HINTERGLASMALEREI Beate Hornig
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HERAUSGEGEBEN VON_EDITED BY BEATE HORNIG & UWE HORNIG SANDSTEIN VERLAG HINTERGLASMALEREI REVERSE GLASS PAINTING Hornig Beate
7 Marius Winzeler Geheimnis – Annäherungen an die Bilderwelt von Beate Hornig Secrets – Approaches to the Pictorial World of Beate Hornig 21 Susanne Altmann Backstage mit Beate Hornig begleitet von Giotto, Barbara Abesch, Paul Klee und Sarah Kirsch Backstage with Beate Hornig accompanied by Giotto, Barbara Abesch, Paul Klee and Sarah Kirsch KATALOG_CATALOGUE 129 Gwendolin Kremer Im Gespräch – Es gibt immer ein Etwas und ein Gegenüber In Conversation – There Is Always a Something and a Counterpart 136 Biografie_Biography Ausstellungen_Exhibitions Bibliografie_Bibliography Sammlungen_Collections Werkverzeichnis_List of Works Dank_Thanks Impressum_Colophon
7 DER TOD IM GARTEN Eine Wiese in leuchtendem Rosa mit lila Blüten, dahinter ein ebenso lila Hain mit dünnen Baumstämmchen, angeordnet wie auf einer Jugendstiltapete, seitlich ein weich geschwungener hellblauer Vorhang mit weißen Sternblüten und roten Blättern. Und dann ein schwarzes Monument, ein sich nach oben verjüngender Sockel, darauf als Silhouette eine kauernde Figur in einem Netz, umgeben von einer bunt flackernden Lichtaura. Darum herum ein flacher schwarzer Holzrahmen mit bronziertem Perlstab, Strandgut aus anderen Zeiten. Das ist Beate Hornigs Hinterglasbild DER TOD IM GARTEN von 2003 (Städtische Museen Zittau, S. 1). Elegisch und dabei von einer stupenden Leuchtkraft und Farbenpracht. Der Tod als Schatten und Lichtgestalt zugleich? Der Garten als Seelenort und Traumlandschaft? Motivisch, farblich und technisch ist es jedenfalls ein Bild, das für Beate Hornigs Schaffen bezeichnend ist, in dem sie die künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten der Hinterglasmalerei auslotet. Dabei sind Material und Technik nie Selbstzweck, sondern Mittel zu dem Zweck: einer starken Imaginationskraft die adäquate Form zu verleihen, der Fragilität menschlicher Befindlichkeiten eine Plattform zu bieten. Da kommt zerbrechliches Glas als Malgrund gerade recht. Es ist das Poetische und Abgründige, dem Beate Hornig nachgeht. Bildern, die sie in sich sucht und findet. Dass ein signifikantes Werk GEFUNDEN (S. 78/79) heißt, ist also durchaus charakteristisch für sie: eine weiße Hirschkuh mit rotem Halsband, die auf einem Blumenteppich vor einer Wandecke ausruht, aber umgeben ist von Einschusslöchern – gefunden und gezielt? Wie auch im Fall des SCHÖNEN TIERS (S.1, 56), das nichts ahnend auf einer Waldlichtung äst und dort das Ziel abgibt für eine violette Flinte, die hinter einem der Bäume hervorsticht. Der Tod lauert vielfach auf den Bildern von Beate Hornig, in unterschiedlichster Gestalt und überraschenden Konstellationen. OHNE WORTE – STILLES THEATER (S. 95) So zauberhaft und farbenfroh manche Szene daherkommt, so erweist sie sich beim Blick aus der Nähe als unheimlich, grausam, sarkastisch. Die Künstlerin hat viel Sinn für Humor und Ironie. Meist schöpft sie mit Witz aus dem eigenen Motivvorrat, wie sie selber bekennt: »Stehle mir lieber im Stillen, auch bei mir selber, dies und das Vergangene und verwandle es zu Neuem.« Mitunter greift sie aber auch Geschichten aus der Mythologie auf – wie jene von Ikarus (IM FREIEN FALL, S. 92/93) und Charon (AUF WIEDERSEHEN; ÜBERFAHRT III, S. 9) oder aus der christlichen Ikonografie (ACH, DIE KÜMMERNIS, S. 89). Inspiration sind ihr Lektüre, etwa der Gedichte von Sarah Kirsch, Musik wie die sphärischen Klänge eines Arvo Pärt oder Impulse aus der zeitgenössischen Kunst, so von Gerhard Richter, mit dem sie biografisch verbindet, dass sie genauso wie er als Bühnenmaler im Zittauer Gerhart-HauptmannTheater die ersten Sporen abverdient hat. Geheimnis – Annäherungen an die Bilderwelt von Beate Hornig Marius Winzeler Stelldichein_Rendezvous 2023
