Leseprobe

52 nierte fortan meist mit Doppelnamen. Das Dresdner Exemplar kam erst 1983 als Geschenk in die Skulpturensammlung. Nach privatem Unterricht bei den Bildhauern Otto Geyer und Adolf Jahn an der Technischen Hochschule Charlottenburg, ihrem Debüt auf der Berliner Kunstausstellung und Eintritt in den Berliner Künstlerinnenverein 1892 war Lilli Finzelberg bereits 1893 mit drei Werken an der Weltausstellung Chicago (im »Woman’s Building«) beteiligt. Im selben Jahr trug eine von vielen Zeitschriften verbreitete Anekdote zu ihrer frühen Berühmtheit bei. Hierbei handelte es sich um ein Gespräch zwischen der Bildhauerin und ihrer Schwester mit dem Reichskanzler a. D. Otto von Bismarck am 16. August in Bad Kissingen, das im Ausschnitt einen vermeintlich amüsanten Wortwechsel enthielt und mit einer übergriffigen Geste endete: »Nach fast dreiviertelstündiger Unterhaltung erhob sich Fürst Bismarck, die beiden Damen bedankten sich für die ihnen zu Theil gewordene Ehre und Auszeichnung und wollten die Hand der Fürstin und des Fürsten küssen, aber beide lehnten das entschieden ab. Der Fürst, kurz entschlossen, sagte: ›Das wollen wir einfacher machen‹ – und küsste beide Mädchen herzhaft ab.«5 Eine Reaktion der ungefragt Beküssten wurde nicht überliefert. In der Folgezeit schuf Finzelberg-Wislicenus – zum Teil auch dank verwandtschaftlicher Beziehungen – zahlreiche Porträts, Grabfiguren sowie 1910/1913 ein vier Meter hohes Bismarckstandbild in Bronze für Rathenow (verloren). Aus dem Jahr 1910 datiert zudem eine trauernde Frauenfigur in Bronze für das Familiengrab auf dem Wilmersdorfer Friedhof in Berlin, die in einer weiteren Fassung auch auf einem Moskauer Friedhof zu finden ist. AD 1 Jessen 1908, S. 4. 2 Anna Schrader: Lilli Wislicenus-Finzelberg, in: Bildhauerinnen in Deutschland, Ausst.-Kat. Städtische Museen Heilbronn u. a., hg. von Marc Gundel u. a., Köln 2019, S.14 f.: Datierung um 1890; Bernhard Decker, in: Mythos Europa. Europa und der Stier im Zeitalter der industriellen Zivilisation, Ausst.-Kat. Kunsthalle Bremen/ Wissenschaftszentrum Bonn 1988, hg. von Siegfried Salzmann, Bremen 1988, S. 402 f., Kat.-Nr.167: Datierung um 1910. 3 Ebd. 4 Dessen Vater Hermann hatte Lilli, die einige Jahre bei ihm in Düsseldorf aufgewachsen war, bereits im Juli 1889 zweimal porträtiert; s. Kupferstich-Kabinett, Inv.-Nr. C1968-753 und -754. 5 »Vereinfachtes Verfahren«, u. a. in: Innsbrucker Nachrichten, 28. 8.1893, S. 5. 6 Vgl. Klaus Schäfer: Notizen zu Leben und Werk der Bildhauerin Lilli Wislicenus-Finzelberg (1872–1939) [mit Werkliste], in: Andernacher Annalen 8 (2009), S.139–155. Dank für die freundliche Unterstützung gilt Kai Seebert, Stadtmuseum Andernach. Lilli Wislicenus-Finzelberg mit Bismarckfigur in ihrem Atelier, um 1913 (Detail) Stadtmuseum Andernach, Album Finzelberg, Bl.166

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