Leseprobe

Der Maler 194 7 Adriaen Fransz. Boudewijns, Peeter Bout Brunnen am Seeufer | undatiert | KAT 261 Detail aus Abb. 3 9 Caspar David Friedrich Kreidefelsen auf Rügen | 1818 Detail Öl auf Leinwand, 90,7×71 cm Kunst Museums Winterthur, Inv. 165 (BS/J 257) 8 Caspar David Friedrich Figurenstudien. Nachzeichnung nach der Staffage niederländischer Gemälde der Dresdner Galerie | 1800 | KAT 30 Detail aus Abb. 1 vergleichbare Haltung ein: Sie stützten sich auf einen Stock und lehnen sich nach hinten an, der Bettler an eine Gebäudefassade und der Wanderer an einen Felsen. Daraus resultiert die gebogene Körperform, die für beide Gestalten vorherrschend ist. Indem Friedrich diese Gestalt in seine Bildwelt aufnahm, gab er ihr zugleich eine neue Kleidung. Der Bettler wirft die malerischen Fetzen seines Gewands von sich und verwandelt sich in einen modisch gekleideten Städter mit weißen Nankinghosen, roter Jacke und schwarzem Zylinder. Die blonden Haare und der ausgeprägte Backenbart der Figur lassen ein Selbstbildnis vermuten.25 Dass sich Friedrich in diesen Figurenstudien vor allem für die Körperhaltung der dargestellten Menschen interessierte, zeigt auch sein Blick auf eine Figur, die bei Boudewijns und Bout kaum zu erkennen ist, weil sie im Gewimmel verschwindet und in seiner brauntonigen Farbigkeit fast mit dem Hintergrund verschmilzt (Abb. 7).26 Sie krabbelt auf allen Vieren. Friedrich zeichnete sie auf seinem Skizzenbuchblatt (Abb. 8), wie auch die nicht weit von ihr entfernt stehende Frau mit einem Kind auf dem Arm. Später griff er beide Figuren wieder auf und stellte sie vereinzelt dar.27 Das Blatt ist mit einer Substanz durchtränkt, die es transparent macht, um es zur Übertragung in ein Gemälde zu nutzen.28 Dafür erscheinen die Figuren auf dem Blatt jedoch ausgesprochen klein. Diese Dimension steht in einem deutlichen Missverhältnis zu der einzigen Verwendung des Motivs einer krabbelnden Figur im Werk Friedrichs, die sich über einen Hang beugt. Für sein Gemälde Kreidefelsen auf Rügen hat er die Figur gedreht (Abb. 9) und sie zentral in den Bildvordergrund platziert. Das stärker angezogene vordere Bein des Knaben in der Zeichnung erscheint beim Mann über dem Abgrund der Kreidefelsen auf der abgewandten Seite, und auch der sich nach vorn abstützende Arm des Knaben rückt beim Mann auf die andere Seite, lediglich der durch die Schulter halbverdeckte Kopf zeigt sich zur Zeichnung wie gespiegelt. Auch wenn die Veränderungen von Größe, Alter und Kleidung die krabbelnde Figur in ihrer Herkunft aus dem niederländischen Gemälde schwer nachvollziehbar erscheinen, spricht doch die Seltenheit dieser Darstellung für einen Bezug. Eine vergleichbare Art der Transformation durchläuft auch das eng beieinanderstehende Paar in Friedrichs Gemälde Der Friedhof (Abb. 10). Der Künstler fand die Anregung zu dieser Gruppe bei Philips Wouwerman (Abb. 12). Wieder ist das Umfeld im altmeisterlichen Vorbild vollkommen anders. Die Herkunft der beiden Figuren würde sich auch hier nicht ohne Weiteres nachvollziehen lassen, wenn Friedrich sie nicht aus der Zeichnung herausgelöst (Abb. 13) und durch eine Umarbeitung anverwandelt hätte. Dass ihn insbesondere das Paar beschäftigt hatte, zeigt sich auch in einer Pauszeichnung mit allein diesen beiden Figuren (Abb. 11). Hier entfernte er sich noch stärker als bei der kriechenden Figur von seinem Vorbild: Wendet sich bei Wouwerman der Mann über die Schulter der Frau zu, haben die beiden bei Friedrich eine gemeinsame Blickrichtung. Doch der Charakter der Figuren bleibt ähnlich; in beiden Fällen wird die Gestalt durch die sie umhüllenden Mäntel bestimmt. Die zum Knoten gebundenen Haare der Frau sowie der in seinem Schwung über den Kopf gezogene Hut beziehungsweise das Barett des Mannes erscheinen ebenso vergleichbar. Von der Zeichnung bis zum Gemälde löste sich Friedrich weitestgehend von seiner Inspirationsquelle und übertrug sie in eine seiner künstlerischen Haltung entsprechende Form.

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