo Mondella, genannt Moderno (1467–1528) Madonna mit Kind Oberitalien, Entwurf um 1500, Galvanoplastik vermutlich aus dem späten 19. Jahrhundert Metalllegierung, H. 11,2 cm (ohne Öse), B. 7,1 cm Skulpturensammlung bis 1800, Inv.-Nr. NI 079 Provenienz: 1973 vom Grünen Gewölbe, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, übernommen. Literatur: Unpubliziert. In einem als Ädikula gestalteten architektonischen Rahmen sieht man die Darstellung einer offenbar am Boden hockenden Mutter Gottes, die dem auf ihrem Schoß sitzenden Jesuskind ihre rechte Brust zum Trinken darbietet. Der sehr bewegt gestaltete Knabe wendet sich jedoch ab und vollführt eine heftige Drehung nach links. Der Grund dafür ist wohl die Figur, die hinter Maria erscheint: Es handelt sich um den heiligen Joseph, den Ziehvater Christi, der ein Kreuz in der Hand hält, vor dem das Kind erschrocken zurückweicht, da es an sein bevorstehendes Schicksal gemahnt. Es handelt sich also nicht wirklich um den Darstellungstypus einer Maria lactans, da nicht der Akt des Stillens, sondern nur die Absicht dazu gezeigt wird. Im Hintergrund sind die Figuren von weiteren Heiligen zu erahnen, während zwei kleine Engel mit einer ringförmigen Krone über dem Haupte Mariens schweben. Im dreieckigen Giebelfeld sind Gott Vater und ein Engelsköpfchen mit Flügeln zu erkennen. Pilaster und Sockel der Ädikula sind mit gemusterten Bändern und einem leeren Wappenschild verziert. Die Plakette ist in mehreren Exemplaren bekannt; manche davon sind vergoldet oder aus Silber gegossen (Abb. 21).1 Während Plaketten mit einem Ring zum Aufhängen für die private Andacht entweder zu Hause oder auf Reisen Abb. 20 Giampietrino, Madonna mit Kind, um 1520, Öl auf Leinwand, Galleria Borghese, Rom
75 10 Ernst Julius Hähnel (1811 – 1891) Schwebende Mutter mit Kind im Arm (Grabmalentwurf) 1870er Jahre (?) Gips, H. 33,5 cm, B. 16 cm, T. 4 cm Skulpturensammlung ab 1800, Inv.-Nr. ASN 519 (Abg.-ZV 3824b) Provenienz: Schenkung des Künstlers am 2. August 1890. Literatur: Unpubliziert. Die Entwicklung einer immer mehr individuell-künstlerisch gestalteten Sepulkralskulptur ging entscheidend einher mit der Veränderung der Bestattungskultur um 1800.1 Beisetzungen fanden nicht mehr in den Kirchen oder innerhalb der sie umgebenden Kirchhöfe statt, sondern auf Friedhöfen, die vor den Toren der Stadt neu angelegt wurden.2 Dazu hatten hygienische Gründe und die wachsende Bevölkerung in den großen Städten in der Zeit der Industrialisierung geführt. Es ging nicht mehr allein um höfische oder klerikale Bestattungen, sondern um Begräbnisse einer aufgeklärt-bürgerlich wohlhabenden Schicht. In Kleinstädten oder auf dem Lande allerdings bildeten künstlerische Grabmale eher die Ausnahme. Bei der Gestaltung der Werke entwickelte sich im 19. Jahrhundert ein großer Variantenreichtum, nicht nur was die Form betraf, sondern auch die Attribute und Dekorationen. Besonders beliebt blieb jedoch stets die Stele, deren Fläche Platz für Inschriften bot und mit einem Bildnis, einem szenischen oder allegorischen Relief geschmückt werden konnte.3 Trauernde weibliche Gestalten, oft in antike Kleidung gehüllt, gehörten ebenso zu dem gebräuchlichen Figurenrepertoire und dem sich etablierendem Kanon wie Engel, weibliche und männliche, die Personifikationen der Verstorbenen in das Jenseits begleiteten. Hähnels nicht durchmodellierte Skizze ist als ein Entwurf für ein solches Grabmal zu verstehen. Im Flachrelief zeigt es eine Mutter, die ihr Kind liebevoll im Arm hält und mit wehendem Gewand und verschleiertem Haar in die Lüfte schwebt. Nicht allein der Zustand des Schwebens und die himmelwärts gerichteten Blicke verweisen auf den Kontext der Auferstehung, sondern auch der erhobene rechte Arm des Kindes mit dem nach oben zeigenden Finger. Das Bildthema legt nah, dass der Entwurf für ein Grabmal eines früh verstorbenen Kindes oder einer bei der Geburt verstorbenen Mutter gedacht war. Ob es tatsächlich ausgeführt wurde, muss an dieser Stelle offen bleiben.4 Ernst Julius Hähnel gehörte neben Ernst Rietschel (1804– 1861) zu den Begründern und bedeutendsten Protagonisten der Dresdner Bildhauerschule des 19. Jahrhunderts, deren