8 DEATH IN THE GARDEN A meadow in gleaming pink with purple blossoms, behind a likewise purple grove of thin tree trunks, arranged as on art nouveau wallpaper, to one side a gently swung light-blue curtain with white crossberry flowers and red leaves. And then a black monument – a tapering pedestal bearing the silhouette of a crouching figure in a net, surrounded by a gaudily flickering halo of light. Enclosing it all a flat, black wooden frame with bronzed bead and reel – jetsam from other times. That is Beate Hornig’s reverse glass painting DEATH IN THE GARDEN from the year 2003 (Städtische Museen Zittau, p. 1). Elegiac and yet with a stupendous luminosity and blaze of colour. Death as a shade and shining light at one and the same time? The garden as a favoured place and dream landscape? In its motifs, coloration and technique, at any event, it is a picture that is characteristic of Beate Hornig’s oeuvre, in which she explores the possibilities for artistic expression offered by reverse glass painting. In her work, materials and techniques are never an end in themselves but a means to an end – to giving a powerful imagination its appropriate form and providing a platform for the fragility of human sensitivities and states of mind. For this purpose, fragile glass as a painting support is just the thing. Beate Hornig’s concern is for the poetic, the unfathomable. For images that she seeks and finds within herself. That one significant work of hers bears the title FOUND (p. 78/79) is thus absolutely characteristic: a white doe with a red neckband resting on a carpet of flowers before the corner of a wall but surrounded by shot-holes – found and targeted? As also in the case of the BEAUTIFUL ANIMAL (p. 1, 56), which is grazing unsuspectingly in a forest clearing and there offers a target for a violet-coloured shot-gun that is poking out from behind one of the trees. In Beate Hornig’s pictures, death is often a lurking presence, in a wide variety of forms and in surprising constellations. WITHOUT WORDS – SILENT THEATRE (p. 95) However enchanting and colourful many of these scenes may appear, on closer inspection they reveal themselves to be eerie, cruel, or sarcastic. The artist has a strong sense of humour and irony. In most cases, as she herself states, she draws wittily on her own repertoire of motifs: “I prefer to steal this or that past element quietly, stealing also from myself, and then transform it into something new.” At times, however, she also takes up stories from mythology – such as that of Icarus (IN FREE FALL, p. 92/93) or of Charon (GOODBYE; CROSSING III, p. 9) – or from Christian iconography (ALAS, ST WILGEFORTIS, p. 89). She draws inspiration from reading, for example from the poems of Sarah Kirsch, and from music such as the ethereal sounds of Arvo Pärt, or responds to impulses from contemporary art, from Gerhard Richter, for instance, with whom she is biographically linked in that both earned their first spurs as set-designers and decorators at the Gerhart-Hauptmann-Theater in Zittau. Secrets – Approaches to the Pictorial World of Beate Hornig Marius Winzeler
9 Tatsächlich verhehlt sie weder in den ganz kleinen noch den größeren Bildern ihres Panoptikums, dass sie vom Theater her kommt. Dass sie die Inszenierung beherrscht, Szenografie, Requisite, Kostüm. Viele Bilder weisen Vorhänge und Gardinen auf, die unseren Blick auf das dargestellte Geschehen lenken. NICHTS ALS GARDINEN heißt ein Bild, in dem sich gerade ein Mord zu ereignen droht. Die Künstlerin öffnet Bühnenräume im Zweidimensionalen, ausnahmsweise arbeitet sie auch dreidimensional, wenn sie von einem Fundstück, einer Idee verzückt ist. Auf jeden Fall liebt sie es, Räume mit Fenstern, Teppichen und noch besser: mit fliegenden Teppichen zu gestalten, mit Farben und Formen, die durchaus theatralischen Effekt haben können, mit Kleidern und Kostümierungen, die Charaktere