Leseprobe

55 Abb. 2 Schnitt durch den Untergrund von Herrengrund. Kupferstich in: Ferdinando Luigi Marsigli, Danubius Pannonico-mysicus. Observationibus geographicis, astronomicis, hydrographicis, historicis, physicis, perlustratus et in sex tomos digestus. [...] Hagæ Comitum [...] Amstelodami 1726, Tom. III, Tab. XI., Slovenská národná knižnica Martin (vgl. große Abbildung S. 32 f.). sein. Eine solche Zusammenschau des Weltbildes (imago mundi oder theatrum mundi) durch Texte und Bilder erfuhr dann in der Kunstkammer ihre Vollendung und Materialisierung.4 In der Frühen Neuzeit waren Wissenschaft und Kunst viel stärker miteinander verwoben als in der Gegenwart. Aus heutiger Sicht, die von der aufgeklärten Kategorisierung der Welt geprägt ist und zwischen dem Naturkundemuseum, der Antikensammlung, dem Kunstmuseum und dem technischen Museum unterscheidet, kann das für uns schwer verständliche und konzeptuell organisierte frühneuzeitliche Museum des Wissens – die Kunstkammer – als eine Art Sammelort oder imaginärer Raum verstanden werden, in dem nichts seine wirkliche Bedeutung hat, sondern alles auf der Vorstellungskraft, der Leidenschaft und dem Genuss des Besuchers beruht. Das Konzept der Kunstkammer in Renaissance und Barock zielte auf das Besondere, Außergewöhnliche oder Einzigartige ab, das in ein für jede Sammlung und ihren Eigentümer singuläres und spezifisches Ordnungssystem eingegliedert und entsprechend reflektiert wurde. Die Aufgabe der Kunstkammer bestand auch darin, die Betrachtenden mit dem menschlichen Gedächtnis zu assoziieren: Die Objekte in der Kunstkammer sollten für ihren Platz im menschlichen Bewusstsein beziehungsweise ihre Unterbringung im Gedächtnis stehen. Durch das Auge gelangten die Bilder der Außenwelt nach innen in den Geist der Betrachtenden und füllten ihn nach und nach, wobei sich dieser innere Raum in der kartesianischen Philosophie (René Descartes, 1595–1650) als Interieur materialisierte, das schrittweise mit Mobiliar eingerichtet wurde, oder als Sammlung einer Kunstkammer mit verschiedenen Artefakten. Die kleine Struktur konnte auf diese Weise die große widerspiegeln, deren Bild untermauern und vorzeichnen – sie konnte den Makrokosmos im Mikrokosmos erfassen. Befasst man sich näher mit der ehemaligen kaiserlichen Sammlung der Habsburger in Wien, die heute auf mehrere Institutionen aufgeteilt ist, findet man dort aus den heute in der Mittelslowakei gelegenen Bergbauregionen vor allem Mineralien (Naturhistorisches Museum Wien)5 und kunsthandwerkliche Objekte wie Handsteine oder die sogenannten Herrengrunder Kupfergefäße. Diese Artefakte stellten in der Frühen Neuzeit nicht nur Kunstkammerobjekte dar, sondern symbolisierten auch die Unterordnung der Bergbauregion. Bereits 1548 gelangten folgende Städte unter die direkte Verwaltung von Kaiser Ferdinand I.: Schemnitz, Kremnitz (Kremnica, Körmöcbánya), Neusohl, Königsberg (Nová Baňa, Újbánya), Bugganz oder Pikanz (Pukanec, Bakabánya), Dilln (Banská Belá, Bélabánya), Libethen (Ľubietová, Libetbánya). Zudem galt dies für umliegende Siedlungen und die Bergwerkskammern von Schemnitz und Kremnitz, Bergwerke und Hütten sowie Schlösser und Burgen in Altsohler Liptsche (Ľupča, Zólyomlipcse), Döbring (Dobrá Niva, Dobronya) und Wigles oder Wegles (Vígľaš, Végles).6 Gleichzeitig beendete dieser Zeitpunkt chronologisch die unklaren Zuständigkeiten der Bergstädte in der Zeit nach der Schlacht von Mohács (1526–1548). Die Städte, die in frühneuzeitlichen Quellen als »Niederungarische Bergstädte« bezeichnet werden und bis 1683 in der Grauzone der osmanischen Bedrohung lagen, gerieten in der Folgezeit in immer stärkere Abhängigkeit von Wien. Der Jurisdiktion zufolge wurden sie von der Niederösterreichischen Kammer durch einen Kammergrafen verwaltet. Dessen Status entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts von dem eines Beamten zu jenem einer bedeutenden Institution, dem Kammergrafamt mit großen Befugnissen und einem weiten territorialen Geltungsbereich mit Sitz in Schemnitz. Im 18. Jahrhundert wurde das gesamte private und staatliche Bergbaugeschäft in den mittelslowakischen Bergstädten von lokalen und Wiener Beamten im Detail kontrolliert. Die Zentralbehörden überwachten praktisch das gesamte Leben der Bergstädte, nicht nur das Bergbaugeschäft selbst und die Münzstätte in Kremnitz, sondern auch die Forstwirtschaft, die Kohleförderung für die Hüttenwerke, die Eisenhütten, die Herstellung und Lagerung von Schießpulver, die Gewinnung und Lieferung von Blei, Quecksilber und Speisesalz sowie von Lebensmitteln. Diese Aufsicht über das tägliche Leben in den Bergstädten

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