Leseprobe

STAATLICHE KUNSTSAMMLUNGEN DRESDEN ULRIKE WEINHOLD THERESA WITTING SANDSTEIN VERLAG

BESTANDSKATALOG Band II DIE WERKE DES 16. BIS 19. JAHRHUNDERTS

DANK 7 ZUM GELEIT Marius Winzeler 8 EINFÜHRUNG Ulrike Weinhold | Theresa Witting 10 ESSAYS Goldschmiedekunst im Grünen Gewölbe. Entwicklungslinien der Sammlung Ulrike Weinhold | Theresa Witting 16 Außereuropäische Konchylien im Grünen Gewölbe. Prozesse der Aneignung in den Werkstätten deutscher Goldschmiede Theresa Witting | Ulrike Weinhold 56 Exklusive Trinkgefäße. Zwischen Tafelfreuden und Schatzkunst Theresa Witting | Ulrike Weinhold 68 Löten, stiften, schrauben. Gedanken zu goldschmiedetechnischen Verbindungen Eve Begov 74 Digitale Markenfotografie Volker Dietzel | Michael Wagner 84 Vorbemerkungen 203 Trinkgefäße Pokale Akelei-, Buckel- und Traubenpokale 206 Pokale mit gerader Wandung 236 Doppelpokale 256 Nautiluspokale 271 Pokale mit Turbanschnecken und anderen Konchylien 349 Kokosnusspokale 379 Rhinozeroshornpokale 407 Straußeneipokale 420 Pokale mit Steinschnitt 435 Innungspokale 481 1 2 BAND BAND ANHANG Biografien der Goldschmiede 92 Quellen 122 Literatur 126 Personenregister 164 Die Kurfürsten und Könige von Sachsen aus der albertinischen Linie des Hauses Wettin 177 Konkordanz 178 Verlustliste Goldschmiedearbeiten 180 Markenregister 183 Abkürzungen 192 Autorinnen und Autoren 192 Bildnachweis 193 Impressum 196

Silberplastik Statuetten 974 Reliefs 992 Weitere Werke 1044 3 Figürliche Gefäße Architektur und Gegenstände 488 Schiffe 503 Menschliche Gestalten 519 Fabelwesen und mythologische Figuren 540 Tiere und Pflanzen 584 Humpen 642 Becher 671 Trinkschalen 716 Automaten 736 Vorbemerkungen 763 Flaschen, Schenk- und Kühlgefäße sowie Kredenzen Flaschen 766 Kühlgefäße und Schwenkkessel 778 Lavabos 789 Kannen, Krüge und Kredenzen 862 Dosen, Deckelgefäße und Schalen Deckelgefäße und Dosen 902 Schalen 920 Salzschalen 960 BAND

PPokale Akelei-, Buckel- und Trauben- pokale

Pokale | Akelei-, Buckel- und Traubenpokale | 207 Peter Wibers (Meister 1603, gestorben 1641) Nürnberg, 1603–1609 Silber, getrieben, gegossen, ziseliert, punziert, geätzt, vergoldet H 62 cm (IV 297), 58 cm (IV 300); G 1 640 g (IV 297), 1 885 g (IV 300) Mz: PW ligiert im konturbegleitenden Rahmen (NGK 2007, Nr. 957) Bz: N im Kreis (NGK 2007, Nr. 12 für 1603–1609) Marken jeweils an Lippen- und Fußrand sowie auf der Deckelzarge Punzierung auf einem kleinen sternförmigen Silberblech unter dem Fuß: No. 3. No: 7. M. 9. l. 2. q. (IV 297) bzw. auf einer achtpassigen Platte im Fuß: No. 2. 8. M. 8. l. 2. q. (IV 300) Punzierung an der Deckelzarge: No. 3. (IV 297) Gravierung unter dem Standring: 9 ii. 7 M 9 l (IV 297); H hh. I (IV 300) Provenienz: erstmals erwähnt im Silberinventar von 1723 Inv.-Nrn. IV 300 (links) und IV 297 (rechts) 1 Zwei Buckelpokale IV 300 Mz Deckel IV 297 Bz Lippe Inventare S Inventar Silber 1723, S. 39 f. An Silber vergoldten Herzknollenden Pocaln mit und ohne Deckel: [...] No: 2. [mit roter Tinte ergänzt:] I. 46 / Ein dergleichen herzknollender Pocal, der sowohl am Pocal als Deckel mit weißen [»weißen« mit roter Tinte unterstrichen und ergänzt:] sind auf kgl. Befehl vergoldet worden Zierrathen, und gleichergestalt ein Römischer Kriegs Heldt, auf dem Deckel stehet, der in der rechten Hand ein Schild, in der lincken Hand eine Partesan hält, wiegt 8 mark, 8 loth, 2 quent. [IV 300] No: 3. [mit roter Tinte ergänzt:] I. 47 / Ein silbern vergoldter Herzknollender Pocal, der sowohl als mit dem Deckel mit weißen [»weißen« mit roter Tinte unterstrichen und ergänzt:] gleichfalls vergoldet Zierrathen, auf dem Deckel aber ein Römischer Kriegs Held, der in der rechten Hand eine Partesan, und in der lincken Hand ein glattes Schild hält, hat gewogen 7 mark, 9 loth, 2 quent. [IV 297] S Inventar Silbervergoldetes Zimmer 1733, S. 130 No: 46. I. / Ein dergleichen Herzknorrichter Pocal, sowohl am Deckel, als Pocal mit Zierrathen, auch stehet auf dem Deckel ein Römischer Kriegs Held mit einem Schilde in der rechten, und einer Pertuisane in der lincken Hand, auf dem Pocal ist No: 2. gestochen, und wiegt 8 mark, 8 loth, 2 quent. [IV 300] No: 47. I. / Ein silbern vergoldter Herzknorrichter Pocal, sowohl dieser als der Deckel mit Zierrathen auf dem Deckel aber ein Römischer Kriegs Held, der in der rechten Hand eine Pertuisane, in der linken aber ein glattes Schild hält, No: 3. auf dem Pocal gestochen, wiegt 7 mark, 9 loth, 2 quent. [IV 297] S Inventar Silbervergoldetes Zimmer 1817, S. 22, 24 No: 18. [mit Bleistift darunter:] 300 / Ein Herzknorrichter Pocal mit Deckel, mit Verzierungen; auf dem Deckel steht ein römischer Soldat mit Schild und Spieß. Inwendig im Deckel fehlt eine Verzierung. No: 2. wiegt 8 mark, 2 loth, – quent. [IV 300] No: 19. [mit Bleistift darunter:] 297 / Ein dergleichen Pocal mit Deckel. Unten am Griff fehlt eine Verzierung. No: 3. wiegt 7 mark, – loth, 2 quent. [IV 297] S Inventar Silberzimmer 1879, S. 283 f., 285 f. No: 297. / Ein silbervergoldeter knorriger Pocal mit Deckel. Unten am Griff fehlt eine Verzierung. Mit Nr: 3 gezeichnet. [spätere Bemerkung mit schwarzem Filzstift:] eingestochen (Fuß): No. 3 7. M. 9. l. (Deckel): No: 3. [IV 297] [...] No: 300. / Ein herzknorriger Pocal mit Deckel, mit Verzierungen, auf dem Deckel steht ein römischer Soldat mit Schild und Spieß. Inwendig im Deckel fehlt eine Verzierung. Mit Nr: 2 gezeichnet. [spätere Bemerkung mit schwarzem Filzstift:] eingestochen: No. 28. M. 8. l. 2. q. [IV 300] Sonstige Quellen S HStADD, 10006 OHMA, N 6, Nr. 2 (Gesandtschaft nach Frankfurt 1742), fol. 125 b (1 r – 1 v) Specification Des jenigen vergoldten Silbers so aus dem Grünen Gewölbe zum Buffet bey der bevorstehenden KayserCrönung in Franckfurth mit dahin genommen als [...] No. 46 I. / Herzknorrichter Pocal mit Deckel [IV 300] No. 47 G. / Ein dergl. Pocal mit Deckel [IV 297] S Journal Grünes Gewölbe 1733–1782, fol. 195 v – 196 r Den 22 Nofemb: 1766 [gemeint ist wohl Dezember] Ist auf hohen Befel volgende Stücken von vergolten Silber geschirre an den Hl. Silber Kämmerer Hagen zu ein Büfet wie umstehend folget abgegäben worden als [...] 2 Knorren Pocalle mit deckeln. [wohl IV 300 und IV 297]