definieren, zeichnen, prägnant umreißen. Sie spielt dabei mit uns als Voyeuren, appelliert an unsere Neugier, in diesen Bühnenräumen Unerhörtes zu entdecken, wie im dreiteiligen Zyklus VERABREDUNG. MIT CHARME (S. 19, 85) lässt sie uns in ein verlassenes Zimmer mit vertrockneter Topfpflanze blicken, vor dessen Fenstern sich das vergangene Leben der einstigen Bewohner abspielt. In RUHELOS (S. 11) versucht ein Mann in schwarzem Mantel, auf einem wild gemusterten Teppich einem von hohen Bergen fest umschlossenen Ort zu entkommen. Beate Hornigs Bilder setzen unser Kopfkino in Gang – individuell, mit offenem Ausgang. Ihre Alltagsbeobachtungen formt sie subtil in Metaphern um; WUT (S.102), ZUTRAULICH, ANNÄHERUNG (S. 104), SOEBEN (S. 2) nennt sie ihre Schilderungen von emotiven Momenten. Dabei verlässt sie nie ihr wacher Sinn für das Verletzliche, das Prekäre unserer wahren Existenz. Überfahrt III Crossing III_2020
21 Backstage mit Beate Hornig begleitet von Giotto, Barbara Abesch, Paul Klee und Sarah Kirsch Susanne Altmann Angst haben Being Frightened_2023 Das Phänomen, Glas rückwärtig zu bemalen, kennt der Mensch seit der Antike. Damals ging es allerdings mehr um die Verzierung von Kultgegenständen. Deren Goldornamentik sollte hinter einer glänzenden Fassade noch kostbarer wirken als nur von vorn auf Malgründe aufgetragen. Bis heute vermag Glas eine gewisse Aura zu erzeugen. Figurendarstellungen traten wohl erst im Mittelalter zu den Ornamenten; auf kleineren Scheiben etwa, die wie Intarsien behandelt wurden und durch Lichtbrechungen von innen heraus strahlten. Von heute aus können wir derlei Stücke als eifrige Satelliten jener großen, gebauten Lichtmetaphysik begreifen, die das Tageslicht und Wetterphänomene in Kathedralräumen zu überwältigenden Gottesbeweisen umdeutete. Zwar mussten auch die visuellen Spektakel der Bleiglasfenster lange kleinteilig zusammengesetzt werden, doch zielten sie auf ganz andere, auf psychophysische Erfahrungsräume als jene kleinen, handlichen Formate, die der Ausübung häuslicher, intimer Frömmigkeit dienten. Angesichts dieser formalen und funktionalen Ableitungen aus dem sich repräsentierenden Glauben ist es schwierig, die »modernen«, längst schon wieder umstrittenen Definitionen von Hoch und Niedrig, von Stilkunst und Volkskunst anzuwenden. Der Sammler und Experte Udo Dammert (1904–2003) schlug hier eine eher metaphysische Lesart vor: »Die Technik, Malerei bzw. Farbe mit Glas zu verbinden, ermöglichte von Anfang an den Schritt zum Visionären, eröffnete ein Spiel mit dem Wirklichen und Unwirklichen … Die Farbe selbst erhält Glanz und Strahlkraft, das Licht erzeugt Brechungen und Reflexe. Der reiner Volkskunst eigene Antinaturalismus wird zum Symbol des Übernatürlichen.«1 Ab dem 15. Jahrhundert erlaubte der technische Fortschritt in der Glasproduktion nun größere Formate, Glastafeln waren leichter verfügbar – bald über den Rahmen von kirchlicher und fürstlicher Repräsentationskunst hinaus.2 In Schlesien, Nordböhmen oder im Erzgebirge siedelten sich zahlreiche Glashütten an – und ebenso Gewerke, die Glas zu Spiegeln oder Schmuck weiterverarbeiteten. Jetzt konnten sich auch ländliche Kunsthandwerker das Tafelglas als Malgrund leisten und ihre ganz spezielle, im besten Sinne »primitive« Bildsprache einbringen – jenen übernatürlichen »Antinaturalismus«. Beate Hornig ist in dieser regionalen Tradition ganz tief und innig verwurzelt, und zwar nicht nur, was das Glas betrifft. Aus der Oberlausitz stammend und so fast aus dem schlesisch- böhmischen Kernland der Glasver- und -bearbeitung, kennt sie sich damit aus. Bei Dieter Zimmermann kam sie erstmals in näheren Kontakt mit der Technik und lernte die Geheimnisse der traditionellen »Rückwärtsmalerei«3 – wahrscheinlich mit ähnlichem Entzücken, wie es die Künstler:innen im Umfeld des Blauen Reiters empfanden, als sie mit der Volkskunst auch diese Ausdrucksform entdeckten, sammelten und adaptierten.