Werke bis heute Plätze und Bauwerke der Stadt prägen. Der in Dresden geborene Hähnel studierte zunächst in der Residenzstadt Architektur und setzte sein Studium ab 1830 in München fort, bis er dort von Rietschel und Ludwig von Schwanthaler (1802– 1848) zum Wechsel in das Fach Bildhauerei angeregt wurde.5 Nach Aufenthalten in Florenz und Rom entschied er sich 1832 endgültig, seine Zukunft der Skulptur zu widmen. Bis 1838 blieb Hähnel bei Schwanthaler in München, als Gottfried Semper (1803–1879) ihn dazu bewog, nach Dresden zurückzukehren, um ihn mit der Anfertigung eines Teils der Skulpturen am neuen Hoftheater zu betrauen. Auch Rietschel, seit 1834 Professor an der Kunstakademie, waren Teile des plastischen Bauschmucks übertragen worden. So kehrte Hähnel nach Dresden zurück und schuf neben den Werken für das Hoftheater auch bald Arbeiten für den ebenfalls von Semper ausgeführten Neubau des Galeriegebäudes am Dresdner Zwinger. Eines der Werke, die dort schließlich ab 1855 eine neue Heimat fanden, war auch die Sixtinische Madonna (1512/13) von Raffael (1483–1520). Dieses zu Hähnels Zeiten ebenso wie heute als singulär empfundene Gemälde mit der auf den Wolken schwebenden Madonna, die das Kind schützend im Arm hält, mag ihn inspiriert haben, den Bildtypus aufzugreifen und für seinen Grabmalentwurf zu verwenden, denn bei der Darstellung kann zwischen Mutter oder Madonna kaum unterschieden werden. AN 1 Maaz 2010, 226–265. 2 Dehmer 2020, 7–21. 3 Maaz 2010, 236. 4 Ein Werkverzeichnis der Skulpturen Ernst Julius Hähnels ist ein Desiderat der Forschung. 5 Nielsen 2018, 230.
77 11 Jules Dalou (1883–1902) Mutterliebe Um 1874, Guss nach 1902 Bronze, H. 21,5 cm, B. 10,7 cm, T. 9,7 cm/ Sockel: H. 4 cm, B. 12 cm, T. 12 cm Skulpturensammlung ab 1800, Inv.-Nr. ZV 2471 Provenienz: Angekauft 1912 von A. A. Hébrard in Paris. Literatur: Bärbel Stephan in Dresden 1994, 202–203, Kat.-Nr. 227. Das Talent des aus einer Handwerkerfamilie stammenden Dalou wurde von dem Bildhauer Jean-Baptiste Carpeaux (1827–1875) entdeckt, der ihn förderte und seinen Eintritt in die Académie des Beaux-Arts in Paris ermöglichte, nachdem Dalou zuvor die Pétite École besucht hatte und hier bei Horace de Boisbaudrans (1802–1897) unterrichtet worden war, der in der Ausbildung besonderen Wert auf die präzise Naturbeobachtung legte. Dalou wurde zu einem der herausragenden Bildhauer der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und war vor allem für seine Denkmäler berühmt, wie etwa den Triumph der Republik (1879–1899) auf dem Place de la Nation in Paris.1 Nach der Niederschlagung der Pariser Kommune 1871 war Dalou 1874 für sein politisches Engagement in Abwesenheit zu lebenslanger Zwangsarbeit verurteilt worden und verbrachte die nächsten Jahre im Exil in London. Infolge einer Amnestierung konnte er 1880 nach Paris zurückkehren und seine künstlerische Laufbahn wiederaufnehmen. 1883 beteiligte er sich erstmals am Pariser Salon – der alljährlich von der Académie des Beaux-Arts veranstalteten Ausstellung – und erzielte hier großen Erfolg, denn die Ausstellung wurde von der Kritik als »Salon de Dalou« bezeichnet.2 Viele seiner Denkmäler, seine eindringlichen Porträts und die weiblichen Genrestatuetten offenbaren ein großes Interesse an den Themen der bürgerlichen Gesellschaft und der Arbeiterschaft, begründet durch die eigene Herkunft. Auch aus diesem Grund gilt Dalou neben Constantin Meunier (1831–1905) als »Vorkämpfer auf dem Gebiet sozial engagierter realistischer Plastik«.3 Seine Idee, ein Denkmal für die Arbeiter zu schaffen, blieb allerdings vor seinem Lebensende unvollendet.4 Während seiner Londoner Zeit schuf Dalou mehrere Frauenfiguren, darunter etwa auch eine Stillende Pariserin (1874, Paris, Musée d’Orsay). Die kleine Dresdner Bronze ist als spiegelverkehrte Version und vor allem als skizzenhaft modellierte Fassung dieser detailliert und naturalistisch ausgeführten Statuette zu verstehen. Die sitzende junge Mutter hat den Fuß in bequemer Haltung etwas erhöht abgestellt und blickt auf den Säugling in ihrem Schoß, den sie zu stillen beginnt. Wie bei Charpentier (Kat. 12) ist auch dies eine moderne Interpretation des Darstellungstypus’ der Maria lactans, der im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts nicht nur von Dalou aufgegriffen wurde; auch Künstlerkollegen wie Paul Dubois (1829–1905) oder Eugène Carrière (1849–1906) widmeten sich diesem Thema.5 Dalou war »die industrielle Serienproduktion von Plastik zuwider«, sodass er keines seiner Werke serienmäßig in Bronze gießen ließ.6 Zudem schätzte er alle »Vorstudien gering, zerstörte zahlreiche eigene Modelle« und »faßte die Studie lediglich als ein Mittel künstlerischer Selbstverständigung auf, das nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollte. Er ließ nur das finale Werk gelten.«7 So war der Guss dieser skizzenhaften Statuette also keineswegs von Dalou beabsichtigt. Es war vielmehr sein Nachlassverwalter, der schon bald nach seinem Tod 1902 eine Vielzahl von Werken in hohen Auflagen bei den bekannten Gießereien ausführen ließ. In einem Schreiben vom 21. Dezember 1911 der Gießerei A. A. Hébrard in Paris an Georg Treu wird ein Guss der »Maternité« (Mutterschaft) zum Kauf angeboten und darauf verwiesen, dass die Auflage auf zehn Exemplare begrenzt sei. Treu akzeptierte den Preis, und so gelangte das Werk nach Dresden.8 AN 1 Hünigen 1989. 2 Hünigen 1999, 547. 3 Ebd., 548. 4 Schmoll gen. Eisenwerth 1985, 189–194. 5 Auch in der Bildhauerei in Deutschland wurde das Thema aufgegriffen; siehe dazu Maaz 2010, 57. 6 Maaz 1992, 138. 7 Ebd., 138. 8 Künstlerakte Dalou, Archiv Skulpturensammlung, Staatliche Kunstsammlungen Dresden.
79 12 Alexandre Charpentier (1856–1909) Junge Mutter, ihr Kind stillend 1882 Zinn, H. 42 cm, B. 27,5 cm Skulpturensammlung ab 1800, Inv.-Nr. ZV 1299 Provenienz: 1894 aus dem Pariser Kunsthandel (Chaine & Simonson) erworben. Literatur: Paris 2008, 81–83, Kat.-Nr. 22; Bärbel Stephan in Dresden 1994, 188–191, Kat.-Nr. 181. Alexandre Charpentier absolvierte zunächst eine Ausbildung bei einem Graveur und besuchte ab 1873 die École des Beaux-Arts in Paris, wo er die Medaillengravur bei Hubert Ponscarme (1827–1903) erlernte, der selbst als Wegbereiter »eines auf malerische Behandlung mit weichen Übergängen zielenden Stils«1 galt. Die Medaillenkunst erlebte in den 1880er Jahren in Frankreich eine Renaissance, und das Ausstellungswesen sorgte für die positive Wahrnehmung und Verbreitung der Medaille.2 Künstler, die sich rege an den Ausstellungen (wie zum Beispiel der Weltausstellung in Paris 1889) beteiligten, wurden rasch über die Grenzen des Landes hinaus bekannt. Diese Entwicklungen weckten schließlich auch das Interesse von Georg Treu (1843–1921) in Dresden. Der Archäologe Treu hatte 1882 sein Amt als Direktor der Königlichen Skulpturensammlung angetreten und widmete sich ab 1894 verstärkt der zeitgenössischen Kunst. Sein besonderer Fokus lag dabei auf der in Europa als stilistisch führend und revolutionär empfundenen französischen Skulptur. Wie andere seiner Kollegen auch, widmete sich Charpentier nicht ausschließlich der Medaillenkunst, sondern schuf auch kunstgewerbliche Gegenstände, von denen Treu von 1894 bis 1915 etliche erwarb, darunter auch das Relief Mutter und Kind.3 Der Jugendstilkünstler Charpentier war an unterschiedlichen Art-Nouveau-Großprojekten beteiligt, so etwa an der Villa Majorelle in Nancy, der Ausgestaltung des Cabaret de Chat Noir oder dem Speisezimmer für den französischen Bankier Adrien Bénard (1846–1912).4 Das Relief zeigt eine junge Mutter im Profil auf einem Stuhl sitzend, ihr Fuß ist bequem auf einem kleinen Schemel abgestellt. Der intime Moment des Stillens ihres Sohnes, den sie in entspannter Haltung im Arm auf ihrem Schoß hält, ist als Momentaufnahme wiedergegeben. Charpentier deutete so den religiösen Darstellungstypus der Maria lactans um, ohne das Motiv wörtlich zu übernehmen oder es zu überhöhen. Vielmehr übertrug er das Bild in die Gegenwart, in das häusliche Leben seiner Umgebung – es ist die moderne und bürgerliche Version der Madonna mit dem Kind. Dargestellt ist allerdings nicht die Ehefrau Charpentiers, sondern die Schwester des Schwagers, was allerdings keine wichtige Rolle spielt, denn Charpentier verlieh dem Werk eine allgemeingültige Aussage. Dieses Relief machte den Künstler berühmt. Nachdem er 1883 