208 | ����������� Beschreibung Die beiden Deckelpokale sind sich sehr ähnlich, differieren aber in Details und unterscheiden sich auch in der Höhe, sodass nicht von einem Paar im engeren Sinne gesprochen werden kann. Getriebene Buckel prägen die Gestaltung von Fuß, Kuppa und Deckel. Die im unteren Drittel eingezogene Kuppa weist in beiden Fällen drei übereinanderliegende Reihen von acht unterschiedlich großen Buckeln auf, die versetzt angeordnet und an der engsten Stelle gegeneinander verdreht sind. Der Deckel besitzt ebenfalls acht sich weit vorwölbende Buckel, die mit kleineren Buckeln verzahnt – und bei IV 300 spiralig gewunden – sind. Beide Deckel werden von einer Statuette in Gestalt eines Kriegers mit Lanze und Schild bekrönt, die auf einem Podest aus drei mit Perlschnüren belegten Spangen (IV 300) bzw. aus vier Blättern zwischen hermenförmigen Voluten (IV 297) stehen. Als Gegenplatte befinden sich im Deckel ein rundes Medaillon mit ziseliertem Fruchtwerk (IV 297) bzw. ein außen gezacktes Silberblech mit einem geätzten Blumen- und Fruchtbündel (IV 300). Die Füße der beiden Pokale sind weit hochgezogen, zeigen ansonsten aber deutliche Unterschiede. Während das Exemplar IV 300 analog zu Kuppa und Deckel wiederum mit acht Buckeln versehen ist, die auf einer mit Kreuzornamenten geschmückten Zarge aufsitzen, sind es bei IV 297 lediglich sechs, die direkt an den Standring anschließen. In beiden Fällen laufen sie gratig aus und verschränken sich mit einer weit hochgezogenen, kleineren Buckelreihe. Der Schaft setzt sich jeweils aus drei übereinander angeordneten Teilen zusammen, ist aber im Detail leicht variiert. Beide zeigen in der Mitte drei in Tierköpfen endende langgezogene Voluten im Wechsel mit drei Blattspangen sowie oben eine Kugel, die beim Pokal IV 300 flachgedrückt und mit einem umlaufenden Flechtband versehen ist. Der untere Teil des Schaftes besteht bei IV 297 aus einer durchbrochen gearbeiteten und mit geflügelten Puttenköpfen zwischen Schotenwerk versehenen Manschette, während IV 300 an dieser Stelle mit einem Perlstab besetzte Spangen aufweist. Der von zwei Kordeln gesäumte Lippenrand ist mit geätzten Blatt- und Blütenranken mit Tieren verziert (IV 297: Jagdszene mit Hirsch und zwei Hunden; IV 300: zwei Raubvögel, zwei Pfauen und ein Papagei). Die Zwischenräume der großen Buckel füllen applizierte Disteln, während streifig geschnittenes und aufgerolltes Blattwerk zwischen Schaft und Kuppa bzw. Fuß vermittelt (IV 300) und das kugelige Schaftelement (IV 297) einfasst. Zuschreibung und Datierung An Fuß- und Lippenrand sowie an der Deckelzarge sind beide Pokale mit der Meistermarke des Nürnberger Goldschmieds Peter Wibers versehen. Aus der Beschaumarke ergibt sich die Datierung zwischen 1603 und 1609. Es handelt sich also um frühe Werke Wibers, der erst 1641 gestorben ist. Provenienz und Gebrauch Wie bei vielen anderen Pokalen des frühen 17. Jahrhunderts fehlen auch hier Nachweise über Herkunft und Ort der Aufbewahrung. Erst im Silberinventar von 1723 sind die beiden Deckelpokale von Peter Wibers erstmals nachweisbar. Mit großer Wahrscheinlichkeit befanden sie sich schon länger in der Schatzkammer, wo sie jedoch aufgrund fehlender Inventare nicht nachzuweisen sind. Bei unterschiedlichen Gelegenheiten wurden sie am Dresdner Hof zur Bestückung der in Tafelnähe errichteten ephemeren Silberbuffets verwendet, so etwa 1766 anlässlich des 16. Geburtstags Friedrich Augusts III.1 Auch außerhalb der Residenzstadt dienten die beiden Pokale repräsentativen Zwecken. So zierten sie das Buffet des sächsischen Kurfürsten anlässlich der Kaiserkrönung in Frankfurt am Main 1742.2 Vergleichsstücke und Bedeutung Bei den beiden Pokalen handelt es sich um typische Beispiele der sogenannten Nürnberger Neugotik zu Beginn des 17. Jahrhunderts, die sich der Formen aus der Zeit um 1500 bedienten und diese neu interpretierten. An Elementen wie etwa der bekrönenden Kriegerfigur, den Spangen an Deckelknauf und Schaft sowie dem geschnittenen Blattwerk geben sich die beiden in den Inventaren als »herzknollend« oder »herzknorricht« (d. h. gebuckelt)3 bezeichneten Gefäße als Schöpfungen des frühen 17. Jahrhunderts zu erkennen.4 Als typische Erzeugnisse der überregional bedeutenden Nürnberger Goldschmiedekunst stehen diese virtuosen Treibarbeiten nicht nur für kunsthandwerkliche Perfektion, sondern auch für »Tradition und Beständigkeit«.5 So erklärt es sich, dass derartige Buckelpokale vom 16. bis weit in das 17. Jahrhundert hinein häufig als offizielle Geschenke der Reichsstadt Nürnberg dienten.6 Bemerkungen zu Restaurierungen und zur Erhaltung Laut einer Anmerkung im Silberinventar von 1723 wurden die »Zierrathen«, also die applizierten Besätze, auf königlichen Befehl vergoldet.7 Die Gesamterscheinung dürfte daher ursprünglich vom Kontrast zwischen weißsilbernen und vergoldeten Oberflächen geprägt gewesen sein, wie er ähnlich bei der Doppelscheuer des Nürnberger Goldschmieds Andreas Rosa beobachtet werden kann (Kat.-Nr. 18). Das heute jeweils um etwa 100 Gramm geringere Gewicht mag darauf zurückzuführen sein, dass applizierte Elemente verloren gegangen sind.8 Restaurierungen erfolgten 1966 und 1974.9 UW Literatur Graesse 1884, S. 66, Nr. 18, S. 67, Nr. 27; Sponsel 1921, S. 115 f. (IV 297), S. 117 (IV 300); R3, Nrn. 4119 f. (IV 297), 4119 g (IV 300); Sponsel 1925–1932, Bd. II, S. 34, 178, Taf. 14; Haenel/Holzhausen 1937, S. 59 (IV 297 oder IV 300); Dresden 1959, S. 78, Nr. C 66 (IV 297); Dresden 1963, S. 65, Nr. G 66 (IV 297), S. 85, Nr. G 302 (IV 300); Menzhausen 1968 a, S. 81, Nr. 29 (IV 297); Schade 1974, Abb. 64 (IV 300); Tokio 1979/80, S. 21, Nr. 22 (IV 300); Syndram 1997, S. 51, Nrn. 70, 71; Jackson 2004, S. 159 f., Nrn. 4.10A, 4.10B; Versailles 2006, S. 181, Nrn. 58, 59; NGK 2007, Bd. I.1, S. 447, Nrn. 957.04, 957.05