22 The special aura of glass as an artistic medium has not faded. Since antiquity, humans have known how to paint on the reverse side of glass. Back then, the main purpose was to decorate cult objects. Behind a shiny surface, the golden ornaments looked even more precious than if they were merely applied to a frontal painting surface. It was only in the Middle Ages that figurative elements were added to the ornamental patterns, for example on small slabs of glass that were treated like intarsiae and, through refraction, seemed to radiate from within. From today’s perspective, we can understand such pieces as humble satellites that were orbiting around the Augustinian concept of divine illumination. When manifested in overwhelming cathedrals, such metaphysical notions of light helped transform daylight and weather into evidence of God’s existence. Even though the visual sensation of huge stained glass windows had to be assembled from small elements, they evoked a massive psychophysical impact, very different from the effects of the manageably sized glass objects that helped to observe domestic, intimate rules of piety. In the face of such historical derivations from representational modes of faith, it becomes indeed difficult to operate with common “modern” definitions of what is “high” or “low” art, what can be classified as folk art or, rather, Stilkunst (style art, i.e., art that follows and conforms to a certain stylistic canon) – especially as limiting categories (and theories) of this kind have become increasingly controversial. At this point, the collector and expert Udo Dammert (b. 1904, d. 2003) suggested a rather metaphysical reading: “From the onset, the technique of fusing painting, respectively colour with glass, enabled for stepping into the realm of the visionary, invited to play with reality and irreality … Colour itself is charged with brilliance and radiance, light generates refractions and reflections. The anti-naturalism that comes with pure folk art turns into a symbol of the supernatural.”1 From the 15th century onward, technological developments in glass manufacturing allowed for larger formats, glass sheets were easier to obtain than before, and the demand soon exceeded the limits of ecclesiastical and hegemonic representation.2 Countless glass workshops sprang up in Silesia, Northern Bohemia, and the Ore Mountains, along with trades that worked the material into mirrors and jewelry. Now even rural artisans could afford to use glass plates as painting ground and thus introduce their own particular, autochthonous visuality – aforesaid transcendental “anti-naturalism.” Beate Hornig is deeply rooted in local traditions. Coming from Upper Lusatia and thus almost from the heartland of Silesian-Bohemian glass manufacturing, she knows a thing or two about the material. She first came into contact with the artistic aspects of glass and the secrets of the region’s customary “backside” painting3 through the artist Dieter Zimmermann. It seems Backstage with Beate Hornig accompanied by Giotto, Barbara Abesch, Paul Klee and Sarah Kirsch Susanne Altmann
23 Eines der Merkmale von volkstümlicher Hinterglasmalerei besteht darin, den freien Raum in den Kompositionen geradezu obsessiv mit Schmuckmotiven, gerne Pflanzenornamentik, zu befüllen. Bevor »die Wände, die das 19. Jahrhundert zwischen offizieller Kunst, Volkskunst, Kinderkunst und primitiver Stammeskunst aufgerichtet hatte«,4 fielen, neigte die Kunstwissenschaft, so Dammert, noch zu despektierlichen Urteilen wie etwa jenem von der genuinen Abneigung des Volkskünstlers gegenüber leeren Flächen oder von der Unempfindlichkeit gegenüber einer Spannungswirkung von Fülle und Leere. Es waren zuerst die Künstler:innen der westlichen Moderne selbst, die den Verdikten der Forschung ihre Wertschätzung für ortsgebundene (vernakuläre, autochthone) Bildproduktion entgegensetzten – eine wichtige Emanzipationsbewegung, die im Rahmen von postkolonialen Diskursen heute noch anhält. Im reichen Binnenkosmos ihres Schaffens hat sich Beate Hornig nicht von derlei Polarisierungen beeinflussen lassen; sie arbeitet formsicher mit beidem, der dramaturgisch gesetzten Leere wie