Der Zeichner 156 Florian Illies DAS ABWESENDE DRESDEN Genau so interessant wie das, was große Künstler malen, ist das, was sie zu vermeiden versuchen. Von Caspar David Friedrich, der von 1798 bis 1840 in Dresden lebte, existieren überraschenderweise weder innerstädtische Szenerien seines jahrzehntelangen Wohnorts noch klassische Veduten mit der berühmten Silhouette der Stadt. Dies ist aus zwei Gründen ungewöhnlich: Der von Canaletto in zahlreichen Varianten eingefangene Blick vom rechten Elbufer auf die prachtvolle Abfolge der Türme der Stadt von Frauenkirche, Hofkirche und Residenzschloss wurde etwa von Friedrichs Freund und Nachbarn Johan Christian Dahl in der Zeit um 1830 mit dramatischem Himmel und in Untersicht regelmäßig und ohne Berührungsängste in die Bildsprache des Zeitalters der Romantik übertragen (Abb. 1). Auch sind von Friedrich vedutenhafte Ansichten sowohl seiner Heimatstadt1 als auch des Herkunftsortes seiner Vorfahren2 bekannt. In all diesen Fällen wählte Friedrich jeweils eine leichte Untersicht, mit der er aus angemessenem Abstand die Stadt in ihrer Silhouette im Mittelgrund des Bildes feierlich und detailliert nachbildete. Offenbar scheint Dresden als Bildthema aber für den Dresdner Friedrich durch den sogenannten Canaletto-Blick der italienischen Hofmaler, der das »Bild« Dresdens bestimmte, zu überdeterminiert gewesen zu sein.3 Wie sehr sich Friedrich mit Canaletto auseinandersetzte, wird durch eine bis heute übersehene Bildadaption belegt: Canalettos großformatiges Gemälde Der Marktplatz von Pirna 4 hat ihm als Vorlage gedient, um seine eigene Familie in einem für ihn stilistisch sehr ungewöhnlichen Aquarell aus der von Canaletto vorgegebenen Vogelperspektive auf dem Marktplatz von Greifswald5 darzustellen. Friedrich lebte zwar 42 Jahre lang in Dresden, aber es existieren quasi keine Bleistiftzeichnungen der Stadt von dem eigentlich unentwegt zeichnenden Friedrich. Nur einmal, am 23. April im Jahr 1800, erfasste er mit dem Bleistift minutiös in einer kleinen Skizze die Spitzen des Hausmannsturms, der Hofkirche, der Kuppel der Frauenkirche und den Dachreiter des Altstädter Rathauses (Abb. 2).6 Genau diese Turmspitzen werden dann später in zwei berühmten Gemälden kurz aufblitzen hinter dem bildbestimmenden Hügel im Vordergrund, mit dem Friedrich die ihn offenbar erschlagende architektonische Schönheit der Stadt überblendete. Einmal, beim Hügel mit Bruchacker bei Dresden (Abb. 3), sind es die schnöde, frisch gepflügte Erde und ein kahler Streuobsthain, der die in ein diesiges Hellblau getauchte Stadt dahinter verdeckt. Beim Abendstern7 zieht der junge Knabe auf dem Hügel unsere ganze Aufmerksamkeit auf sich – die Spitze der Türme der Dresdner Kirchen stehen verdeckt dahinter, bilden eine dezente Reihe mit den aufragenden Pappeln links und rechts davon. Allein die Augustusbrücke – gesehen von seinem Wohnort An der Elbe 33 – wird für Friedrich zum Bildthema, am markantesten im Kriegsverlust der Hamburger Kunsthalle8 (Die Augustusbrücke von Dresden). Am subtilsten wird die Verweigerung des Bildthemas Dresden vom Maler in
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