298 | ����������� wohl Lorenz Kaltschmidt (tätig etwa 1582–1600) Olmütz/Olomouc (Mähren, Tschechien), Ende 16. Jahrhundert Silber, getrieben, gegossen, ziseliert, punziert, vergoldet; Nautilusgehäuse, Perlmutterschicht Farbfassung: transluzides Rot, Orange-Rot und Grün mit weißen Partikeln sowie opakes Orange-Rosa, Grün mit weißen Partikeln, Weiß, Rosa und Blau auf Fuß, Nautilusmontierung, Deckel und Bekrönungsfigur H 34 cm; G 1 023 g Mz: LK bzw. KL (ligiert) im Schild Bz: Adler im Kreis (R3, Nr. 9300) Marken am Fußrand Punzierung an der Hohlkehle des Fußes: No. 57. 4. M. 6. l. 3. q. Provenienz: erstmals erwähnt im Inventar der Kunstkammer von 1640; von dort 1724 in das Grüne Gewölbe gekommen Inv.-Nr. III 202 27 Nautiluspokal mit Seeungeheuer und Fortuna Inventare S Inventar Kunstkammer 1640, fol. 119 r, 124 v III. In der dritten tresur seind allerley trinckgeschirr, auch meßer, löffel und gabeln von perlmutter schnecken, in vergüld silber gefast, verhanden. [...] 1 Berlnmutter schnecken in vergüldet silber eingefast, der deckel mit einem großen wahlfisch kopf, worauf die Fortuna uf einer kugel, jedoch ohne segel stehen thut. Wigt 4 mark, 6 loth, 2 quent. S Inventar Pretiosen 1725, fol. 189 v, 207 r – v Folgen Diejenigen See Schnecken und Muscheln, auch Geschirre von Perl Mutter, so den 20. Septembr: 1724. aus der Kunst Cammer, zum grünen Gewölbe, seind abgegeben worden, als: [...] No: 57. [mit roter Tinte rechts daneben:] 51 / Eine Schnecke in vergoldt Silber gefaßet, der Deckel als ein Wallfischkopff formiret, auf welchem die Fortuna auf einer vergoldten Kugel stehet, hinten an der Schnecke ein Frazenkopff, und fornen ein Engelskopff, unter der Schnecke ein weiß silbern Laub, der Fuß oval rund, getrieben mit SeeMonstrum, auch Seepferdtgen und Seeweibgen, auf dem Fuß ein Angriff mit drey Termes Kindgen, und drey Schnirckelgen darzwischen, oben drüber noch drey Schnirckelgen alles von vergoldtem Silber, und wieget mit der Schnecke, welche schadhafft. 4 mark, 6 loth, 3 quent. S Inventar Pretiosenzimmer 1733, S. 1079–1081 No: 51. / Eine Schnecke in vergold Silber gefaßet, der Deckel als ein Wallfisch=Kopff formiret, auf welchem die Fortuna auf einer vergolden Kugel stehet. Hinten an dieser Schnecke ist ein Frazen= Kopff, und forne ein Engels=Kopff, unter der Schnecke weißsilbern Laub, der Fuß oval rund getrieben, mit See-Monstris, auch See=Pferdgen und See=Weibgen. Auf dem Fuße ein Angriff mit drey Termes-Kindergen und drey Schnirckelgen darzwischen, oben drüber noch drey Schnirckelgen, alles in vergoldten Silber, und wiegt mit der Schnecke 4 mark, 6 loth, 3 quent. S Inventar Kaminzimmer 1818, S. 99, 117 No: 41. [mit Bleistift darunter:] 202 / Eine Schnecke in vergoldet Silber gefaßt, der Deckel als Wallfischkopf geformt, auf welchem Fortuna auf einer vergoldeten Kugel steht; hinten an der Schnecke ein Fratzenkopf, vorn ein Engelskopf; unter der Schnecke weiß silbern Laubwerk; der Fuß oval von getriebener Arbeit, mit Seethieren. Den Angriff bilden drei Kinder, als Termen, daneben sind verschieden Schnörkel, alles von vergoldetem Silber; wiegt 4 mark, 6 loth, 2 quent. [...] Sämtliche Schnecken und Perlmuttern von No: 1 bis 60. sind, auf Allerhöchsten Befehl, am 8ten. September 1724 aus der Kunstkammer zu dem grünen Gewölbe abgegeben worden. S Inventar Kaminzimmer 1879, S. 187–189 No: 202. / Eine Schnecke, in vergoldet Silber gefaßt, der Deckel als Wallfischkopf geformt, auf welchem Fortuna auf einer vergoldeten Kugel steht; hinten an der Schnecke ein Fratzenkopf, vorn ein Engelskopf; unter der Schnecke weiß silbern Laubwerk; der Fuß oval von getriebener Arbeit, mit Seethieren. Den Angriff bilden drei Kinder, als Termen, daneben sind verschiedene Schnörkel, alles von vergoldetem Silber. Sonstige Quellen S HStADD, 10026 Geheimes Kabinett, Loc. 354/3 Schatullensachen, 1697–1748 (Rechnung Köhler 1724), fol. 16 r Eine Schnecke in verguldt Silber gefast, der Deckel als ein Wallfisch Kopff formiret, auf dem Kopff stehet die Fortuna, worzu noch eine Fahne muß gemachet werden, der Fuß mit der Hülse, ist auch von verguldten Silber, vor repariren 4 Rtl. [Reichstaler] – [Groschen]. Beschreibung Der hoch aufragende Nautiluspokal besitzt einen ovalen Fuß mit einer glatt belassenen Einziehung. Auf seinem gewölbten Rand finden sich zwischen Beschlagwerk vier Kartuschen mit Meeresungeheuern, und auf seiner Oberseite ist ein Kampf zwischen weiteren maritimen Fantasiewesen dargestellt. Über einer mit Masken zwischen Rollwerkornamenten verzierten Trommel erhebt sich der Schaft mit seinem eiförmigen, abwechselnd mit drei Hermen und Zierschildern besetzten Nodus, der mit drei bocksfüßigen Volutenspangen vasenartig zur Kuppa in Form eines Nautilusgehäuses überleitet. Dieses liegt in einem auf weißsilbernen Blättern ruhenden Kielbett. III 202 Mz Fuß III 202 Bz Fuß

Pokale | Nautiluspokale | 299 Es wird von vier Spangen gehalten, die mit flachen Reliefs in Form von Hermen, Fruchtbündeln, Trophäen und Masken zwischen Rollwerkornamenten verziert sind. Die Bugspange endet in einem großen geflügelten Puttenkopf. Den Wirbel des Nautilusgehäuses bedeckt jeweils außen und innen eine grimmig die Zähne fletschende, fratzenartige Maske (Abb. 1). Der flache Deckel ist als Kopf eines Seeungeheuers mit seitlich abstehenden Flossen gestaltet. Oben als Abschluss trägt er auf einer Kugel eine kleine Fortuna-Statuette, der vermutlich ein zwischen ihren Händen gehaltenes, aufgespanntes Segel als Attribut abhandengekommen ist. Zuschreibung und Datierung Zur betreffenden Zeit lässt sich in Olmütz das Monogramm »KL« bzw. »LK« nur auf Lorenz Kaltschmidt beziehen, der dort zwischen 1582 und 1600 als Goldschmied tätig war. Ikonografie Die maritimen Szenen auf dem Fuß gehören zu den üblichen Dekorationselementen, die auf die Herkunft des Nauilusgehäuses aus dem Meer verweisen. Der in Form eines Seeungeheuers gestaltete Deckel rückt den Pokal in die Nähe der sogenannten Ungeheuermaul-Pokale (siehe Kat.- Nrn. 19, 22),1 bei denen allerdings der Nautiluswirbel zum Schädel des Monsters wird. Die weibliche Bekrönungsfigur in Gestalt der Glücksgöttin Fortuna hielt ursprünglich ein vom Wind geblähtes Segel und ist damit ebenfalls Teil der maritimen Ikonografie (siehe Kat.-Nr. 38). Bedeutung Obgleich Olmütz im 15. und 16. Jahrhundert ein wichtiges Handwerks- und Handelszentrum gewesen ist,2 sind von dort nur sehr wenige Silberarbeiten überliefert. Diese lassen kaum erahnen, dass in Olmütz allein im Laufe des 16. Jahrhunderts etwa 120 Goldschmiede tätig waren, die vom kirchlichen und weltlichen Adel zahlreiche Aufträge erhielten.3

