29 »Zwei künstlerische Parallelnaturen, zur Zweieinigkeit geboren, in Leben und Kunst von Haus aus verschwistert, verheiratet, in ununterbrochenem Selbstaustausch schaffend, jede überzeugt, dass sie sich dem anderen verdankt.« So beschrieb der ungarisch-österreichische Kunstkritiker und Schriftsteller Ludwig Hevesi 1903 in einem Essay das seit 1891 verheiratete Künstlerpaar Karl Mediz und Emilie Pelikan.1 Das von vielen Ortswechseln und Reisen sowie zeitweilig großer Armut geprägte Eheleben zwischen Wien und Dresden begann in Bayern und führte bis nach Frankreich und Belgien sowie durch zahlreiche Länder des Habsburger Vielvölkerstaats, von den Alpen bis an die Adria. Durch Ausstellungen in der Wiener Secession ab 1898 sowie in Dresden seit 1897 verfestigte sich Emilie Pelikans Ansehen als virtuose Landschaftsmalerin, allerdings ohne großen nachhaltigen Erfolg.2 Berta Zuckerkandl, eine ebenfalls einflussreiche Kritikerin, Klimt- und Secessionsfürsprecherin, war anlässlich einer der größten Präsentationen des Gesamtwerks des Ehepaars im Wiener Hagenbund 1903 ähnlich begeistert wie Hevesi, aber auch klar im Urteil: »Zwei echte Künstlerseelen gestalten die Visionen ihres Seelenlebens zu eigenartigen, aus der Natur herausgefühlten Stimmungen. Sie offenbaren unseren Sinnen erträumte Welten. Wie nirgendwo in der Natur blauem Meere baut sich der Felsen auf, prangen Blüten, wie nirgendwo schwimmen Inseln auf spiegelnden Gewässern, senden Gletscher Eisesquellen zu Tal. Eine seelische Erinnerung, ein einstens Geschautes im Bilde widerzuspiegeln, Karl Mediz »Bildnis Emilie Mediz-Pelikan« 1900 · Blei- und Farbstifte auf Papier, 45 × 51 cm The Jack Daulton Collection einen äußeren Eindruck in inneres Erlebnis zu verwandeln, das ist das künstlerische Sehnsuchtsziel, welches beide Künstler verfolgen. Emilie Pelikan ist die Vorausschreitende. Sie hat die Kraft der Gestaltung, hat die Wiedergabe der Vision in ihrer Gewalt. Ihr bietet die Form keine Schwierigkeiten, und sie strauchelt nicht bei der Uebersetzung von Empfindung in Struktur.«3 Die Meisterschaft Emilie Pelikans in der eindringlichen Schilderung märchenhaft und elegisch anmutender Landschaften ist in der vorliegenden Darstellung eines baumbestandenen Meeresufers, links unten signiert und datiert mit »E. Pelikan/Corfu, 1900«, sehr gut nachvollziehbar. Die griechische Insel war im späten 19. Jahrhundert ein beliebtes Reiseziel österreichischer
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