STAATLICHE KUNSTSAMMLUNGEN DRESDEN ULRIKE WEINHOLD THERESA WITTING SANDSTEIN VERLAG
DIE WERKE DES 16. BIS 19. JAHRHUNDERTS BESTANDSKATALOG Band III
DANK 7 ZUM GELEIT Marius Winzeler 8 EINFÜHRUNG Ulrike Weinhold | Theresa Witting 10 ESSAYS Goldschmiedekunst im Grünen Gewölbe. Entwicklungslinien der Sammlung Ulrike Weinhold | Theresa Witting 16 Außereuropäische Konchylien im Grünen Gewölbe. Prozesse der Aneignung in den Werkstätten deutscher Goldschmiede Theresa Witting | Ulrike Weinhold 56 Exklusive Trinkgefäße. Zwischen Tafelfreuden und Schatzkunst Theresa Witting | Ulrike Weinhold 68 Löten, stiften, schrauben. Gedanken zu goldschmiedetechnischen Verbindungen Eve Begov 74 Digitale Markenfotografie Volker Dietzel | Michael Wagner 84 Vorbemerkungen 203 Trinkgefäße Pokale Akelei-, Buckel- und Traubenpokale 206 Pokale mit gerader Wandung 236 Doppelpokale 256 Nautiluspokale 271 Pokale mit Turbanschnecken und anderen Konchylien 349 Kokosnusspokale 379 Rhinozeroshornpokale 407 Straußeneipokale 420 Pokale mit Steinschnitt 435 Innungspokale 481 1 2 BAND BAND ANHANG Biografien der Goldschmiede 92 Quellen 122 Literatur 126 Personenregister 164 Die Kurfürsten und Könige von Sachsen aus der albertinischen Linie des Hauses Wettin 177 Konkordanz 178 Verlustliste Goldschmiedearbeiten 180 Markenregister 183 Abkürzungen 192 Autorinnen und Autoren 192 Bildnachweis 193 Impressum 196
Silberplastik Statuetten 974 Reliefs 992 Weitere Werke 1044 3 Figürliche Gefäße Architektur und Gegenstände 488 Schiffe 503 Menschliche Gestalten 519 Fabelwesen und mythologische Figuren 540 Tiere und Pflanzen 584 Humpen 642 Becher 671 Trinkschalen 716 Automaten 736 Vorbemerkungen 763 Flaschen, Schenk- und Kühlgefäße sowie Kredenzen Flaschen 766 Kühlgefäße und Schwenkkessel 778 Lavabos 789 Kannen, Krüge und Kredenzen 862 Dosen, Deckelgefäße und Schalen Deckelgefäße und Dosen 902 Schalen 920 Salzschalen 960 BAND
FFlaschen
Flaschen | 767 wohl süddeutsch (Nürnberg?) oder Ungarn, um 1530–1540 Silber, getrieben, gegossen, ziseliert, punziert, graviert, vergoldet H 80,5 cm (mit Henkel), 76 cm (ohne Henkel); G 7 957 g ohne Marken Punzierung unter dem Standring: No: 1. W: 34. m. 4 l. R. Kammer Provenienz: erstmals erwähnt im Inventar der Kurfürstlichen Gemächer 1591; 1718 in das Grüne Gewölbe gekommen Inv.-Nr. IV 253 162 Große Henkelflasche S Inventar Rentkammer 1610, fol. 5 r An silbern vergüldten Flaschen. No: 16. / eine flasche, wigt 35. marck 13. Loth No: 17. / Eine flasche, wigt 34 marck 6. Loth [Bemerkung zu beiden Objekten:] Im gewelbe geblieben [unsichere Zuordnung] S Inventar Kurfürstliche Gemächer 1683/84, fol. 4 v – 5 r Auff diesen Berge oder Tresor ist hernach specificirtes Silberwergk zu befinden Alß, An großen Trinckgeschirr, Pocalen, und doppelten silbernen Scheuren [...] An Silber: / No: 1. / Eine große silberne und vergüldete Flasche, daran das Corpus rund und uf einen rundpassichten Fuße, mit einen Handgriffe und uf beyden seithen des Corpus Das Churf. Sächs. Wappen, und wieget an Silber 34 mark, und 3 loth. S Inventar Silber 1723, S. 65 Nachstehendes vergoldtes antiques Silber= Geschirre, haben S: Königl. Mayt. von der Rüst Cammer den Ersten Juny ao: 1718. ins Grüne Gewölbe zur Verwahrung gegeben, als: / Aus dem ersten EckGemach gegen den NeuMarckt zu. / No: 1. / Eine große silberne vergoldte Flasche, worauf das ChurFürstl. Sächß. Wappen befindlich, so gewogen an Silber 34 mark, 4 loth, – quent. S Inventar Silbervergoldetes Zimmer 1733, S. 176 No: 186. L. / Eine große silberne vergoldte Flasche, worauf das ChurFürstl. Sächß. Wappen befindlich, die No: 1. ist darauf gestochen, und wiegt 34 mark, 4 loth, – quent. S Inventar Silbervergoldetes Zimmer 1817, S. 30 No: 31. [mit Bleistift darunter:] 253 / Eine große silbervergoldete Flasche, auf welcher das Kursächsische Wappen und No: 1. gestochen. S Inventar Silberzimmer 1879, S. 237 f. No: 253. / Eine große silbervergoldete Flasche, auf welcher das Kursächsische Wappen und Nr: 1 gestochen. [Bemerkung mit Bleistift:] Auf der einen Seite ist die Festung des Capitols in Rom. Sonstige Quellen S HStADD, 10006 OHMA, N 6, Nr. 2 (Gesandtschaft nach Frankfurt 1742), fol. 125 b (1 r – 1 v) Specification Des jenigen vergoldten Silbers so aus dem Grünen Gewölbe zum Buffet bey der bevorstehenden KayserCrönung in Franckfurth mit dahin genommen worden als [...] NB Hierzu aus dem vergoldeten Silber Zimmer / No: 861 L. / Eine große silber vergoldete Flasche. S Journal Grünes Gewölbe 1733–1782, fol. 195 v – 196 r Den 22 Nofemb: 1766 [gemeint ist wohl Dezember] Ist auf hohen Befel volgende Stücken von vergolten Silber geschirre an den Hl. Silber Kämmerer Hagen zu ein Büfet wie umstehend folget abgegäben worden als [...] 1 große bügel flasche. Beschreibung Die Flasche erhebt sich auf einem passig geschweiften Fuß, der sich durch eine markante Zarge mit Zahnschnitt auszeichnet. Auf seinen Ecken sind konvex geschwungene Wangen eingeschoben, deren Oberseiten jeweils durch einen Besatz in Gestalt von drei Eicheln mit Akanthusblättern akzentuiert werden. Aus dem Fuß heraus wächst ein vierkantiger, konvex sich verjüngender Schaft. Er zeigt vorn und hinten ziselierte Grotesken mit jeweils einer doppelschwänzigen geflügelten Nereide, die eine Schale auf ihrem Kopf trägt. Unter ihr befindet sich eine gespiegelte Ranke mit einem Fischkopf und Weinlaub, über ihr rahmen zwei breite C-Schwünge einen Widderschädel. Die schmaleren, seitlichen Flächen des Fußes sind auf ähnliche Weise dekoriert: Sie zeigen groteske, in Masken endende Ranken in symmetrischer Anordnung um eine Vase. Der kreisrunde, abgeflachte Korpus weist vorn und hinten ein großes rundes Relief auf, gerahmt von einem Schmuckband, bestehend aus gegeneinandergestellten und an der Schwanzflosse miteinander verbundenen Delfinen über einer Blattmaske zwischen einem wiederkehrenden Pflanzenornament. Das Rundbild zeigt auf der einen Seite die Belagerung bzw. Erstürmung einer Festung – sie ist im Hintergrund als mehrere Gebäudeteile umfassende und von einem Burggraben geschützte Architektur wiedergegeben. Ganz im VorderInventare S Inventar Kurfürstliche Gemächer 1591, fol. 4 r – 4 v Ein Berckwerck, welches mit allerley willden thieren, würmen, blumen, vnnd annderm Berckwergks erz gezieret, in einem grunen eisern vorgulltten kitter. Darinnen [...] Eine große Silberne vnnd vorgulltte flaschen, wiget viervnnddreyßigk mark, Ein quent. S Inventar Kurfürstliche Gemächer 1606, fol. 7 r – 7 v Ein Bergkwergk, welches mit allerley Wilden Thieren, Würmen, Blumen vnnd anderm Berckwergks Ertz gezieret, in einem grünen eisern vorgülltten gitter, Darinnen [...] Eine große silberne vnnd vergülte runde flaschen, wigt vier vnnd Dreißigk mark, ein quent.