300 | ����������� Bemerkungen zu Restaurierungen und zur Erhaltung Bereits im Inventar der Kunstkammer von 1640 ist vermerkt, dass bei der Figur der Fortuna das Segel fehlt. 1724 wurde laut Rechnungslegung Johann Heinrich Köhler mit dessen Neuanfertigung beauftragt. Im heutigen Zustand ist jedoch kein Segel vorhanden. Am oberen Rand sind mehrere, auch große Teilstücke aus dem Nautilusgehäuse ausgebrochen, die wieder eingeklebt wurden. Die Kaschierung der Klebestellen lässt vermuten, dass die Maßnahmen zu unterschiedlichen Zeiten ausgeführt worden sind. Die am gesamten Pokal erhaltenen Reste einer Farbfassung wurden im Rahmen des Forschungsprojekts 2017/18 einer Untersuchung unterzogen.4 Obwohl in den Inventaren keine Kolorierung dokumentiert ist, kann man davon ausgehen, dass zumindest die in Resten erhaltene subtile und detailgenau ausgeführte Farbfassung am Kopf des Seeungeheuers (Deckel) und am Standfuß original ist. Eine Überarbeitung der Farbfassung durch Johann Heinrich Köhler ist zwar nicht überliefert, doch ist nicht auszuschließen, dass Köhler partiell auch Retuschen durchgeführt hat. UW Literatur Sponsel 1921, S. 96; Sponsel 1925–1932, Bd. I, S. 156, Taf. 41; Haenel/Holzhausen 1937, S. 53; Dresden 1960, S. 53, Nr. D 82; Mette 1995, S. 255, Nr. 269; Syndram 1997, S. 57; Marx/Plaßmeyer 2014, S. 418, Nr. 528; Weinhold/Witting 2018 a, S. 146 f., 158 f. Anmerkungen 1 Mette 1995, S. 112–118. 2 Bis heute hat Olmütz seine ausgesprochen reiche und kostbare Bausubstanz des Mittelalters und des 16. und 17. Jahrhunderts, ergänzt durch große Barockbauten, bewahrt. Infolge schwedischer Besetzung im Dreißigjähren Krieg verlor Olmütz seinen Hauptstadtstatus. Die Regierung Mährens wurde nach Brünn verlegt. 3 Richter 2005, S. 69. Einige sakrale Olmützer Goldschmiedearbeiten haben sich in den Kirchenschätzen der Umgebung erhalten. 4 Weinhold/Witting 2018 a, S. 146 f., 158 f. Abb. 1 Wirbel des Nautilusgehäuses mit Maske

Pokale | Nautiluspokale | 301 vielleicht Stettin/Szczecin (Pommern, Polen), Ende 16. Jahrhundert Verzierung des Nautilusgehäuses: vermutlich Ostasien, 2. Hälfte 16. Jahrhundert Silber, getrieben, gegossen, ziseliert, punziert, graviert, vergoldet; Nautilusgehäuse mit Flachrelief und Blindgravur Farbfassung: Rot, Weiß und Blau am Fuß H 34 cm; G 689 g ohne Marken Punzierung am Standring: No. 58. 3. M. Punzierung im Fuß: N. 58. Provenienz: 1626 aus dem Nachlass der Herzogin Erdmuthe von Pommern; erstmals erwähnt im Inventar der Kunstkammer von 1640; von dort 1724 in das Grüne Gewölbe gekommen Inv.-Nr. III 188 28 Nautiluspokal mit bekrönender Nereide Inventare S Inventar Kunstkammer 1640, fol. 119 r, 123 v III. In der dritten tresur seind allerley trinckgeschirr, auch meßer, löffel und gabeln von perlmutter schnecken, in vergüld silber gefast, verhanden. [...] 1 In silber und gantz vergüldeter gefaßeter perlmutter schnecken, uf einem fuß wie ein würtz topf formiret stehende. Die perlmutter klein schuppicht und mit laubwergk, ufn deckel ein vergüldet meerwunder, in einer hand eine kugel, in der andern aber eines scepter haltende. Wigt 2 mark, 15 loth, 2 quent. S Inventar Pretiosen 1725, fol. 189 v, 207 v – 208 r Folgen Diejenigen See Schnecken und Muscheln, auch Geschirre von Perl Mutter, so den 20. Septembr: 1724. aus der Kunst Cammer, zum grünen Gewölbe, seind abgegeben worden, als: [...] No: 58. [mit roter Tinte daneben:] 52 / Eine Schnecke so erhaben geschnitten, und schadhafft in vergoldt Silber gefaßet, der Deckel als eine Muschel getrieben, worauf ein See Weibgen mit einen Fisch Schwanz, in der rechten Hand einen Zepter, und in der lincken einen goldtenen Apffel haltend, der Fuß rund und getrieben, oben darauf ein Angriff mit drey Schnirckelgen über sich, wieget an vergoldtem Silber mit der Schnecke 3 mark, – loth, – quent. S Inventar Pretiosenzimmer 1733, S. 1081 No: 52. / Eine Schnecke, so erhaben geschnitten, aber schadhafft, ist in vergold Silber gefaßet, der Deckel als ein Muschel getrieben, worauf ein See=Weibgen mit einem Fisch=Schwanz, in der rechten Hand einen Scepter und in der lincken einen goldnen Apffel haltend, der Fuß ist rund und getrieben, oben drauf ein Angriff mit drey Schnirckelgen über sich, wiegt mit der Schnecke, 3 mark, – loth, – quent. S Inventar Kaminzimmer 1818, S. 101, 117 No: 42. [mit Bleistift darunter:] 188 / Eine Schnecke, erhaben geschnitten, in vergoldet Silber gefaßt, der Deckel als eine Muschel getrieben, auf demselben ein See=Weibchen mit einem Scepter in der rechten, und einem [mit Bleistift eingeklammert von »Scepter« bis »einem«] goldenen Apfel in der linken Hand; der Fuß rund getrieben, auf demselben ein Angriff mit drei Schnörkeln. |: Die Schnecke ist schadhaft :| wiegt 2 mark, 15 loth, 3 quent [...] Sämtliche Schnecken und Perlmuttern von No: 1 bis 60. sind, auf Allerhöchsten Befehl, am 8ten. September 1724 aus der Kunstkammer zu dem grünen Gewölbe abgegeben worden. S Inventar Kaminzimmer 1879, S. 175 No: 188. / Eine Muschel erhaben geschnitten, in vergoldet Silber gefaßt, der Deckel als eine Muschel getrieben, auf demselben ein Seeweibchen mit einem goldenen Apfel in der linken Hand; der Fuß rund getrieben, auf demselben ein Angriff mit drei Schnörkeln. Die Schnecke ist schadhaft. Sonstige Quellen S HStADD, 10024 Geheimer Rat, Loc. 10000/4 Reise der fürstlich pommerschen Witwe [Sophia, Witwe Herzog Franz’ von PommernStettin] von Dresden nach Pommern, 1626 (Nachlass Erdmuthe von Pommern, 1626, unfol.) No: 68. / Ein Perlmutter Schnecken in Silber eingefast, darauf ein Meerwunder 2 mark, 15 loth, 2 quent. S HStADD, 10026 Geheimes Kabinett, Loc. 354/3 Schatullensachen, 1697–1748 (Rechnung Köhler 1724), fol. 16 r Eine Schnecke so erhaben geschnitten und in verguldt Silber gefast, Auf dem Deckel ein SeeWeibel, der Fuß und Hülse von verguldten Silber, ist vor repariren, auffärben und mit bunden Farben einzulaßen 4 Rtl. [Reichstaler] – [Groschen]. Beschreibung Der runde Fuß des Pokals ist mit Puttenköpfen und bärtigen Masken zwischen Beschlagwerk ziseliert und besitzt eine mit graviertem Schweifwerk dekorierte, glattwandige Einziehung. Über der darauf liegenden zylindrischen Trommel, die ebenfalls Puttenköpfe aufweist, erhebt sich ein vasenförmiger Nodus mit drei schlichten Schweifwerkvoluten. Darüber folgt eine mit gravierten Schweifwerkornamenten verzierte Schale mit geschweiftem Rand als Kielbett des Nautilus­