eine Gipsversion im Salon des Artistes ausgestellt hatte, kaufte es der französische Staat an. Der Erfolg war schließlich so groß, dass es in ganz unterschiedlichen Materialien und Größen ausgeführt wurde, zwischen eineinhalb Metern und acht Zentimetern.5 Als Verzierungselement fand es zehn Jahre später zudem Verwendung an einem Armoire à layette (1893), auch Meuble à layette (Babyausstattungsschrank) genannt.6 Es ist bemerkenswert, dass die plastische Qualität der Arbeit nicht unter diesem Variantenreichtum litt. Die Kritik jedenfalls äußerte sich nahezu enthusiastisch. So hieß es: »Im kleinsten Relief mit den gewagten Verkürzungen werden die Figuren modelliert und zum Leben erweckt; unendliche Zärtlichkeit breitet sich in dieser köstlich einfachen Szene aus. Auch wenn es in Aussehen und Anordnung sehr modern ist, ist dieses Werk – und das ist sein größtes Lob – keine Modeerscheinung. Keine Künstlichkeit, einfach natürlich. Sie bezauberte, als sie erschien, sie verführt heute, und noch viele Jahre lang werden diejenigen, die sie betrachten, von Emotionen ergriffen sein.«7 AN 1 Berlin 1995, 127. 2 Nielsen 2022, 36. 3 Paris 2008, 81–83, Kat.-Nr. 22; siehe Rainer Grund in Dresden 1994, 188–191, Kat.-Nr. 194–199. 4 Vgl. Paris 2008. 5 Bei dem Dresdner Zinnguss handelt es sich um das dritte von insgesamt 20 Exemplaren. 6 Emmanuelle Héran in Paris 2008, 81–83, Kat.-Nr. 22, hier 82. 7 Saunier 1895, 551 (Übersetzung der Verfasserin).
85 Kopie oder unersetzliches Original? Die Untersuchung und Restaurierung des Dresdner Stuckreliefs Madonna das Kind anbetend Stephanie Exner und Cäcilia Seidel Das Relief mit der Darstellung der Madonna und des Christuskindes lag über Jahrzehnte relativ unbeachtet im Depot der Skulpturensammlung. Ein dunkler, brauner Überzug beeinträchtigte das Erscheinungsbild so stark, dass zunächst die Vermutung im Raum stand, es handle sich um eine Kopie des 19. Jahrhunderts (Abb. 45). Tatsächlich war zunächst schwer ersichtlich, welch prachtvolle Bemalung sich unter diesem Überzug verbarg. Erkennbare Details sprachen jedoch für eine Datierung in das 15. Jahrhundert und die mögliche Zuordnung zur Malerwerkstatt des Neri di Bicci. Um diesen Fragen nachzugehen, wurden sowohl zerstörungsfreie Untersuchungen mithilfe strahlendiagnostischer Untersuchungsverfahren durchgeführt als auch Materialproben analysiert. Auf Basis dieser Ergebnisse sollte nicht nur die Authentizität geklärt, sondern auch die Restaurierung durchgeführt werden.1 Kunsttechnologische Untersuchungen Eine sichere Datierung des Reliefs über das Trägermaterial, das nachgewiesenermaßen hauptsächlich aus Gips besteht, war nicht möglich.2 In der Kunstwissenschaft wird für das Material meist der Begriff Stuck oder Stuckgips verwendet. Dabei handelt es sich um eine nach tradierten Werkstattrezepturen hergestellte Gussmasse, bei der Gips als Bindemittel fungiert, aber noch weitere Bestandteile wie Kalk, Tonmineralien und Zusätze auf Proteinbasis enthalten sein können.3 Für die Herstellung des Reliefs wurde die Gussmasse zunächst in eine liegende Negativform gegossen, was spezifische Quetschungen an den Außenkanten zeigen. Es lassen sich deutliche Hinweise auf die Verwendung von mindestens zwei qualitativ unterschiedlichen Gussmassen finden, sodass die Bildseite im Gegensatz zur Rückseite deutlich feinporiger erscheint. Die Frage, wer die Reliefrohlinge herstellte, ist nicht eindeutig zu beantworten. Bekannt ist, dass die Werkstätten von Bildhauern, Fassmalern und auch Goldschmieden mit der Anfertigung von Gipsabgüssen vertraut waren und eine enge Zusammenarbeit durchaus denkbar ist.4 Von Neri di Bicci weiß man, dass Bildhauer seine Werkstatt mit der Anfertigung solcher Repliken beauftragten.5 Bei den weiteren Untersuchungen des Reliefs wurde schnell deutlich, dass die erhaltene Fassung – also die Bemalung und Vergoldung des Reliefs – vor allem in der unteren Bildhälfte deutlich reduziert vorlag. Was sich jedoch erhalten hat, zeugt von großer Qualität und ursprünglichem Detailreichtum. Für die zeitliche Einordnung und Zuschreibung des Reliefs mussten eine Vielzahl von Beobachtungen und Analysen wie Puzzleteile gesammelt werden, um zu