auch der Opulenz. Mit Letzterer zitiert und paraphrasiert sie sehr bewusst das Volkstümliche, verziert Bilderrahmen, verleibt sie dem Bild ein und drapiert ornamentreiche Stoffe. In ihren frühen Werken aus der Zeit nach 2003, noch »reguläre« Gemälde wie etwa KASKADEN II (S. 35) oder BEKANNTSCHAFT (S. 36), übte sie tatsächlich den Umgang mit freien Flächen, Erwartungsräumen oder unbekannten Faktoren einer poetischen Handlung ein. Später wird es immer wieder die ikonografische Figur des Vorhangs sein, die auf ganz entscheidende Erfahrungen aus ihrer lang zurückliegenden Dresdner Ausbildung und Praxis in Bühnenmalerei zu verweisen scheint. Wenn der Vorhang, häufig in seiner Verkleinerungsform als Gardine, dann einmal geöffnet ist, so gleichen ihre Konstellationen jenen auf einer Theaterbühne, wo gerne einmal Leere, sprich: Abwesenheit, die Handlung vorantreibt. Oft sind es gerade solche zeitweiligen Leerstellen, aus denen die Spannung zwischen Protagonist:innen erwächst. Und häufig, etwa in dem Bild ÜBERFAHRT III (S. 9), mit dem weiblichen Tod im Boot, ist zu bemerken, wie die Komposition (nicht zum Bühnenbild, vielmehr) zur Bildbühne wird: Anordnungen auf der Fläche werden spannungsvoll gesetzt – im Hinblick auf künftige Interaktionen, genau wie im Theater. Zudem stilisiert die Künstlerin bestimmte Architekturen oder Naturphänomene so, als wären es auf den Zweck hin abstrahierte Theaterrequisiten: rötliches Mauerwerk, dürre Bäume, Wolken oder Balustraden. Diese Formen geben Halt und sind absichtlich nicht perfekt ausgeführt, etwa an die Art der Abstraktion in Fresken von Giotto und seinen Zeitgenossen erinnernd. Derlei (spät-)mittelalterliche Bildgeschichten bezogen sich selten auf eine authentische Umwelt oder auf Bauten, sondern fußten ganz real auf den Bühnenbildern religiöser Mysterienspiele, von den Malern dann Szene für Szene in eine comic-hafte Bilderzählung gesplittet. In vergleichbarer, wenn auch spekulativer Weise ließen sich viele von Beate Hornigs Bildbauten aus fiktiven Bühnenräumen ableiten. Und fast wie bei Giotto, für den Naturalismus im neuzeitlichen Sinne gar nicht existierte, gilt auch für den kalkulierten Antinaturalismus Beate Hornigs: Der Raum spielt sich in der Fläche ab, fast illusionsfrei. Mit einer Einschränkung, die eigentlich eine Erweiterung ist und unmittelbar auf ihrer Technik beruht: Der Eindruck einer tiefenräumlichen Staffelung ergibt sich aus der geradezu gewieften Verbindung von Hinterglasmalerei und Hinterglasassemblage. Gelegentliche Öffnungen in der Malschicht gestatten es ihr, mit dem untergelegten Material zu operieren. Dadurch wird die Existenz von mehreren Ebenen heraufbeschworen, wie etwa in ENDE OFFEN (S. 25) – wo die obere Partie des Bildes eine Tierfigur hinter einer Öffnung zeigt, ein Draußen sozusagen. Der Rest der Komposition ist Innenraum, der sich im gleichen Ausmaß erstreckt
41 o. T._untitled_2007
42 Das ist die Sintflut_This is the Deluge_2008
43 Liaison_Liaison_2008
50 Des Nachts_At Nighttime_2015
51 Ausschnitt_Excerpt_2016
53 Schwarzer Tag_Black Day_2013
76 Wagnis_Hazard_2021
77 Gleich und verschieden_The Same and Different_2021
79 Gefunden_Found_2021
94 Mit Handschuhen_With Gloves_2022
95 Ohne Worte_Without Words_2022
96 Es ist alles bereit_Everything’s Ready_2022
97 Hexe_Witch_2022
100 Mariechen_Little Mary_2021
101 Besuch kommt_Visitors Coming_2022
114 Unbemerkt_Unnoticed_2022
Kleine Szenerie_Small Stage-Set_2023 / So oder so_One Way or the Other_2023
129 Im Gespräch – Es gibt immer ein Etwas und ein Gegenüber Gwendolin Kremer im Gespräch mit Beate Hornig Nachtmahl bei Tante H. Supper at Auntie H’s_2023 GK In deinen Werken begegnen uns Menschen oder Tiere, die sich oft in einer scheinbar aus Zeit und Raum gefallenen Situation wiederfinden. Was ist das für eine radikale Leere, die du in deinen Bildräumen zum Klingen bringst? BH Ja, die Tiere und Menschen in meinen Bildern … Sie sind sehr oft allein auf weiter Flur, umgeben von – wie du so gut sagst – Leere, die sich in meiner Auffassung von Leben und von Poesie widerspiegelt. Ich gebe zu, dass da auch etwas Sehnsucht sowie ständige Suche mitschwingt. Will nicht sagen, dass es besonders schön ist, immer