366 | ����������� Tobias Wolff (Meister 1604, gestorben 1623) Nürnberg, 1604–1609 Silber, getrieben, gegossen, ziseliert, punziert, graviert, vergoldet, geätzt; Turbanschneckengehäuse, Perlmutterschicht Farbfassung: Rot und Grün an den Fruchtbündeln am Fuß, Rot am Köcher, Grün am gezackten Rand unter dem Lippenrand sowie Gelb und Grün an den Spangen H 25 cm; G 831 g Mz: T über W im Oval (NGK 2007, Nr. 989) Bz: N im Kreis (NGK 2007, Nr. 12 für 1603– 1609) Marken am Fußrand (nur Mz) und am Lippenrand (Mz und Bz) Punzierung an der Hohlkehle am Fuß: No 54. 4 M. 4. l. 1 ½ q Punzierung auf vergoldeter Platte im Fuß: N. 54 Provenienz: erstmals erwähnt im Inventar der Kunstkammer von 1640; von dort 1724 in das Grüne Gewölbe gekommen Inv.-Nr. III 208 49 Turbanschnecken- pokal mit kniender Schaftfigur Inventare S Inventar Kunstkammer 1640, fol. 119 r, 121 r III. In der dritten tresur seind allerley trinckgeschirr, auch meßer, löffel und gabeln von perlmutter schnecken, in vergüld silber gefast, verhanden. [...] 1 Perlnmutterschnecken in silber und vergüldet eingefast, wird von einem vergüldeten mohren getragen. Ufn deckel mit einem kindlein, so bogen und pfeilen in der hand, auch einen köcher auf den rücken führet. Wigt 4 mark, 5 loth. S Inventar Pretiosen 1725, fol. 189 v, 206 r – 206 v Folgen Diejenigen See Schnecken und Muscheln, auch Geschirre von Perl Mutter, so den 20. Septembr: 1724. aus der Kunst Cammer, zum Grünen Gewölbe, seind abgegeben worden als: [...] No: 54. [mit roter Tinte rechts daneben:] 48 / Eine Schnecke als ein Pocalgen, in vergoldt Silber gefaßt, der Deckel rund mit getriebenen Waßer und Fischen, oben auf drey Schnirckel, auf welchen ein vergoldter Cupido mit gespannten Bogen und Pfeil, stehet auf einen Kugelgen, der Fuß ist auch rund, in der Tieffe drey Schnirckel und drey weiße [mit roter Tinte darüber:] bunte Rößgen darzwischen, auf dem Postement ist ein kniender Africaner mit Pfeil und Bogen, neben ihme eine Schlange, ein Schildt Kröte, zwey Schnecken, alles von vergoldten Silber, und wieget mit der Schnecke 4 mark, 4 loth, 1 quent. S Inventar Pretiosenzimmer 1733, S. 1075–1077 No: 48. / Eine Schnecke als ein Pokalgen in vergold Silber gefaßet, der Deckel rund mit getriebenem Wasser und Fischgen, oben auf drey Schnirckel, auf welchen ein vergoldter Cupido mit gespanntem Bogen und Pfeil, stehet auf einem Kügelgen, der Fuß ist auch rund, in der Tieffe drei Schnirckel und drei bundte Röschen darzwischen, auf dem Postement ist ein kniender Africaner mit Pfeil und Bogen, neben ihm eine Schlange, eine Schildkröthe und zwey Schnecken, alles von vergoldten Silber, wiegt mit der Schnecke 4 mark, 4 loth, 1 quent. S Inventar Kaminzimmer 1818, S. 99, 117 No: 40. [mit Bleistift darunter:] 208 / Eine Schnecke als Pocal, in vergoldet Silber gefaßt; der Fuß rund; in der Tiefe drei Schnörkel und drei Rosen; auf dem Postamente ein kniender Afrikaner mit Pfeil und Bogen, neben ihm eine Schlange, eine Schildkröte und zwei Schnecken, alles von vergoldeten Silber, |: Der Deckel fehlt :| wiegt 3 mark, 9 loth, – quent. [mit roter Tinte, mit Bleistift durchgestrichen:] Der Pfeil fehlt. N. [...] Sämtliche Schnecken und Perlmuttern von No: 1 bis 60. sind, auf Allerhöchsten Befehl, am 8ten. September 1724 aus der Kunstkammer zu dem grünen Gewölbe abgegeben worden. S Inventar Kaminzimmer 1879, S. 195 No: 208. / Eine Schnecke als ein Pocal, in vergoldet Silber gefaßt; der Fuß rund; in der Tiefe drei Schnörkel und drei Rosen; auf dem Postamente ein kniender Mohr mit Pfeil und Bogen, neben ihm eine Schlange, eine Schildkröte und zwei Schnecken, alles von vergoldeten Silber. Der Deckel fehlt. Sonstige Quellen S HStADD, 10026 Geheimes Kabinett, Loc. 354/3 Schatullensachen, 1697–1748 (Rechnung Köhler 1724), fol. 16 r Eine Schnecke als ein Poccal, das Mundstück hoch in verguldt Silber gefast, auf dem Deckel ein verguldter Cupido mit gespannten Bogen und Pfeil, das Postement, worauff ein Africaner kniet, ebenfals von verguldten Silber, ist vor repariren und auffärben, auch alles mit EinlaßFarben geziehret 4 Rtl. [Reichstaler] – [Groschen]. Beschreibung Das Trinkgefäß weist eine für Turbanschneckenpokale typische Gestaltung auf. Es ruht auf einem runden Fuß, der geschmückt wird von einem Band aus Fruchtbündeln und Ovalmedaillons, die jeweils von Beschlagwerk mit breitem liegendem C-Schwung flankiert werden. Daran schließt eine breite Hohlkehle mit silbervergoldeten C-Spangen an, die mit in Weiß und Rot bemalten Blüten alternieren. Die Standfläche der Schaftfigur ist bombiert und wird von kleinen Muschel- und Schneckengehäusen sowie einer Schlange bevölkert; hinzu kommt noch eine Schildkröte. Die Schaftfigur, die bis auf eine Federkrone nackt wiedergegeben ist, wirkt etwas teigig. III 208 Bz Lippe III 208 Mz Fuß

Pokale | Pokale mit Turbanschnecken und anderen Konchylien | 367

368 | ����������� Sie trägt einen Köcher am Rücken und hält Pfeil und Bogen in Händen. Drei Spangen fassen das Schneckengehäuse ein. An deren oberem Ende fungieren weibliche Hermenfiguren mit schmalem Oberkörper und weit ausgebreiteten Flügeln als Verbindungsglied zwischen der Schaftfigur und dem breiten Lippenrand. Letzterer wird unten von einem blattförmigen Fries mit wellenförmiger Binnenzeichnung und kleinen Löchlein abgeschlossen. Die dort angebrachten Strichätzungen ähneln denen der Kat.-Nrn. 47 und 48, vor allem in ikonografischer Hinsicht, ohne sich jedoch im Detail zu wiederholen. Tritonen und eine Nereide tummeln sich zusammen mit einem Hippokampen und einem Delfin zwischen Schilfbündeln. Die Ausführung mit breiteren Linien erscheint hier etwas gröber als bei den anderen Pokalen. Zuschreibung und Datierung Siehe Kat.-Nr. 48. Vergleichsstücke Das Grüne Gewölbe verwahrt einen etwa gleichzeitig entstandenen weiteren Turbanschneckenpokal, ebenfalls von Tobias Wolff (Kat.-Nr. 48). Auffällig ist, dass die beiden Trinkgefäße des Nürnberger Goldschmieds eine vergleichbare Gestaltung aufweisen. Wahrscheinlich trugen sie ursprünglich die gleichen Deckelbekrönungen in Form eines Puttos respektive Amors, der, wie die Schaftfigur, auch Pfeil und Bogen hielt. Die Sockel unterscheiden sich in der geometrischen Grundform, und auch die Schaftfiguren repräsentieren einen anderen Typus (siehe Ikonografie). Obwohl der vorliegende Pokal rund halb so viel wie sein Vergleichsbeispiel wiegt und auch um etwas mehr als sieben Zentimeter kleiner ist,1 wirft die frappante Ähnlichkeit die Frage auf, ob die beiden Stücke als Pendants geschaffen wurden oder gar Teil eines Ensembles waren. Zudem ergibt sich die Frage, ob sich die Schaftfiguren ikonografisch auf die Kontinente Südamerika (Kat.-Nr. 49) und Asien (Kat.-Nr. 48) beziehen könnten.2 Ikonografie Die fast nackte Schaftfigur verweist auf die Herkunft der Turbanschnecken, die gleichermaßen wie die ebenfalls häufig als Kuppa verwendeten Nautili, Kokosnüsse oder Straußeneier aus fernen Ländern stammen.3 Diese vor allem in der Nürnberger Goldschmiedekunst ab 1600 verbreitete Art der Schaftfigur begegnet uns in verschiedenen Versionen (Abb. 1): an einem Nephritgefäß im Grünen Gewölbe (oben links), an einem dreifachen Ananaspokal des Nürnberger Meisters Georg Müllner in Kassel und an einem Nautiluspokal in Privatbesitz.4 Die Ähnlichkeit ist so frappant, dass von ein- und demselben Gussmodell ausgegangen werden kann. Die farbig gefasste Variante an einem Nautiluspokal von Hans Utten schaut zwar auf den ersten Blick gleich aus, unterscheidet sich aber in signifikanten Details, wie der Größe, dem Armschmuck und der Haltung (Abb. 1 unten links). Die Trägerfigur des Nautilusgefäßes von Tobias Wolff (Abb. 1 unten rechts) folgt hingegen anderen gestalterischen Prinzipien. Sie weist zwar auch eine Art Federschmuck und lockige Haare auf, ist aber mit einer römisch inspirierten militärischen Tracht bekleidet und damit deutlich näher an europäisch geprägten Modellen. Die Figur des vorliegenden Pokals lässt noch eine weitere Interpretation zu: Sie trägt einen überdurchschnittlich großen Pfeil, mit dem in europäischen Quellen die südamerikanische Bevölkerungsgruppe der Tupinamba charakterisiert wird.6 Auch der Federschmuck weist geografisch in diese Richtung, während die Physiognomie sich eher auf den afrikanischen Kontinent bezieht. In den Quellen ist entsprechend von einem »Mohren« bzw. »Afrikaner« die Rede. Ganz offensichtlich werden hier, wie es im Europa der Neuzeit üblich war, unterschiedliche Kulturkreise vermischt, um ein Bild des »Exotischen« zu kreieren (siehe S. 65).7 Abb. 1 Vier Schaftfiguren im Vergleich Kat.-Nrn. 79, 49, 48 und 36 (im Uhrzeigersinn)