768 | ������������������������������������������������ grund befindet sich links eine Gruppe von fünf miteinander verhandelnden Kriegern in antikisierenden Rüstungen: Der Vordere, aufrecht auf eine die Bildmitte markierende Lanze gestützt, mit auffälligem Brustharnisch, Beinschienen und drachenköpfigem Helm, wendet sich drei bärtigen Männern mit Turbanschneckenhelmen zu, die diese als Osmanen ausweisen. Als fünfte Gestalt ist am äußeren linken Rand, seitlich von einem godronierten Rundschild geschützt, ein christlicher Würdenträger der römischen Kurie mit Kardinalshut und Pagenschnitt auszumachen. Rechter Hand befinden sich zwei Kanonen samt Zubehör, während dahinter weitere Krieger nahe der Festung beisammenstehen, die gerade über Leitern eingenommen wird. Vom Dach des Gebäudes wird eine Gestalt rücklings hinunter in den Burggraben geworfen. Das auf der gegenüberliegenden Seite der Henkelflasche befindliche Rundrelief zeigt eine auf einem Pferd nach rechts davongaloppierende bäuerliche Gestalt, die, begleitet von einem Hund, einen verwundeten oder leblosen bärtigen Krieger vor sich zwischen den Zügeln haltend, vom Kampfschauplatz bringt (Abb. 1). Der herabgefallene Turban des Geschlagenen, aufgrund der markanten Beinschienen als der zentrale, aufrecht stehende Krieger des umseitigen Reliefs zu identifizieren, ist hinter dem Schwanz des Hundes unter dem Bauch des Pferdes erkennbar. Weitere Krieger erscheinen, mit Speeren bewaffnet, links im Hintergrund vor einem Zeltlager sowie rechts im Bild, wo einige von ihnen aus einem Tor der Festung ins Freie treten. Über die seitliche Wandung der Flasche zieht sich ein Band großer Akanthusblätter. Ein Zahnschnitt entsprechend der Fußzarge markiert den Ansatz des langgezogenen Halses, der ein ziseliertes Ornament, bestehend aus Lanzettblättern, Widderschädeln, Schilden, kleinen Delfinen und Ranken, aufweist. Weitere Blattmotive schmücken die kalottenförmige Wölbung des mit einem Scharnier befestigten und von einem Perlstab gerahmten Deckels. In seiner Mitte befindet sich, gerahmt von einem verschlungenen Band, ein Medaillon mit einem weiblichen Profilkopf in einem Lorbeerkranz. Auf der Gefäßschulter sitzt links und rechts jeweils eine vollplastisch gearbeitete Schildkröte mit auf ihr hockendem und sich an den Flaschenhals lehnendem, geflügeltem Putto. Die Tiere bilden den Ansatz des beweglichen Bügels, der sich aus gegeneinandergestellten, S- und C-förmig geschwungenen und mit Bändern umwickelten Delfinen zusammensetzt. Zentral über den Rundreliefs ist zwischen den Schildkröten auf der Vorder- und Rückseite der Flasche eine Kapsel mit einem kursächsischen Wappenschild angebracht. Ikonografie und Vorlagen Bei der Szenerie könnte es sich um die Belagerung und Eroberung von Konstantinopel 1453 handeln, welche das Ende des Oströmischen Reichs besiegelte. Die beiden Kanonen auf dem Rundrelief der Vorderseite rechts unten wären demnach die des legendären Waffenmeisters Urban. Der aufrechte Krieger mit der Lanze im Vordergrund wäre Kaiser Konstantin XI., der die byzantinische Hauptstadt gegen die Osmanen verteidigen sollte und dabei den Tod fand. Dies zeigte dann die Szene auf der Rückseite der Henkelflasche. Wahrscheinlicher ist allerdings – da ein christlicher Goldschmied sicher nicht den dammbruchartigen Sieg der Türken und den Auftakt einer zwei Jahrhunderte währenden Bedrohung des christlichen Abendlands thematisiert hätte –, dass vielmehr Szenen der erfolgreich abgewehrten osmanischen Belagerung der Festung Belgrad 1456 dargestellt sind. Die christliche Stadt konnte verteidigt und die Türkengefahr für 70 Jahre gebannt werden. Auf dem vorderseitigen Rundrelief, im Bildvordergrund stehend, wäre demnach der durch seinen Turbanschneckenhelm als Osmane charakterisierte Angreifer, Mehmet II., dargestellt. Bei dem Mann mit dem Kardinalshut könnte der zu jener Zeit bekannte Franziskaner, Wanderprediger, Inquisitor und christliche Heerführer in den Türkenkriegen Giovanni da Capistrano gemeint sein. Auf der Rückseite der Henkelflasche wäre der turbanlose und auf einem Pferd davongeschaffte Krieger als der besiegte und verwundete Sultan Mehmet II. zu deuten (Abb. 1). Bauern, wie der dargestellte Reiter, sind im christlichen Lager des ungarischen Heerführers Johann Hunyadi bezeugt. Die historisch überlieferten Personen und Vorgänge der Belagerung passen zu beiden Darstellungen. Direkte grafische Vorlagen für die beiden Rundreliefs ließen sich bislang nicht ausmachen. Dass es sich um die Belagerung einer befestigten Stadt und Szenen aus den Türkenkriegen in Ungarn des 15. Jahrhunderts handelt, legen die dargestellte Stadtsilhouette und die fantasievollen Turbanschneckenhelme einiger Krieger nahe. Einzelne Versatzstücke, wie die beiden Kanonen am unteren rechten Rand der Belagerungsszene oder das Zeltlager am linken Rand der Fluchtszene, finden sich auf einem 1522 datierten Holzschnitt von Hans Sebald Beham zur Belagerung der Insel und Stadt Rhodos durch die Osmanen.2 Zuschreibung und Vergleichsstücke Die fehlenden Marken und die ungewöhnliche Form der Henkelflasche erschweren die Zuschreibung und führten in der Vergangenheit zu unterschiedlichen Meinungen über den Herstellungsort. Erste Versuche einer Zuschreibung erfolgten durch Seidlitz und Haenel in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts. Beide gingen von einer Entstehung in der Goldschmiedemetropole Nürnberg aus,3 ein Ansatz, dem später ähnlich auch Hernmarck folgte (Süddeutschland).4 Menzhausen sah die Ähnlichkeiten zu Nürnberger Werken eher im Zeitstil begründet und verwies – im Vergleich zur Perlmuttergarnitur (Kat.-Nr. 168) – auf den weniger einheitlichen Ornamentstil der Flasche, die sowohl italienische als auch süddeutsche Elemente zeigt.5 Mit Verweis auf eine dem gleichen Typus folgende Flasche im EsterházySchlossmuseum, Fertöd, die in ihren Ausmaßen vergleichbar, aber deutlich früher entstanden ist,6 schlägt er eine Entstehung im österreichischungarischen Raum vor (Abb. 2). Doch auch für dieses Stück wird eine Herkunft aus Nürnberg, zu dem Ungarn seit jeher in enger Beziehung stand, nicht ausgeschlossen.7 Eine Inschrift auf dem erhaltenen originalen Etui der Budapester Flasche könnte darauf hindeuten, dass sie anlässlich der Vermählung des ungarischen Grafen Imre Forgách mit der sächsischen Herzogin Katharina Sidonie 1585 zusammen mit deren Aussteuer auf die Burg von Trentschin gelangt sein könnte und möglicherweise aus der sächsischen Schatzkammer stammt.8 Eine Zuschreibung wird dadurch erschwert, dass kaum Informationen und gemarkte Objekte ungarischer Goldschmiede
Flaschen | 769
