Leseprobe

Umsiedlungen, Evakuierungen und Flucht Allerdings war es die Siedlungspolitik des nationalsozialistischen Deutschlands, die schon ab 1939 für umfangreiche Bevölkerungsverschiebungen gesorgt hatte. Den Auftakt bildete die Aktion Heim ins Reich, die im Graubereich zwischen Freiwilligkeit und Zwang durchgeführt wurde. Diese Umsiedlungen leiteten bereits ab 1939 das Ende vieler deutschsprachiger Minderheiten in Ostmittel- und Südosteuropa ein. Heim ins Reich: Nationalsozialistische Umsiedlungen Die vom NS-Staat unter dem Schlagwort Heim ins Reich durchgeführten Umsiedlungen hatten das vorrangige Ziel, die von Deutschland annektierten polnischen Gebiete zu germanisieren. Am 28. September 1939 vereinbarten Deutschland und die Sowjetunion in einem vertraulichen Protokoll zum DeutschSowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrag die Umsiedlung deutscher Minderheiten aus den sowjetischen Interessensgebieten in den deutschen Einflussbereich. Für die Organisation und Durchführung der Um- und Ansiedlung waren die Volksdeutsche Mittelstelle (VoMi) und die Einwandererzentralstelle (EWZ) zuständig. Die Ansiedlung erfolgte zumeist im Warthegau, in Danzig-Westpreußen und Oberschlesien. Den Anfang machte 1939 und 1940 die Umsiedlung von Deutschbaltinnen und Deutschbalten aus Estland und Lettland. 1940 kamen Deutsche aus dem sowjetisch besetzten Ostpolen (Galizien, Narewgebiet und Wolhynien) sowie aus der Nordbukowina und Bessarabien hinzu, die ebenfalls sowjetisch besetzt waren. Aufgrund eines Abkommens zwischen dem Deutschen Reich und Rumänien wurden zudem Deutsche aus der Südbukowina und der Dobrudscha umgesiedelt. Es folgten schließlich Anfang März 1941 Litauendeutsche und sogenannte Nachumsiedler aus Estland und Lettland. Insgesamt wurden bis Juni 1941 auf der Basis zwischenstaatlicher Verträge rund eine halbe Million Deutsche ins Reich und in die annektierten Gebiete umgesiedelt. Die Bereitschaft zur Umsiedlung war bei den betroffenen Bevölkerungsgruppen zumeist hoch, denn sie fürchteten sich vor politischen Repressionen und Enteignungen durch die Sowjetmacht. Doch auch ein stark idealisiertes Deutschlandbild trug mit dazu bei, dass viele die Umsiedlung als alternativlos ansahen. Die nationalsozialistische Propaganda inszenierte Heim ins Reich als epochales Großereignis und organisatorische Meisterleistung, obgleich die Aktion für die Betroffenen mit unzumutbaren Verzögerungen und Härten verbunden war. PROPAGANDA FÜR KINDER: TIPP UND TAPP Berlin/Deutsches Reich, 1941 Die mit der Umsiedlung beauftragte Volksdeutsche Mittelstelle wollte auch Kinder erreichen. Sie gab einen der ersten deutschen Comics in Auftrag. Er erzählt die Geschichte eines Jungen aus Wolhynien, der sich mit seinem Dackel auf den Weg »heim ins Reich« macht. ANDREA KAMP

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