Pokale | Pokale mit Turbanschnecken und anderen Konchylien | 369 Bemerkungen zur Erhaltung Im Jahr 1724 erhielt Johann Heinrich Köhler den Pokal, um ihn in Vorbereitung für die Aufstellung im Grünen Gewölbe zu »repariren und auf[zu]färben [zu vergolden], auch alles mit EinlaßFarben« zu zieren.8 Reste seiner Farbfassung sind heute an verschiedenen Teilen des Stücks zu sehen. Es fehlt der Deckel, der den Gesamteindruck maßgeblich bestimmt hat (siehe Kat.-Nr. 47). TW Literatur Sponsel 1921, S. 100; R3, Nr. 4121 l; Sponsel 1925– 1932, Bd. I, S. 164, Taf. 45; Haenel/Holzhausen 1937, S. 54 (?); Dresden 1959, S. 78, Nr. C 70; Syndram 1997, S. 39; NGK 2007, Bd. I.1, S. 458, Nr. 989.02; Witting 2015, S. 29., Abb. 3 Anmerkungen 1 Der später eingesetzte Keil bei Kat.-Nr. 48 vergrößert den Pokal noch zusätzlich. Er war ursprünglich also etwas kleiner. 2 In diesem Kontext ist auf das am Grünen Gewölbe angesiedelte DFG-Projekt Ordnung und Aura höfischer Dinge. Die Dresdner Kunstkammer des 16. und 17. Jahrhunderts als Ort politischer Interaktion, dynastischer Memoria und fürstlicher Wissenspraxis zu verweisen. Dirk Weber forscht im Besonderen über die Exotika der Dresdner Kunstkammer. Seine Ergebnisse werden in der Abschlusspublikation des DFG-Projekts im Herbst/Winter 2024 erscheinen: Dirk Weber, Außereuropäische Zeugnisse und fürstliche Aneignungsprozesse im Spiegel der Dresdner Kunstkammer (Arbeitstitel). 3 Vgl. dazu auch: Schütte 2003, S. 221. 4 Hessen Kassel Heritage, Sammlung Kunsthandwerk und Design, Inv.-Nr. KP B II.14, Schütte 2003, S. 218–221, Nr. 49. 5 NGK 2007, Bd. II, S. 155, Abb. 120 (Privatbesitz). 6 Siehe auch dazu die aktuellen Forschungen von Dirk Weber, wie Anm. 2. 7 Witting 2015, S. 29 f. 8 Weinhold/Witting 2018 a, S. 139. Nikolaus Leiss (Meister um 1591, gestorben 1619) Augsburg, 1606–1610 Silber, getrieben, gegossen, ziseliert, punziert, graviert, vergoldet; Turbanschneckengehäuse, Perlmutterschicht Farbfassung: Grün auf dem Delfin H 15,7 cm; G 157 g Mz: NL ligiert mit Pfeil (Seling 2007, Nr. 1065 a) Bz: Pinienzapfen, unvollständig (Seling 2007, Nr. 0170 für 1606–1610) Marken am Fußrand eingeschlagene Nummer auf dem Fußrand: 671 Punzierung auf der Unterseite des Standrings: No. 32 14 l. Provenienz: erstmals erwähnt im Inventar der Kunstkammer von 1640; von dort 1724 in das Grüne Gewölbe gekommen Inv.-Nr. III 180 50 Kleiner Turbanschneckenpokal mit Putto Inventare S Inventar Kunstkammer 1640, fol. 119 r, 121 v III. In der dritten tresur seind allerley trinckgeschirr, auch meßer, löffel und gabeln von perlmutter schnecken, in vergüld silber gefast, verhanden. [...] 1 Klein perlnmutter schnecken in vergüldet silber eingefast von getriebener arbeit, so ein weis männlein, uf einem weißen silbern schnirckel stehende, tragen thut. Auf den deckel ein weißer strauß vogel. Wigt 14 loth. S Inventar Pretiosen 1725, fol. 189 v, 199 v – 200 r Folgen Diejenigen See Schnecken und Muscheln, auch Geschirre von Perl Mutter, so den 20. Septembr: 1724. aus der Kunst Cammer, zum Grünen Gewölbe, seind abgegeben worden als: [...] No: 32. [mit roter Tinte rechts daneben:] 32 / Ein derleichen Schneckgen, das Mundstückgen in vergoldt Silber etwas hoch eingefaßt, das Deckelgen getrieben Silber, und ein kleiner Vogel Strauß drauf, das Füßgen oval, auf welchen ein Delphingen und Kindgen, so darauf stehet, von weißen Silber, wieget – mark, 14 loth, – quent. / Not: An dem Schneckgen ist ein klein rund Stücken eingesezet. S Inventar Pretiosenzimmer 1733, S. 1061 No: 32. / Ein dergleichen Schneckgen, das Mundstückgen in vergoldt Silber etwas hoch eingefaßet, das Deckelgen getrieben Silber, und ein kleiner Vogel Strauß darauf, das Füßgen oval, auf welchen ein Delphingen und Kindgen, so darauf stehet, von weißen Silber, wieget – mark, 14 loth, – quent. / Nota. An dem Schneckgen ist ein klein rund Stückgen eingesezet. S Inventar Kaminzimmer 1818, S. 89, 117 No: 29. [mit Bleistift darunter:] 180 / Eine kleine Schnecke, als Trinkgeschirr, in vergoldet Silber gefaßt, auf ovalen Fuße, auf welchem ein Delphin und ein Kind, von weißen Silber; an der Seite der Schnecke ist ein Stück eingesezt. |: Der Deckel fehlt :| Wiegt – mark, 10 ¾ loth, – quent. [...] Sämtliche Schnecken und Perlmuttern von No: 1 bis 60. sind, auf Allerhöchsten Befehl, am 8ten. September 1724 aus der Kunstkammer zu dem grünen Gewölbe abgegeben worden. III 180 Bz Fuß III 180 Mz Fuß

