21 Backstage mit Beate Hornig begleitet von Giotto, Barbara Abesch, Paul Klee und Sarah Kirsch Susanne Altmann Angst haben Being Frightened_2023 Das Phänomen, Glas rückwärtig zu bemalen, kennt der Mensch seit der Antike. Damals ging es allerdings mehr um die Verzierung von Kultgegenständen. Deren Goldornamentik sollte hinter einer glänzenden Fassade noch kostbarer wirken als nur von vorn auf Malgründe aufgetragen. Bis heute vermag Glas eine gewisse Aura zu erzeugen. Figurendarstellungen traten wohl erst im Mittelalter zu den Ornamenten; auf kleineren Scheiben etwa, die wie Intarsien behandelt wurden und durch Lichtbrechungen von innen heraus strahlten. Von heute aus können wir derlei Stücke als eifrige Satelliten jener großen, gebauten Lichtmetaphysik begreifen, die das Tageslicht und Wetterphänomene in Kathedralräumen zu überwältigenden Gottesbeweisen umdeutete. Zwar mussten auch die visuellen Spektakel der Bleiglasfenster lange kleinteilig zusammengesetzt werden, doch zielten sie auf ganz andere, auf psychophysische Erfahrungsräume als jene kleinen, handlichen Formate, die der Ausübung häuslicher, intimer Frömmigkeit dienten. Angesichts dieser formalen und funktionalen Ableitungen aus dem sich repräsentierenden Glauben ist es schwierig, die »modernen«, längst schon wieder umstrittenen Definitionen von Hoch und Niedrig, von Stilkunst und Volkskunst anzuwenden. Der Sammler und Experte Udo Dammert (1904–2003) schlug hier eine eher metaphysische Lesart vor: »Die Technik, Malerei bzw. Farbe mit Glas zu verbinden, ermöglichte von Anfang an den Schritt zum Visionären, eröffnete ein Spiel mit dem Wirklichen und Unwirklichen … Die Farbe selbst erhält Glanz und Strahlkraft, das Licht erzeugt Brechungen und Reflexe. Der reiner Volkskunst eigene Antinaturalismus wird zum Symbol des Übernatürlichen.«1 Ab dem 15. Jahrhundert erlaubte der technische Fortschritt in der Glasproduktion nun größere Formate, Glastafeln waren leichter verfügbar – bald über den Rahmen von kirchlicher und fürstlicher Repräsentationskunst hinaus.2 In Schlesien, Nordböhmen oder im Erzgebirge siedelten sich zahlreiche Glashütten an – und ebenso Gewerke, die Glas zu Spiegeln oder Schmuck weiterverarbeiteten. Jetzt konnten sich auch ländliche Kunsthandwerker das Tafelglas als Malgrund leisten und ihre ganz spezielle, im besten Sinne »primitive« Bildsprache einbringen – jenen übernatürlichen »Antinaturalismus«. Beate Hornig ist in dieser regionalen Tradition ganz tief und innig verwurzelt, und zwar nicht nur, was das Glas betrifft. Aus der Oberlausitz stammend und so fast aus dem schlesisch- böhmischen Kernland der Glasver- und -bearbeitung, kennt sie sich damit aus. Bei Dieter Zimmermann kam sie erstmals in näheren Kontakt mit der Technik und lernte die Geheimnisse der traditionellen »Rückwärtsmalerei«3 – wahrscheinlich mit ähnlichem Entzücken, wie es die Künstler:innen im Umfeld des Blauen Reiters empfanden, als sie mit der Volkskunst auch diese Ausdrucksform entdeckten, sammelten und adaptierten.
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