allein zu sein, aber beim Malen zum Beispiel bin ich immer für mich und auch sonst oft in Gedanken. Ich bin einfach nicht der Typ für Zusammen-was-machen. Ich liebe es, den leeren Raum mit Farben zu füllen, diese drücken für mich mehr aus als zu viele Lebewesen, und ich hoffe, dass jenes »Klingen« seine Funktion und auch Liebhaber findet. Freilich schwingen da immer auch Verletzungen mit, wie zum Beispiel in dem Bild NACHRICHT von 2021. Dabei bin ich keine, die schnell auf Situationen eingehen kann, auch ich muss oft lange überlegen … Meine Bilder sind zunächst ganz die meinen. Was sich ein anderer dabei denkt, ist natürlich Sache des Betrachters … GK Die Leere ist radikal, aber nicht inhaltslos. Gerade deine frühen Werke, insbesondere die Gemälde, stellen das Thema Landschaft immer wieder ins Zentrum. Das feine Spiel von Abstraktion, also farbig gefasste Flächen, Form und Ornament, sowie Figuration hält den Bildraum im wahrsten Sinne des Wortes zusammen. Kannst du mir noch mehr über die Auswahl deiner Farben berichten? Der Kontrast von Hell und Dunkel, Schwarz und Weiß ist augenfällig, gleichzeitig sehe ich eine Vorliebe für Kobalt- und Ultramarinviolett-Töne und Kobaltnuancen in Blau, Türkis und Grün, richtig? BH Ich nehme die Farben nur ganz selten, wie sie aus der Tube kommen. Nur bei bestimmten, helleren Gelbtönen, bei Karminrot, Preußisch-Blau und natürlich bei Schwarz. Ansonsten mische ich mir lieber was zusammen. Dabei ist meine Palette nicht allzu groß, aber durch das Mischen wird sie größer und größer … Ich bemühe mich, oder besser, es kommt wie von selbst, Komplementärfarben zu nehmen, um so den gewünschten Effekt zu erzielen. Schon im Studium war die Farbenlehre eines meiner Lieblingsfächer. Samtschönes Blau, rubinrote Katzen …
130 GK In your works, we encounter human beings or animals which often inhabit a situation that seems to have fallen out of time and space. What kind of radical emptiness is this that you set resonating in your pictorial spaces? BH Yes, the animals and human beings in my pictures … They are very often alone in wide, open expanses, surrounded – as you have so nicely put it – by emptiness, which is reflected in my conception of life and poetry. I admit that there is some yearning involved here, and also continual questing. That is not to say that it is especially wonderful to be forever alone, but when painting, for example, I am always by myself, and apart from that often rapt in thought. I am simply not the type for doing things together. I love filling the empty space with colours. They express more for me than too many living creatures, and I hope that this “resonating” has its function and also finds its admirers. Of course, hurt and injury are always involved too, as for example in the picture NACHRICHT [News] from 2021. I am not someone who can react swiftly to situations, I too often have to ponder at length … My pictures are first and foremost entirely mine. What another person makes of them is, of course, in the eye and mind of the beholder … GK The emptiness is radical, but not free of content. Precisely your early works, especially the paintings, repeatedly centre around the topic of landscape. The fine play of abstraction – i.e. coloured surfaces, form and ornamentation and also figuration – holds the pictorial space together in the fullest sense of the word. Can you tell me something more about your choice of colours? The contrast of light and dark, black and white is striking, and at the same time I see a preference for cobalt- and ultramarine-violet tones and cobalt nuances in blue, turquoise and green – is that right? BH Ony very rarely do I take colours as they come out of the tube – only with certain lighter yellow tones, with carmine red, Prussian blue, and of course with black. Otherwise I prefer to mix something together. My palette is not so very large, but through mixing it becomes larger and larger … I endeavour to – or rather it just happens, as if of its own accord – take complementary colours to achieve the desired effect. As early as my student days, the Theory of Colour was one of my favourite subjects. Lovely velvety blue, ruby red cats … If you ask about the blue and green tones, these too are all – sometimes with a tiny admixture – just as the particular picture demands. I have come to take the same colour also for backgrounds, if so desired and the background is to remain visible, and on glass this works completely differently from on cardboard. That’s logical and it’s fine by me! But that doesn’t mean that I can’t be wrong. A good few panes of glass have been washed off again and again! In Conversation – There Is Always a Something and a Counterpart Gwendolin Kremer in Conversation with Beate Hornig