382 | ����������� deutsch (Nürnberg oder Straßburg?), 2. Viertel 16. Jahrhundert Silber, getrieben, gegossen, ziseliert, punziert, graviert, geschnitten, vergoldet; Tiefschnittemail (nur in Resten erhalten), Kokosnuss, geschnitzt, innen ausgekittet Farbfassung: Grün, Weiß und Rot an der Bekrönungsfigur auf dem Deckel H 36,6 cm, G 710 g ohne Marken im Boden der Kokosnuss: Medaille mit dem Bildnis Christi und der Umschrift: EGO · SVM · IHESVS · A ET Ω eingeschlagene Nummer am Fußrand: 542 Provenienz: wahrscheinlich erstmals erwähnt im Inventar der Silberkammer um 1581–1586, sicher erstmals erwähnt im Entnahmeverzeichnis Rentkammer 1611; 1640 im Inventar der Kunstkammer; 1832 an die Rüstkammer abgegeben; von dort 1890 in das Grüne Gewölbe gekommen Inv.-Nr. IV 330 55 Kokosnusspokal mit der Geschichte des verlorenen Sohnes S Inventar Kunstkammer nach 1732, fol. 35 r, 35 v Trinck-Geschirre von Indianischen Cocos=Nüßen [...] Eine Indianische Nuß, darauff die Historia von verlohrenen Sohn geschnitten, in Silber gantz vergüldet eingefast innwendig am Boden, der Salvator mit der Umbschrifft Ego sum Jesus A et O. auffm Deckel ein Weiblicht Bild, mit einem vorbrochnen Schäfflein, und glatten Schilde, und innwendig gepicht wiegt 3 mark 3 loth 1 quent. No: 6. / [Bemerkung:] (der Deckel mangelt). S Inventar Kunstkammer 1741, fol. 47 v – 48 r Cap. V. Cocos-nüße und dergleichen. [...] No: 17. / Eine dergleichen [scil. cocos-nuß], worauf die geschichte vom verlornen sohne geschnitten. In ganz vergoldt silber gefaßet, inwendig im boden der salvator mit der umschrift. Ego sum Jesus, A. et O. ohne deckel. Die nuß hat einen riß, fehlet auch eine von den drey silbernen schienen. [Bemerkung mit roter Tinte:] Am 11. july 1832 zur rüstkammer abgegeben. [mit schwarzer Tinte:] stehet im ersten schranck, ist repariret und wie neu vergoldet. [mit Bleistift:] Die fehlende schiene liegt zerbrochen darinnen. S Inventar Eingangszimmer Historisches Museum 1838, fol. 31 v – 32 r No: 56. / Eine Cocusnuß, worauf die Geschichte des verlorenen Sohnes geschnitten, in vergoldetes Silber gefaßt; inwendig im Boden der Salvator, mit der Umschrift: Ego sum Jesus, A et O / [Bemerkung:] 1890 ins Grüne Gewölbe. S Inventar Silberzimmer 1879, S. 331–333 No: 330. [als Zugang 1890] / Kokosnußpokal in silbervergoldeter Faßung. Entsprechend den drei Schienen der Faßung ist die Kokosnuß mit drei Scenen aus der Geschichte des verlorenen Sohnes in Relief geschnitzt. Der hohe Fuß hat als Schaft eine Vase mit drei Bügeln und einem dreipassigen Bauch, darüber ein getriebenes Zwischenglied mit drei vorstehenden Köpfen, und dem Sockel durch eine Einschnürung in zwei gewölbte Zonen zerlegt, deren obere in hohem Relief getriebene Zierschilder mit Masken, die untere Akanthusranken enthält. Der Deckel hat die gleiche Randverzierung. Im Innern der Nuß eine vergoldete Medaille mit dem Profilbildnis Christi, Gesicht und Hals in Silber und mit der gravierten Inventare S Inventar Silberkammer um 1581–1586, fol. 41 r Im Sechstenn Schranck Ann Allerley vorguldten vndt vnuorgüldtenn Trinckgeschirr Vnnd Annders [...] 3 mark, 3 loth, – quent, 2 pfennige / ein indianische nuß welche geschnitten vnd mit getriebener arbeit vnd vergüldt. S Inventar Kunstkammer 1640, fol. 135 v – 136 r 1 Indianische nuß, darauf die historia vom verlohrnen sohn geschnitten, in silber gantz verguldet eingefast. Inwendig am boden der salvator mit der umbschrift: Ego sum Jesus. A et O. Ufn deckel ein weiblicht bild mit einem verbrochenen scheflin und glatten schilde und inwendig gepicht. Wigt 3 mark, 3 loth, 1 quent. Abb. 1 Aufbruch des Sohnes

Pokale | Kokosnusspokale | 383 Umschrift: Ego sum Jhesus, A et O. Ohne Marken. Mitte 16. Jahrhundert. Höhe 28 cm [...] [in anderer Schrift:] Höhe 28,6 cm. Ø Nuß 13,4 cm. S Inventar Zugänge 1890–1903, S. 1, 7, 22 Aus dem Königlichen Historischen Museum in das Königliche Grüne Gewölbe, bez. Münzkabinet wurden übergeführt: aus dem Eingangszimmer nach dem Inventar von 1838: [...] No: 56. / Eine Cocusnuß, worauf die Geschichte des verlorenen Sohnes geschnitten, in vergoldetes Silber gefaßt; inwendig im Boden der Salvator, mit der Umschrift: Ego sum Jesus, A et O. [...] Die vorstehend verzeichneten Gegenstände wurden im Dezember 1890 in das Kgl. Grüne Gewölbe überführt. Dr. Julius Erbstein. Sonstige Quellen S Entnahmeverzeichnis Rentkammer 1611, fol. 76 r Ein Indianische Nuß, wiget, 3 mark, 3 loth, – quent, 2 pfennige. Abb. 2 Christus-Medaillon im Boden der Kokosnuss

384 | ����������� Beschreibung Der Pokal zeichnet sich durch eine variantenreiche und subtile Gestaltung aus, was sich besonders in den feingliedrigen Dekorationsformen niederschlägt. Auch der Wechsel von in Silber belassenen und vergoldeten Partien trägt zu diesem abwechslungsreichen Eindruck bei. Den zweistufigen Fuß ziert in der unteren Zone ein erhabenes akanthusförmiges Blattmotiv, das jeweils in einen Halbkreis eingeschrieben ist und von einer punzierten Fläche umschlossen wird. Der an die glatte Kehlung anschließende wulstförmige Abschluss ist von fein graviertem Blattwerk überzogen. Akzente bilden drei in Rollwerkkartuschen eingefügte Masken, sie unterscheiden sich lediglich in Details. Der nach unten abschließende Teil des Schaftes besteht aus einem dreipassigen Nodus, dessen in Weißsilber belassenes Mittelstück ursprünglich Tiefschnittemail geziert hat. Der eigentliche Schaft setzt sich zusammen aus einem konkaven glatten Teil und drei geflügelten Bocksfüßen, die mit einer Volute nach oben hin enden. Den Übergang zur Kuppa bildet ein aus Silber geschnittener Blattkranz auf punziertem Grund, der in einen reich verzierten Wulst mit erhabenem Blattwerk und Masken übergeht und von dem sich wiederum drei vollplastisch gearbeitete bekrönte Köpfe in der Art von Wasserspeiern wirkungsvoll abheben. Auch die Spangen mit geflügelten Hermen mit Fischleib, Bocksfüßen und Vögeln fügen sich vortrefflich in das Dekorationsschema ein. Die Kuppa der Kokosnuss zeigt drei Szenen aus dem Gleichnis des verlorenen Sohnes, so den Aufbruch (Abb. 1), sein Leben in schlechter Gesellschaft (Abb. S. 383) und den verlorenen Sohn als Schweinehirten (Lk 15,11–15). Im Boden der Kuppa ist eine vergoldete Silbermedaille mit dem Bildnis Christi und der Umschrift »EGO · SVM · IHESVS · A ET Ω« eingelassen (Abb. 2). Die Oberseite des flachen, in der Mitte weit hochgezogenen Deckels zeigt einen Groteskenfries mit Faunsköpfen zwischen Akanthusranken. Diese umspielen drei weit aus der Fläche herausgetriebene männliche Köpfe in Rollwerkkartuschen, welche möglicherweise die drei Lebensalter darstellen. Den Knauf bekrönt eine schlanke weibliche Figur in wehendem Gewand, die in der linken Hand eine Lanze hält und sich mit der rechten auf einen Schild stützt. Die Kokosnuss ist innen ausgekittet, was auf eine tatsächliche Verwendung als Trinkgefäß schließen lässt. Zuschreibung, Datierung und Vergleichsstücke Der Pokal wird seit Sponsel1 durchgehend als Nürnberger Arbeit aus der Mitte des 16. Jahrhunderts klassifiziert. Für diese Zuschreibung sprechen allgemein die scharf profilierten Ornamente und zudem bestimmte Dekorformen, wie die vollplastischen kleinen Köpfe.2 Diese erscheinen auch an frühen Straßburger Goldschmiedearbeiten des Diebolt Krug (Abb. 3).3 Frühe Augsburger Pokale weisen teilweise ebenfalls diesen Reichtum an unterschiedlichen Verzierungselementen auf (Kat.-Nr. 14), besitzen aber nicht die Scharfkantigkeit der Nürnberger Exemplare (Abb. 4). Abb. 3 Deckelpokal mit Bergkristall Diebolt Krug, Straßburg, um 1560 Silber, vergoldet, Bergkristall, H 28,3 cm Los Angeles County Museum of Art (LACMA), Inv.-Nr. Gift of Varya and Hans Cohn (AC1992.152.104a-b) Abb. 5 Der verlorene Sohn verprasst seine Habe aus Der verlorene Sohn (vier Blatt) Hans Sebald Beham, 1540 Kupferstich, H 5 cm, B 9,3 cm SKD, Kupferstich-Kabinett, Inv.-Nr. A 2721