einem aussagekräftigen Gesamtbild zu gelangen. Dabei wurden Gemeinsamkeiten im technischen Aufbau und der Materialzusammensetzung mit mehreren bereits untersuchten italienischen Stuckreliefs aus dem 15. Jahrhundert festgestellt, die verschiedenen Malerwerkstätten zugeschrieben werden. Den meisten Stuckreliefs ist vor der eigentlichen Bemalung und Vergoldung ein vorbereitender Auftrag einer meist proteingebundenen Grundierung aus Gips und Bleiweiß gemeinsam, die Unebenheiten oder Fehler im Abguss ausgleichen sollte.6 Eine solche Grundierung liegt auch am Dresdner Relief vor. Madonnenbildnisse aus der Werkstatt Neri di Biccis weisen spezifische Gestaltungsmerkmale auf. Beispielsweise zeigen die Hintergründe häufig einen blauen Himmel, auf dem Wolkenstreifen verteilt sind, aus denen vergoldete Strahlen hervortreten.7 Diese charakteristische Himmel- und Wolkendarstellung mit vergleichbarer Fasstechnik lässt sich auch am Dresdner Relief feststellen (Abb. 46). Das dunkelblaue, matt-samtige Abb. 45 Zustand von Kat. 6 vor der Restaurierung 2022
86 schiedene Punziereisen festgestellt werden, die in der Form auch an etlichen weiteren Tafelbildern der Werkstatt erkennbar sind (Abb. 48).10 Sorgfältig und mit feiner Pinselzeichnung wurden die Gesichter, Hände und das Haar der beiden Figuren ausgeführt. Das hellrosafarbene Inkarnat mit aufgesetzten dunkleren Rötungen der Wangen und Schattenpartien ist fast vollständig erhalten. Es ist dünn und einschichtig aufgetragen worden. Analysen weisen auf die Verwendung von Bleiweiß und Zinnoberrot hin, für die Rötungen wird zusätzlich Mennige und Eisenoxidrot vermutet. Die blonden Haare von Maria und dem Kind weisen als Hauptfarbmittel das Pigment Bleizinngelb auf. Auf dem gelben Grund sind einzelne Strähnen als filigrane Linien gesetzt, die mittels Ausmischungen desselben Pigments, Zinnoberrot sowie eisenhaltigen Erdpigmenten erzeugt wurden. Für dieses fast zitronenfarbene Bleizinngelb ist die häufige Verwendung in der Renaissance belegt, während es ab dem 18. Jahrhundert zunehmend in Vergessenheit geriet.11 Bleizinngelb taucht auch in der Mantelgestaltung Mariens auf. Der äußerlich dunkelblaue Mantel weist nämlich ein Abb. 46 Detail der Wolken mit vergoldeten Strahlen Erscheinungsbild im oberen Bereich des Himmels wurde durch die Verwendung von Azurit erreicht, eines der für die Zeit des Mittelalters und der Renaissance wichtigsten Blaupigmente.8 Im mittleren bis unteren Bereich des Himmels erfolgt die zunehmende Farbmischung mit Bleiweiß, sodass sich zum Horizont hin eine hellere, himmelblaue Farbigkeit ergibt. Die von den Wolken ausgehenden Strahlen wurden in der Technik der Mordentvergoldung hergestellt. Das heißt, das zu verzierende Muster wurde mit einem flüssigen Anlegemittel, welches Bienenwachs, trocknendes Öl und auch Eigelb enthalten kann, exakt aufgemalt und anschließend mit Blattgold belegt (Abb. 47).9 Ein weiteres wiederkehrendes Gestaltungsmerkmal Neris ist die Verzierung der vergoldeten Nimben durch Punzierung. Hierbei werden verschiedene Muster mittels Hämmerchen und Metallstiften, die geometrisch geformte Spitzen wie zum Beispiel Kreise oder Punkte haben, in den mit Blattgold belegten Goldgrund getrieben. Ein bei Neris Werken oft zu findendes Motiv sind sechsblättrige Blumen mit kreisförmigem Zentrum, und genau solche zeigen sich auch im Nimbus der Madonna auf dem Dresdner Relief. Dort konnten drei verAbb. 47 Querschliff einer Probe aus einem vergoldeten Wolkenstrahl: 0 Grundierung, 1 hellblaue Farbe aus Bleiweiß und Azurit, 2 rötliches Anlegemittel, 3 Blattgold, 4 bräunlicher Überzug
87 Abb. 48 Punziertes Blumenmuster im Nimbus Mariens mit mindestens drei verschiedenen Punziereisen: 1 hohle Kreisform, 2 größere abgerundete Spitze, 3 abgerundete feine Spitze Abb. 49 Fassungsrest des blauen Mantels mit vergoldetem Blattornamentband Abb. 50 Teilrekonstruktionsversuch des Blattornaments
