Erinnern und Gedenken Worte zu fassen. Die tiefe Verstörung jedoch blieb und trug in vielen Fällen zu einer inneren Heimatlosigkeit bei. Ein anschauliches Beispiel von persönlicher Erinnerung an den Heimatverlust ist die Geschichte von Margarete Löhning. Neben unzähligen Fotoalben und Aufzeichnungen hütete sie eine kleine Sammlung von Scherben und Steinen, die sie in den 1990er-Jahren von ihren Heimatreisen aus Nordböhmen mitbrachte. Der Ort Ebersdorf, wo sie bis 1945 als Lehrerin gearbeiIN EINER TÜTE GESAMMELTE STEINE UND SCHERBEN AUS NORDBÖHMEN VON MARGARETE LÖHNING Habartice u Krupky/Tschechien, 1992 Der Wunsch nach einer historischen Identität konnte jedoch auch zu tiefgreifenden Familienkonflikten führen, wenn die heranwachsenden Kinder ihre Eltern dafür kritisierten, sich nicht den veränderten Verhältnissen der Gegenwart anzupassen. In anderen Familien wiederum dominierte das Schweigen über die Vergangenheit, manchmal weil Verdrängung die beste Strategie zum Weiterleben war, manchmal weil die Betroffenen Kriegsende, Flucht oder Vertreibung als Kind erlebt hatten und es ihnen schwer viel, die Emotionen später in tet hatte, existiert heute nicht mehr. Von dort stammen die Mitbringsel, die sie in einer sorgfältig beschrifteten Plastiktüte aufhob. Mit ihrem Tod wären diese Steine wie in vielen anderen Fällen vielleicht in einer Haushaltsauflösung verschwunden. Doch die Tochter bewahrte die Erinnerungsstücke auf. Die letzten Gespräche, die Margarete Löhning vor ihrem Tod mit ihrer Tochter geführt hatte, ließen erkennen, dass die Steine in der Plastiktüte eine unvergleichbar wichtige persönliche Bedeutung für die Mutter hatten.
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