Die Netzwerke 328 man sich fragt, ob diese Hilfsmittel wirklich dort gehangen haben oder ob sie nicht eher der abgezielten Programmatik geschuldet sind. Bei Gerhard von Kügelgen ist die Ausstattung entschieden reicher. An der seitlichen Wand hinter dem malenden Künstler sind gleich mehrere Porträts gehängt beziehungsweise am Boden gestapelt worden. Sie verweisen auf von Kügelgens Haupttätigkeit als Porträtmaler, obwohl er auch als akademischer Künstler nicht auf die höchste Gattung, die Historienmalerei, verzichtet hat. Auf der gegenüberliegenden Wand stehen in einem Hängeregal klassische Gipse, auf einem Tisch liegen viele Bücher, die zweifellos seinen Anspruch als pictor doctus betonen sollen. Direkt hinter ihm, zwischen den beiden Fenstern, sind zwei Gewehre angebracht; am Boden darunter befindet sich eine Leier. Sie stehen für die dem Maler empfohlene gelegentliche Unterhaltung, für Muße und musikalische Inspiration.5 Seine Malutensilien, vor allem Pigmentflaschen, wohl auch eine Weinkaraffe, sind reichhaltiger als bei Friedrich, Messwerkzeuge dagegen finden sich nicht. Dass sie für Friedrich besonders wichtig waren, wird bei seinem Bild schon dadurch deutlich, dass sich an dem Punkt, an dem der Pinsel aus der Malhand ragt, zugleich der Malstab und die Reißschiene treffen, als ginge von hier die Genauigkeit der Darstellung aus. 1812 malte Kersting eine Variante des ersten Bildes mit noch ausgeprägterer Programmatik (Abb. 3). Wieder wurde das Bild von einem Pendant begleitet, nun in entsprechender Inszenierung mit dem Bildnis des Historienmalers Friedrich Matthäi.6 Eine riesige unbemalte Leinwand ist bei diesem rechts vorm zweiten Fenster aufgestellt, der Künstler strebt ins Große, ein Tisch mit Malutensilien auch hier, große Folianten stehen am Boden. Der Maler versichert sich der gesamten Tradition in Theorie und Praxis, denn neben den hoch angebrachten, die Fenster rahmenden Gipsbüsten findet sich auf einem Tischchen eine kleine Gipsfigurenversammlung, offenbar eine Abendmahlsdarstellung inszenierend. Spätestens seit Leonardo da Vinci sind die Jünger Vertreter unterschiedlicher Charaktere, deren Physiognomien bei Christi Ankündigung »Einer unter Euch [...] wird mich verraten« mit einem ihrem Charakter entsprechenden Ausdruck reagieren. Kein Wunder, dass die Köpfe von da Vincis Letztem Abendmahl gesondert reproduziert über Generationen Künstlern als Anregung dienten.7 Friedrich dagegen steht in seiner Darstellung gelehnt an einen hohen Stuhl mit Palette, Pinsel und Malstock in der Hand vor einer großen querformatigen Leinwand, die wir nur von der Rückseite sehen. Winkel, Maßstab und Paletten sind wie beim ersten Bild angebracht. Schaut man ganz genau hin, entdeckt man auf der Fensterbank des abgedunkelten Fensters ein kleines leicht geöffnetes Büchlein. Der tiefere Sinn dieses Gemäldes wird durch die Anwendung des Goldenen Schnitts gestiftet, offenbar hat Friedrich Kersting über eines seiner Grundprinzipien informiert, die Wanderung hätte dazu genug Gelegenheit gegeben. Die linke Senkrechte führt 2 Georg Friedrich Kersting Gerhard von Kügelgen in seinem Atelier | 1811 Öl auf Leinwand, 53,3 × 42 cm Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Inv. 2329 3 Georg Friedrich Kersting Caspar David Friedrich in seinem Atelier (Berliner Bild) | um 1812 Öl auf Leinwand, 51×40 cm Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie, Ident. A I 931 4 Georg Friedrich Kersting Caspar David Friedrich in seinem Atelier 1814/1819 | KAT 273
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