88 Partien erhalten ihre matt-samtige, leicht glitzernde Textur durch die Verwendung eines wässrigen Bindemittels wie Leim, Kasein oder Ei statt trocknendem Öl.14 Das macht sie unter ungünstigen Bedingungen allerdings anfälliger für Beschädigung und Verlust. Die wenigen erhaltenen dunkelblauen Partien der Mantelaußenseite an den Schultern Mariens zeigen noch Reste einer vergoldeten Verzierung der Mantelsäume mit einem Blattrankenmuster (Abb. 49, 50); es wurde wie die Wolkenstrahlen im Himmel durch Mordentvergoldung hergestellt. Vergoldete und punzierte ornamentale Verzierungen befanden sich vermutlich auch am Kragen und den Ärmeln des Kleides der Madonna. Hier lassen sich jedoch nur noch mikroskopisch kleine Reste feststellen, sodass eine Rekonstruktion des Musters nicht mehr möglich ist. Das Kleid erschien ursprünglich in einem kräftigen Rot aus Krapplack.15 Die leuchtend rote Farbe wurde in mehreren lasierenden Schichten direkt auf die Grundierung aufgetragen (Abb. 52). Die am Dresdner Relief erkennbare Darstellung der Mutter Gottes mit rotem Gewand, blauem Mantel mit gelbem Futter und einem weißen Schleier mit charakteristischer Streifenmusterung wiederholt sich vielfach auf Stuckreliefs und Tafelbildern aus der Werkstatt Neri di Biccis. Unterschiede lassen sich jedoch in der Farbigkeit des gegürteten Hemdchens des Christuskindes feststellen, das entweder Grün oder Weiß sein kann. Auch die wenigen Fassungsreste am Dresdner Relief erscheinen weißlich und deuten auf die Verwendung von Bleiweiß hin. Eine Besonderheit des Dresdner Reliefs ist die Darstellung von Kettchen aus roten und schwarzen Perlen am Hals und vermutlich auch am linken Handgelenk des Christuskindes.16 Die Perlenkette um den Hals ist gut erhalten, am Handgelenk lassen sich nur noch hauchdünne Reste von schwarzen Perlen nachweisen (Abb. 53). Zusammenfassend lässt sich Folgendes feststellen: Es ist nur eine Fassung auf dem Dresdener Stuckrelief vorhanden. Die bisherigen Materialuntersuchungen sprechen dafür, dass es sich um eine historische Fassung aus dem 15. Jahrhundert handelt. Die Befunde entsprechen Beobachtungen und Forschungsergebnissen, die an vergleichbaren Stuckreliefs aus der Zeit gewonnen wurden.17 Auch der fragmentarische Erhaltungszustand und das spezifische Schadbild der Fassungsreste, das sich nicht durch eine Fälschung erzeugen lässt, untermauern diesen Befund. Der extensive Einsatz von für die Zeit der Renaissance kostspieligen Materialien, einAbb. 52 Mikroskopaufnahme der roten Farbe des Kleides Abb. 51 Fassungsrest des gelben Mantelfutters mit roten Punkten gelbes Innenfutter auf, das durch die Faltung des Stoffes nur an der rechten Schulter und unter dem rechten Arm sichtbar ist. Heute sind davon nur noch Reste erhalten. Der ehemals hellgelbe Stoff zeigt eine aufwändige Musterung mit aufgemalten kleinen roten Punkten (Abb. 51).12 Die rote Farbe enthält roten Krapplack auf Basis von Farbstoffextrakten aus den Wurzeln der Färberkrapp-Pflanze. Dieses seit Jahrtausenden bekannte organische Farbmittel wurde erst im späten 19. Jahrhundert durch synthetische Alizarinkrapplacke verdrängt.13 Für die dunkelblaue Mantelaußenseite wurde wie im Himmel Azurit als Pigment verwendet. Die damit bemalten
89 schließlich der wiederkehrenden Verwendung von Gold und Azurit, ist bemerkenswert. Azurit galt als Halbedelstein und wurde je nach Reinheit des Mineralgesteins in verschiedenen Qualitäten gehandelt.18 Nur die Verwendung der teureren und grobkörnig gemahlenen Qualität sorgt für die tiefe dunkelblaue Tönung, wie sie am Dresdner Relief zu finden ist. Blaue Pigmente und reines Gold wurden daher als kostspieligste Rohstoffe in den Verträgen zwischen Malern und Auftraggebern festgehalten.19 Eine gesicherte Zuordnung des Dresdner Reliefs zur Malerwerkstatt Neri di Biccis ließ sich jedoch allein auf Basis der Materialuntersuchungen nicht durchführen. Für die Herstellung in der Werkstatt di Biccis Abb. 53 Detail der rotschwarzen Korallenkette am Hals des Christuskindes sprechen jedoch die festgestellten charakteristischen und werkstatttypischen Gestaltungsmerkmale der Fassung. Die Restaurierung Neben den umfangreichen Verlusten der originalen Fassung entstellte vor allem der gedunkelte, braune Überzug auf der gesamten Bildseite das überkommene Erscheinungsbild des Stuckreliefs. Die Untersuchungen des Materials ergaben Hinweise auf ein inzwischen durch Alterung stark abgebautes organisches Bindemittel. Dadurch war die Identifizierung nicht mehr eindeutig durchführbar; vermutet wurde die Verwendung eines trocknenden Öls und/oder Naturharzes. Das
