Leseprobe

75 14 | Detail Werner Busch CASPAR DAVID FRIEDRICH UND PIERRE-HENRI DE VALENCIENNES Pierre-Henri de Valenciennes, Maler und Theoretiker mit einem großen Schülerkreis, war für Friedrich offensichtlich die wichtigste Quelle für seine Form der Naturaufnahme. Dieser Einfluss soll hier im Detail dargestellt werden. Valenciennes’ riesiges Traktat Élémens de perspective pratique ist im Jahr VIII nach dem Revolutionskalender (1799/1800) erschienen und schon 1803 und in einer durchaus weit verbreiteten und vom Übersetzer kommentierten deutschen Ausgabe in zwei Bänden herausgegeben worden.1 Zweibändig deshalb, weil Valenciennes in seinem Traktat zwei Dinge verbunden hat, die auf den ersten Blick nicht zwingend zusammengehören. Der erste, gut 400 Seiten umfassende Teil ist der Perspektive gewidmet, der zweite, 200 Seiten lange Teil stellt eine praktische Anleitung zur Landschaftsmalerei dar. Die kunsthistorische Forschung hat sich fast ausschließlich auf diesen zweiten Teil gestürzt. Verständlicherweise, denn in diesem Teil berichtete Valenciennes in innovativer Form und in einigem Detail über den Sinn und die Praxis der Ölskizzenmalerei. Von Valenciennes’ Hand ist eine große Zahl zumeist im Louvre aufbewahrter Ölskizzen überliefert, die aus heutiger Sicht autonomen Wert beanspruchen. Für Valenciennes allerdings waren sie bloßes Studienmaterial – er blieb in seiner offiziellen Landschaftskunst klassisch-akademischer Norm und Thematik verpflichtet. Seine vor der Natur aufgrund der sich ändernden Witterungsbedingungen ausgesprochen zügig gemalten Ölskizzen haben breite Nachfolge gefunden, über seine Schüler Bertin und Michallon bis zu Corot. Auf der Basis von Valenciennes’ Theorie und Praxis ist ein ganzer Forschungszweig zur Ölskizzenmalerei entstanden.2 Durch diese Form der Rezeption hat sich die Forschung allerdings der Möglichkeit begeben, die im Perspektivteil von Valenciennes’ Traktat an vielen Stellen entwickelten Bemerkungen zu einer neuartigen Form der Naturaneignung überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Im Folgenden sei versucht, den verblüffend breiten

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