770 | ������������������������������������������������ bekannt sind. Ihre Wanderschaft führte diese teilweise auch nach Süddeutschland, was entsprechenden Einfluss auf ihre Werke nahm.9 Für die Ornamentik der Flasche finden sich druckgrafische Vorbilder aus der Zeit um 1530.10 Gebrauch und Bedeutung Der bis in das antike Rom zurückreichende Typus der Pilgerflaschen zeichnet sich durch den runden, abgeflachten Körper, den Schraubverschluss sowie die Ösen auf der Schulter aus und war für Reisen vorgesehen; man konnte diese aus verschiedensten Materialien gefertigten Gefäße an den daran angebrachten Ketten ins Wasser hängen, um so die darin enthaltenen Getränke zu kühlen (daher auch die Bezeichnung Kettenflasche).11 Die Wahl dieses antiken Flaschentypus für die Darstellung der erfolgreich abgewehrten türkischen Belagerung der christlich-ungarischen Stadt Belgrad 1456 verweist auf das christlichantike Oströmische Reich vor der Eroberung und Besetzung Konstantinopels 1453 durch die Osmanen und einen Status ante quem, den es durch eine Vertreibung der Osmanen aus Ungarn und vom Balkan zurückzugewinnen galt. Von einfachen Gebrauchsgegenständen entwickelten sich die Kettenflaschen schnell zu dekorativen Gefäßen mit Schauwirkung. Aufwendige Ausführungen aus Silber, Glas oder Keramik erfüllten eine repräsentative Funktion im Bereich der fürstlichen Tafel (Kat.-Nr. 164). Bereits im 15. Jahrhundert zeigen sie bildliche Quellen, zunächst einzeln, später häufig paarweise, in dekorativer Aufstellung auf dem Buffet neben der Tafel.12 Auch wurden sie dazu verwendet, während des Mahls den darin abgefüllten Wein in großen Wasserkühlern kalt zu halten.13 Das im weitesten Sinne als Pilger- oder Kettenflasche zu bezeichnende stattliche Gefäß stellt ein sehr ungewöhnliches Beispiel dieses Typus dar. Anstelle der Ketten besitzt es einen geschwungenen, bügelförmigen Henkel. Zudem ist es durch eine Abflachung des Körpers zur Bildung einer Schaufront14 und einen weit nach oben gezogenen Fuß gekennzeichnet – Merkmale, welche die Funktionalität zugunsten repräsentativer Qualitäten zurücktreten lassen. Auch die übergroßen Dimensionen der Flasche und ihr Gewicht von knapp acht Kilogramm lassen ihre praktische Verwendung fast unmöglich erscheinen.15 Und tatsächlich ist sie erstmals im Inventar der Kurfürstlichen Gemächer von 1591 erwähnt, und zwar im Zusammenhang der beiden als künstliche Bergstufen gestalteten Buffets, auf deren gipfelartigen Erhebungen Silbergefäße präsentiert wurden (siehe S. 21 f.).16 Aufgrund ihrer enormen Ausmaße ist zu vermuten, dass die Flasche, ebenso wie der Pokal von Valentin Geitner (Kat.- Nr. 12) und ein nicht erhaltenes Trinkgefäß in Gestalt eines Ofens, nicht direkt auf dem Buffet, sondern in dessen unmittelbarer Nähe aufgestellt war.17 Im Zuge der Neustrukturierung seiner Sammlungen ließ August der Starke das Stallgebäude räumen und die große Henkelflasche Abb. 1 Wandungsrelief auf Flaschenrückseite
Flaschen | 771 zusammen mit den anderen Silberobjekten 1718 in die Schatzkammer des Grünen Gewölbes verbringen, wo sie auf einer Konsole des Silbervergoldeten Zimmers stand. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts kam das prachtvolle Schaugefäß auf den Buffets inner- und außerhalb Sachsens immer wieder zum Einsatz. Auf einer Zeichnung, die das Buffet des sächsischen Kurfürsten Friedrich August II. anlässlich der Kaiserkrönung Karls VII. im Frankfurter Römer am 12. Februar 1742 wiedergibt, nimmt die Flasche eine zentrale Position ein.18 Und auch bei den im Dresdner Schloss abgehaltenen Banketten anlässlich der Geburtstage Friedrich Augusts III. wurde sie gern und oft präsentiert, wie aus dem Journal des Grünen Gewölbes hervorgeht.19 Im 19. Jahrhundert erfreute sich die Dresdner Henkelflasche nach wie vor großer Beliebtheit, denn es entstanden unterschiedliche Nachbildungen durch mehrere Goldschmiede. Bekannt geworden sind zwei deutlich kleinere, in Details abgewandelte Wiederholungen in Privatbesitz. Die darauf eingeschlagenen Fantasiemarken deuten darauf hin, dass es sich dabei um Hanauer Arbeiten aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts handelt.20 Ein Paar deutlich größerer Nachbildungen mit einer Höhe von 63,5 Zentimetern trägt die Marken von James Garrard (London, 1890).21 Bemerkungen zu Restaurierungen und zur Erhaltung Die am Halsansatz angebrachte kursächsische Wappenkartusche dürfte nicht ursprünglich zugehörig sein; sie wirkt aufgesetzt und fügt sich nicht organisch in die Gestaltung des Gefäßes ein. Das im Inventar der Kurfürstlichen Gemächer von 1683/84 erstmals um etwa drei Lot (40 Gramm) erhöhte Gewicht deutet darauf hin, dass es zwischen 1606 und 1683/84 angebracht wurde. Eine Restaurierung der Flasche erfolgte 1969.22 UW/IE Literatur Graesse 1876, Taf. 29; Seidlitz 1920, S. 262, 278, Nr. 149, Taf. 34; Sponsel 1921, S. 181; Sponsel 1925–1932, Bd. II, S. 262, Taf. 56; Haenel/Holzhausen 1937, S. 78; Dresden 1960, S. 61, Nr. D*142 (mit Abb.); Menzhausen 1968 a, S. 51, 73, Nr. 11; Dresden 1971, S. 307, Nr. 576, S. 309 (Abb.); Hayward 1976, S. 363, Abb. 274; Hernmarck 1978, S. 128, Abb. 266; Syndram 1997, S. 41, Nr. 18; Münzberg 2002, S. 137, A 1, S. 169, Abb. 36; Heitmann 2004/05, S. 94 f. (Abb.); Weinhold 2020, S. 69, 118 f., Abb. 81 Anmerkungen 1 Gemeint ist »186«. 2 Siehe www.e-rara.ch/zuz/doi/10.3931/e-rara- 38304 (aufgerufen am 14. 9. 2023): »Die schwer Belegerung der Insel unnd Stat Rodts anno etc. 1522«, Hans Sebald Beham, rot kolorierter Holzschnitt, H 29,2 cm, B 40 cm, Zentralbibliothek Zürich, EDR I 1522 Beham Pp. Die Belagerung von Rhodos begann am 26. 6. 1522 und endete am 1. 1. 1523 mit dem Abzug der Johanniter von der Insel. 3 Haenel/Holzhausen 1937, S. 78; Seidlitz 1920, S. 278, Nr. 149. Sponsel verzichtet gänzlich auf Angaben zum Herstellungsort. 4 Hernmarck 1978, S. 128. 5 Menzhausen 1968 a, S. 51. 6 Szilágyi/Bardoly/Haris 2014, S. 46–51, Nr. I.1; Budapest 2006/07, S. 57, Nr. 1 (mit weiterer Literatur). 7 Zu dieser Diskussion vgl. Passau 2001, S. 216– 218, Nr. 4.18. 8 Die Aufschrift auf dem Etui lautet: »EMERICUS FORGÁCH 1593« und »CATHARINA DUCISSA SAXONIAE 1593«, Passau 2001, S. 216 f. 9 Hayward 1976, S. 276. 10 Vgl. etwa die Blätter des in den Niederlanden tätigen Monogrammisten IG; De Jong/ De Groot 1988, S. 88 f. 11 Hernmarck 1978, S. 127–129. 12 Vgl. etwa die Miniatur aus dem Breviario Grimani, niederländisch, Ende 15. Jahrhundert, Venedig, Bibliothek von San Marco (Schiedlausky 1959, S. 58, Abb. 14), oder die Tapisserie mit der Festtafel des Assuerus, franko-flämisch, 1470–1490, Saragossa, Museo Catedralicio de la Seo, 15211 (Franke 2002/03, S. 41, Abb. 15, S. 43, Abb. 17). Vgl. auch die Darstellung von Kettenflaschen im Wechsel mit Lavabos auf Buffetentwürfen des 18. Jahrhunderts, in: Weinhold 2020, S. 102–104, Abb. 69, 70; Hernmarck 1978, S. 128. 