Leseprobe

5 Die Jahrzehnte um 1900 nannte man oft eine Zeitenwende: ein Begriff, der heute wieder hochaktuell ist. Auch viele Themen des gesellschaftlichen Lebens, die damals verhandelt wurden, sind 125 Jahre später immer noch bzw. abermals von großer Relevanz. »Ich fürchte, dass alle Frauenversammlungen ebenso wenig nützen wie Versammlungen der Männer und genau ebenso viele Spaltungen und Uneinigkeiten erzeugen wie diese [...]. Trotzdem aber glaube ich an die Berechtigung der Frauenemanzipation – wie ich an die Sonne glaube. Sie liegt in der Luft, sie ist zeitgemäss, unaufhaltsam [...]. Wenn aber jetzt schon in der Kunst ein so starkes Spriessen und Wachstum des weiblichen Talents zu bemerken ist, da noch so viele Schwierigkeiten uns hemmen, wie wird es erst heut über hundert Jahren bei uns ausschauen?«1 Hermione von Preuschen, 1896 Moderne Frauen Künstlerinnen um 1900 ANDREAS DEHMER Women’s Art Rising Für die Geschichte weiblicher Kunst in Dresden war 1904 ein wichtiges Jahr. Im März stellten elf Frauen in der neu gegründeten »Gruppe Dresdner Künstlerinnen« gemeinsam im Kunstsalon Emil Richter aus – eine Ausnahme im männlich dominierten Kunstbetrieb der sächsischen Residenzstadt.2 Die englischsprachige Tageszeitung »The Daily Record and the Dresden Daily« hätte titeln können: »Women’s Art Rising«. Allerdings geschah dies nicht voraussetzungslos. Schon im späten 19. Jahrhundert begann der Aufstieg damals sogenannter Frauenkunst. Waren Künstlerinnen bereits in den akademischen Ausstellungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts durchaus präsent, begegneten sie auf ihren Wegen – von der Ausbildung und Marktteilhabe bis zur öffentlichen Wahrnehmung und Anerkennung – dennoch zahlreichen Vorurteilen, Hürden und Einschränkungen.3 Mit den zunehmenden gesellschaftlichen Veränderungen und infolge erstarkender Bestrebungen um die Gleichberechtigung der Geschlechter ab 1850 gewannen auch die bis dato unter den Generalverdacht des Dilettantismus gestellten Frauen im Kunstschaffen allmählich an Gewicht.4 Im Verein mit Frauenbewegung und Lebensreform wurden Möglichkeiten größerer Unabhängigkeit und befreiender Selbstverwirklichung gesucht. Aber nicht ausschließlich ein trotziges Treten aus dem Schatten oder ein offener Kampf gegen Unsichtbarkeit, Hildegard von Mach: Plakat »Carl Tittmann’s Buchhandlung«  S. 55

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1