Pokale | Kokosnusspokale | 385 So scheint ein Festhalten an der traditionellen Zuschreibung (Nürnberg) durchaus plausibel, eine Entstehung in Straßburg ist ebenso denkbar. Dabei sei betont, dass sich die Ähnlichkeiten auf einzelne Elemente beschränken. Zu singulär ist die Gesamterscheinung des Pokals, als dass man dafür ein direktes Vergleichsbeispiel ausmachen könnte. Provenienz Die Gewichtsangabe des Pokals im Kunstkammerinventar von 1640 ist fast identisch mit der im Inventar der Silberkammer 1581–1586. Statt einem Quent (etwa 3,65 g) sind dort zwei Pfennige (etwa 1,82 g) verzeichnet. Es handelt sich also um eine minimale Abweichung, die eine Ersterwähnung im Silberkammerinventar plausibel macht. Auch der Hinweis auf die geschnittenen Szenen deutet auf das vorliegende Trinkgefäß hin. Das Gefäß kam über die Behörde der Rentkammer in die Kunstkammer und nach deren Auflösung, wie die anderen Kokosnussgefäße, ins Historische Museum. 1890 fand der Pokal schließlich in der Schatzkammer seinen endgültigen Platz. Ikonografie und Vorlagen Die qualitätvollen Schnitzereien mit neutestamentlichen Szenen der Geschichte des verlorenen Sohnes auf der Kuppa sind nach Vorlagen von Hans Sebald Beham gestaltet (Abb. 5).4 Sie thematisieren wie viele eingeschnittene Darstellungen auf Kokosnusspokalen menschliche Ausschweifungen in Form von Alkoholgenuss und erotische Szenen.5 Diese Ikonografie bezieht sich auf den ursprünglichen Gebrauch der Pokale als Weingefäße und beinhaltet ein moralisierendes Moment.6 Besonders beliebt war die Geschichte des verlorenen Sohnes mit dem Gelage bei den Huren, wie sie auch hier detailreich veranschaulicht wird. Es dürfte kein Zufall sein, dass die letzte Szene mit der Wiederaufnahme des Sohnes durch den Vater, dem Sinnbild für die Gnade Gottes, nicht dargestellt ist. Im Mittelpunkt steht vielmehr das lasterhafte Leben des verlorenen Sohnes und so der klare Bezug zum Trinkgefäß selbst. Die religiöse Dimension des Gleichnisses mit der neuen reformatorischen Interpretation Martin Luthers dürfte dabei nur am Rande eine Rolle gespielt haben.7 Das im Boden der Kokosnuss eingelassene Medaillon mit Jesus und der Umschrift »EGO · SVM · IHESVS · A ET Ω« relativiert den Aussagegehalt der lasterhaften Szenen auf der Kuppa und verweist auf Christus und dessen ewige göttliche Präsenz (Abb. 2). Bemerkungen zu Restaurierungen und zur Erhaltung Der original zugehörige Deckel wird im Kunstkammerinventar von 1640 noch erwähnt und genauer beschrieben, 1732 ist er bereits nicht mehr Teil des Pokals. Irgendwann vor 1890 (erste Erwähnung) ist ein neuer Deckel angefertigt worden (Abb. 6, siehe auch Kat.-Nr. 57). Diese Ergänzung greift zwar das Blattmotiv des Fußrings auf, wirkt aber durch den schnörkellosen Abschluss mit dem glatten Knauf fremd auf dem feinteilig durchgearbeiteten Pokal. Im Rahmen unseres Forschungsprojekts konnte der originale Deckel ausfindig gemacht (siehe Kat.-Nr. 68) und wieder dem Objekt zugeordnet werden, für das er gefertigt wurde. Eine Spange fehlt, sie wird bereits 1741 als zerbrochen geschildert. Das Tiefschnittemail im Schaft und eventuell auf dem oberen Teil des Fußes ist nicht mehr vorhanden. Das Email zusammen mit der Farbfassung, von der sich noch Reste auf der Bekrönungsfigur erhalten haben, muss dem Pokal ursprünglich ein farbenfrohes Erscheinungsbild verliehen haben. Im Fuß befinden sich mehrere Gusslöcher. Bei der Szene Der Aufbruch des verlorenen Sohnes (Abb. 1) ist ein relativ großer Ausbruch in der Kokosnuss zu verzeichnen. Die am Deckel stark plastisch hervortretenden Masken weisen an einigen Stellen Löcher auf, die wahrscheinlich bereits bei der Treibarbeit entstanden sind. Das Objekt wurde 1968 einer restauratorischen Maßnahme unterzogen.8 TW Literatur Hettner/Büttner 1871, Bl. 30 (links); Seidlitz 1921, S. 262, 276, Nr. 122, Taf. 30; Sponsel 1921, S. 138; Sponsel 1925–1932, Bd. I, S. 214, Taf. 70; Haenel/ Holzhausen 1937, S. 66; Dresden 1960, S. 54, Nr. D 91 (mit Abb.); Menzhausen 1968 a, S. 76 f., Taf. S. 18; Fritz 1983, S. 100, Nr. 69, Farbtaf. 8, Taf. 36 b; Syndram 1994, S. 45, 83; Kappel/Weinhold 2007, S. 38; Syndram/Minning 2010, Bd. III (1640), Abb. 26; Torgau 2014, S. 113, Nr. VI/2, S. 116 f., Abb. 130 –132; Syndram 2021 a, S. 85 Anmerkungen 1 Sponsel 1925–1932, Bd. I, S. 214. In dem Führer von 1921 ist nur von »Mitte des 16. Jahrhunderts« die Rede, Sponsel 1921, S. 138. 2 So beispielsweise bei Lopato 2002, S. 165 f., Nr. Hr 3, oder noch überzeugender bei der Entwurfszeichnung von Wenzel Jamnitzer für einen Renaissancepokal, siehe NGK 2007, Bd. II, S. 57, Abb. 33. 3 https://collections.lacma.org/node/172799 (aufgerufen am 22. 8. 2023). 4 Koch 1978, S. 51, Nrn. 31–33. 5 Fritz 1983, S. 55–58. 6 Greve 2006, S. 205. 7 Vgl. dazu Torgau 2014, zum verlorenen Sohn (zusammen mit der Hure Babylon) S. 111–119. 8 Restaurierungsbericht, Eva Herzog, Mai 1968 (AGG). Abb. 6 Gesamtaufnahme mit vor 1890 angefertigtem Deckel, SKD, Grünes Gewölbe, Inv.-Nr. IV 330 a Abb. 4 Entwurf für einen Deckelpokal Wenzel Jamnitzer, 1551–1570 Kupferstich, H 43,8, B 21,7 cm London, Victoria and Albert Museum, Inv.‑Nr. E.1744-1907

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