13 Derartige Darstellungen von Tafeln mit bereitstehenden Kühlkesseln finden sich häufig. Vgl. etwa das Gemälde mit der Hohenemser Festtafel, Anthoni Bays, 1578, Polička, Mětské Muzeum a Galerie; Seelig 1994 d, S. 176 f., Abb. G 3. 14 Vgl. hierzu auch Heitmann 2004/05, S. 95. 15 Zwei ebenfalls sehr große vergoldete Silberflaschen mit einem Gewicht von etwa 35 und 34 Mark sind im Inventar der Rentkammer von 1610 aufgelistet. Ob es sich bei einer der beiden um das hier vorliegende Exemplar handelt, bleibt unklar, zumal dieses durchgehend in den Inventaren der Kurfürstlichen Gemächern aufgeführt ist. 16 Weinhold 2020, S. 65–71; Weinhold 2004/05, S. 207; Münzberg 2002. 17 Weinhold 2020, S. 69, 71, Anm. 16. 18 Ebd., S. 116 f., Abb. 80. 19 Ebd., S. 159, Liste II.6. 20 Fotos zweier derartiger Flaschen (H 28–30 cm) sowie Briefwechsel mit den Besitzern (AGG). 21 Auktionskatalog Christie’s New York, Nr. 21002 The exceptional sale, 27. 1. 2023, Nr. 21. Die Reliefs unterscheiden sich vom Dresdner Vorbild. Auch befinden sie sich nur auf den Vorderseiten, siehe www.christies. com/lot/lot-6410994?ldp_breadcrumb=back &intObjectID=6410994&from=salessummary &lid=1 (aufgerufen am 30. 1. 2023). 22 Restaurierungsbericht, Eva Herzog, September 1969. Abb. 2 Pilgerflasche Ungarn oder Nürnberg, um 1470–1480 Silber, vergoldet, Email, H 77,5 cm Budapest, Kunstgewerbemuseum, Inv.-Nr. E 59.1, jetzt Fertöd, EsterházySchlossmuseum, Inv.-Nr. 2017.50.1-2
806 | ������������������������������������������������ Niclaus Schmidt (Meister 1582, gestorben 1609) Nürnberg, um 1592–1594 Perlmutterarbeit und Malerei: Gujarat, 1540–1580 Silber, getrieben, gegossen, ziseliert, graviert, vergoldet; Perlmuttercabochons, Perlmutter, geschnitten, Teakholz, lackiert (Becken), Turbanschnecken, poliert (Kanne) Kanne: H 40 cm, G 2 806 g; Becken: D 56 cm, G 5 679 g Mz: Schmiedehammer im Kreis (NGK 2007, Nr. 809) Bz: N im Kreis (NGK 2007, Nr. 9 für 1592–1594) Marken links und rechts am Halsansatz und am Fußrand (Kanne) sowie versteckt unter der mittigen Mutter auf der Unterseite (Becken) Provenienz: Ankauf Kurfürst Christians II. 1602 bei dem Leipziger Händler Veit Böttiger; erstmals erwähnt im Inventar der Kunstkammer von 1610; von dort 1832 in das Grüne Gewölbe gekommen Inv.-Nrn. IV 157 (Kanne) und IV 248 (Becken) 170 Lavabo mit Perlmutter Inventare S Inventar Kunstkammer 1610, fol. 191 r – 191 v Ahn schönen Perlenmuttern Taffeln, Handtbecken, Gießkandelln, Trinckgeschirrn unnd Kästlein, Hatt sich über vorig Anno 1595. Verneüertenn Inventarium befunden. / 1.Taffell von Eübenholtz mit silber vnd Perlenmutter eingelegt, so zum theill vonn Veit Böttigernn Zu Leipzigk erkaufft wordenn, Darbeÿ verhandenn / 1. Silbern vergüldt Handtbecken mit silbern Figurenn vnnd Perlenmutter auch eingeschmelztenn farbenn, Darzu / 1. Gießkandell von dreÿen Schnecken. S Inventar Kunstkammer 1619, fol. 205 r An schönen perlenmutter taffeln, handtbecken, gießkandeln, trinckgeschirrn und kästlein inhalt des anno 1610 verneuerten inventarii. 1 Tafel von Euben holtz, mit silber und perlenmutter eingelegt, so zum theil von Veit Böttigern zu Leipzigk erkauft worden. Darbey verhanden. / 1. Silbern vergüldt handtbecken mit silbernen figuren und perlenmutter, auch eingeschmelzten farben Darzu / 1. Gießkandel von dreyen schnecken. [Bemerkung mit Tinte:] Seind gemahlte lasur farben gewesen, welche in abbeizen weg gangen. S Inventar Kunstkammer 1640, fol. 140 r Eine tafel, auf welcher folgendte von perlenmutter in silber gefaste trinckgeschirr, gießkannen und gieß becken gestellet seind und ist mit rothen leder behengt. / 1 Silbern vergüld handbecken mit silbernen figuren und perlenmutter. / 1 Gieß kandel von dreyen schnecken. S Inventar Kunstkammer nach 1732, fol. 63 v – 64 r Ein gevierter Tisch, daran das Blatt mit Perlenmutter eingeleget, das Gestell von gemeinen Holtze und gemahlet so Churfürst Augusto höchstseel: Gedächtnüß von Hertzog von Sophoy verehret worden. darauf ist gesetzet [...] Ein silbern vergüld Gieß Becken, mit Perlmutter eingeleget, auf deßen Rande 6. in Silber getriebene Figuren, und 6. Stück Perlmutter, in Form eines halben Eyes, der Boden vergüldt Silber, stehet auf 3. dergl: Knöpffen / Ein dergl: Gieß Kanne, auf halb rundt dreyeckigten Fuße zu oberst mit 3. Schnecken, in vergült Silber, wie ein Vogel mit langen krummen Halse N°. 4. S Inventar Kunstkammer 1741, fol. 27 v – 29 r Cap. III. Gieß-kannen und gieß-becken von silber, mit perlmutter eingelegt und verzieret [...] No: 4. / Ein rund silbern vergoldt gießbecken und kanne. Das becken inwendig mit stückgen perlmutter ausgelegt und verzieret, auf dem getriebenen rande sechß erhabene silberne manns- und weibs-bilder. Zwischen zweyen ist allemahl ein oval stückgen perlmutter in form eines halben eyes in silber eingefaßt. Stehet auf 3 runden knöpfen und ist auswendig blaß vergoldt. Die kanne ist in form eines auf einem silbernen postament sizenden geflügelten monstreusen thieres, deßen beyde seiten und schwanz mit perlmutterschnecken versezet sind. Die schnecke an der kanne ist schadthaft. [...] [Bemerkung mit roter Tinte:] Am 6. Juli 1832 zum grünen Gewölbe abgegeben. [mit schwarzer Tinte:] ist renoviret und stehet mit ein futteral bedecket auf einem Tisch. [...] Nota bene. Alle diese 5 lavors werden in einen kasten verschloßen auf behalten und wenn jemand in der kunst-cammer zum ansehen der sachen herum geführt wird, so werden sie aus den kasten genommen und auf einen tisch, welcher quer vor die beyden fenster [Einfügung:] im Alabaster-gewölbe stehet, zusammen gesetzet und hernach wieder in den kasten geleget und verschloßen aufbehalten. Vide porro pag. 299. Nota bene. Ist geändert und stehen alle 5 in der langen galerie unten auf tischen, nacheinander. S Inventar Silbervergoldetes Zimmer 1817, S. 84 h (Nachtrag) No: 141. / Ein rund silbern vergoldt Gießbecken und Kanne, das Becken innwendig mit Stückchen Perlmutter ausgelegt und verzieret, auf dem getriebenen Rande 6 erhabene silberne Manns- und Weibsbilder, zwischen zweien ist allemal ein oval Stückchen Perlenmutter in Form eines halben Eies in Silber eingefaßt, stehet auf 3. runden Knöpfen, und ist auswendig blaß vergoldet. Die Kanne ist in Form eines auf einem silbernen Postament sitzenden geflügelten monstreusen Geiers, dessen beide Seiten und Schwanz mit Perlmutter Schnecken versetzet sind. IV 248 Mz Becken IV 248 Bz Becken