131 Nach den Blau- und Grüntönen gefragt: Die sind auch alle gemischt, manchmal mit einer Winzigkeit, eben wie es das Bild von mir verlangt. Mittlerweile nehme ich auch für Hintergründe, wenn es gewollt ist und der Hintergrund noch sichtbar bleiben soll, die gleiche Farbe, und diese kommt auf dem Glas ganz anders als auf einer Pappe. Das ist logisch und mir soll’s recht sein! Das soll aber nicht heißen, dass ich mich nicht irren kann. Schon so manche Scheibe wurde wieder und wieder abgewaschen. Das Blau und Grün, beides überschlagen gemischt, soll Ruhe ausdrücken. Türkis nehme ich hingegen gern, um Kälte rüberzubringen, das ist ja kein Geheimnis. Gold und Silber sind mir auch lieb, um, wenn es sein soll, die Rahmung zu unterstützen, oder aber, um das Ganze aufzuwerten, ja, um dem Bilde noch den gewissen Glanz zu geben. Wie sagte Jean-Henri Fabre so trefflich: »Ich glaube nicht an Gott – ich sehe ihn …« Ganz sicher hat er damit auch die Farbigkeit in der Natur gemeint, von der ich mir eine Winzigkeit für meine Bilder nehme. Ganz einfach, denke ich, – für mich … Ja, Fabre und Farbe spielen für mich eine wichtige Rolle! GK Die sehr spezifische Farbigkeit hat natürlich auch mit deinem Bildträger zu tun. Du verwendest seit vielen Jahren Glas als Bildgrund. Einerseits eine jahrhundertealte Tradition aus der Lausitz, andererseits von dir in eine neue eigenwillige Form überführt. Was hat es also auf sich mit der Bedeutung von Licht, Farbigkeit und Hinterglasmalerei? BH Die Farben leuchten anders und besonders, wenn ich auf Glas male, und ich bin beim Umdrehen der Scheibe immer wieder überrascht. Es kommt natürlich auch darauf an, wie und wo die Bilder ihren Platz finden. Es ist einfach traumhaft, sie im Licht der aufgehenden oder auch untergehenden Sonne zu sehen. Oft ist es nur ein Moment, und den finde ich auch ausreichend und gut so. Besonders denke ich dabei an die kleinen Folienteile oder auch an metallische Farben. Es gibt Leute, die mir darin einen Hang zum Kitsch nahelegen. Na, wenn schon! Schließlich versuche ich jenen Kitsch mit meinen Motiven zu brechen und zwar mitunter radikal. Der schöne pinkfarben glänzende Hirsch auf dem Bunkerdach … – das meine ich. GK Samtschönes Blau, rubinrote Katze, schwefelgelbe Wolken, ebenholzschwarze Miniaturen, die Beschreibung deiner ganz persönlichen Farbenlehre ist so assoziativ und poetisch wie die Figuren und Wesen, denen du Zutritt zu deinen Bildräumen gewährst. Welche Winzigkeiten schöpfst du für sie aus der Natur, beziehungsweise welche anderen Quellen zapfst du für dein Bildpersonal an? BH Wie gesagt, die Natur ist auch für mich, neben der Fantasie, ganz ausschlaggebend. Ich genieße die Jahreszeiten, das trifft zum Beispiel auch für den nasskalten November zu, dem ich eine ganz andere Art von Charme entlocken kann. Meine Geschichten kommen aus mir, aus eigenen Erlebnissen, aber auch die Inspiration durch Filme und Fotografien erfahre ich gern. Oft sind es nur Schnipsel daraus, die ich mir nehme und diese in eigene Geschichten verwandle. Meine Vorliebe gilt dabei eher den bescheideneren Motiven. In der Lyrik würde man diese in zwei bis drei Zeilen abhandeln. Ich liebe die japanische Kunst des Haiku-Schreibens! Du merkst, ich bin nicht die Vielerzählerin, das Nachdenken über meine Bildinhalte überlasse ich lieber den Betrachtenden … Freilich habe ich beim Malen über vieles nachzugrübeln, aber das behalte ich lieber für mich. Dies betrifft sicher auch die »Quellen«, die ich mir so oder auch so erobere. Und ich bin überzeugt, dass das die bessere Herangehensweise ist, die mittlerweile für mich zur Methode geworden ist.