92 Künstlerviten Michele di Bartolomeo Michelozzi, gen. Michelozzo (um 1396–1472) Michelozzo entstammte einer gutbürgerlichen Familie und machte sich als Architekt und Bildhauer einen Namen.1 Er arbeitete als Stempelschneider für die Florentiner Münze und war ein Experte für Bronzeguss. In dieser Eigenschaft ist er für Lorenzo Ghiberti tätig gewesen, den er bei der Ausführung der Baptisteriumstüren und der Bronzestatue des Hl. Matthäus für Orsanmichele unterstützte. 1424 gründete er eine Werkstattgemeinschaft mit Donatello, und zusammen führten sie das Grabmal für Baldassare Coscia im Florentiner Baptisterium aus. Auch an Donatellos Außenkanzel des Doms in Prato war er beteiligt. Michelozzo erfreute sich der Förderung durch Cosimo de’ Medici, für den er unter anderem den großen Stadtpalast entwarf. Obwohl hochtalentiert und einflussreich, steht der Künstler bis heute unverdienterweise im Schatten von Donatello und Brunelleschi. Andrea di Lazzaro Cavalcanti, gen. Il Buggiano (1412–1462) Andrea wurde in einem kleinen Ort in der Nähe von Pistoia namens Borgo a Buggiano geboren, wovon sich sein Beiname ableitet.2 1419 wurde er von dem bedeutenden Architekten Filippo Brunelleschi (1377–1446) adoptiert und nach Florenz gebracht,3 wo er im Ambiente der Baustellen seines Wohltäters, wie der Kuppel des Doms und der Alten Sakristei von San Lorenzo, zum Bildhauer heranwuchs. Die meisten seiner Werke, die sich stilistisch stark an Donatello anlehnen, sind auch in eben diesem Umfeld zu finden: der Altar (1432) und das Grabmal des Giovanni de’ Medici und seiner Gemahlin (1433) in der Alten Sakristei, die beiden prächtigen Lavabos der Dom-Sakristeien (1432–1440 beziehungsweise 1442–1445), der Tabernakel in Sant’Ambrogio (1433) und die Kanzel in Santa Maria Novella (1443–1448). Buggiano war kein innovativer, sondern ein eklektischer und solider Künstler. Seine etwas derben Figuren haben jedoch eine durchaus liebenswerte Bodenständigkeit, sodass sich seine Madonnenreliefs, die sich an Werken Luca della Robbias und der Rossellino-Werkstatt orientieren, großer Beliebtheit erfreuten.4 Abb. 55 Nanni di Banco, Relief am Sockel der Nische der Quattro Coronati, gestiftet von der Zunft der Steinmetzen und Holzschnitzer, 1410–1418, Orsanmichele, Florenz
93 Nanni di Bartolo (aktiv 1419–1437) Über Nanni di Bartolo ist sehr wenig bekannt.5 Man nimmt an, dass er seine Ausbildung in der Werkstatt Donatellos erfahren hat, dessen Stil er so sehr in sich aufnahm, dass er fast wie ein weniger origineller Zwilling des Meisters erscheint. Greifbar wird er ab 1419, als er mit Arbeiten am Statuenschmuck für den Florentiner Dom betraut wurde: So assistierte er Donatello (um 1386–1466) bei dessen Gruppe Abraham und Isaak und führte selbstständig die Propheten Obadja und Josua aus. In den frühen 1420ern dürfte Nanni auch etliche, teilweise ganzfigurige Madonnen aus Terrakotta geschaffen haben,6 eine Technik, in der er, angeregt von Donatello, großes Geschick entfaltete. 1424 ist der Bildhauer in Venedig dokumentiert, wo er an Skulpturen für die Markusbasilika und den Dogenpalast arbeitete. Es folgte das Grabmal des Niccolò Brenzoni in der Kirche San Fermo Maggiore in Verona, dessen Hintergrund von Pisanello freskiert wurde. In Tolentino in den Marken führte Nanni die Madonna über dem Portal der Kirche San Nicola da Tolentino aus. Das Grabmal des Beato Pacifico in Santa Maria Gloriosa dei Frari in Venedig, das als einziges Monument in der Lagunenstadt aus Terrakotta besteht, wird ebenfalls Nanni zugeschrieben. Ob der Künstler jemals wieder nach Florenz zurückkehrte, ist ungewiss. Neri di Bicci (1418/1420–1492) Neri wurde zwischen 1418 und 1420, wahrscheinlich in Florenz, geboren.7 Sein Vater war der Maler Bicci di Lorenzo (1368/1373–1452), der seinerseits der Sohn des ebenfalls als Maler tätigen Lorenzo di Bicci (um 1350–1427) war. Neri stammte somit aus einer Künstlerfamilie. Dementsprechend wurde er auch in der väterlichen Werkstatt ausgebildet, deren Leitung er ab der Mitte der 1440er Jahre übernahm. Neris