Lavabos | 807 S Inventar Silberzimmer 1879, S. 161–163, 231–233 No: 157. / Eine silbervergoldete Kanne, in Form eines sitzenden, geflügelten, monströsen Thieres, dessen beide Seiten und Schwanz mit Perlmutter=Schnecken versetzt sind. Die Kanne gehört zu dem Becken No: 248. [...] No: 248. / Ein rundes, silbervergoldetes Giesbecken; das Innere ist mit Perlmutter ausgelegt und hat drei Eidechsen auf dem Boden. Der breite getriebene Rand ist mit drei männlichen und drei weiblichen liegenden Figuren verziert, zwischen denen ovale Perlmutterstücken in Form eines halben Eies eingelassen sind, zu diesem Becken gehört die Kanne unter No: 157. Sonstige Quellen S HStADD, 10024 Geheimer Rat, Loc. 9835/16 Kurfürstliche Kunstkammer zu Dresden, deren Invention und dazu geordnete neue Bestellung, 1624 (Verzeichnis Kunstkammer 1624), fol. 39 v Außm Gemach Kegen dem Zwinger No: 4. Ist versetzt, [...] Ein silbern verguldt handtbecken, mit silbern Figuren vnnd Perll Mutter, auch eingeschmeltzten farben, Dartzu / Eine Gießkandell von drey Schnecken [...] seindt alle ins dritte Gemach kommen. Beschreibung Der Nürnberger Meister Niclaus Schmidt hat das indische Perlmutterbecken in eine Goldschmiedemontierung eingepasst, welche die Rückseite des Werks vollständig verdeckt und diesem eine relativ breite Fahne hinzufügt. Diese zieren sechs Perlmuttercabochons im Wechsel mit weißsilbernen Reliefauflagen in Gestalt dreier weiblicher und dreier männlicher Genien. In querovalen Reserven mit ziselierten Hügellandschaften ausgestreckt lagernd, sind fünf dieser Figuren mit Wassergefäßen und eine mit einem Füllhorn wiedergegeben. Fruchtbündel mit Beschlag- und Rollwerk füllen die Zwischenräume. Eine ähnliche Ornamentik, ergänzt durch geflügelte Engelsköpfe, findet sich auf der die Fahne rahmenden
808 | ������������������������������������������������ Zierleiste. Nach innen markiert ein stilisierter Eierstab den Übergang zur Perlmutterarbeit. Auch der Schalenspiegel wird durch einen feinteiligen, zart verzierten Reifen mit Eierstab und Blumenranken gegliedert. Die Mitte des Beckens betont ein aufgelegter dreipassförmiger Reif, der auch als Kannenrast dient. Wirkungsvoll akzentuiert wird das Zentrum der Fläche durch ein dreigliedrig gewölbtes Reliefmedaillon mit üppig gestalteten Früchten, in die Schnittstellen der Wölbungen sind drei Eidechsen als Naturabgüsse montiert. Die flache Rückseite des Perlmutterbeckens wurde glatt belassen und lediglich die Wandung mit schlichten, etwas schematischen Gravierungen verziert. Fruchtbündel mit Schoten zwischen Girlanden alternieren hier mit originell gestalteten Blumen. Die Fahne ist nicht mit Silberblech hinterlegt, sodass auf der Rückseite die Ziselierungen und die jeweils dreifachen Verschraubungen der aufgelegten Figuren gut sichtbar sind. Letztere sind gegossen, wobei weit hervorstehende Einzelteile teilweise separat gearbeitet und dann angelötet wurden. Das Becken steht auf drei Kugelfüßen. Die Kanne in Form eines Drachens gehört zu den originellsten Schöpfungen ihrer Art und Zeit. Der Körper des Tiers besteht aus drei Turbanschneckengehäusen und wird zusätzlich durch fantasievolle Kreaturen belebt. So sitzt auf seinem Rücken eine gehörnte Maske, die ihr Maul weit aufsperrt, während ein drachengestaltiges Untier den Henkel des Gießgefäßes bildet. Sein breit geöffnetes Maul scheint sich in eine Turbanschnecke zu verbeißen. Auf dem Rücken des Drachens sitzt eine gehörnte Maske, die ebenfalls ihr Maul weit aufsperrt. Der imposant gebogene, abnehmbare Kannenhals mit dem Drachenkopf als Abschluss fungiert theoretisch als Ausguss und zum Befüllen des Gießgefäßes. Der dreipassförmige Fuß, der eine starke Wölbung mit ziselierten Blattranken und Früchten zwischen geflügelten Engeslköpfen besitzt, ist in Analogie zum Becken auf seiner Oberfläche mit drei ovalen Perlmutterstücken im Cabochonschliff besetzt. Drei kleine Frösche als Naturabgüsse akzentuieren die Übergänge zwischen den einzelnen Kompartimenten des Dreipasses. Der Schaft ist wie eine vasenförmige Skulptur gestaltet. Weibliche Hermen mit einem Unterleib aus einer Muschel und einem Perlstab alternieren mit C-förmigen Spangen, die in tierähnliche Masken mit stilisierten Tatzen enden.
Lavabos | 809 Zuschreibung, Datierung und Vergleichsstücke Goldschmiedearbeit Aufgrund der Marken lässt sich das Lavabo dem Nürnberger Goldschmied Niclaus Schmidt zuschreiben und ziemlich genau zwischen 1592 und 1594 datieren. Die gegossenen Figuren auf der Fahne könnte Schmidt auch als Halbfertigware bezogen haben, die allerdings nicht wie aus einem Guss erscheint. Denn die Köpfe der männlichen Flussgötter sind ausdrucksstärker gestaltet als die ihrer weiblichen Pendants, der Quellnymphen – ein Unterschied, der aus der Verwendung verschiedener Vorlagen oder auch aus dem jeweiligen Abnutzungsgrad der Gussformen resultieren könnte. Es ist daher dennoch möglich, dass sie aus ein und derselben Werkstatt hervorgingen.1 Ganz offensichtlich wurde Schmidt von Werken seines Lehrers Wenzel Jamnitzer angeregt. Als Ideengeber für die Form des Schenkgefäßes könnte beispielsweise dessen außergewöhnliche Prunkkanne in der Münchner Schatzkammer gedient haben (Abb. 1).2 Aus Schmidts eigenem Œuvre bietet sich das 1592 entstandene Lavabo aus dem Kunsthistorischen Museum in Wien als direktes Vergleichsbeispiel an (Abb. 2 und 3).3 Es wiegt fast doppelt so viel wie das Dresdner Ensemble, was durch die unterschiedliche Größe, Herstellungsweise und Materialauswahl erklärt werden kann. Das Wiener Becken besitzt im Gegensatz zum Dresdner Exemplar mit seinem komplett mit Perlmutterplättchen besetzten Holzkern nur zwei relativ schmale hölzerne Bänder, auf welche die Plättchen mittels Kitt aufgebracht sind. Der Goldschmied entwarf dieses Becken unter dem Eindruck indischer Vorbilder,4 wobei hier die Perlmutterarbeit klar hinter der dominierenden Montierung aus vergoldetem Silber zurücktritt. Die Ikonografie der Silberarbeiten ist dem Meer gewidmet und deutlich komplexer als bei der Dresdner Garnitur. So bevölkern die getriebenen Felder zwischen den beiden Perlmutterringen die unterschiedlichsten Meereswesen, und auf dem äußeren Ring sind wie in Dresden sechs plastische Flussgottheiten und Quellnymphen platziert. Zwischen den Figuren befinden sich anstelle der glatten Perlmuttercabochons große Barockperlen.5 Die Wiener Kanne führt die maritime Ikonografie fort, unterscheidet sich in der Gestaltung aber auf signifikante Art von dem Dresdner Exemplar und ähnelt in ihrer Formgebung eher dem klassisch-antik inspirierten Gießgefäß,6 wie es etwa der Leipziger Goldschmied Elias Geyer in seiner Garnitur verwendete (Kat.