136 geb. 1958 in Zittau Lehratelier für Gebrauchswerber, Bühnenmalerin am Gerhart-Hauptmann-Theater Zittau Studium Theatermalerei an der HfBK Dresden, Theatermalerin an der Semperoper Dresden Geburt der Kinder Tilman und Magdalena B. 1958 in Zittau, Saxony (GDR) Attends School for Commercial Weaving; scenic painter at the Gerhart Hauptmann Theatre, Zittau Course of study in Scenic Painting at the HfBK Dresden; scenic painter at the Semper Opera House, Dresden Birth of children Tilman and Magdalena angelernte Gärtnerin und Handweberin, Ausreise in den Westen Rückkehr nach Dresden, Theaterplastikerin an der Semperoper seit 2003 freischaffend Beate Hornig lebt in Oppach und Dresden. Semi-skilled gardener and hand weaver; leaves for the West Return to Dresden; theatrical sculptor at the Semper Opera House Since 2003 self-employed Beate Hornig lives in Oppach (Upper Lusatia) and Dresden. Hornig Beate
137 AUSSTELLUNGEN EXHIBITIONS Einzelausstellungen »Wintergrün«, Bautzen, Galerie Budissin, 2001: Bilder und Figuren »mixed border«, Löbau, Haus Schminke 2002: Ölbilder, Figuren aus Papier und erste Hinterglas- bilder »Kaskaden«, Schloss Neschwitz, 2003: Malerei »Beate Hornig – Hinterglasmalerei / Tilman Hornig – Skulptur«, Bautzen, Galerie Budissin, 2009 »Hinterglas«, Dresden, Galerie Gebr. Lehmann, 2020 »Im Himmel ist Jahrmarkt«, Dresden, Galerie Gebr. Lehmann, 2022: neue Hinterglasbilder Gemeinschaftsausstellungen speziell zur Hinterglastechnik Hinterglasmuseum in Sandl 2012: oberösterreichischer Ort im Waldviertel mit alter Glasmacher- und Hinterglasmalerei-Tradition (UNESCO-Weltkulturerbe) »Hinter Glas«, Linz, Kunstverein Paradigma, 2019: Hinterglasmalerei Heimatmuseum Herrnhut 2022/23: in der Retrospektive des Oberlausitzer Malers Max Langer Gemeinschaftsausstellungen (seit 2005, Auswahl) »Licht und Schatten«, Löbau, Galerie Arkadenhof, 2006 »Koordinatensystem Kunst«, Kulturraum Oberlausitz: 20 Künstler – 20 Positionen, Europäisches Zentrum der Künste Hellerau, 2010 »Gesichter und Gestalten«, Städtische Museen Zittau, 2012 »Cˇerná«, Dresden, Galerie Gebr. Lehmann, 2015 »Stadt – Landschaft«, Pulsnitz, Ostsächsische Kunsthalle, 2017 »Textiles«, Dresden, Galerie Gebr. Lehmann, 2018 »Transform 3«, Bautzen, 2018 (als Adele Hornig) »Neuzugänge zeitgenössischer Kunst im Kunstfonds Sachsen 2020/21«, Halle 14 – Zentrum für zeitgenössische Kunst Leipzig, 2021; danach in der Landesvertretung Sachsen beim Bund, Berlin, 2022 »Natur«, Dresden, Galerie Gebr. Lehmann, 2022 »Worin unsere Stärke besteht«, 50 Künstlerinnen aus der DDR, Berlin, Kunstraum Kreuzberg/ Bethanien, 2022 Bautzen, 2009
Der Wind pfeift … die Zeit scheint keine Rolle zu spielen … die andere Hälfte verschwindet … eine schickgemachte Frau mit goldener Sonnenbrille sieht gelangweilt zu … aber dann – der Strick reißt und die Flügel fliegen davon … das Kommen und Gehen … der schwarze Sichelmond und die die schwere, rote Wolke … das schöne weiße Tier auf der Blumenwiese … Abwartend … ein Pärchen, geschmückt und verkleidet, hat sich einfach mal gern … immer wieder ist da das Ungewisse … es gibt immer ein Etwas und ein Gegenüber … manchmal ist das Gegenüber man selbst.
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