Leseprobe

Die Rezeption 382 nand Oehme und Caspar David Friedrich5 sowie in erweiterter Form dann zu Caspar David Friedrichs Wirkungen auf Künstler seiner Zeit.6 Über die (Mit-)Konzeption dieser wegweisenden Retrospektiven hinaus – die einen entscheidenden Einfluss auf die Rezeptionsgeschichte Friedrichs haben sollten – kann Hans Joachim Neidhardt außerdem als Vordenker der »Dresdner Romantik« und ihrer festen Verankerung in die Kunstwissenschaft bezeichnet werden. In seiner 2020 erschienenen Autobiografie bezeichnet Neidhardt die »Geschichte der Dresdner Malerei des 19. Jahrhunderts« als das bestimmende »Generalthema« seines kunsthistorischen Schaffens und spricht von »große[n] Wissenslücken«7 innerhalb der häufig veralteten kunstwissenschaftlichen Forschung. Im Verlauf seiner Tätigkeit als Kustos für die Malerei des 19. Jahrhunderts an der Gemäldegalerie Neue Meister (heute Albertinum) erschloss er dieses Forschungsfeld aus vielerlei Perspektiven und am Beispiel unterschiedlicher Personen, so etwa im Rahmen der erwähnten Friedrich-Retrospektiven der 1970er Jahre. 1976, knapp zwei Jahre nach der Dresdner Jubiläumsausstellung, veröffentlichte Hans Joachim Neidhardt im Leipziger E. A. Seemann Verlag den Band Die Malerei der Romantik in Dresden, der als Summe seiner intensiven Auseinandersetzung und als Zwischenstand der noch folgenden Beschäftigung mit diesem Kapitel der Kunstgeschichte, seinen Akteurinnen und Akteuren sowie ihren Werken bezeichnet werden kann. Wie er sich auch selbst erinnert, erfreute sich der Band so großer Beliebtheit, dass kurz nach Erscheinen der Erstausgabe auch eine Ausgabe für den Export in die BRD und später ins Ausland realisiert werden konnte.8 In Die Malerei der Romantik in Dresden warf Hans Joachim Neidhardt einen vertiefenden Blick auf zahlreiche Kunstschaffende, die dauerhaft oder temporär in Dresden weilten und arbeiteten, dort lehrten oder ihre Ausbildung erhielten. Es gelang dem Autor, die Stadt als Knotenpunkt vielfältiger Verflechtungen darzustellen und damit zugleich ergänzend zu bereits dafür bekannten Orten wie Rom oder Wien erstmals ihre zentrale Rolle für künstlerische Entwicklungen der Romantik herauszuarbeiten.9 Während auch die 35 in der Dresdner Friedrich-Retrospektive von 1974/75 gezeigten Werke ausschließlich aus dem Bereich der Landschaftsmalerei stammen und darüber hinaus gänzlich von Künstlern geschaffen wurden, die in einer engen Beziehung zu Caspar David Friedrich und Johan Christian Dahl standen, wird der Umfang an besprochenen Personen und Arbeiten in Die Malerei der Romantik in Dresden nochmals deutlich erweitert. Dennoch sollten die beiden Ausstellungen der 1970er Jahre und insbesondere die Dresdner Schau klar als Vorbereitungen des Bandes betrachtet werden – und zwar sowohl in Bezug auf eine inhaltliche Vorarbeit als auch auf historisch-kulturpolitischer Ebene. Ein kurzer Exkurs zum historisch-kulturpolitischen Hintergrund sowohl der Ausstellungen als auch der Buchpublikation zeigt, dass die Rezeption romantischer Kunst und Literatur bis in die 1970er Jahre hinein in der DDR nur wenig erfolgte und auch auf staatlicher Ebene nicht erwünscht war. Angeführt werden in der bestehenden Forschung10 als verschriftlichtes Fundament jener Kritik immer wieder die Schriften des Literaturwissenschaftlers Georg Lukács, darunter insbesondere die 1947 erstmals erschienene Publikation Fortschritt und Reaktion in der deutschen Literatur.11 Darin eröffnete Lukács eine Dichotomie zwischen Romantik und Klassik, die er als einander entgegengesetzte Pole begriff, ersterer ein »Übergewicht« an »reaktionäre[n] Elementen«12 und »eine Verteidigung der feudalen Überreste Deutschlands«13 zuschrieb und die Romantik und ihre Protagonistinnen und Protagonisten damit zugleich negativ von Aufklärung und Klassik als fortschrittliche Geistesbewegungen abgrenzte. Vor allem auf Basis der besonders prominent von Lukács vorgebrachten Argumentation, nicht zuletzt jedoch auch aufgrund der nationalsozialistischen Rezeptionsgeschichte Friedrichs und einer ideologischen Verzerrung seiner Werke durch Autorinnen und Autoren wie beispielsweise Kurt Karl Eberlein, die sich ihrerseits auch auf Ansichten wie die von Georg Lukács auswirkte,14 wurde in der DDR (zumindest von staatlicher Seite aus) zunächst ein selektiver Kanon an zu rezipierendem Kulturerbe manifestiert, der bis in die frühen 1970er Jahre hinein romantische Literatur und bildende Kunst weitgehend außer Acht ließ. Im Rahmen außen- und innenpolitischer Entwicklungen sollte sich dieser 1 Friedrich-Ausstellung im Albertinum 1974/75, Ausstellungsraum/Mosaiksaal mit Werken von Carl Gustav Carus, Ernst Ferdinand Oehme und Johan Christian Dahl 2 Friedrich-Ausstellung im Albertinum 1974/75, Ausstellungsraum/Klingersaal

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