-Nr. 169). Lediglich einige Stilelemente der Wiener Kanne wie die vielfältigen Fantasiewesen weisen Gemeinsamkeiten auf. Auch sind auf dem durchbrochenen Rand des Beckens Naturabgüsse kleiner Tiere appliziert. Im Vergleich zu dem vorliegenden Ensemble ist das aus dem Kunsthistorischen Museum noch prächtiger und aufwendiger ausgeführt. Insgesamt wirkt die Oberflächenstruktur durch die durchbrochen gearbeitete Randverzierung und die kleinteiligeren Ornamente bewegter. Da die Wiener Garnitur durch eine Hofzahlamtsrechnung und die Stadtmarke genau auf das Jahr 1592 datiert7 und auch die Entstehung des Dresdner Ensembles durch die Nürnberger Beschau zwischen 1592 und 1594 eingegrenzt werden kann, sind sie quasi zeitgleich entstanden.8 Die Ausgangslage war aber jeweils eine andere: Einmal sollte ein indisches Becken gefasst, das andere Mal ein eigenes Becken – vermutlich unter Hinzuziehung eines Nürnberger Perlmutterschneiders (siehe S. 62) – in Anspielung auf die indischen Arbeiten hergestellt werden. Der Nürnberger Goldschmied hat die beiden Ensembles in unterschiedlich reicher Ausstattung ausgeführt, um verschiedene Käuferschichten anzusprechen. Die zurückhaltende Goldschmiedefassung in Dresden könnte durchaus bewusst gewählt worden sein, um die indische Perlmutterarbeit besser in Szene zu setzen. Denn diese Werke waren exklusiv und sehr geschätzt, im Gegensatz zur indischen Malerei (Abb. 4), welche unter einer aufwendigen Montierung verborgen wurde. Perlmutterarbeit und Malereien Die in Indien praktizierte Technik, unterschiedlich geformte Perlmutterplättchen mit einem Metallstift auf einem Holzträger zu montieren, erzeugt ein akkurat und homogen wirkendes Erscheinungsbild, das sich aber keinesfalls gleichförmig oder schematisch ausnimmt – im Unterschied etwa zu europäischen Nachahmungen wie dem Perlmutterbesatz des Bacchus, des Trinkspiels in Gestalt eines Elefanten (Kat.-Nrn. 101, 119) oder dem des Wiener Beckens. Die indische Technik der aufgelegten Perlmutterplättchen auf einem Holzkern findet sich in ähnlicher Art auch bei der frühesten Garnitur dieser Art im Grünen Gewölbe (Kat.-Nr. 168). Einen Hinweis auf die Existenz der üblicherweise von der Fassung verdeckten indischen Malereien auf der Beckenrückseite lieferte Menzhausen bereits 1968.9 2016 wurde im Rahmen einer Restaurierung die Montierung abgenommen, und die Malereien kamen in kräftigen Farben fast unversehrt zum Vorschein.10 Zwischen Ranken tummeln sich weibliche Schwarzböcke (auch Hirschziegenantilopen, Antilope cervicapra), Halsbandsittiche (Psittacula krameri) und in der Mitte ein weiblicher Pfau (Pavo cristatus) (Abb. 4).11 Sie muten in ihrem Duktus sehr frisch und fast naiv, volkstümlich im besten Wortsinn, an. Diese Art der indischen Malerei war im Gegensatz zur höfischen im Laufe der Zeit nur wenigen Änderungen unterworfen und zeichnet sich durch einen stilisierten Naturalismus aus. Sie findet sich auf Textilien und Holzkästchen aus Gujarat und kann zwischen 1540 und 1580 datiert werden.12 In ähnlichen Varianten begegnet sie uns auch an anderen Objekten.13 Solche Holzbecken gehörten in Indien ursprünglich zu einer Brautausstattung.14 Provenienz Siehe Kat.-Nr. 169. Abb. 1 Prunkkanne Wenzel Jamnitzer, Nürnberg, um 1570 Silber, vergoldet, Turbanschnecke, Email, H 32,5 cm München, Schatzkammer der Residenz, Inv.‑Nr. Res.Mü.Sch. 567
810 | ������������������������������������������������ Ikonografie Ein einheitliches ikonografisches Programm, wie es in Wien der Fall ist, lässt sich nicht ablesen. Der Dekor wird bestimmt von vegetabilen Motiven wie Blumen und Früchten. Das Element des Wassers erscheint in Gestalt der gegossenen Flussgottheiten und Quellnymphen auf dem Beckenrand. In typisch manieristischer dynamischer Pose und durch ihre exponierte Lage in der Mitte des Beckens ziehen die drei Eidechsen als Naturabgüsse die Blicke der Betrachtenden auf sich und stehen für eine wichtige künstlerische Botschaft. Im Umkreis des wohl berühmtesten und gelehrtesten Nürnberger Goldschmieds, Wenzel Jamnitzer, erhielten die Naturabgüsse ihren komplexen Aussagegehalt.15 Dem Künstler ging es hier nicht nur um eine reine Demonstration seiner Fertigkeiten, die Natur nachzuahmen. Die suggestiven Posen und die ursprüngliche Bemalung der Eidechsen spiegeln auch den Leben generierenden Vorgang wider, den der Künstler gottgleich als Schöpfer beherrscht. Er ist imstande, die Natur zu zähmen und ins Ornamentale zu überführen.16 Niclaus Schmidt, der Schüler Jamnitzers, setzte diese wesentliche Aussage des künstlerischen Primats vor der Natur um, indem er die Tiere auch um die zentrale Reliefplatte gruppiert, die ein künstlerisch arrangiertes Stillleben mit Früchten zeigt, welches die Zufälligkeit der Natur bereits überwunden hat. In diesem Sinn ist auch die eigenwillige Drachenkanne zu verstehen. Der Goldschmied führt mit diesen unterschiedlichen, ineinander verschlungenen Fantasiewesen die künstlerische Invention vor Augen, die sich von einer vorgegebenen Naturform löst und daraus Neues erschafft. Bedeutung und Gebrauch Bei den beiden Lavabos von Niclaus Schmidt in Dresden und Wien handelt es sich um die spätesten Exemplare von Perlmuttergarnituren. Die Dresdner Kanne markiert einen Höhepunkt innerhalb einer Entwicklung, die ausgehend von orientalischen Formen (Kat.-Nr. 168) über klassisch-zurückhaltende Gestaltung (Kat.-Nr. 169) in diese höchst eigenwilligen manieristisch-zooAbb. 2 und 3 Kanne und Becken mit Perlmutter Niclaus Schmidt, Nürnberg, um 1592 Silber, vergoldet, Perlmutter, Granate, H 54 cm (Kanne), D 80 cm (Becken) Wien, Kunsthistorisches Museum, Kunstkammer, Inv.-Nrn. KK 1124 (Kanne) und KK 1138 (Becken)
Lavabos | 811 morphen Schöpfungen mündet. Auch die Verzierung des ursprünglich schlichten indischen Perlmutterbeckens mit plastischen Figuren, den großflächigen Pflanzenornamenten (wenngleich auf der eher unscheinbaren Rückseite) und der ursprünglich vorhandenen Farbfassung (siehe Bemerkungen zu Restaurierungen und zur Erhaltung) trägt den Keim der Vollendung in sich. Dieses aufwendig gestaltete Ensemble im Grünen Gewölbe diente wohl rein repräsentativen Zwecken. Aufgrund der Materialkombination war vermutlich keine ausreichende Dichtigkeit an den Verbundstellen zwischen den Schnecken und der Metallfassung gegeben. Deshalb wurde die Kanne auch nicht im herkömmlichen Sinn als Schenkgefäß verwendet. Bemerkungen zu Restaurierungen und zur Erhaltung Im Inventar von 1610 ist von »eingeschmelztenn farbenn« die Rede, die aber bereits neun Jahre später »in abbeizen weg gegangen« waren.17 Der ursprüngliche buntfarbige Eindruck durch die Farbfassung muss der prächtigen Garnitur noch zusätzlich einen besonderen Charakter verliehen haben. Das Becken erfuhr 1963,18 die Kanne 200819 restauratorische Eingriffe. 