Stil war konservativ und der Tradition verhaftet, was seinem Erfolg jedoch keinen Abbruch tat: Aus seiner Steuererklärung aus dem Jahr 1480 geht hervor, dass er zu den wohlhabendsten Malern in Florenz zählte.8 Sein Œuvre umfasst zahlreiche Fresken und Altartafeln sowie an die 50 Gemälde der Madonna mit Kind. Von besonderer historischer Bedeutung ist Neri di Biccis Werkstatt-Tagebuch, die Ricordanze, in denen er zwischen 1453 und 1475 genau verzeichnete, welche Aufträge er für wen ausführte und was er dafür verrechnete. Dieses für die Zeit einzigartige Dokument wird heute in den Uffizien in Florenz verwahrt.9 Desiderio da Settignano (um 1430–1464) Desiderio wurde entweder 1429 oder 1431 in Settignano, einem knapp acht Kilometer nordöstlich von Florenz liegenden Dorf, geboren.10 Seine beiden älteren Brüder Francesco und Geri sowie auch sein Vater waren Steinmetzen. Obwohl Desiderios Œuvre stark unter dem Einfluss Donatellos steht, dürfte er nicht sein Schüler gewesen sein. Einiges spricht hingegen dafür, dass er in der Werkstatt von Bernardo (1409–1464) und Antonio Rossellino (1427–1479) ausgebildet wurde.11 Desiderios Leben und Werk betreffend sind nur wenige Fakten dokumentiert. Da er jedoch schon in jungen Jahren bedeutende Aufträge erhielt, dürfte sein außergewöhnliches Talent bald erkannt worden sein. Zu seinen gesicherten Arbeiten zählen das Grabmal des Florentinischen Kanzlers Carlo Marsuppini in Santa Croce (1453–1459) und der von den Medici beauftragte Sakramentstabernakel in San Lorenzo (vollendet 1461; vgl Kat. 9). Desiderio war auch als Porträtist tätig, wie die Büste der sogenannten Marietta Strozzi (Bode-Museum, Berlin) oder seine zauberhaften Kinderköpfe (Kunsthistorisches Museum, Wien; National Gallery of Art, Washington) bezeugen. Desiderios besondere Begabung lag jedoch in der Gestaltung von Reliefs, wobei er vor allem das von Donatello erfundene rilievo schiacciato (flachgedrückt) virtuos weiterentwickelte. Seine subtile Bearbeitung des Marmors lässt diesen weich wie Wachs erscheinen und erzeugt eine geradezu atmosphärische Räumlichkeit. Der Hl. Hieronymus (National Gallery of Art, Washington), der Tondo mit Christus und Johannesknabe sowie das Porträt des Julius Cäsar (beide Musée du Louvre, Paris) oder die Madonnen Panciatichi (Museo Nazionale del Bargello, Florenz; vgl. Kat. 8), und Foulc (Philadelphia Museum of Art) sind anerkannte Beispiele seine Meisterschaft. 1 Zur Vita siehe Doti 2010. 2 Zur Vita siehe Hyman 1979. 3 Bellandi 2018, 349. 4 Ebd., 221–228. 5 Zur Vita siehe La Bella 2001. 6 Zu den Nanni di Bartolo zugeschrieben Madonnen siehe Jolly 1993, 59–64, 158–167. 7 Zur Vita siehe Rivoletti 2013. 8 Comanducci 2003, 106; Holmes 2003, 214. 9 Bruno Santi in Florenz 2016, 200, Kat.-Nr. 20. Für die Edition der Ricordanze siehe Santi 1976. 10 Zur Vita siehe Markham Schulz 1991. 11 Zu den unterschiedlichen Ansichten in Bezug auf Desiderios Ausbildung siehe Langhanke 2013, 92–98.
94 Liste der Gemälde in der Ausstellung Abb. 56 Byzantinisch-italienische Schule Thronende Madonna mit Kind Kreuzfahrerreich, Ende 13. Jahrhundert Tempera auf Pappelholz, H. 20,3cm, B. 14,8 cm Gemäldegalerie Alte Meister, Gal.-Nr. 23 Provenienz: 1860 erworben auf der Auktion der Slg. Samuel Woodburn bei Christie, Manson & Woods, London. Literatur: Schölzel 2023, 70–73, Nr. 1; Marx/Hipp 2007, 565, Nr. 2033. Abb. 57 Naddo Ceccarelli (aktiv 1330–1360) zugeschrieben Madonna mit dem Kind Siena, um 1340 Tempera auf Pappelholz, H. 33 cm, B. 16 cm Gemäldegalerie Alte Meister, Gal.-Nr. 28 Provenienz: 1846 erworben aus der Nachlassversteigerung von Carl Friedrich von Rumohr (1785–1843), Dresden. Literatur: Schölzel 2023, 84–88, Kat. 4; Marx/Hipp 2007, 489, Nr. 1714. Abb. 58 Andrea di Bartolo (aktiv: 1389–1428), Umkreis Thronende Madonna mit Kind, der hl. Katharina und der hl. Lucia Siena, um 1400 Tempera auf Pappelholz, H. 53 cm, B. 24 cm Gemäldegalerie Alte Meister, Gal.-Nr. 32 Provenienz: 1846 erworben aus der Nachlassversteigerung von Carl Friedrich von Rumohr (1785–1843), Dresden. Literatur: Schölzel 2023, 101–105, Nr. 8; Marx/Hipp 2007, 489, Nr. 1715.
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