23 Eines der Merkmale von volkstümlicher Hinterglasmalerei besteht darin, den freien Raum in den Kompositionen geradezu obsessiv mit Schmuckmotiven, gerne Pflanzenornamentik, zu befüllen. Bevor »die Wände, die das 19. Jahrhundert zwischen offizieller Kunst, Volkskunst, Kinderkunst und primitiver Stammeskunst aufgerichtet hatte«,4 fielen, neigte die Kunstwissenschaft, so Dammert, noch zu despektierlichen Urteilen wie etwa jenem von der genuinen Abneigung des Volkskünstlers gegenüber leeren Flächen oder von der Unempfindlichkeit gegenüber einer Spannungswirkung von Fülle und Leere. Es waren zuerst die Künstler:innen der westlichen Moderne selbst, die den Verdikten der Forschung ihre Wertschätzung für ortsgebundene (vernakuläre, autochthone) Bildproduktion entgegensetzten – eine wichtige Emanzipationsbewegung, die im Rahmen von postkolonialen Diskursen heute noch anhält. Im reichen Binnenkosmos ihres Schaffens hat sich Beate Hornig nicht von derlei Polarisierungen beeinflussen lassen; sie arbeitet formsicher mit beidem, der dramaturgisch gesetzten Leere wie auch der Opulenz. Mit Letzterer zitiert und paraphrasiert sie sehr bewusst das Volkstümliche, verziert Bilderrahmen, verleibt sie dem Bild ein und drapiert ornamentreiche Stoffe. In ihren frühen Werken aus der Zeit nach 2003, noch »reguläre« Gemälde wie etwa KASKADEN II (S. 35) oder BEKANNTSCHAFT (S. 36), übte sie tatsächlich den Umgang mit freien Flächen, Erwartungsräumen oder unbekannten Faktoren einer poetischen Handlung ein. Später wird es immer wieder die ikonografische Figur des Vorhangs sein, die auf ganz entscheidende Erfahrungen aus ihrer lang zurückliegenden Dresdner Ausbildung und Praxis in Bühnenmalerei zu verweisen scheint. Wenn der Vorhang, häufig in seiner Verkleinerungsform als Gardine, dann einmal geöffnet ist, so gleichen ihre Konstellationen jenen auf einer Theaterbühne, wo gerne einmal Leere, sprich: Abwesenheit, die Handlung vorantreibt. Oft sind es gerade solche zeitweiligen Leerstellen, aus denen die Spannung zwischen Protagonist:innen erwächst. Und häufig, etwa in dem Bild ÜBERFAHRT III (S. 9), mit dem weiblichen Tod im Boot, ist zu bemerken, wie die Komposition (nicht zum Bühnenbild, vielmehr) zur Bildbühne wird: Anordnungen auf der Fläche werden spannungsvoll gesetzt – im Hinblick auf künftige Interaktionen, genau wie im Theater. Zudem stilisiert die Künstlerin bestimmte Architekturen oder Naturphänomene so, als wären es auf den Zweck hin abstrahierte Theaterrequisiten: rötliches Mauerwerk, dürre Bäume, Wolken oder Balustraden. Diese Formen geben Halt und sind absichtlich nicht perfekt ausgeführt, etwa an die Art der Abstraktion in Fresken von Giotto und seinen Zeitgenossen erinnernd. Derlei (spät-)mittelalterliche Bildgeschichten bezogen sich selten auf eine authentische Umwelt oder auf Bauten, sondern fußten ganz real auf den Bühnenbildern religiöser Mysterienspiele, von den Malern dann Szene für Szene in eine comic-hafte Bilderzählung gesplittet. In vergleichbarer, wenn auch spekulativer Weise ließen sich viele von Beate Hornigs Bildbauten aus fiktiven Bühnenräumen ableiten. Und fast wie bei Giotto, für den Naturalismus im neuzeitlichen Sinne gar nicht existierte, gilt auch für den kalkulierten Antinaturalismus Beate Hornigs: Der Raum spielt sich in der Fläche ab, fast illusionsfrei. Mit einer Einschränkung, die eigentlich eine Erweiterung ist und unmittelbar auf ihrer Technik beruht: Der Eindruck einer tiefenräumlichen Staffelung ergibt sich aus der geradezu gewieften Verbindung von Hinterglasmalerei und Hinterglasassemblage. Gelegentliche Öffnungen in der Malschicht gestatten es ihr, mit dem untergelegten Material zu operieren. Dadurch wird die Existenz von mehreren Ebenen heraufbeschworen, wie etwa in ENDE OFFEN (S. 25) – wo die obere Partie des Bildes eine Tierfigur hinter einer Öffnung zeigt, ein Draußen sozusagen. Der Rest der Komposition ist Innenraum, der sich im gleichen Ausmaß erstreckt
RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1