2016 wurde das Ensemble einer grundlegenden Restaurierung unterzogen.20 TW Literatur Graesse 1876, Taf. 61 (Becken); Graesse 1881, S. 73, Nr. 248; Erbstein 1884, S. 96, Nr. 248, S. 98, Nr. 256 (Kanne); Sponsel 1921, S. 184; Seidlitz 1921, S. 28, Nr. 433, Taf. 61; Dresden 1959, S. 102; C 371 (Abb.); Menzhausen 1959 a; Dresden 1959, S. 102, Nr. C 371; Menzhausen 1968 a, S. 83 f., Nr. 46; Hayward 1976, S. 383, Taf. 476, 477; Lipinsky 1977, S. 5; Lissabon 1996, S. 134 f.; Habsburg 1997, S. 174, Nr. 234; Syndram 1997, S. 53, Nr. 81; Sangl 2001, S. 267 f.; Schürer 2002, S. 197, Anm. 55; Hamburg/ New York/Rom 2004/05, S. 84–87; Syndram 2005 b, S. 52 f.; Kappel/Weinhold 2007, S. 87; NGK 2007, Bd. I.1, S. 379–381, Nr. 809.05; Washington 2007 (1), S. 366, Nr. P-61; Mantua 2008/09, S. 298, Nr. 74; Lissabon 2009, S. 83, Nr. 26; Syndram/ Minning 2010, Bd. II (1619), Abb. 50; Mannheim 2012, S. 164, Nr. III.16; Weber 2012, S. 253 (Abb.), 254; Marx/Plaßmeyer 2014, S. 424 f., Nr. 613, Taf. 38; Haug 2018, S. 201–205; Richter/Weinhold/ Witting 2018, S. 18 f., Abb. 1; Porto 2021, S. 50–52; Syndram 2021 a, S. 129; Witting/Weinhold 2022/23, S. 99, Abb. 5, S. 104, Abb. 13, 14 Anmerkungen 1 Trnek geht so weit, die grafischen Vorlagen für die männlichen Flussgottheiten in der Sansovino-Nachfolge zu suchen, während er die weiblichen von der süddeutschen Plastik beeinflusst sieht (Wien 2000, S. 295, Nr. 295). 2 Sauerländer 2008, Bd. I, S. 128 f., Nr. 339; Hayward 1976, S. 383. 3 Belegt durch eine Hofzahlamtsrechnung von 1592 (Mannheim 2012, S. 164, Nr. III.16) und durch das Nürnberger Beschauzeichen Nr. 9 (1592–1594), Literatur allgemein zur Garnitur: Mannheim 2012, S. 164, Nr. III.16 (Kanne); Baden-Baden 2009, S. 262; Wien 2000, S. 295, Nr. 229, S. 297 (Abb.). Wir danken Paulus Rainer, Kunsthistorisches Museum Wien, Kunstkammer, herzlich für seine Hinweise. 4 Moskau 2005, S. 66 f., Nrn. 22, 23. Nach wie vor steht die finale Klärung aus, ob die Perlmutterarbeiten indischen oder europäischen Ursprungs sind. 5 Zu dieser Thematik siehe Neuwirth 2016. 6 Haug verweist auf die italienischen Stileinflüsse, die Schmidts Lehrer Wenzel Jamnitzer durch Jacopo Strada, der in den 1540er Jahren in dessen Nürnberger Werkstatt mitarbeitete, vermittelt wurden und auch für Schmidt relevant waren, siehe Haug 2018, S. 344. Abb. 4 Beckenrückseite mit Malerei aus Gujarat
KKannen, Krüge und Kredenzen
Kannen, Krüge und Kredenzen | 863 wohl Portugal oder Goa, um 1550–1579 Silber, getrieben, gegossen, geschnitten, ziseliert, graviert, punziert; Hälfte einer Seychellennuss, lackiert H 32,5 cm; G 1 997 g ohne Marken eingeschlagene Nummer am Fußrand: 545 Provenienz: wohl Ankauf von Hieronymus Kramer im Auftrag von Kurfürst August in Lissabon 1579; erstmals erwähnt im Inventar der Rentkammer von 1610 und im Entnahmeverzeichnis Rentkammer 1611; 1640 im Inventar der Kunstkammer; 1832 an die Rüstkammer abgegeben; 1890 von dort in das Grüne Gewölbe gekommen Inv.-Nr. IV 314 186 Kanne aus einer Seychellennuss S Inventar Zugänge 1890–1903, S. 1 f., 22 Aus dem Königlichen Historischen Museum in das Königliche Grüne Gewölbe, bez. Münzkabinet wurden übergeführt: aus dem Eingangszimmer nach dem Inventar von 1838: [...] No: 28. [mit roter Tinte darunter:] IV 314 / Eine große maledivische Nuß, in weißes Silber gefaßt, der Deckel mit einer Muschel darauf ein glatter Knopf. Der Fuß von Silber, an der Seite desselben die Zahl 545 eingeschlagen. Wiegt: 8 mark, 12 loth. / Diese Art Nüsse wachsen in den maledivischen Inseln, am Strande unter dem Wasser, wie bei uns die Stachelnüsse. Wenn sie reif sind, werden solche von den Wellen losgerissen und von den Einwohnern daselbst aufgefischt und gegessen. Von Geschmack sollen sie den Mandeln gleichen. [...] Die vorstehend verzeichneten Gegenstände wurden im Dezember 1890 in das Kgl. Grüne Gewölbe überführt. Dr. Julius Erbstein. Sonstige Quellen S HStADD, 10024 Geheimer Rat, Loc. 7411/14 Pfeffer- und Gewürzhandel über Portugal mit Ostindien, Verhandlungen mit dem Handelsherrn Konrad Roth in Nürnberg, 1579, fol. 69 r Verzeichnus. Was Ihronimus Kramer, wegen meines Gnedigsten Herrn, des Churfürsten zu Sachsen, vnnd Burggraven zu Magdeburgk – von den Indianischen sachen behalten hat: ain Cocha de Maldifa. Inn Silber eingefaßt, so für güfft Gehen Zorn, und Melancolia [...] Obsteendes zusamen geraith, belauffen Duch [Ducaten] 350 Jeden a für 86. lb° [Pfund] Müntz den fl. a für 60. fl. [Gulden] 501 kl.1 40. –. S Entnahmeverzeichnis Rentkammer 1611, fol. 77 r Eine indianische Nuß mit silber beschlagen, wigt 8 mark, 12 loth. Inventare S Inventar Rentkammer 1610, fol. 9 r Eine Indianische Nuß mit Silber beschlagen, wigt 8 mark 12 loth. S Inventar Kunstkammer 1640, fol. 133 r, 135 v IV. In der vierten tresur stehen straußen eyer und indianische nußschalen, als trinckgeschirr in silber gefast [...] Ferner. / 1 Große indianische ablenglichte nuß in weis silber eingefast, der deckel mit einer muschel, darauf ein glatter knopf, einen silbernen fuß an deßelben seite, die zahl 545 gesenckt. Wigt 8 mark, 12 loth. S Inventar Kunstkammer 1741, fol. 43 v, 46 v – 47 r Cap. V. Trink-geschirre von rhinoceros-horn, auch cocos-nüße und dergleichen [...] No: 12. / Eine große maldivische nuß, in weiß silber gefaßt, der deckel mit einer muschel. Darauf ein glatter knopf, ingleichen ein silberner fuß, an den seiten deßelben die zahl 545. eingeschlagen. Wiegt 8 mark, 12 loth. [Bemerkung mit schwarzer Tinte:] Ist repariret und stehet im ersten schranck. Nota bene. Dieße arth nüße wachßen in den maldivischen inseln am strande unter waßer wie bey unß die stachelnüße. Wenn nun solche reif sind, werden sie von den wellen loß gerißen und von den einwohnern daselbst aufgefischet und gegeßen. Sollen wie mandeln schmecken. [mit roter Tinte:] am 11. July 1832 zur rüstkammer abgegeben. S Inventar Eingangszimmer Historisches Museum 1838, fol. 25 r An allerhand Trinkgeschirren, Näpfen: / No: 28. / Eine große maldivische Nuß, in weißes Silber gefaßt, der Deckel mit einer Muschel darauf ein glatter Knopf. Der Fuß von Silber, an der Seite deßelben die Zahl 545. eingeschlagen. Wiegt 8 mark, 12 loth. S Inventar Silberzimmer 1879, S. 307 No: 314. [als Zugang 1890] / Eine große maledivische Nuß, in silberner und gravierter Faßung auf Fuß. Oben auf der Längsseite eine ovale Öffnung mit muschelförmig getriebenen, silbernem Deckel. Das Mundstück an der einen Seite mit einer getriebenen und gepunzten Löwenmaske geziert. Angeblich 16. Jahrhundert. 32,5 × 41 cm. Wiegt 8 mark, 12 loth.
864 | ������������������������������������������������ Beschreibung Die Hälfte einer sogenannten Seychellennuss bildet den mächtigen, etwas unregelmäßig geformten Gefäßkörper dieser ganz besonderen, weißsilbern montierten Kanne. Sie ruht auf einem runden, mit einem großen Eierstab verzierten Fuß. Darüber erhebt sich ein balusterförmiger, von großen Akanthusblättern bedeckter Schaft. In beiden Fällen setzen sich die gravierten, glänzend-glatten Dekore von einem punzierten Grund ab. Ein ausgeschnittenes und leicht gebogenes Blech sitzt zwischen dem Schaft und der Nuss, die von vier breiten Spangen aus Silberblech gehalten wird. Sie sind durchbrochen gearbeitet, beschlagwerkartig geformt und sparsam mit gravierten Linien verziert, welche parallel zu den Rändern verlaufen. An einigen Stellen weisen sie Akanthusblattornamente auf. Das Heck des schiffsförmigen Gefäßkörpers wird von einer runden, in der Mitte offenen Silberplatte betont, die in eine breite Deckplatte mündet. Diese wiederholt den Motivschatz der Spangen und gleicht die unregelmäßige Form der Nuss aus, indem sie auf einer Seite dicker gearbeitet ist. Auf der Öffnung in der Mitte der Nussoberseite sitzt ein schmaler glatter Lippenrand, auf dem der mittels eines Scharniers befestigte und mit einem schlichten kugelförmigen Knauf versehene Deckel liegt. Dessen leicht gewölbte Oberseite besitzt die Gestalt einer von Meereswogen umspülten Jakobsmuschel. Der Ausguss vorn am Gefäß entspringt dem weit aufgesperrten Maul einer Löwenmaske und ist auf eine beschlagwerkartige Silberplatte montiert, die sich wiederum der Nussform anpasst. Zuschreibung und Datierung Die durch eine Quelle belegte Tatsache, dass die Nuss bereits mit der silbernen Fassung in Lissabon erworben wurde, legt eine Herkunft aus einer portugiesischen Goldschmiedewerkstatt nahe. Von den bekannten Seychellennussgefäßen (siehe Vergleichsstücke) besitzt das Exemplar der Schatzkammer des Deutschen Ordens die meisten Gemeinsamkeiten, insbesondere in Bezug auf den sparsam gravierten Dekor sowie die teilweise durchbrochen gearbeiteten Spangen.2 Für die Fassung dieses ebenfalls ungemarkten Stücks wurde eine Entstehung in Lissabon vermutet, doch bringen neuere Erkenntnisse auch Goa ins Spiel, wo einer Quelle aus dem Jahr 1579 zufolge nicht nur Perlmutter- sowie Elfenbeinkästchen, sondern auch Kokosnüsse von Goldschmieden
Kannen, Krüge und Kredenzen | 865 für den Export mit Silberfassungen versehen wurden.3 Als Eckpfeiler Portugiesisch-Indiens kontrollierte die westindische Hafenmetropole die wichtigsten Handelsrouten für Luxusgüter nach Europa. Sie war jedoch nicht nur bedeutender Handelsplatz, sondern seit etwa 1550 ebenso ein wichtiges künstlerisches Zentrum und verfügte über traditionsreiche lokale Werkstätten, die für die portugiesischen Händler tätig wurden.4 Viele dieser Meister absolvierten ihre Ausbildung in Lissabon, was ihren Stil deutlich geprägt haben dürfte. Doch ist umgekehrt auch die Arbeit von Goldschmieden aus Portugal und anderen europäischen Städten in Goa überliefert, sodass es einen künstlerischen Austausch gab, der stilistische Zuschreibungen erschwert. Vergleichsstücke Nur acht derartige Seychellennüsse mit Silberfassungen des 16. und frühen 17. Jahrhunderts sind heute bekannt. Die größte Sammlung dieser exotischen Naturalia befand sich im Besitz Kaiser Rudolfs II., der über die entsprechenden finanziellen Mittel verfügte und sich angeblich eines der Exemplare im Jahr 1602 die enorme Summe von 4 000 Gulden kosten ließ.5 Insgesamt fünf in Silber gefasste sowie 13 ungefasste »cocci de maldivae« zählt das von 1607 bis 1611 angelegte Inventar seiner Prager Kunstkammer.6 Das prachtvollste Exemplar dieser Sammlung und vielleicht das bedeutendste seiner Gattung wurde von dem Augsburger Goldschmied Anton Schweinberger signiert und hat sich im Kunsthistorischen Museum Wien erhalten.7 Dort befindet sich auch ein weiteres Seychellennussgefäß mit einer wohl ebenfalls in Augsburg entstandenen silbervergoldeten Fassung, die ursprünglich aus dem Besitz Erzherzog Ferdinands II. stammt und 1596 erstmals erwähnt wird.8 Ihm eng verwandt und wohl in der gleichen Werkstatt entstanden ist eine Kanne im British Museum, London.9 Das bereits erwähnte Exemplar in der Schatzkammer des Deutschen Ordens in Wien – gleichermaßen aus der Rudolfinischen Kunstkammer stammend – besitzt einen Deckel, auf dem sich das Horn einer Ziegenantilope erhebt. Es enthielt einst im Inneren einen von einer Kette herabhängenden Bezoar, sodass es gleich mehrere der wundertätigen Naturalien in sich vereinte.10 Mit Korallen geschmückt ist die erst gegen 1630 in der Werkstatt des Augsburger Goldschmieds Johannes I Lencker entstandene Kanne, die den Kunstschrank König Gustav Adolphs von Schweden bekrönt.11 Des Weiteren seien zwei Kannen in der Galleria Estense, Modena, sowie im Besitz einer portugiesischen Adelsfamilie erwähnt.12 Provenienz Mit sehr großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich bei der hier vorliegenden Kanne um die »cocha de Maldifa in silber eingefast, so für güft Gehen zorn, und melancholia«, die Kurfürst August 1579 von dem Händler Hieronymus Kramer erworben hatte (siehe S. 57). Sie war damals Teil eines Konvoluts, bestehend aus weißem Damast, »zway Stuckh gestepte[n] Leinwath mit Baumwoll« sowie »etliche[n] Persillianische[n] Castenros [vielleicht Kokosnüsse]«, für das insgesamt ein Betrag von 501 Gulden verlangt wurde. Zum Vergleich bietet sich etwa der 1590 erworbene Anhänger mit dem heiligen Georg an, der mit 686 Gulden zu Buche geschlagen hatte.13 Obwohl es sich dabei um ein überaus kunstvoll verarbeitetes goldenes, mit insgesamt 17 Edelsteinen besetztes Kleinod handelte, kostete das Schmuckstück nur unwesentlich mehr als das kleine Konvolut mit der sparsam in unvergoldetes Silber gefassten kostbaren Naturalie. Der ursprüngliche Aufbewahrungsort der Seychellennusskanne ist nicht bekannt, denn sie erscheint erstmalig in einem Inventar der Rentkammer von 1610 sowie 1611 auf einem nach dem Ableben Christians II. durch die Rentkammer erstellten Verzeichnis von Objekten. Zwischen 1619 und 1640 muss sie dann in die Kunstkam
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